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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.08.2021

Atemlos, aber auch ermüdend

Eskalation
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Die Leseprobe zu diesem Buch hat mich sofort in den Bann gezogen, da ohne lange Vorrede der Plot beginnt. Wir sehen ein Opfer, wir bekommen einen winzigen Blick auf den Täter und erfahren zugleich, dass ...

Die Leseprobe zu diesem Buch hat mich sofort in den Bann gezogen, da ohne lange Vorrede der Plot beginnt. Wir sehen ein Opfer, wir bekommen einen winzigen Blick auf den Täter und erfahren zugleich, dass das Buch aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Der Stil fesselt von der ersten Seite, doch das hohe Tempo, das bis zum Ende durchgezogen wird, hat mich am Ende ermüdet und unzufrieden zurück gelassen.

Klassische Polizeiarbeit gemischt mit dem Horror einer Entführung

In diesem Buch lernen wir viele Personen kennen. Einerseits natürlich das Entführungsopfer, zu dem wir immer wieder zurückkehren. Wir erleben hautnah mit, wie traumatisch und verzweifelt diese Situation ist. Gleichzeitig erleben wir auch ihr Umfeld und wie Familie und Freunde reagieren, währen die Polizei ermittelt und die Medien mal mehr, mal weniger hilfreich Bericht erstatten. Das alles ist gerade zu Beginn sehr spannend und sorgt für einen Rundumblick, den man selten erhält.

So packend die Szenen des Entführungsopfers auch geschrieben sind, das Highlight für mich war stets, wenn wir den Polizisten bei der Arbeit zuschauen konnten. Das war solide erzählt und gleichzeitig spannend, gerade weil wir immer wieder gesehen haben, wie dünn die Luft für das Opfer wird. Interessant war hier, dass auch die Beziehung von Polizei und Medien beleuchtet wurde, wie schwierig das für den Pressesprecher sein kann und wie unerbittlich der Kampf verschiedener Zeitungen gegeneinander ist. Das hat insbesondere in der ersten Hälfte sehr viel Spaß gemacht.

Der Stil schafft sich selbst ab

Leider blieb der Stil bis zum Schluss gleich. Natürlich ist es auf der einen Seite konsequent, es durchzuziehen, doch für mich litt das Lesevergnügen darunter. Jedes Kapitel hat nur wenige Seite, wir wechseln immer wieder die Szene. Kaum sind wir in der einen angekommen, endet sie schon. Dabei ging für mich einerseits die Charaktertiefe verloren, weil ich nie wirklich bei einer Figur ankommen konnte. Gleichzeitig hatte ich leider auch das Gefühl, dass den Charakteren auf diese Art und Weise die agency genommen wurde – die Möglichkeit, den Plot zu bestimmen und Handlungsmotivation zu zeigen.

Je weiter wir uns dem Ende genähert haben, umso weniger interessiert war in an dem Buch. Die vielen Figuren, die allesamt in jeder Situation das taten, fühlten und dachten, was es gerade für den Plot braucht, ohne dabei einen eigenen Charakter zu haben, flossen ineinander. Die Auflösung war zwar ein interessanter Twist, doch die Aufarbeitung dessen bestand aus zu viel Monologen, die uns erzählt haben, was wir denken und fühlen sollen, ohne dass es uns gezeigt wurde.

Für mich leben Geschichten, insbesondere Thriller, davon, dass ich mit einer Figur wirklich mitfühle, egal welche das ist. Hier gab es zu viele Figuren und gerade das Entführungsopfer, das Dreh- und Angelpunkt des Plots war, blieb bis zum Schluss so charakterlos, dass mir ihr Schicksal zwar nicht egal war, aber ich trotzdem keine emotionale Verbindung spüren konnte. Das ist schade, denn es gab auch immer wieder Szenen, in denen ich wirklich dabei war, die ich spannend fand, die mich zum Nachdenken gebracht haben.

