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Veröffentlicht am 30.05.2020

Ceecees Rettung

Die Frauen von Savannah
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"Die Frauen von Savannah" ist im Original mit "Saving Ceecee Honeycutt" betitelt, was besser zum Inhalt paßt. CeeCee, die als Ich-Erzählerin fungiert, ist zwölf Jahre alt und zu Beginn des Buches erfahren ...

"Die Frauen von Savannah" ist im Original mit "Saving Ceecee Honeycutt" betitelt, was besser zum Inhalt paßt. CeeCee, die als Ich-Erzählerin fungiert, ist zwölf Jahre alt und zu Beginn des Buches erfahren wir einiges über ihre Kindheit mit einer Mutter, die psychisch krank ist. Schon der erste Satz des Buches: "Momma ließ ihre roten Satinschuhe mitten auf der Straße stehen" deutet die Thematik an und macht zudem neugierig. Diese traurige Kindheit, die CeeCee verlebt, mit einer selbst leidenden Mutter und einem stets abwesenden Vater, unter gehässigen Schulkameraden und in ständiger Angst, was die Mutter als nächstes "anstellen" wird, geht beim Lesen zu Herzen. Da wir alles durch Ceecee erfahren, können wir uns nur zusammenreimen, was genau mit ihrer Mutter ist und wie der Vater einzuschätzen ist. Das ist ein gutes Vorgehen, weil man gerade über den Vater beim Lesen immer wieder die Meinung ändert und sich viele Schlußfolgerungen selbst überlegen muß. Über die Mutter hätte ich gerne mehr erfahren. Ceecees tiefe Traurigkeit kommt durch die Erzählweise auch sehr gut heraus. So hat dieser Anfang überraschende Tiefe und Vielseitigkeit und ist auf gelungene Weise düster (was ich angesichts des angekitschten Titelbilds (auch da hat die Originalausgabe es besser getroffen) nicht erwartet hatte.

Als Ceecee nach dem Tod ihrer Mutter von ihrer Großtante in Savannah aufgenommen wird, wandelt sich die Atmosphäre sehr. Savannah - die verträumte Stadt im tiefen Süden, deren teils exzentrische Bewohner auch schon beliebtes Thema anderer Romane waren. Beth Hoffman liefert hier vertraute Motive des Südens in den 60ern: wohlhabende Damen in prachtvollen Häusern, die sich der Erhaltung alter Gebäude widmen, Parties geben und elegante Kleider und Hüte ausführen. Die treue Köchin, ein wenig ruppig, aber mit einem Herzen aus Gold. Ein paar Eifersüchteleien unter den Damen mit zu viel Zeit, ein paar belanglose Gespräche, der Rassismus von Ort und Zeit blitzt gelegentlich durch. Dieses etwas geschönte Südstaatenbild wird liebevoll geschildert und man blüht mit CeeCee auf, die plötzlich in die kuschlige Umarmung dieser für sie neuen Welt genommen wird und sich im Laufe ihres ersten Sommers dort wie eine Blume immer mehr entfaltet.

Dieser Sommer wird gemächlich, atmosphärisch und episodisch erzählt. Ceecee hat ihre kleinen Erlebnisse - Ausflüge, neue Bücher und Kleider, heimliches Schwimmen im Pool der Nachbarin, Treffen mit Bekannten ihrer Großtante und deren Köchin Oletta. Das glitt mir teilweise zu sehr ins Belanglose ab und irgendwann sind die diversen liebevoll-exzentrischen Damen ein wenig überbenutzt. Alle, denen Ceecee begegnet, haben irgendeine Eigenheit, die uns detailliert geschildert wird. Manche dieser Leute werden ausführlich beschrieben, um nach einigen Seiten wieder völig aus der Geschichte zu verschwinden, andere tauchen hin und wieder auf, manche spielen eine ständige Rolle. Ein paar weniger dieser Leute und Erlebnisse hätten es auch getan, denn irgendwann wurde ich all dieser originellen kleinen Eigenheiten etwas müde.

