Profilbild von Viv29

Viv29

Lesejury Star
offline

Viv29 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Viv29 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.12.2023

Gut recherchierte, aber oft langatmig erzählte Geschichte

Das Geheimnis der Mona Lisa
1

Beate Rygiert thematisiert in ihrem Roman eine zwar nicht bewiesene, aber – wie sie im Nachwort darlegt – auf fundierten Annahmen begründete Theorie über die Geschichte des Gemäldes, das seit Jahrhunderten ...

Beate Rygiert thematisiert in ihrem Roman eine zwar nicht bewiesene, aber – wie sie im Nachwort darlegt – auf fundierten Annahmen begründete Theorie über die Geschichte des Gemäldes, das seit Jahrhunderten die Fantasie der Menschen beschäftigt. Sie erzählt diese Geschichte aus zwei Blickwinkeln, einmal aus dem Mon(n)a Lisas und einmal aus dem Leonardo da Vincis, und webt sie in die dramatische Historie um die Medici und ihre Epoche ein.

Das Titelbild kann gar nicht genug gelobt werden. Es hebt sich herrlich reduziert und stilvoll von dem unerträglich einfallslosen Einerlei der lieblosen „Frau-vor-Gebäude“-Titelbilder historischer Romane ab. Hier paßt alles – Farben, Schrift, Motive. Eine wahre Freude.

Der Roman beginnt in einem ausgezeichneten Erzähltempo mit dramatischen Ereignissen, welche die Leser gleich mitten in die Handlung ziehen und uns Lisa in der ganzen Dramatik ihres Schicksals präsentieren. Die Kapitel, in denen es um Lisa geht, halten dieses Erzähltempo größtenteils und können mit abwechslungsreichen Geschehnissen und einigen überraschenden Entwicklungen aufwarten. Die Sprache in den Dialogen war mir manchmal zu modern und riss mich aus dem Gefühl jener Zeit – hier hätten schon ein paar kleine Wortveränderungen eine Menge bewirkt, ohne die Sprache gekünstelt altertümlich wirken zu lassen.

Die Kapitel, die sich mit Leonardo befassen, sind wesentlich geruhsamer und haben wenig Handlung. Schon am Anfang werden die Leser hier mit Fakten überschüttet, so rasch und sachbuchartig, dass man sie gar nicht alle verarbeiten kann – viele davon sind interessant, gehen aber in der schieren Fülle unter. Wir lernen Leonardo als Mensch zwar ein wenig kennen, hauptsächlich aber ist er Stichwortgeber für Hintergrundinformationen, auch handeln sehr ausführliche Passagen davon, wie er zu diesem und jenem seiner Werke inspiriert wurde oder wie er bei seiner Arbeit vorging. Das ist an sich passend, aber in einer solchen Ausführlichkeit und Faktenlastigkeit bremst es die Romanhandlung aus und entfernt sich zudem von der eigentlichen Geschichte – bevor es wirklich um das Gemälde geht, ist schon mehr als die Hälfte des Romans vorbei. In einer Romanbiographie wäre solche Detailfreude angemessen gewesen, hier überlagert es die Romanhandlung und ist oft so langatmig, dass ich manchmal zum Abbruch des Buches neigte.

Die historische Recherche ist ausgezeichnet, zeugt von Hingabe, nur die Einbindung in die Geschichte fand ich manchmal nicht gelungen. Wiederholt wird Dialog-Infodumping betrieben, an einer Stelle hält Leonardo einen fast eine Seite langen Monolog, in dem er seinem Gegenüber diesem bekannte Fakten mitteilt und ihm weitere Fakten in der Art eines Kunstbucheintrags herunterrasselt. An einer anderen Stelle wird von Lisas Ehemann auf Leonardos Satz, ihr Kleid für das Gemälde solle so schlicht wie möglich sein, allerlei Modegeschichtliches heruntergebetet, was gleich aus mehreren Gründen nicht in den Dialog paßt und ein plumpes Einschieben von Fakten um ihrer selbst darstellt. Solche Passagen gab es öfter, dem stehen aber viele Stellen gegenüber, an welchen sich die Fakten gekonnt und elegant in die Geschichte einfügen.

