Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.04.2019

Fräulein Nette ist ein ganzer Kerl

Fräulein Nettes kurzer Sommer
0

zumindest, was ihre Interessen anbelangt - Annette von Droste-Hülshoff oder Nette, wie das adlige Fräulein in Familienkreisen genannt wird, hat es nicht so mit Weiberkram: weder mit Handarbeiten noch mit ...

zumindest, was ihre Interessen anbelangt - Annette von Droste-Hülshoff oder Nette, wie das adlige Fräulein in Familienkreisen genannt wird, hat es nicht so mit Weiberkram: weder mit Handarbeiten noch mit Pflanzen und schon gar nicht mit Küchenkram! Nein, die junge Frau findet Männergespräche wesentlich interessanter - in denen geht es um Politik, Finanzen oder sogar - und das ist ihr das Liebste- um Literatur.

Vor allem im Freundeskreis ihres Onkels August von Haxthausen, der in Göttingen studiert und sie alle kennt - die Grimms - noch sind sie nicht als die Brüder Grimm bekannt -, den Hoffmann (von Fallersleben) und vor allem den Straube. Er, der so gar nicht von blauem Blut ist und von August aufgrund seiner dichterischen Begabung durchgefüttert wird, hat nämlich ein Auge auf Fräulein Nette geworfen. Und sie auf ihn. Soweit es ihr möglich ist - sie ist nämlich stockblind, zumindest jedoch extremst kurzsichtig. Auch ansonsten ist sie gesundheitlich nicht ganz auf dem Damm.

Weswegen ihr keine Brille und weitere Hilfmittel, sondern eine Trinkkur in Bad Driburg gemeinsam mit der Großmutter verordnet wird - eines der absoluten Highlights im Roman! Autorin Karen Duve, von der ich bereits einiges gelesen - und genossen - habe, hat hier aus meiner Sicht ihr absolutes Paradestück abgeliefert. In einer wunderbaren, gleichzeitig dem Zeitalter des Biedermeier und der Romantik wie auch der Gegenwart gerecht werdenden Sprache öffnet sie uns die Augen für die Welt des Fräulein Nette.

Stets schwing ein sanfter, warmherziger Humor mit, mehr als nur ein Hauch davon und richtig grob wird er nur dann, wenn es dem Fräulein Nette mal wieder an den Kragen geht. Was - im übertragenen Sinne - fast ununterbrochen der Fall ist, denn sie ist nicht von ihrer Welt. Also von der damaligen Welt. In diejenige unserer Zeit hingegen würde sie um einiges besser passen, denn hier müsste sie nicht in allem und jedem den Männern den Vorrang lassen, ja sogar hinnehmen, dass diese sie hinsichtlich ihrer literarischen Ambitionen so gar nicht ernst nehmen. Obwohl sie ihnen nicht nur ein Mal den Wind aus den Segeln nimmt.

Die Autorin rächt sich ein bisschen, rächt vielmehr sie, unser reizendes Fräulein Nette also, indem sie das starke Geschlecht in der Auseinandersetzung mit ihr das ein oder andere Mal ganz schön dumm dastehen lässt. In engen Grenzen, versteht sich, denn die wurden damals ja leider gezogen, was auch in diesem Roman wieder und wieder deutlich wird.

Aber gerade deswegen ist dieser Roman so wichtig: Karen Duve räumt auf mit dem bieder(meier)en Bild der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und setzt ihr Denkmal um. Oder neu!

Veröffentlicht am 10.04.2019

Beste Freundinnen

Aller Anfang
0

werden Celia, Bree, Sally und April, die sich auf dem College kennenlernen und deren Freundschaft die Studienjahre definitiv überdauert. Eine Freundschaft fürs Leben soll es sein, da sind sie die vier ...

werden Celia, Bree, Sally und April, die sich auf dem College kennenlernen und deren Freundschaft die Studienjahre definitiv überdauert. Eine Freundschaft fürs Leben soll es sein, da sind sie die vier ziemlich unterschiedlichen jungen Frauen vollkommen sicher.