Die Tiefe, die das Buch am Anfang hat, findet es ab und an wieder zurück und das sind die besten Szenen. Immer, wenn Ceecee mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird, bekommt das Buch Substanz. Auch die ab und an eingestreute sich verändernde Haltung zu ihrem Vater ist interessant, dazu glaubhaft und gut geschildert. Ein wenig mehr davon und etwas weniger belanglose Episoden hätten dem Buch meines Erachtens sehr gut getan. Während diese Stellen sehr berühren, waren einige der anderen Episoden wirklich albern. Zwei Nachbarinnen führen eine Art Kleinkrieg, der uns die schlechtesten Szenen des Buches bringt - überdreht und platt.

Ein weiterer Punkt, der mir nicht zugesagt hat, war die Tendenz zur Zuckerwattigkeit. An einer Stelle erwähnt Ceecee, dass die Welt um sie herum ganz rosa wirkte und den Eindruck hatte ich auch. Ceecees innere Reise, ihre "Rettung" (wenn man nach dem englischen Titel geht) hätte man auch sehr schön mit weniger ezählerischem Sirup schildern können. Die meisten Probleme lösen sich hier von selbst, oder werden nach einem mit vielen Lebensweisheiten garnierten Gespräch gelöst. Lebensweisheiten werden mit Begeisterung verteilt, keine Gelegenheit für einen Kalenderspruch wird ausgelassen. Auch einige Wendungen waren gar zu zuckrig - der "alles wird innerhalb weniger Wochen gut"-Kurs wird unerbittlich verfolgt.

So war es einerseits sehr interessant, CeeCee - die eine sympathische Ich-Erzählerin ist - zu begleiten, mit ihr zu fühlen und sich zu freuen, wie ihre Seele heilt. Andererseits wäre dies auch mit weniger putzig-originellen Banalitäten und weniger Rosatönung möglich gewesen und hätte mir persönlich dann wesentlich besser gefallen.

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Veröffentlicht am 29.05.2020

Agatha Christie geht neue Wege - teilweise sehr gelungen

Das Eulenhaus
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"Das Eulenhaus" ist ein für Agatha Christie eher untypischer Krimi und das ist zunächst seine Stärke. Wir haben hier schon fast eher ein Psychogramm als einen Krimi. Das bringt erfreulich frischen Wind ...

"Das Eulenhaus" ist ein für Agatha Christie eher untypischer Krimi und das ist zunächst seine Stärke. Wir haben hier schon fast eher ein Psychogramm als einen Krimi. Das bringt erfreulich frischen Wind hinein, aber leider gab es auch mehrere Schwächen.

Es beginnt noch recht typisch Christie. Diverse Menschen kommen für ein Wochenende in einem Landhaus zusammen, als Gäste von Henry und Lucy Angkatell. Lucy ist die Erste, der wir begegnen und wir merken auch gleich, sie ist ungewöhnlich. Die ältere Dame neigt zu gedanklichen Abschweifungen und exzentrischen Gedankengängen. Was zu Beginn noch etwas Amüsantes hat, wird im Verlauf des Buches zunehmend ermüdend. Viel Platz wird darauf verwandt, Lucys Monolog widerzugeben und die Charaktere versichern und unablässig, wie herrlich charmant und exzentrisch sie ist. Herrlich fand ich es allerdings immer weniger, abgesehen davon, daß es viel zu viel Raum einnahm. Irgendwann weiß man auch schon, in welche Richtung es gehen wird, da diese ganze "charmante" Exzentrik absolut überbenutzt wird.