Fazit

Der Thriller „Eskalation“ von Nora Benrath beginnt atemlos und zieht das Tempo bis zum Schluss durch. Während dies gerade am Anfang für Spannung und Abwechslung sorgt, wird es in der zweite Hälfte leider ermüdend. Die ständig wechselnden Szenen und die vielen verschiedenen Charaktere haben es mir unmöglich gemacht, mit mir irgendeiner Figur zu identifizieren und wirklich mitzufiebern. So bleibt ein offensichtlich gut recherchierter und durchdachter Roman am Ende blass.

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Veröffentlicht am 07.08.2021

Spannender Einblick in ein fremdes Land

Brillanter Abgang
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Bei diesem Buch hat mich zuerst das Cover gelockt, dann der Klappentext. Die Prämisse klang originell und spannend und ich hoffte, einen mitreißenden Wirtschaftskrimi zu bekommen. Das hat das Buch nicht ...

Bei diesem Buch hat mich zuerst das Cover gelockt, dann der Klappentext. Die Prämisse klang originell und spannend und ich hoffte, einen mitreißenden Wirtschaftskrimi zu bekommen. Das hat das Buch nicht ganz erfüllt, aber dafür hat es in anderen Aspekten sehr überzeugen können, so dass ich am Ende doch zufrieden war.


Fremdes Land, fremde Kultur

Obwohl bereits der Klappentext verrät, dass Kroatien eine Rolle spielen wird in diesem Roman, war ich doch überrascht, wie schnell und vor allem wie intensiv wie dieses Land kennenlernen. Während mir zumindest Kroatien nur als Urlaubsland anderer Deutscher bekannt ist, sehen wir hier eine Seite, die den meisten Touristen wohl verborgen bleibt. Ein Land, das noch immer darum kämpft, wieder richtig auf die Beine zu kommen, wo die Einwohner den letzten Krieg längst nicht vergessen haben und viele nicht wissen, was die Zukunft bringt. Jenseits der Adria, jenseits von Zagreb scheint das Leben stehen geblieben zu sein, und wir bekommen als Leser hier einen kleinen Einblick, wie sich das anfühlen mag.

Auch wenn die meisten Bewohner des kleinen Dorfes, in dem sich ein Großteil der Geschichte abspielt, kaum mehr als Stereotypen sein dürften, gelingt es dem Autor doch, sie alle so authentisch darzustellen, dass man sich die Dorfgemeinschaft schnell vorstellen kann. Alte Bräuche, knurrige, aber loyale Männer, zielstrebige Frauen – das alles ist charmant, gerade weil die Trostlosigkeit so schonungslos beschrieben wird.


Der Krimi läuft eher nebenher

Nachdem also der Protagonist auf anraten seiner kroatischen Freundin mit den 200 Millionen Euro das Weite gesucht hat, dauert es nicht lange, bis die Bank den Fehler bemerkt und anfängt zu ermitteln. Faszinierend war hier, dass der Roman erneut überraschen konnte: Anstatt sich mit dem Zahlungsverkehr zu beschäftigen, um die Spur des verschwundenen Geldes nachzuverfolgen, erleben wir mit, wie der Bankier, der ursprünglich die Sache entdeckt hat, plötzlich in ein ganz anderes Hamsterrad gerät. Als Leser wird man natürlich sofort misstrauisch, doch der Bankier braucht einige Zeit, bis er aufwacht. Auf diese Weise wird Korruption und Bestechung plötzlich greifbar, denn wir erleben es hautnah mit.

Natürlich werden auch Hans und Tonja verfolgt – die Mafia wird bereits im Klappentext erwähnt. Hier zeigt sich, dass Spannung meist dort entsteht, wo es eine unbekannte Größe gibt. Lange Zeit ahnen wir, dass den beiden Gefahr droht, doch wir kennen den Verfolger nicht wirklich. Das Geld ist immer wieder Grund für Streitigkeiten, doch erst am Ende wird es tatsächlich gefährlich. Während Tonja, die selbst einmal für eine Bank und für eine Anwaltskanzlei gearbeitet hat, mehr oder weniger professionell mit dem neuen Reichtum umgeht, sind wir immer bei Hans, der sich eigentlich jeden Schritt des Weges überfordert fühlt – und entsprechend unsicher wird, als plötzlich die Rede von der Mafia ist.

