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Veröffentlicht am 23.01.2019

Prinzessinnen sind nicht zu beneiden

Skandal bei Hof
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In "Skandal bei Hof" (den Titel finde ich persönlich zu effektheischerisch) geht es wie im Buch "Ungeliebte Königin" um unglückliche Ehen und Lebensgeschichten der europäischen Königshöfe. Ich habe beide ...

In "Skandal bei Hof" (den Titel finde ich persönlich zu effektheischerisch) geht es wie im Buch "Ungeliebte Königin" um unglückliche Ehen und Lebensgeschichten der europäischen Königshöfe. Ich habe beide Bücher kurz nacheinander gelesen und das war aufgrund teils unterschiedlicher Interpretationen der Autorinnen ganz interessant.

Thea Leitner berichtet hier von fünf Frauenschicksalen, die fast alle irgendwie verwandtschaftlich verbunden sind (wie in der europäischen Königswelt auch kaum anders möglich), so daß uns manche Personen durchaus öfter begegnen, was eine ganz angenehme Kontinuität in das Buch bringt. Alle Frauen wurden gegen ihren Willen oder zumindest ohne ihr Einverständnis verheiratet, alle erlebten ihre ganz persönliche Ehehölle, dies ist ein weiteres verbindendes Element der Kapitel und überhaupt der Töchter europäischer Adelshäuser jener Zeit. Abgesehen davon sind die Schicksale sehr unterschiedlich, so bekommen wir unter anderem einen Blick in die jahrzehntelange Gefangenschaft der Sophie Dorothea von Hannover; den Geschehnissen am dänischen Königshof, die einem übertriebenen Historienschinken entstammen könnten, oder dem befremdlichen Haß von George IV auf seine Ehefrau.

Dies ist meist in einem recht flotten Schreibstil berichtet und beinhaltet auch einen Blick auf die Elterngeneration oder das generelle Familienumfeld, so daß man recht umfassend informiert wird. An einigen Stellen fehlte mir die Neutralität der Autorin etwas. Oft wurde mir zu sehr in Details oder Nebensächlichkeiten verweilt, gerade das Kapitel über Wilhelmine von Preußen, welches ich auch vom Inhalt her weniger interessant fand als die anderen Kapitel, zog sich sehr - detaillierte Zitate von Wilhelmines Tagebuchaufzeichnungen und minutiöse Berichte, wer wann wohin reiste oder wer wem wann was sagte / schrieb, lasen sich mir zu zäh. Dies fiel mir auch im letzten Kapitel über Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel öfter auf. Obwohl die Kapitel alle in etwa gleich lang sind, kamen mir diese beiden Kapitel länger vor als die anderen.

So erhält man im Ganzen einen recht abwechslungsreichen Überblick über die verschiedenen, teilweise bedenklich verhaltensgestörten, Herrscher diverser europäischer Länder und des Leides, welches die dynastisch orientierte rücksichtslose Ehepolitik verursachte. Eine straffere Erzählweise hätte aber an mehreren Stellen nicht geschadet.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Die schlechteste aller möglicher Welten

Fabian
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Erich Kästners autobiographisch angehauchte Erzählung über Jakob Fabian, der das ausschweifende Berlin der späten Weimarer Republik erlebt, und daran untergeht, wirft einen sehr klaren, von Schopenhauers ...

Erich Kästners autobiographisch angehauchte Erzählung über Jakob Fabian, der das ausschweifende Berlin der späten Weimarer Republik erlebt, und daran untergeht, wirft einen sehr klaren, von Schopenhauers Pessimismus geprägten Blick auf die Welt und die Menschheit. Das 1931 erschienene Buch ist an manchen Stellen sogar beängstigend prophetisch, so sagt Fabian im Gespräch mit einem Nazi: "Wo nehmt ihr die Dreistigkeit her, sechzig Millionen Menschen den Untergang zuzumuten, bloß weil ihr das Ehrgefühl von gekränkten Truthähnen habt und euch gern herumhaut?"

Die Endzeitstimmung dieser Zeit kommt deutlich zum Vorschein, man merkt geradezu, wie die Menschen fiebrig am Rande des Vulkans tanzen, kopulieren und saufen, um die düstere Welt, die Aussichtslosigkeit zu vergessen. Mittendrin und doch abseits Fabian, der sich dieses ausgelassen-unfrohe Treiben betrachtet, aber nur am Rande und mit einem gewissen Widerwillen daran teilhat.