Doch ach, so leicht ist es nicht, einander vertrauensvoll verbunden zu bleiben und auch noch permanent Kontakt zu halten - die Erfahrung machen die vier Absolventinnen in den folgenden Jahren.

Celia wird zu derjenigen, die alles zusammenhält, Sally, die ihre Mutter bereits vor dem Studium verloren hat, heiratet früh, die schöne und unwiderstehliche Bree, Traum schlafloser Nächte für zahllose Männer, geht eine schwierige, gleichwohl langjährige lesbische Beziehung und lediglich April, die immer schon als recht extreme Frauenrechtlerin durchs Leben ging, bleibt sich treu bzw. überrascht die anderen nicht.

Nicht direkt jedenfalls, denn irgendwann verschwindet sie spurlos und die anderen klammern sich verängstigt aneinander - längst nicht nur im übertragenen Sinne.

Ein warmherziger Roman, der manchmal zu absehbar ist, im Endeffekt aber meine Erwartungen in einen stimmungsvollen Frauenroman nicht ohne Anspruch beinahe vollkommen erfüllt. Eine entspannte Urlaubs- oder Wochenendlektüre, die gleichwohl zum Nachdenken anregt!

Veröffentlicht am 08.04.2019

An Grenzen stoßen

Der Gott am Ende der Straße
0

In Louise Erdrichs neuem Roman machen die Einwohner der ehemaligen Vereinigten Staaten - wie der aktuelle Name ist, erfährt man nicht - eine neue Erfahrung: sie stoßen permanent in Grenzen. Und zwar nicht ...

In Louise Erdrichs neuem Roman machen die Einwohner der ehemaligen Vereinigten Staaten - wie der aktuelle Name ist, erfährt man nicht - eine neue Erfahrung: sie stoßen permanent in Grenzen. Und zwar nicht nur an diejenigen des Landes - Kanada und Mexiko haben schon dicht gemacht, man kommt nur illegal rüber. Nein, fast alles ist verboten, vieles nicht mehr möglich. Normale Müsliriegel gab es bis vor ein paar Monaten an jeder Tankstelle, nun sind sie Luxus. Im Klartext: es ist eine mehr als bedrohliche Entwicklung, von der keiner weiß, wohin sie führen wird. Denunziationen, Verrat, Brutalität: das alles ist an der Tagesordnung, Verhaftungen finden ununterbrochen statt, oft ohne gleich ersichtlichen Grund.

Cedar, bis vor kurzem eine ganz normale junge Frau, wird quasi von jetzt auf gleich zur Geächteten. Sie ist nämlich schwanger und Kinder auszutragen und dann auch noch zu behalten, ist eines der kriminellsten Dinge überhaupt. Sie muss also um Leib und Leben bangen und hat keine Ahnung, wer noch Freund, wer schon Feind ist. In dieser Situation macht Cedar, die als Säugling adoptiert wurde, die Bekanntschaft ihrer leiblichen Mutter, einer im Reservat lebenden indigenen Ureinwohnerin.

Wenn sich Louise Erdrich auf eine Dystopie einlässt, dann kann man sich darauf verlassen, dass nichts abgekupfert bzw. in irgendeiner Form schon mal da gewesen ist, dafür ist die Autorin viel zu authentisch und zu sehr in ihrer eigenen Welt verankert, in der sich stets Vertreter der indigenen Einwohnerschaft der Vereinigten Staaten und Deutsche finden. Beide Nationen kommen auch in der bedrohten Welt der Zukunft vor, wobei die Deutschen diesmal zugegebenermaßen allenfalls eine Statistenrolle spielen.

Die Autorin greift, so scheint es, aktuelle Bedrohungen unterschiedlicher Art, die derzeit quasi als Damoklesschwert über den Amerikanern schweben, auf, und bringt sie in eine neue Form, bzw. konfrontiert den Leser mit möglichen Folgen der Mißachtung von Rechten der Bevölkerung wie auch der Natur. ne.

