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Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Zeitkapsel, in der Verbrechen angekündigt werden

SOG
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Das klingt wie aus einem SF-Roman, aber ist dennoch bittere Realität in den Ermittlungen der Kripo in Reykavik: dort wurden vor über 10 Jahren Schüler aufgefordert, ihre Visionen für die Zukunft aufzuschreiben ...

Das klingt wie aus einem SF-Roman, aber ist dennoch bittere Realität in den Ermittlungen der Kripo in Reykavik: dort wurden vor über 10 Jahren Schüler aufgefordert, ihre Visionen für die Zukunft aufzuschreiben und einer von ihnen hat auf die kaltblütigste Weise den Entwicklungen vorgegriffen: dort werden Morde vorausgesagt, die zum Teil inzwischen tatsächlich geschehen sind.

Hat das alles etwas mit der Leiche eines Mädchens aus derselben Zeit zu tun - auch darauf gibt es Hinweise? Aber bald schon finden sich Verbindungen zur Gegenwart - und zwar welche der gruseligsten Art. Ich will nicht viel verraten, aber wer was gegen abgetrennte Körperteile hat, sollte sich von diesem Buch verhalten.

Nur so viel: der ganze Kriminalbereich Islands im weitesten Sinne outet sich als korrupter Sumpf sondergleichen, in den auch Familien - bis hin zu Kindern im Kindergartenalter - mit hineingezogen werden.

Wie im Vorgängerfall "DNA" setzt die isländische Autorin Yrsa Sigurdardottir das mehr oder weniger unfreiwillig zueinander findende Ermittlergespann bestehend aus Psychologin Freya und Kommissar Huldar ein - beide hatten schon mal eine Begegnung, eine der ganz anderen Art.

Aber lesen Sie selbst, denn es ist wie immer unterhaltsam und originell, was die isländische Autorin hier verzapft hat. Allerdings sollten Sie nicht zu zart besaitet sein, denn es ist ganz schön starker Tobak, der hier aufgetischt wird und auch Kinder spielen eine Rolle und auch sie bzw. der Umgang mit ihnen sind Themen, die von der Autorin nicht gerade sanft dargestellt werden.

Also definitiv eher was für Thrillerfans als für Freunde des klassischen Whodunnit. Und für solche, die auf überraschende Wendungen stehen, wobei es für meinen Geschmack manchmal fast zu absurd zugeht. Ein bisschen weit hergeholt sind die Konstruktionen auf jeden Fall und das ist noch eine Untertreibung meinerseits.

Dennoch wieder ein spannender Fall mit schrägen, gut und eindringlich dargestellten Protagonisten, den ich gern gelesen habe. Ich hoffe sehr, dass Freya und Huldar, deren Nicht-Beziehung mal wieder auf die Probe gestellt wird, erneut zuschlagen und dass ihre Hassliebe sich endgültig in die ein oder andere Richtung verlagert. Wie auch immer, ich würde gern mehr von ihnen lesen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein modernes isländisches Märchen

Nordlichtherzen
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Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich ...

Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich dämlichen Sturz im eigenen Atelier. Martin Miller ist nämlich Maler, ein ziemlich erfolgreicher sogar, doch zum wahren Star stieg er erst nach seinem tragischen Unfall auf.

Jarvis ist quasi sein Anhängsel, da sie völlig von ihm abhängig ist, er hat sie zu dem geformt, was sie ist. Seit sie mit ihm zusammen ist, geht es ihr gut, sie nimmt keine Drogen mehr und ist Teil der besseren Gesellschaft geworden. Naja, das ist seit sechs Jahren Vergangenheit, denn nun ist sie wieder allein, verkauft ab und an mal ein Bild, um Martins Aufenthalt in einem teuren Heim zu finanzieren und fühlt sich unendlich einsam.

Obwohl ihre Freunde Alice und Davis ständig um sie herum sind. Aber es sind eigentlich Martins Freunde, oder auch nicht, denn mit ihrer Freundschaft sind geschäftliche Interessen verbunden. Und nun setzen sie Jarvis zu, vor allem Alice, die Besitzerin einer erfolgreichen Galerie ist. Dennoch entzieht sich Jarvis nicht ganz - aus Höflichkeit oder aus Einsamkeit?

Bis sie aus Zufall in einen Waschsalon gerät und dort drei Männer - alles Ehemänner, Männer anderer Frauen also - kennenlernt, die sich jeden Dienstag dort treffen und sie einladen, Teil dieser Runde zu werden. Nicht nur, aber auch dadurch verändert sie sich nachhaltig. Sie beginnt, um ihre Interessen zu kämpfen. An verschiedenen Fronten.

Autorin Jamie Attenberg ist eine wirkliche Entdeckung. Sie schreibt wirklich gut, differenziert, eloquent, bringt den Leser zum Nachdenken und zeichnet mit leichter Feder ein gelungenes Bild von der Kunstszene New Yorks. Eine Autorin, die leichtfüßig durch ihre Erzählung wandelt, in wenigen Sätzen eindringliche Charaktere schafft, den Leser in Situationen bringt, in denen er nicht weiß, wie er sich entscheiden würde, für die bzw. für deren Komplexität er dennoch Verständnis hat.