Der erste Teil des Buchs ist eine etwas zusammenhanglose Betrachtung der diversen Berliner Ausschweifungen, die Fabian sich anschaut. Zusammen mit ihm werfen wir einen Blick in das Nachleben Berlins: auf Frauen, die sich für freien Eintritt in eine Bar und einen Schnaps halbnackt präsentieren, die offensiv ihre körperliche Befriedigung suchen, auf einvernehmliche und nicht-einvernehmliche offene Beziehungen, auf Manipulierung von Zeitungsberichten, viel Alkohol und betrunkene Ausraster, gleichgeschlechtliche Beziehungen und auch auf die in diesen Jahren allgegenwärtige politische Gewalt, die aufkommenden Nazis. Das war farbig erzählt, mir persönlich an manchen Stellen ein wenig zu vignettenhaft und mit recht vielen philosophisch-politischen Monologen (die auch im restlichen Verlauf des Buches immer wiederkehren).

Allmählich bewegt sich das Buch weg von den Einblicken hin zu einer fortwährenden Handlung und wir lernen den Beobachter Fabian nun auch besser kennen. Er ist letztlich zu gut für die Welt, stets hilft er anderen, verteilt sein knapp vorhandenes Geld bereitwillig, handelt dort, wo andere zusehen. Immer wieder wird er von den Menschen enttäuscht, mit dem allgemeinen Egoismus und der Jagd nach Geld und Erfolg konfrontiert, auch wenn man sich im Laufe dieser Jagd selbst verkaufen muß. Die Gedankenlosigkeit der Menschheit wird ebenfalls gut geschildert, sie kostet Fabians besten Freund das Leben.

Zwischendrin dann als scharfer Kontrast die Unschuld von Fabians Mutter, dem gänzlich anderen Kleinstadtleben. Nicht überraschend, daß Fabian sich immer wieder in Erinnerungen an die Kindheit und die Mutter flüchtet, auch wenn diese Kindheit alles andere als sorgenfrei war. Die Szenen zwischen Fabian und seiner Mutter sind sehr liebevoll und berührend.

Das düstere Lebensgefühl dieser verlorenen Generation wird mit messerscharfem Blick und viel treffender Ironie gezeichnet. Die Reise Fabians von Arbeitsamt zu Arbeitsamt nach seiner Entlassung ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Keiner ist zuständig, alle schicken ihn weiter, die Wände sind behängt mit Verboten und amtlichen Informationen - nach fünf Stunden Irrweg durch die Behörden wird er wieder an den Ausgangspunkt zurückgeschickt. Er paßt nicht so richtig ins bürokratische System und letztlich auch gar nicht in diese Welt. Die Jugend wurde ihm - wie auch Kästner - als Siebzehnjährigem durch den Ersten Weltkrieg brutal beendet, das Studium und die Intelligenz helfen ihm wenig im wirtschaftskrisengeplagten Land. Verbiegen und verkaufen möchte er sich nicht, was ihn von so vielen anderen unterscheidet. Offen und direkt ist er, beobachtet scharfsinnig und hält deshalb vielen Leuten den Spiegel vor, was ihm meist schadet. Zu aufrichtig und vertrauensvoll ist er anderen gegenüber. Die guten Eigenschaften Fabians bringen ihm letztlich nur Nachteile.

All dies wird berichtet in Kästners hervorragendem Sprachstil - schnörkellos und gekonnt, oft humorvoll, bissig, treffend. Wer Erich Kästner vorwiegend oder nur als Kinderbuchautor kennt, wird hier überrascht und beeindruckt sein. Kästner konnte mit Worten umgehen, das ist in jedem Satz ersichtlich und viele Sätze habe ich mehrfach gelesen.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Persönliche und berührende Geschichte eines Nachkriegsschicksales

Hoffnungsschimmer in Trümmern
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Pia Wunder setzt mit diesem Buch ihrer Großmutter und Mutter ein Denkmal. "Jede Familie hat ihre einzigartige Geschichte" ist der erste Satz, und es gelingt der Autorin gut, diese einzigartige Geschichte ...

Pia Wunder setzt mit diesem Buch ihrer Großmutter und Mutter ein Denkmal. "Jede Familie hat ihre einzigartige Geschichte" ist der erste Satz, und es gelingt der Autorin gut, diese einzigartige Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Damit erzählt sie auch ein Stück Zeitgeschichte, denn die Todesangst während des Krieges und auch der ersten Nachkriegszeit, die unglaublichen Leiden von Vertreibung, Flucht, Willkür einiger Besatzer sind ein Teil vieler europäischen Familienerinnerungen.

