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Veröffentlicht am 31.12.2023

Origineller, aber oft überemotionaler und egozentrischer Blick auf Berlin

Gezeiten der Stadt
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Die Idee, eine Geschichte Berlins zu schreiben, die von der offiziellen Geschichtsschreibung ein Stück weggeht und sich auf ungewöhnlichen Pfaden durch die Stadt bewegt, ist hervorragend und es gelingt ...

Die Idee, eine Geschichte Berlins zu schreiben, die von der offiziellen Geschichtsschreibung ein Stück weggeht und sich auf ungewöhnlichen Pfaden durch die Stadt bewegt, ist hervorragend und es gelingt Kirsty Bell durchaus, sich der Stadt auf eine eigene und originelle Art zu nähern. Man kann hier manch neuen Blick auf Berlin erlangen.
Eine Geschichte Berlins im zeitlich umfassenden Sinne ist es nicht, Bell behandelt die Zeit etwa zwischen spätem Biedermeier und der Gegenwart. Hier sind der Untertitel und der Klappentext irreführend und das fand ich enttäuschend, denn so wurde vieles nicht thematisiert, was die Stadt ausmacht und was oft zu wenig Beachtung findet. Nur ein Drittel des Buches ist der Zeit vor der Nazidiktatur gewidmet – schade, denn das ist eine sehr einseitige Gewichtung, die inhaltlich wiederkäut, was man schon sehr oft gelesen hat. Insgesamt muß ich sagen, daß ich aus dem Buch wenig Neues erfahren habe.
Die Vorgehensweise hat mir trotzdem in mancherlei Hinsicht gut gefallen. Vor den einzelnen Zeitabschnitten finden wir jeweils einen Stadtplan oder Auszug eines Stadtplans jener Epoche, das ist eine ausgezeichnete Visualisierung und unterstreicht den Inhalt gelungen. Auch die Verwebung mit Gemälden und Büchern fand ich erfreulich. So nutzt Bell z.B. Fontanes Werke, um uns das kaiserliche Berlin näherzubringen, unterlegt Romanauszüge mit Hintergrundfakten und schafft so ein farbiges Bild.
Absolut unangenehm fand ich dagegen ihre Neigung, sich und ihre eigene Geschichte ständig in den Vordergrund zu drängen. Das Buch beginnt schon mit einer ausführlichen Schilderung ihrer Ehekrise und Wohnungsprobleme. Das ist denkbar uninteressant, aber als Einführung für ihre Gründe, sich mit ihrem Haus und von dort aus der Geschichte der Berliner Umgebung zu befassen, noch nachvollziehbar. Allerdings bleibt es nicht dabei. Bell redet über weite Strecken des Buches nicht über Berlin, sondern über sich. Kein Kapitel kommt ohne – meistens anstrengend larmoyante – Bemerkungen über ihre Familiensituation aus und es ging mir zunehmend auf die Nerven, ständig über ihre persönlichen Befindlichkeiten lesen zu müssen, die mit dem Thema nichts zu tun haben. Auf eine seltsam egozentrische Art bezieht sie letztlich alles auf sich – wenn sie über den Umgang mit Scham in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt, fügt sie einen langen Abschnitt über die Scham ein, die sie angesichts ihrer gescheiterten Ehe fühlt. Als sie herausfindet, daß jemand, der vor vielen Jahrzehnten in ihrem jetzigen Haus lebte, 1932 in die Nazipartei eingetreten ist und ein propagandistisches Kartenspiel herstellte, reagiert sie so dramatisch und entsetzt, als ob es sich um einen engen Verwandten handele, der ein Versprechen an sie gebrochen hätte.
Überhaupt ist Bells Besessenheit von der Familie, welche das Haus, in dem sie heute wohnt, baute und lange bewohnte, verstörend. An sich ist der Gedanke, die Geschichte ihres Hauses zu erforschen und die Geschichte der dortigen Bewohner mit der Berlins zu verbinden – durch Einzelschicksale das Geschehen persönlicher zu machen – ausgezeichnet. Auch ist die Geschichte des Hauses durchaus interessant. Aber Bell steigert sich sehr dort hinein, baut eine innerliche Beziehung zu diesen Menschen auf, schreibt Seiten über Seiten mit überdramatisierten Fragen und Vermutungen über diese voll und führt am Ende des Buches sogar das bedenkliche und zweifelhafte Verfahren einer Familienaufstellung mit den Charakteren dieser seit langem verstorbenen früheren Bewohner des Hauses durch, was zu einem der befremdlichsten Abschnitte des Buches führt. Auch sonst tropft reichlich Esoterik von den Seiten. Da wird dann ein banaler Wasserschaden zu den Tränen einer Wohnung, die nicht möchte, daß Bell dort wohnt. Angebliche Heilsteine werden auslegt und die Leser allerlei esoterischen Ansichten ausgesetzt. Was das mit der Geschichte Berlins zu tun hat, bleibt ein Rätsel, aber auch die geschichtlichen Betrachtungen erfolgen leider häufig mit derlei esoterischem Unterton.
Wenn es denn mal um die Geschichte Berlins geht, sind die Ansichten durchaus interessant, auch sprachlich kann das Buch überzeugen. Ich freute mich nicht nur über Fontane, sondern auch, daß weniger bekannte Berliner wie Gabriele Tergit zu Wort kommen. Allgemein floss viel Wissen und hingebungsvolle Recherche ins das Buch. Auf die zahlreichen philosophischen Exkurse und ziellos mäandernden Gedanken hätte ich gut verzichten können, aber es ist durchaus eine Geschichtsbetrachtung, die neue Aspekte eröffnet. Die obskuren esoterischen Ausführungen und die Penetranz, mit der die Autorin ständig um sich kreist, und bei der ich mich immer wieder fragte, warum sie glaubt, das könnte die Leser, die ein Buch über die Geschichte Berlins gekauft haben, interessieren, hat mir das Buch allerdings sehr verleidet.

