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Veröffentlicht am 02.06.2021

Solider Krimi mit fundierter Ermittlungsarbeit

Haie unter dem Eis - Kira Lunds erste Reportage
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Mit diesem Krimi liefert H. Dieter Neumann einen gelungenen Auftakt zu seiner Reihe um die Journalistin Kira Lund. Solide recherchiert und von Anfang bis Ende logisch dargelegt lesen wir von der Aufklärung ...

Mit diesem Krimi liefert H. Dieter Neumann einen gelungenen Auftakt zu seiner Reihe um die Journalistin Kira Lund. Solide recherchiert und von Anfang bis Ende logisch dargelegt lesen wir von der Aufklärung eines tragischen Mordfalls. Wie bei Schwarz Rot Gold, einer meiner Lieblingsserien aus der Kindheit, werden wir in jeden Schritt der Ermittlungen einbezogen und können zusammen mit der Journalistin das Puzzle Stück für Stück zusammenfügen, bis sich schließlich ein ganzes Bild ergibt.


Ein eher langsamer Anfang

Da dieses Buch nicht nur ein Krimi ist, sondern zugleich als Auftakt einer Reihe dient, widmet sich ein nicht zu unterschätzender Teil insbesondere am Anfang dem Privatleben der Journalistin mit allen Höhne und Tiefen. Ebenso lernen wir ein bisschen mehr über Flensburg und die besonderen Beziehungen im hohen Norden zu Dänemark. Für mich, die ich aus dieser Ecke stamme, durchaus unterhaltsam, aber leider bisweilen auch zu langatmig.

Auch wenn direkt zu Beginn ein Verdächtiger festgenommen werden kann, von dem man an Leser sofort denkt, dass er es garantiert nicht war, hat es in meinen Augen etwas zu lange gedauert, bis die Ermittlungen wirklich Fahrt aufgenommen haben. Dies ist sicherlich auch dem Umstand des Serienauftaktes geschuldet, doch ich hätte mir konkrete Hinweise etwas früher im Buch gewünscht. Sehr viel Zeit wird verwendet, die Zweifel von Kira Lund an Schuld oder Unschuld des Verdächtigen zu schildern, ohne dass sich der Plot wirklich vom Fleck bewegt.


Akribische Ermittlungsarbeit mit spannenden Höhepunkten

Als es dann aber schließlich soweit ist, wird es richtig spannend, so dass ich die letzte Hälfte des Buches an einem Stück durchgelesen habe. Aus persönlichen Gründen stürzt sich Kira Lund auf die erste Spur, die sie sieht, und ermittelt auf eigene Faust, aber auch in Absprache mit der Polizei in Gestalt von Hauptkommissarin Helene Christ. Diese beiden Frauen ergänzen sich wunderbar und spielen sich gegenseitig immer wieder kleine Details zu, die die jeweils andere in die richtige Richtung weißt.

Immer mehr Personen landen im Kreis der Verdächtigen, doch erst ganz zum Schluss wird wirklich klar, wer nun der eigentliche Mörder war. Obwohl die groben Zusammenhänge schnell zu Tage treten, beweist der Autor seine Stärke gerade darin, die Beweisführung wasserdicht zu machen und alle Zusammenhänge lückenlos aufzudecken. Dass sich dabei Kira Lund auch – in meinen Augen sehr fahrlässig – in Gefahr begibt, würzt diese akribische Ermittlungsarbeit gekonnt. Das Ende ist befriedigend und hinterlässt keine Fragen, so dass der Fall wirklich zu den Akten gelegt werden kann.


Fazit

Der Küstenkrimi „Haie unter dem Eis“ besticht durch die solide Ermittlungsarbeit der Journalistin Kira Lund und ist damit ein gelungener Auftakt zu einer Reihe um diese Figur oben in Flensburg. Nach einigen anfänglichen Längen nimmt das Buch schnell Fahrt auf und führt den Leser in angemessenem Tempo von einem Verdächtigen zum nächsten. Jedes neue Puzzleteil fügt sich gut ein und verleiht dem Bild mehr Tiefe, so dass am Ende die eigentlichen Täter überführt werden können. Der Krimi lässt mich zufrieden zurück und macht zugleich Lust auf mehr, weswegen ich eine Leseempfehlung ausspreche.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Ein origineller historischer Krimi zum MIträtseln

Das Buch des Totengräbers (Die Totengräber-Serie 1)
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Dieser Krimi von Oliver Pötzsch besticht von Anfang an durch die lebendige Kulisse, die das Wien zum Ende des 19. Jahrhunderts bietet. Auch wenn „Das Buch des Totengräbers“ ein Krimi, ist sind es die vielen ...