Die anderen Charaktere sind teilweise sehr interessant und gut gezeichnet, teilweise bleiben sie blass und sind für die Geschichte überflüssig. Interessant war es, einen Einblick in die Gedanken vieler der Charaktere zu bekommen. Wir erleben das Geschehen ausnahmsweise nicht durch die Augen von Hastings, Poirots normalerweise treuem Begleiter, und erfahren so mehrere Perspektiven, lernen die Personen deshalb auch viel besser kennen. Das war erfreulich und oft interessant. Einige Handlungsstränge zogen sich leider ziemlich und hatten keine Relevanz für die Geschichte. So hatte ich am Ende das Gefühl, ziemlich in der Luft hängengelassen zu werden. Zum Ende aber später mehr.

Poirot kommt im Buch vor, aber er spielt keine wirklich Rolle. Ursprünglich war nicht geplant, ihn mitspielen zu lassen und das merkt man. Er ist hier halbherzig eingebunden, ermittelt eigentlich nicht, taucht nur ab und an auf. Überhaupt spielen die Ermittlungen nur eine geringe Rolle. Nachdem der Mord geschieht und viele interessante Fragen aufwirft, widmet sich Christie ihren diversen Charakteren und berichtet uns viel Unnötiges. Allerdings geschieht dies überwiegend durchaus kurzweilig. Während ich in vielen Christie-Büchern die ständigen Verhöre, in den die ewiggleichen Fragen wiederholt werden, oft langweilig fand, gibt es so etwas hier gar nicht. Die Perspektiven wechseln, das Geschehen wechselt, wir gehen von einem zum anderen und das in einem meistens guten Erzähltempo.

Das Ende kommt dann recht unerwartet und natürlich gelingt es Christie wieder, mich damit zu überraschend. Ich hatte bis zum Ende keine Ahnung, wer der Täter ist. Allerdings ist der Weg zur Lösung plötzlich und nicht wirklich nachvollziehbar. Auch eine Entscheidung, die Poirot am Ende trifft, finde ich nicht passend. Während sie interessante Fragen rund um Schuld und Sühne berührt, läßt sie andere wichtige Aspekte außer Acht und wirkt deshalb nicht stimmig für mich. Auch blieben einige Fragen unbeantwortet, bzw. erwiesen sich als irrelevant. Insgesamt hatte mir die Handlung des Buches zu wenig mit dem Ende und der Auflösung des Falles zu tun.

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Veröffentlicht am 29.02.2020

Ausgezeichnet geschildert, leider ein wenig überladen

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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In „Raffael“ bringt uns Noah Martin in das Italien der Renaissance und läßt uns in eine Zeit eintauchen, in der sich prachtvoller Kunstsinn neben Korruption und Grausamkeit entfaltet. Auf über 600 Seiten ...

In „Raffael“ bringt uns Noah Martin in das Italien der Renaissance und läßt uns in eine Zeit eintauchen, in der sich prachtvoller Kunstsinn neben Korruption und Grausamkeit entfaltet. Auf über 600 Seiten wird dies detailreich und opulent erzählt – so detailreich und opulent, daß Raffael in dem nach ihm benannten Roman leider lange Zeit eher eine Nebenrolle einnimmt.

Wir lernen Raffael im Jahr 1494 kennen, als Jungen, der gerade seinen Vater verloren hat, und von Anfang an gelingt es dem Autor, die Szenerie auferstehen zu lassen. Der Schreibstil ist das ganze Buch hindurch ausgesprochen angenehm, die Beschreibungen gelungen und lebhaft. Raffael und sein Freund Daniel werden sofort mit Leben gefüllt. Daniel ist eine fiktive Person, es werden uns im Roman aber auch erstaunlich viele historisch belegte Personen begegnen. Ein fünfseitiges Personenverzeichnis zeigt an, welche Personen historisch belegt und welche fiktiv sind. Das fünfseitige Personenverzeichnis weist aber auch schon auf einen Punkt hin, der mir an dem Buch nicht sehr gut gefallen hat – es ist zu viel von allem. Gerade in der ersten Hälfte des Buches wechselt die Szenerie in jedem Kapitel. Sind wir eben noch im beschaulichen Elternhaus Raffaels in Urbino, werden wir kurz darauf ins Schlachtengetümmel unter Cesare Borgia gestürzt, um dann plötzlich mitten im Vatikan wieder neuen Charakteren zu begegnen. Es werden so viele Charaktere eingeführt, daß ich mich auf keinen davon wirklich einlassen konnte und ich muß gestehen, daß ich am Anfang mehrerer Kapitel verzweifelt aufseufzte, wenn schon wieder ein neuer Name erschien. Alle diese Charaktere werden ausgiebig beschrieben und bei einer solchen Fülle an Hintergrundgeschichten und Informationen ist das Lesevergnügen beeinträchtigt – jedenfalls war es bei mir so. Auch rissen die ständigen Szenenwechsel mich immer wieder heraus. Weniger ist mehr, das fiel mir beim Lesen ständig ein.