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Veröffentlicht am 27.12.2023

Informativ und außerdem herrlich geschrieben

Wild Brandenburg
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„Wild Brandenburg“ führt die Leser zu 50 sehenswerten Orten in der Natur Brandenburgs und liefert Ideen für Wanderungen und Ausflüge. Es ist kein Wanderführer im klassischen Sinne, denn hier finden sich ...

„Wild Brandenburg“ führt die Leser zu 50 sehenswerten Orten in der Natur Brandenburgs und liefert Ideen für Wanderungen und Ausflüge. Es ist kein Wanderführer im klassischen Sinne, denn hier finden sich keine Routenbeschreibungen oder Karten und im Vorwort wird erklärt, daß ein wenig Vorbereitung anhand von Karten u.ä. sinnvoll ist – zu diesem Zweck gibt es auf der letzten Seite einige Links und Tips. Nachdem ich sonst nur klassische Wanderführer kannte, hat mir dieses Konzept gut gefallen. Jeder Eintrag besteht wie immer bei dieser Serie aus vier Seiten. Die wesentlichen Vorzüge jedes Ortes werden auf einer Seite zusammengefaßt, zwei Seiten sind Bildern gewidmet, die letzte Seite praktischen Hinweisen und einem weiteren Bild. Waren mir bei einem anderen Buch der Serie diese Einträge zu kurz, paßt die komprimierte Art zu diesem Thema gut, da hier weniger Detailbeschreibungen und Hintergrundinformationen erforderlich sind, sondern es mehr darum geht, die Stimmung und Art der Natur zu schildern.
Über jedem Eintrag findet sich bereits eine Kategorisierung wie z.B. „Talgrund, Seen und Wald“ oder „Bachtal“, auch die Fotos geben einem bereits einen guten Eindruck. Diese sind überwiegend gelungen und stimmungsvoll. Allerdings sind auch mehrere Fotos dabei, bei denen die Lichtverhältnisse nicht günstig waren, so daß sie in blassen, stumpfen Farben daherkommen. Das fand ich bei einem Buch, das zum Großteil auf Illustrationen setzt, enttäuschend und kenne es aus einem anderen Buch der Serie besser. Hier hätte man bei besseren Lichtverhältnissen fotografieren oder die Farben der Fotodatei anschließend behutsam ein wenig auffrischen sollen.
Dafür kann der Text durchweg überzeugen. Nicht nur das, mich hat er begeistert. Gregor Münch beschreibt die 50 Orte poetisch und äußerst stimmungsvoll. Ich habe noch nie einen sprachlich so ansprechenden Reise-/Wanderführer gelesen. Die Texte waren eine wahre Freude! Die Stimmung wird eingefangen und es gibt eine gute Mischung aus praktischen Hinweisen (z.B. zur Begehbarkeit der Wege) und Detailinformationen. Es hat Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen und oft habe ich das Beschriebene durch die Worte vor mir gesehen und wollte gleich dorthin.
Die Ziele finde ich gut gewählt, sie sind von der Natur und Lage her vielfältig, es sind sowohl bekannte Orte wie auch versteckte Perlen enthalten. Vor jedem Eintrag findet sich eine kleine Übersichtskarte Brandenburgs, auf welcher der jeweilige Ort mit einem Punkt markiert ist, so daß man gleich weiß, in welcher Gegend er sich befindet. Hinten im Buch findet man auf einer größeren Karte alle Punkte mit ihren Kapitelnummern, ebenfalls nützlich. Leider gehen die Nummern wild durcheinander, so daß man auf der Karte z.B. die 2 neben der 28 findet, die 1 in einer völlig anderen Gegend neben der 39. Es wäre angenehmer, wenn die Kapitel auch geographisch zusammenstehen würden, so daß man bei der Reiseplanung gleich die Orte einer Gegend zusammen hat und nicht herumsuchen muß.
Die jeweils letzte Seite mit den praktischen Informationen enthält neben Anreise- und Parkinfos auch Tips für Sehenswertes in der Umgebung, das hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich habe mir aus diesem Buch für den nächsten Urlaub schon mehrere Ideen geholt.
Insgesamt also trotz kleiner Schwächen ein tolles Buch, das sowohl nützlich wie auch eine Lesefreude ist.