Dieser Krimi von Oliver Pötzsch besticht von Anfang an durch die lebendige Kulisse, die das Wien zum Ende des 19. Jahrhunderts bietet. Auch wenn „Das Buch des Totengräbers“ ein Krimi, ist sind es die vielen kleinen Details, durch die man sich als Leser in das alte Wien zurück versetzt fühlt, die das Buch herausragend machen. Zudem kann man von Anfang an miträtseln und geschickte Platzierung winziger Details ermöglichen es, dass man vor dem Ermittler auf so manche Spur kommt. Das unterhaltsame Duo eines deutschen Inspektors und eines grimmigen Totengräbers ist zudem so originell, dass man sich auf jeder Seite gut unterhalten fühlt.


Starke historische und politische Kulisse

Als gebürtige Norddeutsche könnte ich nicht weiter weg vom österreichischen Leben sein, und doch gelingt es dem Autor von Anfang an, mir das Leben und den Charakter der Österreicher eines anderen Jahrhunderts näher zu bringen. Auch dass viele im typischen Dialekt sprechen, der mir fremd ist, hat hier geholfen, zumal der Dialekt nie so oft oder so stark eingeflochten wurde, dass ich die Wörter nicht mehr verstehen konnte. Das ist eine der kleinen Meisterleistungen, die diesen Krimi scheinen lassen.

Gleichzeitig dürfen wir natürlich auch die historischen Umstände am Ende des 19. Jahrhunderts nicht vergessen, und so begegnen wir einer Menge Judenhass und der sehr strengen „Sitte“. Auch hier zeigt der Autor Fingerspitzengefühl: Während sehr deutlich gemacht wird, wie verabscheuungswürdig die vielen Vorurteile gegen jüdische Mitbürger sind, so wird doch auch klar, wie allgegenwärtig und salonfähig sie damals waren. Wir sehen ein Wien, das eine Weltstadt ist, obwohl viele fremdenfeindlich eingestellt sind und Modernisierung ablehnen. Die extremen Unterschiede zwischen arm und reich, zwischen neuer Technik und alten Gepflogenheiten werden nebenher erörtert und verleihen der Geschichte sehr viel Farbe,


Gegensätzliche Ermittler und ein brisanter Fall

Die beiden Ermittler selbst, Leopold von Herzfeldt und Augustin Rothmayer, spiegeln diese Unterschiede sehr gut. Während Leo zuvor in Graz Kriminalistik studiert hat und mit einem eigenen Fotoapparat unterwegs ist, scheut sich Rothmayer davor, ein Telefon auch nur anzufassen. Trotzdem können sie den Fall am Ende nur gemeinsam lösen: Leo bringt messerscharfe Beobachtungsgabe und kritische Hinterfragung aller Tatsachen mit, während Rothmayer viel Erfahrung und ein sehr tiefes Verständnis von Leichen beisteuert.

Trotzdem fallen erst am Ende alle Puzzelteile so zusammen, dass Leo begreift, was wirklich vor sich geht. Der Autor hat hier zuvor dem Leser kleine Hinweise gegeben und so war zumindest ein Teil der großen Wendung am Ende für mich keine Überraschung, sondern eine Genugtuung, weil ich vor den Ermittlern drauf gestoßen bin. Trotzdem waren die ganzen Umstände nicht sofort klar, so dass genügend Überraschung blieb, damit die Spannung bis zum Schluss da war.

Neben Leo und Rothmayer gibt es hier zudem eine interessante Frauenfigur, die so viele interessante Seiten hat, dass ich hoffe, dass wir in Zukunft noch mehr von ihr sehen. Ohne allzu sehr in Klischees zu verfallen, fädelt der Autor also auch noch einen kleinen romantischen Plot mit ein, der angenehm nebenher läuft und seinen ganz eigenen Zweck erfüllt.