Pia Wunder erwähnt im Vorwort, daß in ihren Gesprächen mit Großmutter und Mutter einige Taschentücher verbraucht worden seien, und das kann ich gut verstehen, denn sogar als reine Leserin gab es einige Stellen, an denen mir die Tränen in die Augen stiegen. Die grausame Vergewaltigung einer 14jährigen (sehr dezent im Buch dargestellt) durch Besatzungssoldaten, das Leiden ihrer Eltern, deren Behandlung - das hat mich noch tagelang beschäftigt, ebenso wie überhaupt das Ausgeliefertsein an die Soldaten. Dagegen war die Schilderung des ersten Nachkriegsweihnachtsfestes, bei dem sich unerwartet Gutes ereignete, auf ganz andere, positive Weise anrührend. Die Großmutter der Autorin, Grete, hat viel durchgemacht. Direkt vom Anfang des Buches an hat sie es mit gedankenlosen, teils bösartigen Menschen zu tun, muß fast ständig auf sich selbst gestellt kämpfen. Es ist unglaublich, was diese zarte, aber offensichtlich zähe kleine Person alles erduldet und geleistet hat. Gretes Schicksal hat mich von Anfang an berührt. Die Leiden der letzten Kriegsmonate und der Flucht werden deutlich und eindringlich geschildert. Das Verhalten der Menschen wird hier ebenfalls gut dargestellt - die meisten sind sich selbst die Nächsten, das aber nicht aus reiner Bequemlichkeit oder Bosheit, sondern weil es um das nackte Überleben geht. Wenn es an diesen Urinstinkt, diese Urangst geht, dann treten andere menschliche Gefühle schnell weit in den Hintergrund. Dadurch sind die von der Autorin geschilderten wenigen Ausnahmen besonders eindringlich. Dieser erste Teil des Buches ist der packendste und der, der einen Leser auch nachher noch gedanklich beschäftigt.

Pia Wunder berichtet die Geschichte ihrer Großmutter und Mutter im Romanstil, eine gute Idee. Der Schreibstil liest sich flüssig, er ist einfach (an manchen Stellen für meinen Geschmack zu einfach) und schnörkellos. Ab und an fand ich einige Formulierungen etwas ungeschickt, oder Worte falsch gewählt (zB "linkisch" statt "link").
An mehreren Stellen hätten ein oder zwei erklärende Sätze das Verständnis erheblich erleichtern können, hier fehlten mir doch recht relevante Hintergrundinformationen.

Während der erste Teil des Buches (ca 60 %) sich auf Grete konzentriert und aus ihrer Perspektive berichtet, wechselt diese Perspektive im zweiten Teil zu ihrer Tochter Ilse und erzählt hauptsächlich deren Geschichte. Diese ist naturgemäß weniger dramatisch als die direkten Kriegs- und Nachkriegsjahre. Während ich es gut fand, daß wir auch Ilses Weg weiterverfolgen konnten, war mir hier einiges zu detailliert berichtet und ich habe einige Abschnitte eher überflogen. Hier hätte man meiner Meinung nach wesentlich straffen können, das mag aber auch rein persönliche Präferenz sein.

Es ist der Autorin gelungen, die Geschichte ihrer Großmutter und Mutter mitreißend zu erzählen, zu zeigen, wie wichtig der Familienzusammenhalt war, welche Nachwirkungen die schwierigen Jahre später in der Mutter-Tochter-Beziehung oder auch sogar bei der Berufswahl der Tochter hatten. Mit wenigen Worten wird aufgezeigt, daß die Traumata der Kriegs- und Nachkriegszeit bei den betroffenen Generationen fortwirken.

Es ist ein lesenswertes Buch, das eine katastrophale Epoche unserer Geschichte beleuchtet und mit persönlichen Schicksalen verknüpft.

Veröffentlicht am 05.04.2024

Originell, schöne Sprache, aber sehr distanziert und zu knapp

Der Sommer, in dem alles begann
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Ein Buch, das mit zwei Beerdigungen beginnt, macht neugierig auf das, was in jenem titelgebenden Sommer geschehen ist. Der Klappentext klingt etwas platt, derlei „drei Frauen, deren Lebenswege sich kreuzen“, ...