Nachdem mich die erste Hälfte des Buches nur wenig überzeugte, konzentriert sich die zweite Hälfte mehr auf die eigentliche Handlung und überzeugt auch erzählerisch mehr. Einige Szenen haben mich gebannt lesen lassen und sowohl Lisa als auch ihr Ehemann entwickeln sich als Charaktere weiter und zeigen den Lesern interessante Facetten – ansonsten fand ich viele Charaktere leider eher blass und in einem Fall nicht ganz nachvollziehbar. Hier wird nun Lisas Leben ausgezeichnet mit den historischen Entwicklungen zusammengeführt, die Szenen sind wieder so lebendig wie am Anfang, man sieht die Bilder vor sich. Die Hintergründe und Umstände der Gemäldeentstehung sind nachvollziehbar geschildert. Das Ende hat eine für mich zu zuckrige Komponente, ist ansonsten aber ebenfalls nachvollziehbar und erfreulich realistisch.

Insgesamt ist die Idee hervorragend, hat die Geschichte viel Ungewöhnliches und Mitreißendes. Auch wenn der Schreibstil aus mehreren Gründen nicht ganz meinen Geschmack traf, habe ich gerade in Lisas Abschnitten viele farbig geschilderte Szenen erfreut gelesen und zudem durch das Buch viel Neues gelernt. Wenn das Erzähltempo etwas lebendiger, die faktenlastigen Passagen wesentlich kürzer gewesen wären und sich auf für die Geschichte Relevantes beschränkt hätten, hätte ich das Buch genossen. Wer eine geruhsamere Erzählweise schätzt und über da Vincis Arbeit und Denken Ausführliches erfahren möchte, wird hier einen guten Griff tun.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.12.2023

Spannendes Thema, zu selbstverliebt und abschweifend erzählt

Die Spurenleserin
0

Dieses Buch war schon beim ersten Anblick eine Freude – es ist voller Sorgfalt gestaltet und wirkt durch die Klappenbroschur, die farbliche Absetzung der Kapitelüberschriften und die visuellen Komponenten ...

Dieses Buch war schon beim ersten Anblick eine Freude – es ist voller Sorgfalt gestaltet und wirkt durch die Klappenbroschur, die farbliche Absetzung der Kapitelüberschriften und die visuellen Komponenten ansprechend und hochwertig. Das kleine Bild einer Fliege unterteilt die Kapitelabschnitte – ein botanisches Motiv hätte noch besser gepaßt, aber auch so ist es ein gutes Gestaltungselement.

Auch thematisch besteht hier eine Menge Potential und natürlich macht der Untertitel „Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin“ äußerst neugierig. Allerdings überzeugte der Inhalt mich weitaus weniger als die Gestaltung. Das liegt keineswegs an den gegebenen Informationen – Wiltshire weiß viel Interessantes zu berichten und führt die Leser auf vielfältige Weise in die Welt der Pflanzen, Pilze und Verwesung ein. In der ersten Hälfte ist mir das oft noch zu kompliziert naturwissenschaftlich dargelegt – hier scheint die Autorin zu vergessen, daß sie sich an Laien wendet, denn manche Abschnitte lasen sich wie ein Vorlesungsskript. Im zweiten Teil dagegen sind die Informationen unterhaltsamer dargebracht, bleiben beim Wesentlichen und Praktischen, ohne sich zu sehr in biologisch-chemischen Vorgängen zu verlieren. Die Themenvielfalt war erfreulich, sowohl als Blick in die Pflanzen- und Pilzwelt an sich wie auch im Hinblick auf die forensischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.

Leider werden in dem Buch weitaus weniger Fälle geschildert, als man annehmen könnte. Hier ist der Originalbuchtitel („The Memoir of a Forensic Scientist“) weniger irreführend als der deutsche Titel, denn die Autorin widmet gleich mehrere Kapitel ihrer Kindheit und ihrem Werdegang. Warum ihre persönliche Geschichte in diesem Buch so viel Raum findet, ist nicht erklärlich, denn sie ist keineswegs außergewöhnlich, hat mit der Forensik-Thematik nichts zu tun und liest sich in dieser hingebungsvollen Ausführlichkeit äußerst langweilig. Ich habe noch nie erlebt, daß sich jemand in einem Sachbuch mit seiner persönlichen Geschichte derart ausführlich in den Vordergrund drängt und damit dem eigentlichen Thema etwa ein Drittel des Raumes wegnimmt. Diese Abschnitte haben das Buch für mich sehr geschwächt – es wird wohl den meisten Lesern so wie mir gehen, daß sie hier etwas über die forensische Arbeit und dadurch gelöste Fälle lesen wollen.