Der Fall selbst beginnt bereits brutal und abstoßend, doch die Abgründe, die sich im Laufe der Ermittlungen auftun, sind nichts für schwache Nerven. Man braucht einen starken Magen, um auszuhalten, was hier wirklich vor sich geht. Doch auch hier beweist der Autor höchstes Können: Ungeschönt und in all der realen Grausamkeit erleben wir die Umstände, während gleichzeitig genügend Distanz gewahrt wird, dass es sich nicht anfühlt, als würden wir im Leid baden. In meinen Augen ist hier der Spagat zwischen Anschaulichkeit und Respekt meisterhaft gelungen.


Fazit

Der historische Kriminalroman „Das Buch des Totengräbers“ ist eine schriftstellerische Meisterleistung. Nicht nur gelingt es Oliver Pötzsch, den Leser von Anfang bis Ende miträtseln zu lassen, er nimmt uns gleichzeitig mit in eine andere Zeit, an einen zumindest mir unbekannten Ort. Mit komplexen, durchaus fehlerhaften Hauptpersonen und einem grauenhaften Fall ist hier Spannung von der ersten Seite an vorhanden.

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Veröffentlicht am 28.05.2021

Farbenfroh und mitreißend, aber bisweilen langatmig

Die Tänzerin vom Moulin Rouge
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Mit „Die Tänzerin vom Moulin Rouge“ ist es Tanja Steinlechner gelungen, ein farbenfrohes und authentisches Bild des Lebensgefühls zu malen, das wohl im Paris Ende des 19. Jahrhunderts geherrscht hat. Die ...

Mit „Die Tänzerin vom Moulin Rouge“ ist es Tanja Steinlechner gelungen, ein farbenfrohes und authentisches Bild des Lebensgefühls zu malen, das wohl im Paris Ende des 19. Jahrhunderts geherrscht hat. Die Gegensätze zwischen der strengen Moral der ärmeren, einfachen Bevölkerung auf der einen und dem absoluten, ungezügelten Exzesses auf der anderen Seite sind schillernd eingefangen in allen Höhen und Tiefen. Wie das Leben der Protagonistin lässt auch dieses Buch dem Leser keinen Moment zum Durchatmen, es geht immer weiter und weiter. Darin liegen die Stärken, aber auch die Schwächen dieses historischen Romans.


La Goulue – ein einzigartiger Charakter

Mit Louise Weber hat sich die Autorin eine reale Figur aus der Vergangenheit des Moulin Rouges rausgesucht, deren Lebensweg wir erfahren können. Sie hält im Nachwort eindeutig fest, dass sie sich Freiheiten mit der Biografie genommen hat, um stattdessen eine stringentere fiktive Erzählung liefern zu können. Da ich zuvor von Louise Weber nichts wusste, hat mich dies nicht gestört, aber Kenner dürften sich hier an einigen Details reiben.

La Goulue, wie sich Louise Weber auf der Bühne nennt, macht von Anfang an ihrem Namen alle Ehre: Sie ist gefräßig und unersättlich, im besten und schlimmsten Sinne des Wortes. Sie will mehr als nur Wäscherin sein und packt die Gelegenheit, die sich zufällig ergibt, beim Schopf. Mit ihrer Lebenslust, die jeder in ihrer Nähe sofort spürt, kann sie Männer wie Frauen in den Bann ziehen und auch mich als Leserin. Mit ihren Worten erschafft Steinlechner eine glänzende Welt, in deren Mittelpunkt Louise steht, die man sich in ihrer ganzen Pracht stets vorstellen kann.

Daneben gibt es eine unfassbare Reihe von Nebencharakteren, die mal kürzer, mal länger an der Seite von Louise stehen, ihren Ruhm genießen wollen oder sie aufrichtig mögen. Jede dieser Figuren hat ihren eigenen Charakter, deutlich von der Autorin beschrieben, so dass man nie die Übersicht verliert, aber genau deswegen bisweilen auch ein wenig flach, da meist nur ein oder zwei Wesenszüge wirklich ausgearbeitet werden. Man weiß nie, wer eine größere Rolle spielen wird und so gibt es auch nie den deutlich erkennbaren, zu erwartenden Liebhaber, der von Beginn an für den Leser offensichtlich ist. Dies wird insbesondere dadurch befeuert, dass Louise sowohl Männer als auch Frauen liebt, wobei ihre Vorurteile gegenüber ersteren dazu führen, dass sie nur mit Frauen ernsthafter und länger in Beziehungen bleibt. Im Moulin Rouge wird das Flirten mit dem anderen Geschlecht geschätzt, und doch bekennt sich Louise nie offen zu ihrer Liebe zu den Frauen, da sie die männliche, zahlende Kundschaft nicht vertreiben will.