Ein Buch, das mit zwei Beerdigungen beginnt, macht neugierig auf das, was in jenem titelgebenden Sommer geschehen ist. Der Klappentext klingt etwas platt, derlei „drei Frauen, deren Lebenswege sich kreuzen“, und Romane mit verschiedenen Zeitebenen gibt es leider zu Hunderten. Léosts Roman hebt sich davon aber glücklicherweise ab. Die Geschichte selbst hat schon durch die Bretagne als Handlungsort etwas Ungewöhnliches und auch die meisten Handlungsstränge selbst sind düsterer und substanzvoller als bei der üblichen Drei-Frauen-Zeitebenen-Romankost. Besonderes Herausstellungsmerkmal war für mich der Sprachstil, mit dem Léost sich ebenfalls von diesem oft süßlichen Genre abgrenzt.
Sie schreibt äußerst reduziert und beweist, wie ausgezeichnet sie mit Sprache umgehen kann. Die Übersetzung wird dem ebenfalls erfreulich gerecht. Einziger Wermutstropfen in der Übersetzung ist die Verwendung von künstlichen Worten wie „Studierende“ und leserunfreundlichen Doppelnennungen wie „Schülerinnen und Schüler“ – dies sogar in wörtlicher Rede der frühen 1990er, obwohl diese Formulierung zu der Zeit gar nicht verwendet worden wären. Abgesehen davon erfreut die gekonnte Sprache aber und ich habe viele Formulierungen mehrfach gelesen und mich an ihrer treffenden Prägnanz erfreut.
Etwas nachteilig fand ich dagegen den berichtartigen, knappen Erzählstil. Die Leser sind nur sehr selten wirklich bei Geschehnissen dabei, der Großteil des Buches wird uns nicht erlebbar gemacht, sondern erzählt. Wir sind bei Dialogen oft nicht dabei, sie werden uns zusammengefasst, auch sonst sind die Leser oft nicht in der Szene drin. Unemotional und knapp erfährt man von allerlei, was doch eigentlich voller Gefühle wäre. Es gibt einige anrührende Szenen, aber größtenteils liest es sich eher wie eine Zusammenfassung eines Romans als wie ein Roman. Das hat in mancherlei Hinsicht zwar durchaus ungewöhnlichen Charme, führte bei mir aber dazu, daß mich die Charaktere kaum erreichten und ich auch an vielen Ereignissen innerlich nicht teilnahm und mich auch nur selten in der Geschichte drin fühlte. Eintauchen kann man in dieses Buch leider nicht.
Das ist auch deshalb schade, weil es einige interessante und ungewöhnliche Charaktere gibt, die aber durch die Erzählweise nicht wirklich entwickelt werden. Obwohl die Geschichte ganz sicher nicht flach ist, bleiben die Charaktere an der Oberfläche. Bei einer der drei Frauen, Odette, deren Geschichte in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückführt, hat das leider zudem den Effekt, daß ihre nicht erklärte erhebliche Wesensveränderung für mich nicht nachvollziehbar war. Dem zweiten Teil ihres Handlungsstrangs mangelt es an Plausibilität, was dadurch leider auch die Wendung ganz am Ende erheblich schwächt.
Und so ist dieses Buch für mich eine gemischte Erfahrung. Die Ansätze sind hervorragend, aber ich fühlte mich dauernd, als ob man mich von einem köstlichen Gericht kosten ließ und mir dann den Teller wieder wegnahm. Die Geschichte mit ihren vielen Facetten war zu knapp und zu distanziert erzählt, die Charaktere toll angelegt, aber nicht hinreichend ausgeführt. Die Entwicklungen sind vielversprechend, aber ein Handlungsstrang mit viel Potential verpufft einfach, ein anderer nimmt eine zwar herrlich unerwartete, aber eben nicht nachvollziehbare Wendung. Dauernd blieb das Gefühl: hier hätte man so viel mehr draus machen können.
Dagegen genoss ich den ausgezeichneten Umgang mit Sprache, die Informationen über das bretonische Leben, einige tiefrührende Aspekte und eine Originalität in Schauplatz, Charakteren und Entwicklungen, die leider so vielen Romanen fehlt. Insofern ist das Buch eine zwar etwas unausgegoren wirkende, aber dennoch lohnende Erfahrung.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2024

Ein bunter Strauß aus Beobachtungen, Wissen und Erfahrungen

Ein Garten offenbart sich
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Dieses Buch ist auf gelungene Weise ungewöhnlich. Es ist eine teils literarisch anmutende Erzählung mit Rückblicken in den Alltag früherer Generationen, teils fast poetische Darstellung der Beobachtungen, ...

Dieses Buch ist auf gelungene Weise ungewöhnlich. Es ist eine teils literarisch anmutende Erzählung mit Rückblicken in den Alltag früherer Generationen, teils fast poetische Darstellung der Beobachtungen, welche die Autorin in ihrem Garten macht, teils Ratgeber für natürliche Gartengestaltung, teils Sachbuch über Naturkunde und teils Manifest. Letztlich ähnelt es dem Garten der Autorin – es findet sich hier so vieles, oft Unerwartetes, manches nimmt eine andere Entwicklung als gedacht, aber alles bildet ein harmonisches Ganzes. Es hat Spaß gemacht, auf diese Reise voller kleiner Abzweigungen zu gehen. Dies beginnt schon beim ungemein liebevoll gestalteten Einband – hochwertig und mit einem zauberhaften Motiv.

Kleine Vignetten, die sich in die Vorfahren der Autorin hineinversetzen, bieten einen anschaulichen Einblick in das von Landwirtschaft und Wissen über die Natur bestimmte Leben jener Zeit, ebenso wie die Alltagserinnerungen der Autorin aus ihrer Kindheit. Diese konzentrieren sich auf das Wesentliche, es ist der ganz normale Alltag, der hier ruhig und sachlich geschildert wird, und gerade das macht es interessant und veranschaulicht, wie sehr sich vieles innerhalb von ein paar Generationen geändert hat, das zuvor über Jahrhunderte zum Leben dazugehörte.

Den Großteil des Buches bilden die Erfahrungen, welche die Autorin mit ihrem eigenen riesigen Garten macht und ihre – innere und äußere – Reise von der konventionellen Gartengestaltung zum sich fast selbst überlassenen natürlichen Garten. Sie schildert viele faszinierende Beobachtungen und das tut sie so farbig, daß man es beim Lesen miterleben kann. Auch die Symbiosen zwischen den unzähligen Lebensformen in der Natur werden hier durch eigene Beobachtungen dargestellt. Hintergrundinformationen erfahren wir auf verschiedene Weise. Einmal durch Informationen der Autorin selbst, häufig durch die beiden Söhne der Autorin. Dies stellt allerdings einen Wermutstropfen des Buches dar. Die Söhne haben viel Wissen und auch viel Enthusiasmus für das Thema, was an sich eine tolle Sache ist. Nur treten sie in einer statisch belehrenden Rolle auf, die stilistisch nicht überzeugt. So gibt es immer wieder Einschübe mit „Mein Sohn sagt“ oder „Meine Söhne sagten“, denen dann ein langer handbuchartiger Einschub folgt (was dann, wenn das angeblich beide Söhne sagen, eher unfreiwillig komisch wirkt, da es klingt, als ob beide nach Art eines griechischen Chores diese langen Passagen gemeinsam deklamieren). Wahrscheinlich sollte es durch die wörtliche Rede lebendiger wirken, aber die Umsetzung hat etwas Unnatürliches und wirkt in ihrer Häufigkeit enervierend.

Ebenfalls anstrengend fand ich den emotionalen Überschwang. Der innere Aufruhr der Autorin bei allerlei kleinen Vorkommnissen und Erkenntnissen wirkte auf mich übertrieben und in seiner Häufigkeit auch überspannt. Sätze wie „Ich kann alle und alles dem Tod anheimgeben. (…) Meine ungeheuerliche Macht“ und allerlei fast dramatische Reaktionen auf Handlungen, die die Autorin im Nachhinein als nicht richtig einstuft, ellenlanges Sinnieren über die „Beziehung“ zu den Pflanzen und Gekränktheit, weil diese sie nicht beachten oder brauchen, waren mir viel zu viel und haben mein Lesevergnügen beeinträchtigt. Auch die Erkenntnisse, denen ich oft zustimme und für sehr wichtig halte, waren mir häufig zu dramatisch dargebracht. Die immer wieder vorkommenden Wiederholungen hätten m.E. ebenfalls eingeschränkt werden können.

Insgesamt ist der Schreibstil aber erfreulich – der Text ist zugänglich, oft farbig, ungemein persönlich und gut lesbar. Auch ist das Thema faszinierend. Hätte ich einen Garten, würde ich vieles von dem hier Erwähnten umsetzen und das Buch läßt mich wünschen, ich hätte einen Garten. Die Natur um mich herum beobachte ich aber nun entschieden noch aufmerksamer und ich weiß zu schätzen, wie viel ich hier gelernt habe. Das Buch weckt ein Bewußtsein und das ist heutzutage dringend notwendig. Mir gefiel die Umsetzung in mehrerlei Hinsicht nicht, gerade was das übertriebene Pathos und die Einsetzung der Söhne als Handbuchzitierer betrifft, aber dafür fand ich auch viele Aspekte ausgezeichnet. Insbesondere die Vermittlung des Wissens, welches sich die Autorin erster Hand und über lange Jahre erarbeitet hat, ist bemerkenswert. Die Leser haben hier an einem ungewöhnlichen Lernprozess teil.

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