Die ersten zwei Drittel hindurch war das Buch für mich kein Roman über Raffael, da er viel zu wenig vorkam. Es geht um Kriege, um Politik, um Intrigen, nur kaum um Raffael. Dies ist alles hervorragend recherchiert und ausgezeichnet erzählt, nur war es mir wesentlich zu überladen und paßte überhaupt nicht zu dem, das ich aufgrund des Klappentextes von dem Buch erwartete. Auch die zahlreichen ausführlichen Kriegsschilderungen waren überhaupt nicht mein Fall. Insofern muß ich zugeben, daß die ersten zwei Drittel des Buches ein sehr gemischtes Vergnügen für mich waren. Im letzten Drittel geht es dann endlich wirklich und ausschließlich um Raffael. Das war ein wahres Lesevergnügen und hat mir gezeigt, wie sehr ich das gesamte Buch genossen hätte, wenn es sich seiner eigentlichen Thematik etwas konzentrierter gewidmet hätte.

Beeindruckend ist das fundierte historische und kunsthistorische Wissen – hier merkt man, daß der Autor Kunstgeschichte nicht nur studiert hat, sondern auch wirklich für sein Thema brennt. Die ausgesprochen verwickelte Geschichte des heutigen Italien in jenen Jahren wird uns sehr sorgfältig geschildert, historische Personen wie u.a. Leonardo da Vinci und Michelangelo, sowie die drei Päpste, die Rom zwischen 1494 und 1520 erlebte, werden hier lebensnah und echt geschildert. Man kann absolut in diese Welt eintauchen. An manchen Stellen waren mir die Dialoge ein wenig zu modern (besonders gestolpert bin ich über die Formulierung „Es könnte mir nicht egaler sein…“), aber im Allgemeinen paßten Dialoge und historische Details gut zur Zeit. Besonders interessant fand ich die Schilderungen, wie Rom in jenen Jahren aussah, diese Mischung aus Ruinen der Antike und vatikanischen Prachtbauten; auch das Leben der einfacheren Bevölkerung in z.B. Siena wird hervorragend in die Geschichte eingebunden, überhaupt sind die historischen Hintergründe immer passend in die Geschichte eingeflochten. Italienische Begriffe werden immer wieder mal verwendet, sorgen so einerseits für Lokalkolorit, aufgrund eines fehlenden Glossars leider auch manchmal für ein wenig Verwirrung.

Eine farbige Landkarte Italiens in Vorder- und Hinterdeckel war sehr willkommen, auch die innere Gestaltung ist ansprechend. In einem kurzen Nachwort gibt der Autor einen kleinen Überblick über historische Abweichungen, die er bewußt vorgenommen hat und erklärt seine Inspiration für die Geschichte, was informativ war. Auch die im Buch beschriebenen Hintergründe zu vielen Kunstwerken waren interessant und ich habe mir so manches erwähnte Gemälde im Internet angesehen.

So ist „Raffael“ ein Buch, das sich durch eine gelungene Kombination von sorgfältig recherchierten Fakten und gelungenem Schreibstil auszeichnet und aus dem man viel lernen kann, das aber meiner Ansicht nach inhaltlich viel zu überladen war und sich von der eigentlichen Geschichte zu oft entfernte. Lesenswert ist es jedenfalls allemal.