Die Stärken und Schwächen des Buches

Genau hier entsteht der zentrale Konflikt: Louise will niemals von einem anderen Menschen, insbesondere einem Mann, abhängig sein, und in ihrer Furcht vor der Liebe, die sie abhängig machen könnte, stößt sie immer wieder alle von sich, die ihr wirklich Gutes wollen. Ihr Selbstwert ist so sehr an den Eindruck, den andere von ihr haben, geknüpft, dass sie in Wirklichkeit abhängiger ist, als sie es je in einer Ehe mit einem geliebten Menschen sein könnte. Immer wieder bricht ihre Welt zusammen, immer wieder baut sich Louise selbst neu auf, aber nie hält sie inne, um wirklich zu erfassen, was sie will. Es ist offensichtlich, wie gut sich die Autorin mit der menschlichen Psyche auskennt, denn egal, wie wenig man selbst den Glamour des Moulin Rouges von damals kennt, man fühlt sich Louise dennoch nahe und kann ihre Regungen verstehen, so tragisch und zerstörerisch sie auch sein mögen.

In der tiefgründigen Darstellung von Louises Charakter liegt jedoch zugleich auch die Schwäche des Buches. Wo dem Leser keine Verschnaufpause bleibt, wird die Lektüre bisweilen doch zu lang. Immer gleiche Begegnungen mit immer anderen Menschen, immer gleiche Abfolgen von höhen und Tiefen werden in der Mitte zeitweise langweilig, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – so unfassbar viel geschieht. Bald wird auch klar, wohin die Reise geht, und obwohl mich das Ende emotional berührt hat, empfand ich es doch zu lange herausgezögert. Ein wenig mehr Raffung des Stoffes hätte das Lesevergnügen für mich verbessert.


Fazit

Die Geschichte der Goulue Louise Weber ist faszinierend und mit den Freiheiten der Fiktion zu einem einzigartigen Lebensgefühl in Wortform hier niedergeschrieben. Das Leben im Paris, im Moulin Rouge zum Ende des 19. Jahrhunderts ist authentisch eingefangen in den vielen Charakteren, die wir hier kennenlernen dürfen. Trotz des hohen Erzähltempos hat das Buch jedoch einige Längen, so dass es am Ende beinahe ermüdend wurde. Für jeden, der das Nachtleben von Paris einmal selbst fühlen will, ist dieses Buch dennoch auf jeden Fall eine Empfehlung

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Veröffentlicht am 25.05.2021

Starker Polit-Thriller, der Lust auf mehr macht

Die Akte Adenauer
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Mit dem Roman „Die Akte Adenauer“ ist Ralf Langroth ein starker Auftakt seiner Reihe um den Ermittler Philipp Gerber gelungen. Umfassende Recherche zu den politischen und historischen Hintergründen werden ...

Mit dem Roman „Die Akte Adenauer“ ist Ralf Langroth ein starker Auftakt seiner Reihe um den Ermittler Philipp Gerber gelungen. Umfassende Recherche zu den politischen und historischen Hintergründen werden vor der authentisch erzählten Kulisse des Deutschlands der 50er Jahre zum Leben erweckt. Dieser Polit-Thriller hat sehr viele Stärken, die fast ausreichen, die wenigen Schwächen vergessen zu machen.


> Akribische Recherche und passender Spannungsbogen

Von der ersten Seite an habe ich mich in das Deutschland der 50er Jahre zurückversetzt gefühlt. Das Biedere, aber auch das Hoffnungsvolle dieser Zeit springt einen beim Lesen förmlich an. Mit Philipp Gerber, dem Amerikaner im Auftrag des CICs, gibt es gleichzeitig eine Figur, die modern genug wirkt, um den Leser abzuholen. Als eigentlich Deutscher, der nur kurzfristig für das BKA und die Sicherungsgruppe Bonn ermitteln soll, ist er ebenso zerrissen wie das Land, in dem er tätig ist: Der Krieg ist noch gar nicht lange her, und während einige am liebsten alles vergessen und nur nach vorne sehen wollen, sind andere nicht bereit, den Traum von Größe, den sie unter der nationalsozialistischen Diktatur hatten, aufzugeben.

Neben Philipp Gerber, der ebenso intelligent wie abgebrüht und erfahren ist, lernen wir diverse politische Figuren und andere Ermittler kennen, die zum größten Teil ein ganz eigenes Spiel zu spielen scheinen. Wie es sich für einen Polit-Thriller gehört, entsteht beim Leser ganz schnell der Eindruck, dass überhaupt nicht klar ist, wem Gerber eigentlich trauen kann. So wie er sich also ständig umdrehen muss, so ist auch der Leser stets auf der Hut, vermutet hinter jeder neuen Figur den eigentlichen Drahtzieher der Verschwörung. So kommt Langroth mit einigen wenigen actiongeladenen Szenen aus, um Spannung aufzubauen, da unsere Nerven beim Lesen sowieso schon zum Zerreißen gespannt sind.

Geschickt streut der Autor auch entlang des Weges kleinere Hinweise hier und da ein, Sätze, die einen aufmerksamen Leser innehalten lassen – und am Ende wird man belohnt, wenn der Verdacht, den man noch vor Gerber hatte, sich als richtig herausstellt. So macht das Lesen Spaß, denn auch, wenn man vielleicht das Wer ein wenig schneller weiß als der Ermittler, klärt sich doch die Frage des Warums erst am Ende. Es wird Seite um Seite spannender, bis die Auflösung am Ende hart erfochten und wohl verdient ist.


> Unpassende Stolpersteine

Umso unschöner ist es, dass man offenbar der Meinung war, dass ein solide ermittelter Polit-Thriller alleine nicht ausreicht. Wir bekommen regelmäßig kleine Einschübe, die uns die Sicht der lange Zeit namenlosen Verschwörer zeigen, doch für mich trug dies nie zur Spannung bei. Auch ohne diese Einschübe wusste ich, dass die Verschwörer hinter jedem Busch lauern könnten. In meinen Augen hätte es diesen Griff in die Trickkiste nicht gebraucht.

Ebenso enttäuscht war ich von dem romantischen Nebenstrang der Erzählung. Nicht, dass ich etwas gegen Romantik in einem Thriller hätte, im Gegenteil. Doch hier wird er in meinen Augen schlecht ausgeführt. Die Figur, mit der Gerber eine Affäre beginnt, ist zentral wichtig für den Plot, aber es braucht dafür die Liebe nicht. Ebenso war für mich unbegreiflich, wie sich Gerber derart chauvinistisch verhalten kann und trotzdem auf Zuspruch stößt. Gewiss, andere Zeiten waren es damals, aber der Roman ist heute geschrieben, da könnte man eine aufkeimende Beziehung ohne solche Bevormundung durch den Mann anfangen. Die Frau ist ein spannender Charakter, doch obwohl sie so wichtig für Gerbers Ermittlungen ist, wird sie immer mehr degradiert zur Damsel in Distress, der schönen Frau, die durch den starken Mann gerettet werden muss. Das hat mich mehrmals stolpern lassen, was schade ist.

Auch dass am Ende der Bösewicht, der schon aufgrund seiner politischen Ausrichtung verabscheuungswürdig ist, noch schnell eine weitere, heftige Charakterverfehlung angedichtet bekommt, war seltsam. Reicht es nicht aus, rassistisch zu sein, um offensichtlich nicht zu den Guten zu gehören?


> Fazit

Der Polit-Thriller „Die Akte Adenauer“ macht viel richtig und hat in mir die Lust geweckt, mehr über die jüngere Geschichte Deutschlands zu lernen. Mit Philipp Gerber ist zudem ein Ermittler erschaffen worden, von dem ich auch in Zukunft gerne noch mehr lesen will. Auch wenn einige Details in der Ausführung mir nicht gefallen haben, hat mich das Buch doch stets gefesselt und unterhalten.

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Veröffentlicht am 17.05.2021

Berührend und aufrüttelnd

Die Malerin des Nordlichts
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Die Geschichte von Signe Munch ist eine Erzählung über das Leben einer sanften Frau, die in sich eine Stärke trug, die sie erst entdecken musste. Lena Johannson schreibt unaufgeregt und ruhig, passend ...