Ein spannender, gut geschriebener Roman, der an manchen Stellen doch nicht ganz überzeugend für mich rüberkam. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Ich habe eine Autorin kennengelernt, von der ich mehr lesen möchte!

Veröffentlicht am 02.12.2024

Könnte klappen

Ordnung für immer
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Wobei ich das "eventuell" vergessen habe - ich bin eine sehr große "Eventualistin". Und - aktuell - eine riesengroße Chaotin; auf meine etwas älteren Tage und im Zusammenleben mit meinem Mann habe ich ...

Wobei ich das "eventuell" vergessen habe - ich bin eine sehr große "Eventualistin". Und - aktuell - eine riesengroße Chaotin; auf meine etwas älteren Tage und im Zusammenleben mit meinem Mann habe ich es komplett verlernt, Ordnung zu halten.

Dieses durchaus ausführliche Buch soll mir nun dabei helfen, dies zu ändern. Und zwar nicht nur für eine kurze Zeit, sondern für immer. Es hat aber einen Haken - zunächst muss ich mich selber aufräumen, bevor es dann an meine Wohnung geht. Was durchaus nachzuvollziehen ist: Man muss sich selbst sehr gut (er)kennen, um eine so große Áufgabe bewältigen zu können und dazu gibt es in diesem Buch ausgesprochen viele Gelegenheiten. Sogar einen Test.

Die Autorin Gunda Borgeest geht sehr strukturiert und auch geduldig mit denen um, die nach Ordnung streben, sich aber damit schwertun und so hoffe ich sehr, dass sie mir auch dabei helfen kann - die Grundlagen dafür sind auf jeden Fall vorhanden!

Veröffentlicht am 07.11.2024

Sehr extrem und sehr verschieden

Die Mitford Schwestern
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So sind sie, die Schwestern der englischen Adelsfamilie Mitford, wobei vor allem Unity mit dem deutschen Nationalsozalismus sympathisiert, sie ist in den frühen Jahren des Deutschen Reichs eine ...

So sind sie, die Schwestern der englischen Adelsfamilie Mitford, wobei vor allem Unity mit dem deutschen Nationalsozalismus sympathisiert, sie ist in den frühen Jahren des Deutschen Reichs eine große Verehrerin von Adolf Hitler und lebt zeitweise sogar in München. Ihre Schwester Diana wendet sich ebenfalls Hitler zu, wenngleich ihre Motivation eine andere ist - sie liebt den englischen Faschistenführer Mosley, den ständige Sorgen um seine Position und den Faschismus in England plagen. Sie erhofft sich von Hitler Unterstützung vor allem finanzieller Art für ihn.

Die jüngere Pamela hingegen ist überzeugte Kommunistin und zieht mit ihrem Lebensgefährten gar nach Spanien, um dort die Republikaner zu unterstützen.

Die älteste Schwester Nancy, eine Autorin, die sich selbst vor allem aufgrund ihrer Kinderlosigkeit und des sowohl untreuen als auch finanziell leichtsinnigen Gatten sorgt, unterstützt ihre Schwestern, deren Überzeugung, vor allem die des Nationalsozialismus, sie nicht teilt, dennoch nach Kräften.

Eine Romanbiografie über eine ungewöhnliche britische Familie, die über weite Teile auch eine interessante zeithistorische Darstellung bietet, dennoch gibt es zwischendurch immer mal Momente, in denen das Geschehen für meine Geschmack zu sehr auf die Familie gerichtet ist.

Dennoch eine lohnenswerte Lektüre für alle, die sich für die internationale Verbreitung extremer politischer Strömungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessieren.


Veröffentlicht am 29.10.2024

Eher zum Blättern als zum Schmökern

Trinken wie ein Dichter
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Und natürlich zum zwischenzeitlichen Verkosten der hauptsächlich alkoholischen Getränke, die die Autoren bevorzugten. Zu den Vernünftigen zählten auf jeden Fall der Teeliebhaber George Orwell, ...

Und natürlich zum zwischenzeitlichen Verkosten der hauptsächlich alkoholischen Getränke, die die Autoren bevorzugten. Zu den Vernünftigen zählten auf jeden Fall der Teeliebhaber George Orwell, der seine persönliche perfekte Teezeremonie ausführlich beschreibt und - man mag es kaum glauben - der scharfzüngige Thomas Bernhard, der es bei Most - und nur bei Most - beließ. Ebenso der Vegetarier Percy Shelley, der einen alkoholfreien Tee-Cocktail empfiehlt, für den er allerdings auch eine Variante mit ordentlich Bourbon bereithält.

Sie stehen in krassem Gegensatz zu schreibenden Schnapsnasen wie bspw. Sylvia Plath, einer Wodka-Martini-Liebhaberin oder auch - man mag es kaum glauben - Jane Austen, die einen Portwein-Cocktail liebt, bei dem es allerdings die Menge macht.

Ein sehr unterhaltsames Buch, das man häppchenweise genießen kann, das allerdings längst nicht so weit in die Tiefe geht, wie die Schriften der meisten hier vorstellten Trinkenden. Muss es angesichts der Thematik aber auch nicht!