Diese Abschnitte sind symptomatisch für den sonstigen Schreibstil der Autorin, die durchweg selbstverliebt wirkt. Sie betont gerne und häufig, wie brillant sie und wie ungemein wichtig ihre Arbeit ist. Ebenso gerne webt sie herabsetzende Bemerkungen über andere ein, was ausgesprochen unangenehm zu lesen war. In einer Fallschilderung regt sie sich auf drei Seiten gleich viermal über die angeblich „hämische“ Art eines Polizeigaragenmitarbeiters auf, was geradezu kindisch wirkte.

Auch schiebt sie sich immer wieder in den Vordergrund. In Fallschilderungen erfahren wir dauernd, daß die Autorin fror, Rückenschmerzen oder Hunger hatte, welche Musik sie auf der Fahrt hörte, was sie zum Abendessen aß, etc. etc. Inmitten einer Fallschilderung beginnt sie plötzlich mit Erinnerungen an ihren Großvater. Hier und da ein kleines persönliches Detail kann eine Fallschilderung weniger steril machen, aber in dieser Häufung war es enervierend und ich habe mir oft gewünscht, Wiltshire hätte sich weniger ihren Befindlichkeiten und mehr dem jeweiligen Fall gewidmet. Auch ihre Meinung zu allerlei Themen drückt sie uns häufig und ausführlich auf.

Diese Selbstverliebtheit beeinträchtigte das Lesevergnügen ebenso wie die zahlreichen unnötigen Details (so wird an einer Stelle eine Seite lang die Kleidung und das Aussehen irgendeiner Frau beschrieben, die eine Haustüre öffnete, nie wieder erwähnt wird und komplett unwichtig für den Fall ist). Immer wieder mäandern die Fallerzählungen in alle möglichen Richtungen und auch zahlreiche Wiederholungen enervieren beim Lesen. Es werden so viele Dinge (wie z.B. Ötzis Pfeilspitze) mehrfach geschildert, daß ich mich beim Lesen fragte, warum beim englischen Verlag kein Lektorat eingegriffen hat. Wenn man die ausführlichen Werdegangserzählungen, die Wiederholungen und irrelevanten Abschweifungen herausnimmt, bleibt nur noch etwa die Hälfte des Buches, die informativ und lesenswert ist.

Die geschilderten Fälle und Ermittlungen an sich sind nämlich interessant und vielfältig. Sehr schön ist es, wie hier verschiedene Bereiche der biologischen Forensik beleuchtet und dadurch die allgemeinen Informationen an praktischen Beispielen veranschaulicht werden. Auch manche Hintergrundinformationen wie die Body Farm, die Polizeiarbeit in Albanien oder das größte Myzel der Welt reichern die Fallschilderungen und allgemeinen Informationen gelungen an. Wenn es um dieses eigentliche Thema geht, habe ich gebannt gelesen und die Lektüre genossen. Genau deshalb wäre es schön gewesen, wenn die Autorin sich weniger sich selbst und mehr der Darstellung ihrer Fälle gewidmet hätte. Dann wäre das hier ein 5-Sterne-Buch geworden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 03.10.2023

Von der Idee her ausgezeichnet

Dreieinhalb Stunden
0

Der Gedanke des Buches gefiel mir ausgezeichnet, die Geschichte stellte die Protagonisten vor Entscheidungen, die sicher jeder Leser nachempfinden kann und bei denen sicher auch fast jeder überlegt: "Was ...

Der Gedanke des Buches gefiel mir ausgezeichnet, die Geschichte stellte die Protagonisten vor Entscheidungen, die sicher jeder Leser nachempfinden kann und bei denen sicher auch fast jeder überlegt: "Was würde ich tun?"

Wir begleiten diverse Personen auf der Fahrt des Interzonenzugs von München nach Berlin, und während dieser Fahrt sickert nun durch, daß in Berlin gerade die Mauer gebaut wird und man somit gerade die letzte Chance hat, der menschenverachtenden SED-Diktatur zu entfliehen. Die Entscheidung wird somit sehr plötzlich akut, es bleiben nur wenige Stunden bis zur Erreichung der Grenze. In wenigen Stunden über das ganze künftige Leben zu entscheiden - bei einem Verbleib im Westen so viel zurückzulassen, das setzt die Protagonisten unter erheblichen Druck.