Die Geschichte von Signe Munch ist eine Erzählung über das Leben einer sanften Frau, die in sich eine Stärke trug, die sie erst entdecken musste. Lena Johannson schreibt unaufgeregt und ruhig, passend zum Gemüt der Protagonistin, die mal fiktive, mal sehr reale Biografie einer erstaunlichen Frau.

Die Malerin des Nordlichts hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Passend zu einem historischen Roman, der in der jüngeren Vergangenheit spielt, ist der Schreibstil ruhig und unaufgeregt, voller schöner Wörter und distanzierter Dialoge, die die Welt, die wir nicht mehr kennen, vor unseren Augen aufleben lassen. Ebenso wie die Protagonistin ist der Stil nicht hier, um eine Revolution anzuzetteln, sondern um uns mitzunehmen auf die lange Reise, die manche von uns gehen müssen, um wirklich zu sich selbst zu finden.

Signe Munch hat die 30 schon deutlich überschritten, als sie es endlich wagt, das zu tun, was gut für sie ist. Aber auch nach ihrer Scheidung bleibt sie lange Zeit zurückgezogen und beinahe schüchtern im Umgang mit anderen Menschen. Als jemand, der nur zu gut weiß, wie überwältigend es sein kann, fremde Menschen um sich zu haben, deren Intentionen man nicht kennt, habe ich stets mit Signe mitgefühlt. Sie will mutig sein, aber sie kann nicht. Sie weiß nicht, wie es geht, und damals gab es noch nicht die Möglichkeiten, die wir heute haben, um unser innerstes zu stärken. Auch wenn es manchmal nur ein Satz ist, die Autorin schafft es stets, die Gefühle und Gedanken, die uns so verunsichern, auf den Punkt genau auszudrücken. So konnte ich mich schnell mit Signe identifizieren und habe ihre Reise voller Hoffnung verfolgt.

Ihre Liebe zu Einar ist ebenfalls so einfühlsam dargestellt, dass es beinahe an ein Wunder grenzt. Signe kennt nur eine Art, sich um einen Ehemann zu kümmern, doch das ist es gar nicht, was Einar von ihr will. Er will sie unterstützen und sich den Haushalt teilen - eine Vorstellung, die Signe so fremd ist, dass sie sich beinahe bedrohlich anfühlt, bis sie endlich versteht, dass er es ernst meint. Auch als er sich dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer anschließt, obwohl sie nur Ruhe, Sicherheit und Zweisamkeit mit ihm will, drängt er sie zu nichts, sondern fordert sie auf, ihrem Herzen zu folgen. Er hilft Signe, zu sich selbst zu finden, aber nicht, indem er ihr den Weg zeigt, sondern indem er ihr eine Hand reicht, wann immer sie fragt. Signe findet ihren Weg selbst, hat ihn schon immer gekannt, nur nie den Mut gehabt, ihn anzusehen.

Während wir über Signes Leben lesen, erhalten wir zudem einen tiefen Einblick in die Kunstszene des Norwegens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die genannten Vereinigungen und Ausstellungen, viele von Signes Werken, einige der auftretenden Personen, sie alle haben real existiert. Was für einige Leser eventuell etwas langatmig werden kann, hat mich ganz besonders fasziniert. Wir lernen wie anders als Edvard Munch sie malt, wie sie immer wieder mit sich hadert und sich schuldig fühlt, nicht so provokant zu malen wie andere der Osloer Bohème, bis sie schließlich in sich selbst die Stärke findet, das zu malen, was sie malen will. Es ist ein kunsthistorischer Ausflug in eine Welt, die mich ebenso fasziniert wie sie mir fremd ist.

Den ganzen Roman über schafft Lena Johannson es zu zeigen, wie wichtig unser Umfeld ist, wie sehr andere Menschen uns beeinflussen, während sie gleichzeitig nie in die Falle tappt und Signe Munch einfach nur zu einem Produkt ihres Umfeldes macht. Wenn Signe Munch wächst, dann weil sie sich bewusst dafür entscheidet, von anderen Menschen zu lernen. Jeder auftretende Charakter hat eigene Motivationen und verfolgt eigene Ziele, wodurch die Einzigartigkeit von Signes Persönlichkeit noch mehr unterstrichen wird.

Dieser historischer Roman auf den Spuren einer realen Persönlichkeit verwebt Fakten und Fiktion auf wundervolle Weise. Für mich ist dieses 2019 erschienene Buch schon jetzt ein Highlight meines Lesejahrs 2021.

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