Sie versteht sich auf die Sprache zwischen den Zeilen - in ihrem ganz besonderen, klaren Stil vermag sie
auf relativ wenig Seiten eine eigene Welt zu erschaffen, Botschaften zu senden und das Bedürfnis nach MEHR zu wecken:
mehr brillianter, kraftvoller Literatur, mehr spannenden und gut erzählten Themen, mehr wichtigen Botschaften, mehr eindringlichen
Zitaten - eben einfach nach mehr Erdrich!

Wobei ich mir fast anmaßend dabei vorkomme, dergestalt über diese großartige Autorin zu urteilen, sie zu bewerten! Wer sie lesen sollte? Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Töchter und Söhne - solche, die an der Gegenwart verzweifeln, aber auch solche, die Hoffnung in sich tragen und lernen wollen. In diesem Fall von den Ureinwohnern Nordamerikas, die trotz aller Widrigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, immer noch das alte Wissen in sich tragen und es weitergeben - durch die Lektüre von Erdrich-Romanen auch an uns, wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen.

Louise Erdrich ist eine Autorin, die uns Wichtiges aufzeigt, die Werte für sich sprechen lässt. Auch wenn mich dieser Roman aufgrund seiner in die Zukunft gerichteten Thematik nicht ganz so angesprochen hat wie bspw. "Der Club der singenden Metzger" oder "Das Haus der Winde".

Doch dies ist Kritik auf allerhöchster Ebene, auch dieser Roman ist ausgesprochen lesenswert und beeindruckt durch Originalität und Menschlichkeit.

Veröffentlicht am 07.04.2019

Theater, Theater

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
0

ist im nunmehr dritten Roman des französischen Autors Joel Dicker immer wieder ein Thema, denn bereits seit Jahren findet im zentralen Schauplatz der Handlung, dem kleinen Küstenstädtchen Orphea ...

ist im nunmehr dritten Roman des französischen Autors Joel Dicker immer wieder ein Thema, denn bereits seit Jahren findet im zentralen Schauplatz der Handlung, dem kleinen Küstenstädtchen Orphea in den idyllischen Hamptons nahe New York jeden Sommer ein inzwischen durchaus angesehenes Theaterfestival statt. Im Jahre 1994 fand am Rande der Eröffnungsveranstaltung eine Tragödie statt, die insgesamt vier Opfer forderte - eine dreiköpfige Familie und eine junge Frau. Die herbeigerufenen Ermittler der State Police Jesse Rosenberg und Derek Scott fanden den Mörder schnell.

Nun, zwanzig Jahre später muss sich Jesse Rosenberg von der jungen Journalistin Stephanie Mailer sagen lassen, dass der richtige Mörder noch frei herumläuft. Bevor er mehr erfahren kann, ist sie spurlos verschwunden.

Rosenberg und Scott finden sich in einer Situation, die neue Untersuchungen erfordert, da es weitere Opfer gegeben hat. Dabei werden sie von der lokalen Beamtin Anna Kanner unterstützt.

Und es gibt so einiges, was geklärt werden muss - in der Stadt hat es so einige Entwicklungen gegeben, die nicht allzu stimmig sind. Bald schon deutet sich eine Sensation an: am Eröffnungsabend des Theaterfestivals soll im Handlungsverlauf des aufgeführten Stückes der Name des Mörders verkündet werden.

Alles in allem gibt es eine Menge Hamptons, die jedoch aus meiner Sicht um einiges eindringlicher hätte beschrieben werden können, zwei (von drei) Ermittler, die ein ganz schönes Päckchen zu tragen haben und so einige schräge bzw. ungewöhnliche Charaktere - und eben das Theater.

Beim Eröffnungsstück findet sich neben dem Regisseur, einer Schlüsselfigur aus dem Jahre 1994, so einige Charaktere unter den Schauspielern wieder, die schon vor zwanzig Jahren im Zusammenhang mit den Morden eine kleinere oder auch größere Rolle spielten.

Und immer wieder stellte sich mir die Frage der Authentizität - wie gut kennt der Franzose Dicker die USA und speziell die Hamptons wirklich? Basiert das alles auf Rezipiertem, auf Recherchiertem oder auf Erdachtem?

Leider tun sich in diesem durchaus unterhaltsamen Roman aus meiner Sicht so einige Schwachstellen hinsichtlich Logik und Glaubwürdigkeit auf - auch einiger Klischees hat sich der Autor fleißig bedient. Das gab es auch in den beiden vorherigen Romane des Autors, doch waren diese zu vernachlässigen, was diesmal leider nicht der Fall ist, zumal auch noch etliche Längen dazu kommen.

Süffig zu lesen ist dieser Roman allemal, aber leider definitiv nicht das erhoffte Meisterwerk des Autors. Im Gegenteil muss man sich im Vergleich zu den Vorgängerromanen auf die ein oder andere Enttäuschung gefasst machen.

Veröffentlicht am 05.04.2019

Es war einmal in der Gegenwart

Der Wal und das Ende der Welt
0

Drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt bewegt man - der Mensch, die Gesellschaft sich stets. Denn: der dauerhafte Verzicht auf die Möglichkeit von drei Mahlzeiten am Tag führt zur Rebellion. Die ...

Drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt bewegt man - der Mensch, die Gesellschaft sich stets. Denn: der dauerhafte Verzicht auf die Möglichkeit von drei Mahlzeiten am Tag führt zur Rebellion. Die dann um sich greift und nicht mehr so leicht einzudämmen ist. Dies eine der Quintessenzen dieses heiter-melancholischen Buches.

Diese werden im Umfeld des Wirtschaftswissenschaftlers Joe Haak getätigt. Er nämlich und nicht etwa der titelgebende Wal ist die Hauptfigur dieses Romans. Der allerdings nackig und zudem ohnmächtig am Strand gefunden wurde, unmittelbar nachdem man den Wal sichtete, am Strand des kleinen kornischen Ortes St. Pitrans, der so gar nichts mit den bekannten Urlaubsorten der Region gemein hat - im Gegenteil, er scheint von Gott und der Welt vergessen zu sein.

Joe Haak hat das Computerprogramm Cassie entwickelt, das ökomische Entwicklungen simulieren bzw. bestechend genau voraussagen kann. Jetzt soll die totale Katastrophe nahen. Und genau deswegen bleibt der London Haak in St. Pitrans, dem kleinen Ort, in dem er gerettet wurde - mit dem Ziel, die Menschen, die ihn gerettet haben, nun seinerseits zu bewahren - vor einer furchterregenden, allumfassenden Krankheit!

Autor John Ironmonger führt den Leser auf eine gewisse altbekannte Weise durch die Seiten: Ein Märchen, ein Gleichnis - etwas in diese Richtung, in einer absolut betörenden (und auch so übersetzten) Sprache, aber doch mit einigen erheblichen Längen, die mich beim Lesen ein bisschen trödeln ließen - und zwar wieder und wieder. Da wird auch das Heiter-Melancholische mal - wenn auch nur kurz - zur Qual!

Zudem gibt es mannigfaltige Wiederholungen in Form von Feststellungen, die nacheinander von unterschiedlichen Leuten zum Ausdruck gebracht werden Beispielsweise: "Er ist gar kein richtiger Arzt" und dann wenig später"ich muss Ihnen sagen, ich bin gar kein richtiger Arzt"). Aus meiner Sicht manchmal ein bisschen zu viel.

Originell und streckenweise liebenswert fand ich dieses Buch, dann jedoch auch wieder sehr behäbig. Man muss als Leser schon einen Sinn haben für gemächliche skurrile Entwicklungen, damit man hier am Ball bleibt und sein Leseerlebnis ausgiebig genießen kann.