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Veröffentlicht am 26.12.2023

Bemüht und langweilig

Der Cocktailmörderclub
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Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut, ich mag gemütliche Krimis mit nostalgischer Atmosphäre und natürlich ist es eine interessante Facette, wenn einige der größten Krimischriftsteller der 1930er ...

Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut, ich mag gemütliche Krimis mit nostalgischer Atmosphäre und natürlich ist es eine interessante Facette, wenn einige der größten Krimischriftsteller der 1930er als Charaktere mitwirken. Allerdings hat es mir von Anfang an nicht gefallen. Die Geschichte schleppt sich zäh dahin und hält sich bei unwesentlichen Details auf. Anfangs folgte fast jedem Satz ein erklärender Absatz, so daß die Geschichte gar nicht in Gang kam, auch ist es kein Zeichen von schriftstellerischem Können, wenn Informationen so schwerfällig eingefügt werden. Überhaupt war ich überrascht, in der Klappentextinformation zur Autorin zu lesen, daß diese erfahren und erfolgreich ist, denn dieses Buch weist Fehler auf, die ich bei Anfängerautoren verorten würde.

Einer davon ist die langatmige Einführung der Protagonisten. Bei der Anfangsveranstaltung werden diese in einer Abfolge langatmiger Beschreibungen nacheinander vorgestellt. Man liest seitenweise nichts als eine Beschreibung nach der anderen, wer was trug, trank, aß oder welchen Beruf derjenige hat, was er schreibt etc. etc. In einer derart trockenen Abfolge wie mit Steckbriefen vorgestellte Protagonisten kann man nicht richtig kennenlernen, die heruntergeleierten Beschreibungen hinterließen keinen Eindruck und so blieben mir auch die Charaktere im Buch weitgehend fremd. Es gibt wesentlich gekonntere Arten, Charaktere einzuführen - die hier gewählte ist eine der schlechtesten. Die Charaktere selbst sind ohnehin sehr klischeehaft und blass.

Die Autorin bemüht sich, einige komische Elemente hineinzubringen und man merkt dieses Bemühen. Man liest Bemerkungen, die witzig sein möchten, nicht Bemerkungen, die witzig sind. Und auch sonst wirkt alles sehr bemüht. Zeitkolorit sollte wohl u.a. durch Beschreibung der Kleidung der Haushälterin hineingebracht werden und so lesen wir ständig an unpassenden Stellen und ohne Bezug zur Handlung solche detaillierten Kleidungsbeschreibungen, die teils klingen wie aus einem Modebuch abgeschrieben. Informationen zum Tagesablauf werden ähnlich bemüht eingefügt - das Buch wirkt insgesamt einfach nicht natürlich, sondern man spürt das Schema, nach dem die Autorin vorgeht. Auch Schlossfolgerungen werden den Lesern nie selbst überlassen, alles wird noch einmal oder gleich mehrmals erklärt.