Gelungen ist, daß hier sehr verschiedene Menschen unterwegs sind, die sich sowohl von ihrem Alter als auch von ihrer Vergangenheit und jetzigen Position unterscheiden. Jemand, der einen guten, regierungsnahen Posten in der DDR hat und bereits in einem regimetreuen Elternhaus aufwuchs, geht das Thema natürlich anders an als jemand, der nicht ganz in der Bild des angepaßten, gehorsamen DDR-Bürgers paßt und deshalb bereits Nachteile erlitten hat, oder jemand, dem dort seine berufliche Zukunft genommen wurde.

All diese Geschichten und Überlegungen lernen wir nun also kennen. Man merkt dem Buch m.E. an, daß es aus einem Drehbuch hervorgegangen ist. Die Szenenwechsel sind schnell, die einzelnen Szenen oft etwas oberflächlich, der Schreibstil eher einfach. Es liest sich leicht und nett weg, mehr aber auch nicht.

Für mich war ein großes Manko, daß es letztlich wenig Handlung gab und versucht wurde, die Geschichte langzuziehen. Vielleicht klappt das bei einem Film besser, aber im Buch war sehr viel Füllmaterial. So haben wir hier den Handlungsstrang zweier Polizisten, die für sehr viele blasse Füllszenen sorgen, in denen sie mehr oder weniger dasselbe oder eben gar nichts tun. Die Handlungsstrang wechselt zum Ende die Perspektive zu zwei anderen Charakteren, die mir aber viel zu blass geblieben sind, da der Fokus ihres Handlungsstrangs bei den beiden Polizisten lag. Dieser Handlungsstrang, der Potential gehabt hätte, wirkte dadurch unentschlossen und, wie gesagt, wie Füllmaterial. Wir lernen auch die Lokführerin kennen, welche aus dem Osten zur Grenze fährt, um den Zug nach der Grenze nach Berlin zu fahren. Sie wird von einem Jounalisten begleitet, der über ihre Arbeit berichten soll, und das Geplänkel und Geplauder der beiden zieht sich unendlich und trägt sehr wenig zur Geschichte bei, auch hier wirkt vieles wie Füllmaterial.

Im Zug geschieht auch recht wenig. Immer wieder wird betont, wie wenig Zeit noch bleibt, immer wieder kreisen die Gedanken der Protagonisten um dieselben Themen und alle von ihnen blicken plötzlich in ihre Vergangenheit zurück. Das ist teilweise interessant, weil wir so mehr über die Charaktere erfahren, aber auch hier ist vieles ausgewalzt, vieles unnötig und es ist auch etwas seltsam, daß diese Zugfahrt plötzlich bei mehreren Kriegserinnerungen freisetzt. Es wirkt alles etwas konstruiert. Vieles andere bleibt dagegen oberflächlich und viele wiederholt sich.

Es gibt berührende Momente und es wird gut dargebracht, wie grausam die gewaltsame Teilung Deutschlands und das Einsperren der Menschen in der DDR war, wie viel Leid es verursachte. Auch die Proteste in Berlin werden geschildert - ein wenig blass, da wir alles nur durch einen Polizisten in seinem Büro mitbekommen und nicht durch das tatsächliche Geschehen.

Letztlich überraschte mich keine der Entscheidungen. Jeder agierte so, wie es zuvor aufgrund Position, Alter, Lebenssituation zu vermuten gewesen wäre. Hier und da wurde zwar versucht, durch einige Wendungen oder Warten bis zur letzten Minute etwas Spannung zu erzeugen, und das gelang auch manchmal, aber letztlich merkt man dem Buch einfach an, daß es auf einem Fernsehfilm basidert, der unterhaltsam und gut verdaulich sein soll. Die Kniffe, die bei Drehbüchern funktionieren, lassen sich nicht auf Bücher übertragen. Man hätte diese Geschichte als Buch wesentlich besser, berührender und weniger auf Effekt gequält erzählen können. Als unterhaltsame Lektüre, die durchaus zwischendurch zum Nachdenken anregt, reicht es aber allemal.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.03.2023

Originelle Idee mit Potential, aber mangelnder Plausibilität

Stranded - Die Insel
0

„Die Insel“ beginnt denkbar vielversprechend damit, daß die Ich-Erzählerin Maddy Teilnehmerin einer Fernsehshow ist, für welche acht Leute ein Jahr allein auf sich gestellt auf einer Insel zurechtkommen ...