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Veröffentlicht am 10.01.2020

Weniger wäre mehr gewesen

Schwert und Krone - Zeit des Verrats
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Dem letzten Band der "Schwert und Krone"-Saga habe ich mit Freude 4,5 Sterne gegeben, ihn sehr genossen. Nun war ich besonders gespannt darauf, wie die ersten Jahre von Friedrich "Barbarossas" Herrschaft ...

Dem letzten Band der "Schwert und Krone"-Saga habe ich mit Freude 4,5 Sterne gegeben, ihn sehr genossen. Nun war ich besonders gespannt darauf, wie die ersten Jahre von Friedrich "Barbarossas" Herrschaft geschildert sein würden. Es gibt in der Zeit so viele aufregende Geschehnisse und Entwicklungen. Leider hat mich dieser Band aber doch enttäuscht.

In diesem dritten Band der Saga sind die Jahre von 1152 bis 1157 behandelt - fünf Jahre in über 600 Seiten, das läßt schon auf Detailfreude schließen. Mir war es wesentlich zu viel der Detailfreude. Die Ereignisse um Friedrich selbst sind gewohnt spannend und farbig geschildert, ich war auf den ersten Seiten schon begeistert. Wir sind dabei, wie Friedrich sich in seine neue Rolle hereinfindet, wie er wichtige neue Weggefährten wie Rainald von Dassel kennenlernt und sich seiner ungeliebten Ehefrau entledigt. Wir reisen mit Friedrich nach Italien, erleben kluge Diplomatie und eine Politik des Ausgleichs, andererseits harsches Durchgreifen. Das alles las sich spannend und es ist auch herrlich, bekannte historische Ereignisse in Romanform zu lesen und sie gut umgestzt zu finden.

Leider aber ist für eine Barbarossa-Saga in Band 3 recht wenig Barbarossa drin. Fast hätte man es für eine Wettiner-Saga halten können, denn diese Familie nimmt hier den größten Teil ein. Da gibt es sicher auch interessante Entwicklungen, aber es werden leider auch so viele historisch nicht relevante Familienquerelen berichtet, dass ich mich manchmal eher wie in einer Seifenoper fühlte, nicht wie in einem historischen Roman. Hinzu kommen einige rein fiktive Personen, die für mich nicht durchweg interessant waren und die manchmal die eigentliche Geschichte auch eher unterbrachen. So wird in Italien sehr viel Zeit auf einen Übersetzer verwendet, der weder vorher noch nachher eine Rolle spielt. Es gibt doch ohnehin schon so viele spannende Themen und Geschehnisse, dem Buch mangelt es nicht an Seiten - war es da notwendig, noch so viel Zusätzliches hineinzuquetschen und die Geschichte so zu überfrachten? Ich hatte ohnehin öfter das Gefühl, daß die Autorin die Vielzahl der Charaktere nicht immer gut unter einen Hut bekommt. So haben wir bei den Wettinern den dritte Sohn Dedo, der vielleicht irgendwann einmal eine Rolle spielen wird und deshalb wohl immer mal wieder erwähnt wird. Allerdings tut er nichts, außer übergewichtig zu sein und dafür gehänselt zu werden. Dann haben wir bei den Piasten Jacza und Agatha, die in diesem und dem letzten Band immer nur am Rande vorkamen und zu denen es ebenfalls nicht wirklich eine zu berichtende Geschichte gibt, so daß sie immer mal wieder mit Belanglosigkeiten erwähnt werden, bis sie dann mit Friedrich zu tun bekommen. Durch diese gelegentlichen belanglosen Kapitel, in denen sie in diesem und letzten Band vorkamen, sind sie aber - jedenfalls für mich - nicht hinreichend präsent, um innerhalb dieser sehr vielen Charaktere und Geschehnisse Anteil an ihnen zu nehmen, dafür bleiben sie auch zu blass.
Die hochinteressante Wechselbeziehung zwischen Friedrich und Heinrich, überhaupt den Welfen und Staufen, erfährt dagegen eher stiefmütterliche Behandlung. Friedrichs Erlebnisse in Italien brechen abrupt ab, die sehr aufregende Rückreise wird dann von Friedrich halbherzig in einem kurzen Gespräch geschildert - dabei hätte es so herrliches Material für lebhafte Szenen abgegeben! Dafür führt Friedrich mit seinem Schwager Ludwig, der überhaupt nur einmal auftaucht, ein völlig überflüssiges Gespräch, das nur dazu zu dienen scheint, dessen Beinamen "der Eiserne" so oft wie möglich zu erwähnen. Die Gewichtung stimmte für mich an mehreren Stellen überhaupt nicht.
So wäre in diesem Band weniger mehr gewesen: weniger fiktives Beziehungsgezacker, weniger am Rande vorkommende Nebencharaktere, weniger für die Geschichte nicht wirklich wichtige Handlungsstränge. Mehr Fokussierung auf die spannenden Ereignisse um Friedrich, sowie in Dänemark, die doch nun wirklich genug Stoff hergaben, ohne noch mit so viel Drumherum aufgepolstert zu werden.