Die Handlung schleppt sich mühsam dahin und wird durch reichlich Unnötiges aufgepolstert. Auch hier merkt man immer wieder, die Autorin wollte ihr angelesenes Wissen über die Führung großer Haushalte in jener Zeit unterbringen, was ihr leider nicht so gelingt, daß es sich mit der Geschichte verwebt. Auch die kleinen Wortgefechte zwischen der Haushälterin, dem Butler und dem Chauffeur wirken aufgesetzt und sind zudem in ihrer wiederholenden Häufigkeit langweilig. Während also der Erzählfluß mühsam dahinholpert und vor lauter bemüht eingefügten Elementen nicht in Gang kommt, mangelt es auch an der Plausibilität. So gelingt es der Haushälterin, durch Staubwischen, das Einschenken von Tee u.ä. bei sämlichen Vernehmungen "zufällig" im Raum zu bleiben - ein ordnungsgemäß arbeitender Polizeibeamter würde dies nie zulassen.

Bei all dieser Bemühtheit, dem wenig überzeugenden Stil und der Zähigkeit merkte ich nach der Hälfte, daß mir die Auflösung des Falles, der anfangs noch etwas Interessantes hatte, mittlerweile völlig gleichgültig war. Ich habe mich noch weiter durchgeschleppt, aber dieses Buch blieb eine Enttäuschung. Die Idee war hervorragend, die Umsetzung mangelhaft.

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Veröffentlicht am 18.12.2023

Gut recherchierte, aber oft langatmig erzählte Geschichte

Das Geheimnis der Mona Lisa
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Beate Rygiert thematisiert in ihrem Roman eine zwar nicht bewiesene, aber – wie sie im Nachwort darlegt – auf fundierten Annahmen begründete Theorie über die Geschichte des Gemäldes, das seit Jahrhunderten ...

Beate Rygiert thematisiert in ihrem Roman eine zwar nicht bewiesene, aber – wie sie im Nachwort darlegt – auf fundierten Annahmen begründete Theorie über die Geschichte des Gemäldes, das seit Jahrhunderten die Fantasie der Menschen beschäftigt. Sie erzählt diese Geschichte aus zwei Blickwinkeln, einmal aus dem Mon(n)a Lisas und einmal aus dem Leonardo da Vincis, und webt sie in die dramatische Historie um die Medici und ihre Epoche ein.

Das Titelbild kann gar nicht genug gelobt werden. Es hebt sich herrlich reduziert und stilvoll von dem unerträglich einfallslosen Einerlei der lieblosen „Frau-vor-Gebäude“-Titelbilder historischer Romane ab. Hier paßt alles – Farben, Schrift, Motive. Eine wahre Freude.

Der Roman beginnt in einem ausgezeichneten Erzähltempo mit dramatischen Ereignissen, welche die Leser gleich mitten in die Handlung ziehen und uns Lisa in der ganzen Dramatik ihres Schicksals präsentieren. Die Kapitel, in denen es um Lisa geht, halten dieses Erzähltempo größtenteils und können mit abwechslungsreichen Geschehnissen und einigen überraschenden Entwicklungen aufwarten. Die Sprache in den Dialogen war mir manchmal zu modern und riss mich aus dem Gefühl jener Zeit – hier hätten schon ein paar kleine Wortveränderungen eine Menge bewirkt, ohne die Sprache gekünstelt altertümlich wirken zu lassen.

Die Kapitel, die sich mit Leonardo befassen, sind wesentlich geruhsamer und haben wenig Handlung. Schon am Anfang werden die Leser hier mit Fakten überschüttet, so rasch und sachbuchartig, dass man sie gar nicht alle verarbeiten kann – viele davon sind interessant, gehen aber in der schieren Fülle unter. Wir lernen Leonardo als Mensch zwar ein wenig kennen, hauptsächlich aber ist er Stichwortgeber für Hintergrundinformationen, auch handeln sehr ausführliche Passagen davon, wie er zu diesem und jenem seiner Werke inspiriert wurde oder wie er bei seiner Arbeit vorging. Das ist an sich passend, aber in einer solchen Ausführlichkeit und Faktenlastigkeit bremst es die Romanhandlung aus und entfernt sich zudem von der eigentlichen Geschichte – bevor es wirklich um das Gemälde geht, ist schon mehr als die Hälfte des Romans vorbei. In einer Romanbiographie wäre solche Detailfreude angemessen gewesen, hier überlagert es die Romanhandlung und ist oft so langatmig, dass ich manchmal zum Abbruch des Buches neigte.

Die historische Recherche ist ausgezeichnet, zeugt von Hingabe, nur die Einbindung in die Geschichte fand ich manchmal nicht gelungen. Wiederholt wird Dialog-Infodumping betrieben, an einer Stelle hält Leonardo einen fast eine Seite langen Monolog, in dem er seinem Gegenüber diesem bekannte Fakten mitteilt und ihm weitere Fakten in der Art eines Kunstbucheintrags herunterrasselt. An einer anderen Stelle wird von Lisas Ehemann auf Leonardos Satz, ihr Kleid für das Gemälde solle so schlicht wie möglich sein, allerlei Modegeschichtliches heruntergebetet, was gleich aus mehreren Gründen nicht in den Dialog paßt und ein plumpes Einschieben von Fakten um ihrer selbst darstellt. Solche Passagen gab es öfter, dem stehen aber viele Stellen gegenüber, an welchen sich die Fakten gekonnt und elegant in die Geschichte einfügen.

Nachdem mich die erste Hälfte des Buches nur wenig überzeugte, konzentriert sich die zweite Hälfte mehr auf die eigentliche Handlung und überzeugt auch erzählerisch mehr. Einige Szenen haben mich gebannt lesen lassen und sowohl Lisa als auch ihr Ehemann entwickeln sich als Charaktere weiter und zeigen den Lesern interessante Facetten – ansonsten fand ich viele Charaktere leider eher blass und in einem Fall nicht ganz nachvollziehbar. Hier wird nun Lisas Leben ausgezeichnet mit den historischen Entwicklungen zusammengeführt, die Szenen sind wieder so lebendig wie am Anfang, man sieht die Bilder vor sich. Die Hintergründe und Umstände der Gemäldeentstehung sind nachvollziehbar geschildert. Das Ende hat eine für mich zu zuckrige Komponente, ist ansonsten aber ebenfalls nachvollziehbar und erfreulich realistisch.

Insgesamt ist die Idee hervorragend, hat die Geschichte viel Ungewöhnliches und Mitreißendes. Auch wenn der Schreibstil aus mehreren Gründen nicht ganz meinen Geschmack traf, habe ich gerade in Lisas Abschnitten viele farbig geschilderte Szenen erfreut gelesen und zudem durch das Buch viel Neues gelernt. Wenn das Erzähltempo etwas lebendiger, die faktenlastigen Passagen wesentlich kürzer gewesen wären und sich auf für die Geschichte Relevantes beschränkt hätten, hätte ich das Buch genossen. Wer eine geruhsamere Erzählweise schätzt und über da Vincis Arbeit und Denken Ausführliches erfahren möchte, wird hier einen guten Griff tun.

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Veröffentlicht am 11.12.2023

Spannendes Thema, zu selbstverliebt und abschweifend erzählt

Die Spurenleserin
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Dieses Buch war schon beim ersten Anblick eine Freude – es ist voller Sorgfalt gestaltet und wirkt durch die Klappenbroschur, die farbliche Absetzung der Kapitelüberschriften und die visuellen Komponenten ...

Dieses Buch war schon beim ersten Anblick eine Freude – es ist voller Sorgfalt gestaltet und wirkt durch die Klappenbroschur, die farbliche Absetzung der Kapitelüberschriften und die visuellen Komponenten ansprechend und hochwertig. Das kleine Bild einer Fliege unterteilt die Kapitelabschnitte – ein botanisches Motiv hätte noch besser gepaßt, aber auch so ist es ein gutes Gestaltungselement.

Auch thematisch besteht hier eine Menge Potential und natürlich macht der Untertitel „Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin“ äußerst neugierig. Allerdings überzeugte der Inhalt mich weitaus weniger als die Gestaltung. Das liegt keineswegs an den gegebenen Informationen – Wiltshire weiß viel Interessantes zu berichten und führt die Leser auf vielfältige Weise in die Welt der Pflanzen, Pilze und Verwesung ein. In der ersten Hälfte ist mir das oft noch zu kompliziert naturwissenschaftlich dargelegt – hier scheint die Autorin zu vergessen, daß sie sich an Laien wendet, denn manche Abschnitte lasen sich wie ein Vorlesungsskript. Im zweiten Teil dagegen sind die Informationen unterhaltsamer dargebracht, bleiben beim Wesentlichen und Praktischen, ohne sich zu sehr in biologisch-chemischen Vorgängen zu verlieren. Die Themenvielfalt war erfreulich, sowohl als Blick in die Pflanzen- und Pilzwelt an sich wie auch im Hinblick auf die forensischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.

Leider werden in dem Buch weitaus weniger Fälle geschildert, als man annehmen könnte. Hier ist der Originalbuchtitel („The Memoir of a Forensic Scientist“) weniger irreführend als der deutsche Titel, denn die Autorin widmet gleich mehrere Kapitel ihrer Kindheit und ihrem Werdegang. Warum ihre persönliche Geschichte in diesem Buch so viel Raum findet, ist nicht erklärlich, denn sie ist keineswegs außergewöhnlich, hat mit der Forensik-Thematik nichts zu tun und liest sich in dieser hingebungsvollen Ausführlichkeit äußerst langweilig. Ich habe noch nie erlebt, daß sich jemand in einem Sachbuch mit seiner persönlichen Geschichte derart ausführlich in den Vordergrund drängt und damit dem eigentlichen Thema etwa ein Drittel des Raumes wegnimmt. Diese Abschnitte haben das Buch für mich sehr geschwächt – es wird wohl den meisten Lesern so wie mir gehen, daß sie hier etwas über die forensische Arbeit und dadurch gelöste Fälle lesen wollen.

Diese Abschnitte sind symptomatisch für den sonstigen Schreibstil der Autorin, die durchweg selbstverliebt wirkt. Sie betont gerne und häufig, wie brillant sie und wie ungemein wichtig ihre Arbeit ist. Ebenso gerne webt sie herabsetzende Bemerkungen über andere ein, was ausgesprochen unangenehm zu lesen war. In einer Fallschilderung regt sie sich auf drei Seiten gleich viermal über die angeblich „hämische“ Art eines Polizeigaragenmitarbeiters auf, was geradezu kindisch wirkte.

Auch schiebt sie sich immer wieder in den Vordergrund. In Fallschilderungen erfahren wir dauernd, daß die Autorin fror, Rückenschmerzen oder Hunger hatte, welche Musik sie auf der Fahrt hörte, was sie zum Abendessen aß, etc. etc. Inmitten einer Fallschilderung beginnt sie plötzlich mit Erinnerungen an ihren Großvater. Hier und da ein kleines persönliches Detail kann eine Fallschilderung weniger steril machen, aber in dieser Häufung war es enervierend und ich habe mir oft gewünscht, Wiltshire hätte sich weniger ihren Befindlichkeiten und mehr dem jeweiligen Fall gewidmet. Auch ihre Meinung zu allerlei Themen drückt sie uns häufig und ausführlich auf.

Diese Selbstverliebtheit beeinträchtigte das Lesevergnügen ebenso wie die zahlreichen unnötigen Details (so wird an einer Stelle eine Seite lang die Kleidung und das Aussehen irgendeiner Frau beschrieben, die eine Haustüre öffnete, nie wieder erwähnt wird und komplett unwichtig für den Fall ist). Immer wieder mäandern die Fallerzählungen in alle möglichen Richtungen und auch zahlreiche Wiederholungen enervieren beim Lesen. Es werden so viele Dinge (wie z.B. Ötzis Pfeilspitze) mehrfach geschildert, daß ich mich beim Lesen fragte, warum beim englischen Verlag kein Lektorat eingegriffen hat. Wenn man die ausführlichen Werdegangserzählungen, die Wiederholungen und irrelevanten Abschweifungen herausnimmt, bleibt nur noch etwa die Hälfte des Buches, die informativ und lesenswert ist.

Die geschilderten Fälle und Ermittlungen an sich sind nämlich interessant und vielfältig. Sehr schön ist es, wie hier verschiedene Bereiche der biologischen Forensik beleuchtet und dadurch die allgemeinen Informationen an praktischen Beispielen veranschaulicht werden. Auch manche Hintergrundinformationen wie die Body Farm, die Polizeiarbeit in Albanien oder das größte Myzel der Welt reichern die Fallschilderungen und allgemeinen Informationen gelungen an. Wenn es um dieses eigentliche Thema geht, habe ich gebannt gelesen und die Lektüre genossen. Genau deshalb wäre es schön gewesen, wenn die Autorin sich weniger sich selbst und mehr der Darstellung ihrer Fälle gewidmet hätte. Dann wäre das hier ein 5-Sterne-Buch geworden.

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