„Die Insel“ beginnt denkbar vielversprechend damit, daß die Ich-Erzählerin Maddy Teilnehmerin einer Fernsehshow ist, für welche acht Leute ein Jahr allein auf sich gestellt auf einer Insel zurechtkommen müssen. Ich habe vor Jahren einen Krimi mit ähnlicher Prämisse gelesen und war dort von der tollen psychologischen Zeichnung der Teilnehmer begeistert. Ähnliche Erwartungen hatte ich an dieses Buch. Diese wurden aber leider nicht erfüllt. Die Charaktere bleiben farblos, zwei von ihnen konnte ich bis zum Ende nicht auseinanderhalten. Hier wird kaum psychologisch gezeichnet und das ist besonders deshalb bedauerlich, weil die Entwicklung der Geschichte auf einer Gruppendynamik beruht, die angesichts der blassen Charaktere kaum nachzuvollziehen ist und somit die Geschichte nicht glaubhaft tragen kann. Die Grundidee, die an „Herr der Fliegen“ erinnert, ist vielversprechend, die Umsetzung dagegen schwach.

Eine Ich-Erzählerin zu nehmen, ist ein guter Schachzug, denn wir sehen alles durch Maddys Augen, wissen dadurch vieles anfänglich nicht, außerdem macht Maddy genügend Andeutungen, die auf ihre Prägung durch einen schwierigen Hintergrund verweisen. Zunehmend stellt sich die Frage, wie verlässlich Maddys Sicht ist. Das liegt hauptsächlich daran, daß das Geschehen schnell extrem und unglaubwürdig wird. Beim Lesen gesellt sich eine Frage zur anderen, ein „Das kann ja eigentlich nicht sein“ zu einem „Auf die Erklärung dafür bin ich mal gespannt.“ Das ging mir nicht allein so; da ich dieses Buch in einer Leserunde las, weiß ich, daß viele Mitleser sich über Dinge wunderten, die keinen Sinn ergaben. Manches davon wird – oft unzureichend oder nicht nachvollziehbar – erklärt, anderes bleibt offen und so mußte ich feststellen, daß die Autorin ihre Geschichte oft unter Missachtung der Plausibilität entwickelt hat. Wenn man die unlogischen Punkte auflisten würde, käme eine ziemliche Liste zusammen. Das war für mich eine große Enttäuschung und beim Ende fühlte ich mich als Leser nicht ernst genommen. Die Auflösung vieler Fragen geschah am Ende zudem hastig und lieblos, außerdem übertrieben.

Positiv zu vermerken ist, daß es im Buch viele überraschende Wendungen und originelle Ideen gibt und es sich leicht und größtenteils ohne Längen liest. Die vorhandenen Längen entstehen hauptsächlich durch detaillierte Beschreibungen von Tagesabläufen und Überlebensmaßnahmen. Dies ist natürlich für die Geschichte wichtig, allerdings nicht in solcher (sich zudem wiederholender) Detailfreude. Teilweise hatte ich das Gefühl, ein Survival-Handbuch zu lesen. Wäre diese Akribie in die Charakterzeichnung gesteckt worden, hätte die Geschichte sicher sehr gewonnen. Der Schreibstil ist einfach, für meinen Geschmack etwas zu schlicht, auch die zahlreichen Wiederholungen waren manchmal ärgerlich (Beispiel: S. 260: „… außerdem konnte ich jedes Mal nur wenig Gepäck mitnehmen.“ / S. 261: „Da ich mich leise fortbewegen musste, konnte ich nicht allzu viel Gepäck mitnehmen“). Für einen Thriller zwischendurch ist der Schreibstil aber ausreichend.

Wer sich an zahlreichen Logiklöchern nicht stört, kann mit dem Buch unterhaltsame Lesestunden verbringen. Mir haben die o.g. Punkte das Lesevergnügen allerdings doch ziemlich beeinträchtigt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.03.2023

Hier fehlte die Konzentration auf die Geschichte

Die leise Last der Dinge
0

Das Buch hat mich anfänglich begeistert. Der Teenager Benny verliert seinen Vater, lebt nun allein mit seiner Mutter Annabelle und diese beiden müssen versuchen, mit diesem Verlust und mit allerlei Lebenswidrigkeiten ...