Trotz allem fehlt diesem Aspekt des Romans echte Spannung. Hans ergreift zu wenig Initiative, Tonja scheint zu abgebrüht, als dass mir ein wirkliches Mitfiebern mit den beiden Charakteren möglich wäre. So ist zwar der Plot selbst interessant und die Suche nach dem Geld seitens der Bank durchaus spannend, aber das, was mich wirklich fesselt, die Figuren, bleiben ein wenig zu blass.


Fazit

Der Roman „Brillanter Abgang“ von Alexander Hoffmann besticht durch sehr gute Recherche und Kenntnis der Wirtschaft, ebenso wie durch eine überzeugende Darstellung eines fremden Landes und einer fremden Kultur. Wenn man mit der Erwartung rangeht, neben einem Spannungsroman auch Einblicke in die kroatische Kultur zu erhalten, ist dieses Buch ein echter Schatz. Leider fehlte am Ende die Spannung, um die Jagd nach dem Geld wirklich mitreißende zu gestalten. So lebensnah die Nebenfiguren auch wirken, so distanziert bleibt man doch von den Hauptpersonen, worunter die Spannung leidet. Trotzdem habe ich diesen Roman sehr genossen und die vielen Überraschungen und Wendungen Seite um Seite verschlungen.

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Aufregende Welt, aber leider schwächelnder Plot

Der dunkle Schwarm
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Mit „Der dunkle Schwarm“ liegt ein interessanter Roman vor, bei dem zur Abwechslung einmal das Hörbuch zuerst existiert hat, ehe die Geschichte auch in Textform zu haben war. Ich war gespannt, ob ich dies ...

Mit „Der dunkle Schwarm“ liegt ein interessanter Roman vor, bei dem zur Abwechslung einmal das Hörbuch zuerst existiert hat, ehe die Geschichte auch in Textform zu haben war. Ich war gespannt, ob ich dies beim Lesen merken würde, doch dem war nicht so. Nur die etwas kürzeren Kapitel deuten darauf hin, dass sich hier an ein vorgegebenes Format gehalten werden musste. Inhaltlich und vom Stil wiederum ist das Buch ein solider SF-Thriller mit interessanten Fragen, die am Ende nur teilweise beantwortet werden. Da es mindestens einen Hörbuch-Nachfolger geben wird, sind die offenen Fragen am Ende jedoch kein grundsätzliches Problem.


Eine spannende Welt mit originellem Konzept

Das Buch wirft uns ohne lange Vorrede direkt in die Handlung: Während die Protagonistin einen Auftrag absolviert, erfahren wir von Androiden, Hive-Minds, Supercomputern und dem generellen Aufbau der Welt. Die Autorin gibt hier nur die nötigsten Fakten, doch gerade zu Beginn genügt dies völlig, um sich diese dystopische Zukunft vorzustellen: Der Planet ist am Sterben und damit werden die Unterschiede zwischen arm und reich immer gravierender. Ein leider nicht allzu unwahrscheinliches Szenario unserer Realität.

Während wir also nebenher erfahren, dass es völlig normal ist, einen lebensechten Androiden mit hoher Rechenleistung zu besitzen, erfahren wir auch, dass die Protagonistin die einzigartige Fähigkeit besitzt, Erinnerungen auslesen zu können – daher auch ihr Deckname Oracle. Als sie den Auftrag annimmt, die Auslöschung ganzer Hives zu untersuchen, wird es spannend. Als Leser denkt man sich natürlich von Anfang an, dass es nicht sicher sein kann, einfach einen Chip im Kopf zu haben, um virtuell kommunizieren zu können, doch die Hive-Morde scheinen das erste Mal diese Angst auch in den Menschen des Buches zu schüren. Das ist eine interessante wie realistische Einschätzung unseres Umgangs mit Technik: Wer damit aufwächst, stellt es nicht in Frage.

Im Hintergrund bekommen wir auch regelmäßig von mal mehr, mal weniger friedlichen Demonstrationen von The Cell zu hören, die als Umweltaktivisten dafür sorgen wollen, dass der Planet überlebt und möglichst viele Menschen ein lebenswertes Leben haben können. Selbstverständlich spielen sie eine größere Rolle, doch auch so macht die Autorin hier eine sehr aktuelle Frage auf: Wenn wir all diese Technik haben, wie werden wir die Welt damit retten? Werden wir weiter nur Symptome bekämpfen, oder wollen wir uns wirklich für den Planeten einsetzen? Auch wenn das Ende Teile davon beantwortet, bleibt doch genügend offen, um uns in eine zweite Staffel mitzunehmen.


Mäßige Umsetzung insbesondere zum Ende hin

So spannend die Welt insbesondere am Anfang auch wirkt, so enttäuscht war ich dann doch von der Umsetzung. Ich hatte das Gefühl, dass wir mit den besonderen Fähigkeiten der Protagonistin Atlas, der Existenz von Androiden und dem Konzept der Hive-Minds sehr viele futuristische Konzepte bekommen, die auch philosophische Fragen erlauben. Was macht Menschlichkeit aus? Was kann die Menschheit erreichen, wenn man schrankenlosen Austausch von Wissen und Gedanken ermöglicht? Werden wir Technologie nutzen, um den Planeten zu retten, oder treiben wir die Zerstörung nur noch schneller voran?

Natürlich geht es im Hintergrund immer um den Massenmord und das Geheimnis um die Fähigkeiten von Atlas, und das muss geklärt werden. Doch wurde viel Potential verschenkt in meinen Augen, gerade in den Szenen, in denen wir Androiden gegen gesichts- und namenlose Menschen kämpfen sehen, ohne dass es von wirklicher Bedeutung wäre. Auch sind die Fähigkeiten von Atlas zunehmend übermächtig, so dass gerade am Ende Spannung verloren ging. Leider sind einige der Nebenfiguren, die zunächst sehr wichtig erschienen, im Laufe der Geschichte auch verloren gegangen und zur Seite gedrängt worden.

Zum Schluss werden wir außerdem mit einer so zentralen Frage konfrontiert, die von der Protagonistin innerhalb weniger Sekunden beantwortet wird, dass mir schwindelig wird. Ich hoffe sehr, dass die Konsequenzen daraus im zweiten Teil aufgegriffen werden – wenn das der Fall ist, ist das Ende mutig und beeindruckend. Sollte dies nicht geschehen, wäre ich enttäuscht. Da ich insgesamt jedoch Freude am Lesen hatte und die Welt selbst spannend ist, gehe ich für jetzt davon aus, dass die Frage am Ende genau deswegen so aufgemacht wurde, um sie mit in den zweiten Teil zu nehmen und dort zum zentralen Thema zu machen. Ich bin gespannt.


Fazit

Der Science-Fiction-Roman „Der dunkle Schwarm“ ist ein spannender Auftakt zu der neuen Reihe von Marie Graßhoff, die als Hörbuch-Staffeln veröffentlicht wird. Auch als gedrucktes Buch funktioniert diese Geschichte gut, so dass zumindest ich beim Lesen keine Einschränkungen bemerkt habe. Die Welt, die hier erschaffen wurde, ist komplex und voller interessanter Fragen und Probleme, durch die die Protagonistin sich zu manövrieren weiß. Das originelle Konzept ist gerade zum Ende nicht vollständig überzeugend umgesetzt, unter anderem auch weil die Fähigkeiten der Heldin zu mächtig wirken. Dennoch habe ich es innerhalb kürzester Zeit durchgelesen und konnte die Geschichte kaum weglegen. In der Hoffnung, dass offene Probleme in einem zweiten Teil beantwortet werden, vergebe ich 3,5 Sterne.

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Veröffentlicht am 19.07.2021

Solider Krimi mit schwachen Figuren

Hundstage für Beck
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„Hundstage für Beck“ ist der Auftakt einer Reihe um Nick Beck und Cleo Torner, die ein sehr gegensätzliches Ermittler-Duo abgeben. Als Reihenauftakt ist dieser Roman gelungen, da bei beiden Charakteren ...

„Hundstage für Beck“ ist der Auftakt einer Reihe um Nick Beck und Cleo Torner, die ein sehr gegensätzliches Ermittler-Duo abgeben. Als Reihenauftakt ist dieser Roman gelungen, da bei beiden Charakteren im Hintergrund Plots laufen, die in diesem einen Buch noch nicht aufgelöst wurden. Gleichzeitig hat mich der Kriminalroman mit gemischten Gefühlen hinterlassen, da zwar der Krimi selbst solide ist, die auftretenden Figuren aber oftmals nicht mehr als ein Klischee zu bieten haben.

Umfassend recherchiert und schlüssig dargelegter Kriminalfall

Der Aufhänger dieser Geschichte ist, dass der Ermittler Nick Beck selbst zunächst versucht, eine Leiche verschwinden zu lassen, weil er denkt, er hätte ihren Tod zu verschulden. Als dann die eigentlichen Ermittlungen beginnen, wird schnell klar, dass sehr viel mehr dahinter steckt. Es hat mir beim Lesen gut gefallen, dass hier die ganz klassische Ermittlungsarbeit gezeigt wird: Tatorte besichtigen, Zeugen befragen, Laborergebnisse auswerten. Das wird schlüssig erzählt und ist gleichzeitig spannend. Auch dass die Spuren in verschiedene Richtungen führen und die beiden Ermittler zunächst nicht wissen, welche die richtige ist, hat für viel Spannung gesorgt.

Interessant ist auch, dass der Autor immer wieder Sichtweisen jenseits der beiden Protagonisten einbaut. So erhalten wir als Leser teilweise Einblicke, die den beiden verborgen bleiben, und die doch nicht zu viel verraten, so dass die Spannung nicht verloren geht. Manche dieser Perspektivwechsel haben für mich nicht so gut funktioniert, aber grundsätzlich war das ein starkes Element des Romans.

Charaktere, denen die Komplexität fehlt

Mit Nick Beck haben wir einen Ermittler, der direkt zu Beginn eine schwerwiegende Straftat begeht und gleichzeitig mit Suchtproblemen zu kämpfen hat. Obwohl er immer wieder fragwürdige Dinge tut, merkt man, dass er eigentlich ein guter Kerl ist und vor allem ein guter Polizist. Nachdem er bei einem Fall ein Jahr zuvor ein Trauma erlitten hat, ist er nicht mehr derselbe und das zieht sich durch das ganze Buch. Fast immer ist das authentisch und einfühlsam geschildert, selbst wenn er sich sehr offensichtlich völlig falsch verhält. Das macht ihn zu einer angenehm komplexen Figur, die gerade deswegen spannend ist, weil sie nicht leicht zu mögen ist.

Fast alle anderen Figuren bleiben dagegen blass und sind kaum mehr als ein Klischee. Während das für jene, die wohl nur in diesem Band auftauchen, in Ordnung ist, hat es mich bei der zweiten Hauptperson, Cleo Torner, sehr gestört. Wir wissen praktisch nichts über sie, außer dass sie schwanger ist, heiraten wird und sehr perfektionistisch und ambitioniert ist. Wir sehen keine ihrer Fehler, aber wir sehen sie auch nicht wirklich bei der Arbeit. Jeder Schritt der Ermittlungen hätte ohne sie oder mit einem austauschbaren Gehilfen erledigt werden können. Genauso ist auch ihre Beziehung zu ihrem Verlobten nur von einer Sache bestimmt: dass sie sich dauernd nur streiten und unterschiedlicher Meinung sind.

Andere auftauchende Frauenfiguren, zum Beispiel die Quasi-Vermieterin, sind auf eine seltsame Weise geschrieben, die sie komplex erscheinen lässt, aber bei genauerem Hinsehen doch nur ein Klischee ist. Eine Frau als Opfer, dem die Opferrolle nicht abgenommen wird, weil sie illegale Dinge tut, ist für mich kein komplexer Charakter. Ebenso die Tatsache, dass Nick Beck hier sehr unempathisch reagiert und ihr abspricht, überhaupt ein Opfer sein zu können, hat mich gestört. Dass die Tote, die offenbar gut aussah und gerne mit Männern geflirtet hat und gerne Sex hatte, zunehmend in ein schlechtes Licht gerückt wirkt, hat auch einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen. Durch die Aussagen der anderen Charaktere wird sie als schlechter Mensch dargestellt, einfach nur, weil sie getan hat, was sie wollte, und dabei immer ziemlich genau gesagt hat, was sie will. Hier wäre an vielen Stellen die Möglichkeit gewesen, den Figuren mehr Tiefe, mehr Facetten zu geben, und es ist schade, dass das nicht geschehen ist.

Fazit

Mit „Hundstage für Beck“ gelingt Tom Voss ein solider Auftakt zu seiner neuen Krimireihe, die gut recherchierte Romane verspricht. Er versteht es, den Roman in der Region zu verankert und einen schlüssigen Mordfall zu präsentieren, während gleichzeitig die Spannung bis zu einem gekonnten Höhepunkt hin gesteigert wird. Leider bleiben insbesondere die weiblichen Haupt- und Nebencharaktere sehr blass oder erscheinen in einem schlechten Licht, was sie eindimensional wirken lässt. Gerade dass die weibliche Ermittlerin in diesem Fall so wenig zu tun hatte, ist schade, soll es doch im nächsten Buch mit dem Duo weitergehen. Trotz dieser Mängel macht der Reihenauftakt Lust auf mehr und ich freue mich auf den zweiten Teil im Dezember.

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Aufwühlende Liebesgeschichte mit komplexen Figuren

Das Lied der Wölfe
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Dieser Roman hat mich mit zwiespältigen Gefühlen hinterlassen. Es ist eine wundervolle Liebesgeschichte, die uns gleichzeitig den Kampf um ausgewogenen Naturschutz zeigt, uns nach Schottland entführt und ...

Dieser Roman hat mich mit zwiespältigen Gefühlen hinterlassen. Es ist eine wundervolle Liebesgeschichte, die uns gleichzeitig den Kampf um ausgewogenen Naturschutz zeigt, uns nach Schottland entführt und uns zum Nachdenken anregt. Gleichzeitig ist es aber auch eine Geschichte über Trauma, Therapie und die Schwierigkeiten, die jeder Betroffene ganz persönlich und ganz eigen erlebt. Als jemand, der hier persönlich betroffen ist, hätte ich mir eine Triggerwarnung gewünscht, denn die reine Erwähnung von Krieg und Therapie im Klappentext reicht nicht aus, um den Leser angemessen vorzubereiten.

Ich werde dazu weiter unten etwas schreiben, was aber ein Spoiler für einen Nebenstrang sein kann – das wird entsprechend markiert! Der Rest der Rezension enthält keine Spoiler.

Eine farbenfrohe Reise nach Schottland

Die Autorin versteht es von der ersten Zeile an, uns in die Geschichte zu holen. Immer wieder nimmt sie sich die Zeit, uns genau zu beschreiben, was die Protagonisten sehen, insbesondere Kaya, die Schottland das erste Mal sieht. Die Farbe des Himmels, die Weite des Landes, der Regen, aber auch die Sonne, allem wir die Chance gegeben, seinen eigenen Charme auszubreiten. Während das einigen anderen Lesern zu langatmig sein mag, habe ich es genossen, vor meinem inneren Auge das mir unbekannte Schottland entstehen zu sehen.

Auch die Charaktere haben alle genügend Zeit, sich zu entwickeln. Die Randfiguren bleiben meist oberflächlich, doch sie stellen wichtige Stereotypen da, die Kayas Kampf für die Wölfe erleichtern oder erschweren. Das funktioniert einfach. Jene, die näher mit Kaya und Nevis in Berührung kommen, erhalten tiefe Persönlichkeiten, haben ihren eigenen Kampf und wirken wie echte Menschen mit eigener Handlungsmotivation. Das verleiht dem Roman eine angenehme Komplexität und gibt uns die Chance, für die verschiedensten Personen zu brennen.

SPOILER, Triggerwarnung!

Das Problem mit dem Trauma

Sowohl Kaya als auch Nevis haben ihr eigenes Trauma, ebenso wie ein Freund von Nevis, der mit ihm im Krieg gedient hat. Bei ihnen allen wirkt es sich anders aus, und bei ihnen allen hat es andere Ursprünge. Der Klappentext hatte bereits auf Krieg und Therapie hingewiesen, doch ich war nicht darauf vorbereitet, wie oft wir Flashbacks sehen würden. Die Flashbacks hier sind so, wie sie durchaus vorkommen und wie man sie als Nichtbetroffener verstehen kann: Es sind lebensechte Erinnerungen, die wie ein Film ablaufen, inklusive aller Gefühle. Gleichzeitig wird aber auch darüber geredet, dass Nevis andere Geschehnisse verdrängt, dass ihm Erinnerungen fehlen – auch das ist eine leider häufig vorkommende Schutzfunktion unseres Körpers.

Nevis widersetzt sich der Therapie, indem er zwar hingeht, aber seinem Psychologen vorspielt, er hätte gar kein PTBS, sondern „nur“ eine Angststörung, die „schnell therapierbar“ ist. Dazu habe er sich diverse Psychologiebücher durchgelesen, um die Symptome korrekt zu schildern. Wir bekomme nie richtig mit, ob sein Therapeut ihm das glaubt, aber ich hoffe, dass das nie der Fall ist. Als er sich am Ende ein wenig öffnet, wird zumindest angedeutet, dass sein Therapeut dies schon lange gehofft hat.

Gleichzeitig sehen wir auch, wie ein Freund von Nevis mit seiner PTBS zu kämpfen hat. Er macht auch Therapie, trotzdem fällt er immer tiefer in dieses Loch, das nur noch Aggressivität zurücklässt. Am Ende verliert er den Kampf und schreibt einen langen, eindrucksvollen Abschiedsbrief an Nevis. Auch wenn der Akt des Selbstmordes nicht selbst gezeigt wurde, war dieser Brief doch extrem triggernd, gerade weil er einen unheimlich destruktiven Gedanken enthält: Ich schütze andere, indem ich mich endgültig aus ihrem Leben entferne. Ich bin eine Last. Das ist ein sehr häufig vorkommender, sehr wirkmächtiger Gedanke, den viele Betroffene sicher kennen. Es ist eine realistische Darstellung des Kampfes, den manche leider verlieren. Ich hätte mir gewünscht, dass man hier mehr von der Therapie sieht, wenn das Thema schon so zentral ist – denn Therapie kann helfen. Nicht Liebe, nicht Freundschaft – Therapie. Sie hilft nicht jedem und ist natürlich abhängig von der Kompetenz des Therapeuten, aber sie kann so einen Unterschied machen, und wird hier leider sehr stiefmütterlich behandelt.

Insgesamt war die Darstellung von Trauma hier in Ordnung – nicht herausragend, aber für einen Roman, der am Ende doch eine Liebesgeschichte zeigen wollte, hatte sie erstaunliche Tiefe. Trotzdem – oder gerade deswegen – hätte ich mir Triggerwarnungen gewünscht.

SPOILER Ende

Fazit

Dem Roman „Das Lied der Wölfe“ gelingt es, eine Liebesgeschichte in einen größeren Kontext einzubinden. Während wir einerseits viel über Wölfe lernen, kommen wir Menschen mit traumatischen Vergangenheiten näher, die alle auf ihre Weise mit ihren Problemen umgehen. Vor der Kulisse von Schottland, die farbenprächtig beschrieben wird, tauchen wir ein in das komplexe Beziehungsgeflecht einer reichen Familie, eines kleinen Dorfes und vieler Freundschaften und neuer romantischer Beziehungen. Ich habe die Lektüre genossen, doch eine Triggerwarnung hätte mich besser darauf vorbereitet, wie intensiv hier Trauma behandelt wird.

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