Ein weiterer Kritikpunkt, den ich schon zum Vorgängerband hatte und der hier noch stärker wurde, waren die ständigen Wiederholungen und Erklärungen des Offensichtlichen. Zu Beginn erfahren wir, daß Friedrich nun neue, junge Leute um sich schart. Die Zeiten ändern sich, eine neue Generation übernimmt. Das ist nicht schwer zu verstehen, wird uns aber im ersten Teil des Buches alle paar Seiten erneut mitgeteilt. Die Scheidung Eleonore von Aquitaniens und die damit verbundenen Gerüchte werden uns auch gleich mehrfach mitgeteilt, ebenso der Mord am Schwager Albrecht des Bären. Dann zwei fast gleichlautende Sätze über/von Ludwig, der angeblich nur noch in Rüstung herumläuft. Friedrich sagt, als er davon erfährt: "Im Gambeson und Kettenhemd? Das wird meiner Schwester nicht gefallen." 35 Seiten später sagte Ludwig zu Friedrich: "Sie (also Friedrichs Schwester) würde deutliche Einwände erheben, wenn ich mich in Kettenhemd und Gambeson zu ihr legte."
Auf Seite 494 über Heinrichs Frau Clementia: "Bald darauf war sie wieder schwanger geworden. Und noch ein drittes Mal. Zwei Töchter. Kein Sohn mehr." - Eine halbe Seite später: "Zumal Clementia keinen Jungen mehr gebar."
Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele und zumindest mich stören solche ständigen Wiederholungen beim Lesen sehr und ich frage mich auch, wie diese zustandekommen.

Ein kleinerer Kritikpunkt, der leider aber auch mit jedem Band etwas anstrengender wird, ist die etwas pubertierende Denkweise der meisten Charaktere. Immer wieder erfahren wir, daß die Männer auf Gespielinnen zurückgreifen, alle scheinen bei Ehen ausschließlich ans Bett zu denken, wir erfahren auch, daß Friedrich beim Anblick seiner neuen Ehefrau ständig, auch in wichtigsten politischen Augenblicken, von Begehren erfasst wird. Das ist schön für ihn, aber für uns nicht wirklich relevant, jedenfalls nicht in der Häufung.

So hab ich einerseits die Geschehnisse um Friedrich "Barbarossa" mit Vergnügen gelesen, fand den Handlungsstrang um den gestürzten dänischen König ausgesprochen spannend, da ich davon noch gar nichts wusste und erfreute mich auch im dritten Band daran, wie Geschichte lebendig wurde. Andererseits aber gab es einfach zu viele Wiederholungen und zu viele Szenen, die ich nicht interessant fand. Der vierte Band ist ein gutes Stück dünner. Ich hoffe sehr darauf, daß er sich wieder auf die Stärken der Reihe konzentriert und weniger überfrachtet daherkommt.