Das Buch hat mich anfänglich begeistert. Der Teenager Benny verliert seinen Vater, lebt nun allein mit seiner Mutter Annabelle und diese beiden müssen versuchen, mit diesem Verlust und mit allerlei Lebenswidrigkeiten zurechtzukommen. Das ist von der Thematik her interessant und wird anfänglich hinreißend erzählt, trotz des für meinen Geschmack zu schlichten Schreibstils. Es gibt direkt zu Beginn einige Skurrilitäten, mit denen ich nicht viel anfangen konnte, so kommuniziert das Buch selbst sowohl mit dem Leser wie auch mit Benny, dessen Geschichte es erzählt, auch ist die Geschichte des verstorbenen Vaters etwas bemüht unkonventionell. Aber dies stört nicht weiter und kann als originelle Note etwas beitragen.
Die Beziehung zwischen Benny und seiner Mutter ist ausgezeichnet geschildert und sehr nachvollziehbar. Annabelle, die nicht nur ein Messie ist, sondern allgemein so verloren und naiv wie ein kleines Kind wirkt, bemüht sich anrührend, sich um ihren Sohn zu kümmern. Sie scheitert immer wieder an sich selbst und so haben ihre Interaktionen mit Benny etwas berührend Schmerzhaftes. Auch Benny, der in diesem Umfeld viel zu früh erwachsen agieren muß, zwischen Mitgefühl für und Zorn über seine Mutter schwankt, ist ausgezeichnet dargestellt. Die Szenen zwischen den beiden sind die besten des Buches, haben so viel Echtes. Bennys inneres Leid vermittelte sich beim Lesen intensiv. Ich habe geradezu mit ihm mitgefiebert und ihm die Daumen gedrückt.
In der zweiten Hälfte aber nimmt das Buch leider eine wenig erfreuliche Wendung. Die Autorin ist Zen-Priesterin und letztlich ist die Zen-Philosophie das Thema des Buches. Das lässt sich anfänglich noch gut an – überlagert die Geschichte nicht zu sehr und bringt eine interessante Note hinein, auch wenn ich diese nicht gebraucht hätte. Dann aber wird es für meinen Geschmack viel zu abgedreht. Benny lernt mehrere obskure Leute kennen und verbringt viel Zeit damit, sich von ihnen allerlei gewollt Philosophisches erzählen zu lassen. Es sind uninteressante, sich wiederholende Unterhaltungen, teilweise mit skurrilen Nicht-Inhalten, teilweise mit platten Allgemeinplätzen („Nicht du bist verrückt, die Welt ist verrückt“, „Böser Kapitalismus“), die als tiefgehende Einsichten verkauft werden. Immer, wenn eine solche Begegnung anfing, fiel das Lesevergnügen auf den Nullpunkt und da diese Begegnungen sich wiederholten, wurde das Buch immer weniger lesenswert.
Gleichzeitig damit entdeckt Annabelle durch einen Ratgeber die Zen-Philosophie und das führt zu den nächsten Tiefpunkten der Lektüre. Handbuchartig bekommen wir so allerlei Zen-Lehren vorgesetzt. Auch „das Buch“ nutzt seine Kommunikation mit uns Lesern dazu, uns reichlich Theorie vorzubeten und dies natürlich nicht als Theorie, sondern als absolute Wahrheit. In völlig unnötigen Szenen reisen wir dann auch immer wieder zu der Autorin des o.e. Zen-Ratgebers und erfahren dort: nichts, langatmig erzählt. So wird die anfänglich so interessante Geschichte zu einer Zen-Werbeveranstaltung. Dies ist an sich schon ärgerlich, aber hinzu kommt, dass dieser Zen-Aspekt zur Geschichte eigentlich nichts beiträgt, sie sogar eher schwächt. Annabelles und Bennys Geschichte hätte ohne diese skurrilen Ausflüge viel besser funktioniert. Nachdem die zweiten Hälfte des Buches also größtenteils in abgedrehten oder handbuchartigen Passagen versinkt und sich bemüht, möglichst ungewöhnlich zu sein, wird dann am Ende blitzschnell ein Happy End draufgeklatscht. Alle notwendigen Erkenntnisse geschehen ganz plötzlich, alle notwendigen Behörden spielen sofort mit, alles Unheil wird plötzlich abgewendet. Nachdem es zuvor so gemächlich ging, wirkt das lieblos, zudem unglaubwürdig. Die etwa zweihundert Seiten mit überflüssigen Szenen hätten herrlich genutzt werden können, Annabelles und Bennys inneren Weg aufzuzeigen und das Ende der Geschichte glaubhaft und nachvollziehbar einzuleiten. Hier wurde eine Möglichkeit in zu viel Unnötigem ertränkt. Schade, denn die erste Hälfte war großartig.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere