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Veröffentlicht am 10.09.2019

Die sind nun also die letzten Zeilen

Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles
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Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich ...

Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich jeweils einem bestimmten Lebensabschnitt der Fontanes widmen. Jedem Abschnitt ist ein erklärender Text vorangestellt. Diese Texte sind ganz ausgezeichnet. In gutem Stil geben sie einen Überblick über die jeweiligen Lebensabschnitte, erläutern einige Aspekte der Briefe, geben wichtige Hintergrundinformationen. Die Texte dienen bereits als eine recht gute Kurzbiographie Theodor Fontanes ab der Zeit seiner Eheschließung. Sie sind ausgezeichnet lesbar und erleuchten auch das Verhältnis zwischen Theodor und Emilie Fontane gelungen.

Die Briefe selbst lesen sich ebenfalls sehr erfreulich. Beide Eheleute schreiben intelligent und unterhaltsam, bei Theodor Fontane blitzt der trockene Humor immer wieder herrlich durch. Gerade seine Beobachtungen anderer Menschen und der verschiedenen Orte seiner Reisen sind scharfsinnig und oft amüsant. An anderen Stellen zuckt man angesichts seiner ruppigen Art zusammen - seine Frau Emilie hat sich einiges von ihm anhören und vorwerfen lassen müssen. Und doch ist eine Zuneigung zu ihr evident und er schreibt auch herrliche Überlegung über die Natur der Zuneigung.

Emilie Fontane, von der leider weniger Briefe vorliegen, schreibt freundlich-resolut, hat keine Scheu, ihre Meinung kundzutun. Wenn sie ihrem Mann Rückmeldung zu seinem literarischen Werken gibt (sie schrieb alles sauber ab, arbeitete sich durch seine teils verirrenden Annotationen, gab auch wertvolle inhaltliche Meinungen), tut sie dies behutsam, aber ehrlich. Sie weiß, daß ihr Mann hier durchaus eitel ist und kann damit gut umgehen.

Insgesamt begleiten uns diese Briefe durch fast fünf Jahrzehnte einer partnerschaftlichen, liebevollen Ehe, die durchaus ihre schweren Phasen hat. Die Auswahl der Briefe bietet eine schöne Bandbreite all dieser Themen und Emotionen und bringt uns die Fontanes sehr nahe. Auch über das Alltagsleben der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahren wir hier aus erster Hand viel. Ein Personenverzeichnis am Ende (das ich leider zu spät entdeckte, es hätte mir doch einige Verwirrung erspart) gibt kurze biographische Informationen zu in den Briefen oft erwähnten Personen. Ab und an wäre eine Fußnote zu in den Briefen erwähnten Themen hilfreich gewesen, aber im Großen und Ganzen liefern die Einführungstexte und das Personenverzeichnis die notwendigen Hintergrundformationen.

So erhält man hier einen sehr direkten Blick auf die Menschen Theodor und Emilie Fontane mit ihren Stärken, Schwächen, Problemen und Freuden, zugleich einen Eindruck von einer trotz aller Schwierigkeiten von tiefer Zuneigung geprägten Ehe.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Es gibt nicht nur eine Erinnerung

Wie Frau Krause die DDR erfand
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In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, ...

In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, vor dem im "mangelwirtschaftsmattblau" gehaltenen Hintergrund, das eine typische Trabant-Farbe war, blicken uns von zwei Fernsehbildschirmen diverse DDR-Symbole entgegen, wie das Sandmännchen, der Wartburg, der Fernsehturm und die Weltzeituhr.

Wir lernen Isabella als eher erfolglose Schauspielerin kennen und erfahren im Laufe des Buches durch ihre Erinnerungen Stück für Stück mehr über sie. Gerade die Erinnerungen an ihre Kindheit und an ihre teils ungewöhnliche Familie sind unterhaltsam zu lesen, in einer schönen Mischung aus amüsant und liebevoll. Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Die Autorin hat ihren ganz eigenen Stil, trocken, prägnant, bildhaft. Ich habe schon nach einigen Seiten des Buches nachgesehen, welche Bücher sie noch geschrieben hat, denn sie fällt sprachlich angenehm auf.

Isabellas Auftrag für die Fernsehproduktion stößt uns gleich auf die gängigen Ost-West-Vorurteile, denn die Produktionsfirma ist aus dem Westen. Und wir sehen, daß auch fast genau 30 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wirklich zusammengewachsen ist, was zusammengehört und gerade bei den Altersgruppen, die die Teilung noch bewußt miterlebt haben, die Vorurteile recht lebendig sein können.

Isabella schaut sich in ihrem eigenen Umfeld nach Zeitzeugen um und präsentiert so ein etwas betuliches Bild vom gemütlichen Dorf-/Kleinstadtleben, das den Westproduzenten nicht ins Konzept paßt. Diese in der Gegenwart spielenden Szenen wechseln immer wieder mit Isabellas Erinnerungen und auch ihren Gedanken darüber, wie diese DDR nun eigentlich war. "Das Gedächtnis war ein Kaufmannsladen, in dem Erinnerungen feilgeboten wurden. Einige gab es umsonst, andere waren bereits nach kurzem Nachdenken zu haben. Aber es gab auch Dosen und Schachteln, die sich nur mit Mühe öffnen ließen, und Schubladen, die hartnäckig klemmten" heißt es im Buch. So bekommt man im Mittelteil des Buches zunächst einen fast ostalgischen Eindruck, der die "bei uns konnte man sehr gut leben"-Leser sicher erfreuen wird. Kleine Bemerkungen weisen aber schon darauf hin, dass die DDR mehr war als Sandmännchen und Pittiplatsch. So denkt Isabella an ihren ersten Berlinbesuch und stellt fest: "Was war das für eine Grenze gewesen, an der die Soldaten das Gesicht dem eigenen Volk zuwandten und dem Feind den Rücken?"

Die Szenen, in denen die westdeutschen Fernsehleute mit den von Isabella ausgewählten Zeitzeugen aufeinandertreffen sind teils erhellend, teils für meinen Geschmack ein wenig zu skurril und erscheinen manchmal etwas plakativ. Manche Szenen (wie die in einem Altersheim für Künstler) strahlen in dem großartig beschreibenden Stil der Autorin, aber insgesamt war dieser Mittelteil des Buches eher durch die Erinnerungen Isabellas für mich lesenswert. Von den Gegenwartsszenen hatte ich mir mehr erwartet, weil gerade zwei davon einfach zu skurril sind und für mich die Chance verschenkt wurde, etwas mehr über das ganz normale DDR-Leben zu erfahren. Die Interviews mit einer Kindergärtnerin und einem Werksarbeiter hätten hier viel berichten können, waren aber zu kurz und dienten hauptsächlich dazu, die enttäuschten Erwartungen der Fernsehleute recht wiederholend darzustellen. Zum Ende hin gewinnt das Buch wieder, zeigt uns zudem auch einige der Facetten des Unrechtsstaates DDR, der in putzigen DDR-Museen und heiteren Ostprodukteläden gerne übersehen wird und verbindet diese gut mit Isabellas unbeschwerter Kindheit.

Denn genau das zeigt dieses Buch ausgezeichnet auf: es gibt nicht die "eine" wahre Erinnerung an die DDR (wie es ohnehin so gut wie nie die eine, wahre Erinnerung an etwas gibt). Die heiteren, gemütlichen Erinnerungen der einen haben ebenso ihren Platz wie die tragischen, dunklen Erinnerungen der anderen, solange man nicht vergißt, dass es viele kleine Puzzleteile gab, dass man Menschen nicht Jahrzehnte ihres durchaus zufriedenen Lebens in ihrem Heimatland absprechen darf, andererseits aber auch beschönigende Ostalgie fehl am Platze ist. Kathrin Aehnlich bringt uns diese viele Facetten hier nahe, ebenso wie die gegenseitigen Ost-West-Vorteile und das Gefühl vieler Ostdeutscher, vom Westen nicht ganz für voll genommen zu werden. Auch hier wird es an einzelnen Stellen ein wenig zu plakativ, zu offensichtlich für mich, aber insgesamt bringt uns "Wie Frau Krause die DDR erfand" das Ost-West-Thema durchaus gelungen dar und liefert zahlreiche Impulse, das eigene Bild, die eigenen Vorstellungen und (Vor)urteile zu hinterfragen.

Veröffentlicht am 07.09.2019

Intensives Thema, hervorragend umgesetzt

Im Lautlosen
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Ich habe dieses spannende Buch in weniger als drei Tagen durchgelesen, die Lektüre sehr genossen. Ich hatte aus Versehen zuerst den zweiten Band ("Die Stimmlosen") gelesen, wußte deshalb vorher schon, ...

Ich habe dieses spannende Buch in weniger als drei Tagen durchgelesen, die Lektüre sehr genossen. Ich hatte aus Versehen zuerst den zweiten Band ("Die Stimmlosen") gelesen, wußte deshalb vorher schon, wie viele Handlungsstränge ausgehen würden, aber dies hat der Spannung keinerlei Abbruch getan.

Die Geschichte beginnt recht idyllisch im Jahre 1926 mit den Medizinstudenten Paula und Richard, die sich ineinander verlieben, heiraten und uns durch das Buch begleiten. Die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen den beiden ist erfreulich geschildert - kein Kitsch, keine albernen Bettszenen - und gerade dadurch echt und berührend. Ich kann mit Liebesgeschichten eigentlich wenig anfangen, aber hier habe ich richtig mitgefiebert und fand den Umgang der beiden miteinander ganz wundervoll. Durch das ganze Buch hindurch bleibt diese Beziehung von Paula und Richard berührend - eine partnerschaftliche und ausgesprochen liebevolle Ehe, über die ich gerne las.

Ebenso erfreulich ist die Freundschaft zwischen Richard und seinem Kollegen Fritz. Ich freute mich immer auf Szenen mit den beiden, weil man auch hier ohne großes Drumrum die tiefe Verbundenheit der beiden Freunde merkte. Ihr regelmäßiges gemeinsames Biertrinken war ein nettes Leitmotiv und auch ihre trocken-humorvollen Unterhaltungen lasen sich vergnüglich. Überhaupt findet sich hier auch das, was ich im zweiten Buch sehr geschätzt habe: der herrliche Humor, eingestreut in kleinen Bemerkungen, der in den schönen Zeiten die Leichtigkeit unterstützt und in den schweren Zeiten für kleine Momente der inneren Erholung sorgt. Die beiden Charaktere Fritz und Richard sind gut geschildert - der etwas bissige Fritz, der den Großteil des Buches halbwegs optimistischen Pragmatismus zeigt und zB in den 30ern "die Sonnenseiten unseres neuen Deutschlands genoss, weil er gegen die Schattenseiten nichts unternehmen konnte." Dagegen Richard, rigoros in seiner Ablehnung der Dikatur, elegant-schlagfertig, aber auch melancholischer. Eine gute Kombination.

Der Schreibstil liest sich gut und farbig, das Erzähltempo gefiel mir überwiegend, auch wenn mir ein paar Phasen etwas zu kurz kamen (die 30er und die letzten Kriegsmonate werden mir etwas zu schnell abgehandelt), dafür ein paar andere Stellen für meinen Geschmack zu ausführlich waren. Einige wenige Punkte wurden mir für meinen Geschmack zu oft wiederholt. So ist die furchtbare Einsicht, daß man in jenen entsetzlichen Jahren der Dikatur manchmal einige opfern muß, um andere zu retten, bei der ersten Erwähnung sehr eindringlich und wichtig, zeigt eines der moralischen Dilemmas jener dunklen Jahre. Dann aber wird dieser Punkt in einem kurzen Abschnitt noch vier- oder fünfmal erwähnt und das schadet der Eindringlichkeit und wäre, wie einige der anderen Wiederholungen, nicht notwendig gewesen. Das sind aber Kleinigkeiten, die das Lesevergnügen nicht beeinträchtigt haben. Bemerkenswert ist die historische Recherche (nur an einer Stelle war ich irritiert, da ein deutscher Soldat 1940 "irgendwo zwischen Belgien und Frankreich" fällt, dies allerdings fast zwei Monate vor Beginn des Westfeldzuges). Die historischen Informationen werden nicht ganz so elegant in die Handlung eingeflochten wie im zweiten Buch, es gibt ziemlich viele erklärende Passagen, aber sie halten sich im Rahmen. Hervorragend ist natürlich der medizinische und psychiatrische Hintergrund - die Autorin ist vom Fach und das merkt man angenehm. Hier war viel Interessantes zu lesen und zu lernen.

Ebenfalls wie im zweiten Buch erfreute mich hier die differenzierte Erzählweise. Niemals malt Melanie Metzenthin schwarz und weiß, stets zeigt sie uns, daß es so einfach nicht geht, berücksichtigt viele Standpunkte, verleiht Charakteren und Geschehnissen dadurch Vielschichtigkeit und Glaubwürdigkeit.

Das Hauptthema der Buches ist der Umgang der Nazis mit dem, was sie so abscheulich als "lebensunwertes Leben" bezeichneten. Die sich anbahnende Bedrohung wird uns schon im Jahre 1926 klar und es wird gut beschrieben, wie sich dieses Thema immer weiter verschärft und welche Gefahren dadurch drohten. An manchen Stellen stockte mir der Atem, an anderen Stellen mußte ich beim Lesen pausieren, weil das Thema so intensiv ist. Sehr schön fand ich, daß hier nie bequeme Zufälle zur Hilfe kamen. Viele gefährliche Situationen werden durch wohlüberlegtes nachvollziehbares Handeln umschifft und nicht immer geht alles glatt. Hier merkt man, wie sorgfältig die Handlung konzipiert wurde.

Ein sehr persönliches Nachwort informiert über den historischen Hintergrund und einige im Buch vorkommende historische Personen. Dieses Nachwort war ebenfalls interessant und gerade durch die persönliche Note auch sympathisch. Dies wird unterstützt durch das ebenfalls gelungene Titelbild, das aus dem Privatarchiv der Autorin stammt.

So ist "Im Lautlosen" eine gut geschilderte Geschichte zu einem wichtigen Thema, mit Charakteren, die berühren. Absolute Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 07.09.2019

Der eindringliche Blick auf eine andere Kultur

Alles zerfällt
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In Chinua Achebes "Alles zerfällt" bekommen wir einen wohl einzigartigen Blick auf das vor- und frühkoloniale Nigeria aus Sicht der dort lebenden Igbo. Wir begleiten Okonkwo durch sein Leben in den 1890er, ...

In Chinua Achebes "Alles zerfällt" bekommen wir einen wohl einzigartigen Blick auf das vor- und frühkoloniale Nigeria aus Sicht der dort lebenden Igbo. Wir begleiten Okonkwo durch sein Leben in den 1890er, die, wie der Titel des Romanes schon zeigt, schreckliche Umwälzungen für die Igbo brachten.

Der erste Teil des Romanes ist eher ein Sittengemälde, es findet wenig Handlung statt, Achebe schildert die Gebräuche, den Glauben, den jährlichen Zeitlauf im Dorf Okonkwos. Dies tut er in klarer, teils recht einfacher, teils sehr poetischer Sprache. Das Buch läßt sich durchweg gut und leicht lesen. Anmerkungen hinten im Buch erklären einige Gebräuche oder Begriffe, teils auch die etymologische Bedeutung von Namen. Diese Anmerkungen waren teilweise informativ, zu manchen Aspekten fehlten mir Erläuterungen, dafür fand ich persönlich die etymologischen Erklärung nicht so interessant. Schade ist, daß einige Dinge, gerade was Rituale betrifft, nicht erklärt wurden, es gab hier mehrere Stellen, die einer Anmerkung oder einer Erklärung in einem Nachwort bedurft hätten. Aber insgesamt sind in diesem Buch so viele interessante Informationen und Einblicke enthalten, die eine mir bis dahin völlig fremde Kultur wundervoll erleuchteten und erklärten.

Okonkwo ist ein interessanter Protagonist. Er hat aus eigener Kraft viel erreicht, ist klug und ehrgeizig. Allerdings ist er kein unbedingter Sympathieträger - er ist jähzörnig, oft gewaltätig und in seiner Kultur so verhaftet, daß er einige kaum zu begreifende Dinge tut, um nicht als unmännlich zu gelten. Auf der andere Seite gibt es Momente, in denen positive Seiten durchscheinen, so eine gewisse Fürsorglichkeit und auch Dankbarkeit. Diese differenzierte Zeichnung Okonkwos ist gut gelungen. Anhand seiner Person können wir auch gut verstehen, wie stark die Kultur eine Gruppe Druck auf ihre Mitglieder ausüben kann.

Die Gesellschaft der Igbo rief ähnlich wie Okonkwo selbst sehr zwiespältige Gefühle in mir hervor. Einerseits gefiel mir der starke Gerechtigkeitssinn; die Methoden, Frieden zu bewahren. Andererseits gibt es viele mir grausam erscheinende Ausprägungen, gerade dann, wenn Religion und Aberglaube eine Rolle spielen. Es gibt zahlreiche Stellen in dem Buch, die für uns aus mitteleuropäischer und heutiger Sicht schwer zu verkraften sind, aber auch bei einigen Igbo jener Zeit Unbehagen hervorriefen. Auch hier ist die differenzierte Erzählweise Achebes wieder erfreulich, durch den Charakter Obierika, einem Freund Okonkwos, erfahren wir auch Standpunkte, die denen von Okonkwo wiedersprechen. Neben diesen beiden gibt es noch einige weitere Charaktere, die hier eine größere Rolle bekommen und dem Leser eine Facette der verschiedenen Schicksale und Positionen innerhalb des Dorfes schildern.

Nach dem auf die Schilderung des allgemeinen Dorflebens fokussierten ersten Teils nimmt dann auch die Handlung stärkeren Raum ein, die von Okonkwos ganz privater Tragödie allmählich zur Kolonisierung der Gegend führt. Missionare halten Einzug und auch hier erfreut wieder die Schilderung verschiedener Standpunkte. Die unausweichliche Entwicklung wird uns knapp und eindringlich berichtet und läßt mich nach Ende des Buches betroffen zurück. Okonkwo steht hier symbolisch für so viele Menschen und Völker, die von der Kolonialisierung überrannt und zerstört wurden.

Veröffentlicht am 03.09.2019

Bleibt viel zu sehr an der Oberfläche, erzählt zu sprunghaft

Kastanienjahre
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Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der ...

Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der Klappentext ist eigentlich vielversprechend - die Geschichte des Dorfes Peleroich von der Gründung der DDR bis zur Nachwendezeit, dazu "eine fatale Dreieicksbeziehung voller Geheimnisse" (was sich als ziemlich übertriebene Beschreibung herausstellt). Ich lese sehr gerne über das Leben in der ehemaligen DDR, stelle oft fest, wie viel es darüber noch zu erfahren gibt und war sehr interessiert daran, wie diese Dorfgemeinschaft von Peleroich durch jene Jahrzehnte gekommen ist.

Während der Anfang des Buches uns noch eine liebevolle Einführung des Hauptcharakters Elise gibt und wir auch Peleroich im Jahre 1950 neugierigmachend kennenlernen, war ich schon direkt danach ziemlich enttäuscht. In kurzen Kapiteln fliegen wir durch die Jahre. Kaum haben wir die Schulkinder Karl und Christa 1950 kennengelernt, ist es auch schon 1960 und man ist mitten in ihrem Familienleben, nachdem sie in vorherigen kurzen Kapiteln sich rasch verliebt und geheiratet haben. Alles wird nur kurz angerissen, wir lernen die Charaktere nicht richtig kennen, erleben keine Entwicklungen mit. Das sehr interessante Thema der LPG-Gründungen und des Druckes auf die unabhängigen Bauern kommt auf. Darauf war ich gespannt, freute mich schon, etwas dazu zu lesen. Ein paar Seiten später war es in wenigen Sätzen abgehandelt und kam nicht mehr auf.

Und genau so geht es weiter. Während Naturbeschreibungen, Kindergeburtstage, banale Alltagsunterhaltungen in fast ermüdender Ausführlichkeit geschildert werden, finden die wichtigen Ereignisse nur am Rande statt. Die Charaktere bleiben größtenteils Namen für mich, weil wir keine Gelegenheit haben, sie kennenzulernen. Vorne im Buch ist eine Namensliste, die ich auch oft benötigt habe. Ich habe historische Romane mit an die tausend Seiten gelesen, mit 50-60 Charakteren, und brauchte die Namenslisten dort nie, weil die Charaktere so gut eingeführt worden waren, daß ich sie gleich zuordnen konnte. Hier, bei einer Handvoll Dorfbewohner, blieben sie mir größtenteils fremd. Während die Zubereitung von Bratkartoffeln detailliert besprochen wird, finden Unterhaltungen über die Unterdrückungen des DDR-Regimes, das durchaus gewichtige Trauma eines Grenzsoldaten (dazu hätte ich viel, viel mehr lesen wollen), rasch statt, vieles wird uns nur als Rückblick kurz geschildert. Es kam mir vor, als ob ich in einem Zug sitze und nur ab und zu einen raschen Blick in ein Zimmer erhasche - Momentaufnahmen, immer zu schnell, immer zu kurz. Irgendwann im Buch kam es Elise "vor, als wäre sie nicht dabei gewesen, als hätte sie etwas Wichtiges verpasst." So fühlte ich mich das ganze Buch hindurch. Fragen und Themen werden angerissen, bleiben aber, genau wie Charaktere, an der Oberfläche.

Die DDR-Themen kommen vor, sind gut ausgewählt, interessant, aber es hätte so unglaublich viel mehr daraus gemacht werden können. Ich habe in anderen Büchern wesentlich mehr über das Leben in der DDR erfahren. Nach knapp 300 Seiten sind 30 Jahre DDR-Geschichte abgehandelt, rasch, oberflächlich, garniert mit vielen Banalitäten des dörflichen Alltagslebens. Oft werden mehrere Jahre übersprungen und wir bekommen nur einen kurzen Überblick, was geschehen ist. Immer wieder werde ich so aus der Handlung herausgerissen. Um das "große Geheimnis", das Elise nach zwanzig Jahren zurück ins Dorf führt, wird mehr Drumherum veranstaltet, als notwendig gewesen wäre.

Der rote Faden des Dorfes war an sich gut gewählt, wenn es mal um die DDR geht, sind die Einzelheiten gut und glaubhaft dargebracht. Der Schreibstil ist durchschnittlich, liest sich recht leicht. Bei einer (für meinen Geschmack) besseren Gewichtung der Themen und Schwerpunkte hätte ich dieses Buch genossen, aber so war ich leider enttäuscht. Ich habe noch "Kranichland" der Autorin hier liegen und hoffe, daß es besser sein wird.