Lobend zu erwähnen ist auch hier wieder die gute Ausstattung mit Karten und Stammbäumen, sowie die schlicht-elegante Einbandgestaltung, die den gebundenen Ausgaben dieser Serie eigen ist und mir wesentlich besser gefällt, als die leicht angekitschten Taschenbuchtitelbilder.

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Veröffentlicht am 28.11.2019

Ungewöhnliche Reise durch Nürnbergs Geschichte

Dürer und die Fratze des Teufels
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"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten ...

"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten mit - bis auf einen Fall - fiktiven Verbrechen verbunden. Da der Hauptteil der Geschichten im 15. Jahrhundert liegt, begegnen uns einige Personen mehrfach, auch Orte oder Bauwerke kommen immer wieder vor, was uns auf angenehme Weise in dieses Nürnberg eintauchen läßt. Stadt und Leute werden einem durch das Buch hindurch immer vertrauter.

Das Titelbild ist gut gelungen, es zeigt im Hintergrund die Frauenkirche am Hauptmarkt - der Hauptmarkt ist einer der Orte, die uns im Buch immer wieder begegnen. Davor dann Dürer; farbig, aber von den Farbtönen her zum Hintergrund passend, so daß es harmoniert. Kleine Zeichen wie ein Blutsfleck oder Kratzer in einer Türe zeigen das Kriminalfallmotiv gut an. Die Schrift ist ebenfalls sehr ansprechend und paßt zum Thema und der im Buch behandelten Zeit.

Jeder Geschichte ist eine Kurzbiographie der historischen Person nachgestellt, die hier der Fokus ist. Das ist eine gute Kombination, manchmal ist auch die Inspiration für die Geschichte in dieser Kurzbiographie erwähnt. Ein wenig irritiert war ich, daß die Kurzbiographie Albrecht Dürers und die Kurzbiographie Agnes' Dürers sich widersprechende Aussagen enthalten. Manche der Biographien sind arg knapp geraten, aber überwiegend sind sie informativ und reichern die Fiktion der Geschichten mit Fakten an. Ich habe hier einiges gelernt.

Die Geschichten sind von der Qualität unterschiedlich und im Gesamten war ich doch ein wenig enttäuscht, wie viele Geschichten für meinen Geschmack stilistisch und/oder inhaltlich zu wünschen übrig ließen - es waren einige dabei, die ich nur mit 2 Sternen bewertet hätte. Hier war es oft so, daß die Dialoge gestelzt und unnatürlich wirkten oder Hintergrundfakten ungeschickt eingebaut wurden. Zwei Geschichten haben für mich inhaltlich keinen Sinn ergeben und in einer - eigentlich recht guten - Geschichte ist ein dicker Logikfehler. Ein Thema wurde gleich in zwei Geschichten verwendet, die teilweise inhaltlich fast gleich sind.
Dem stehen aber auch einige ausgezeichnete Geschichten gegenüber, die sich angenehm lesen, unerwartete Wendungen bieten, historische Fakten elegant einflechten und uns Interessantes über Bauwerke oder Wahrzeichen vermitteln. Hier stachen für mich besonders "Der Nachtgiger", "Die Entführung der Reichskrone" und "Feuerzungen" heraus. Eine erfrischend originelle Idee macht "Ein feiger Anschlag" ebenfalls zu einer flotten Lesefreude. Insgesamt sind die 20 Geschichten also ein sehr durchwachsenes Vergnügen, was ich schade finde. Der Logikfehler, die widersprüchlichen Informationen und so manch gestelzter Dialog hätte vermieden werden können. Wenn ich jeder Geschichte eine Einzelsternebewertung gebe und daraus den Durchschnitt ziehe, ergeben sich 3,3 Sterne.

Da die Idee gut ist, die Gestaltung ansprechend und ich viel gelernt habe, vergebe ich 3,5 Sterne.