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Veröffentlicht am 24.03.2020

Wie definiert man „Gerechtigkeit“?

Gerecht ist nur der Tod
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Der prominente Kölner Unternehmer Hajo Reimer wird auf dem Weg zum Traualtar erschossen. Für Kriminalhauptkommissar Schellenberg und sein Team beginnt eine Mordermittlung vor den Augen der Öffentlichkeit, ...

Der prominente Kölner Unternehmer Hajo Reimer wird auf dem Weg zum Traualtar erschossen. Für Kriminalhauptkommissar Schellenberg und sein Team beginnt eine Mordermittlung vor den Augen der Öffentlichkeit, beobachtet von der örtlichen Presse. Begleitet werden die Polizisten diesmal von der Psychologin und Journalistin Ina Reich, welche im Auftrag des Polizeipräsidenten die psychische Resilienz der Ermittler im Laufe des Falls analysieren soll – nicht zur Freude von Kommissarin Sibel Bulut. Diese misstraut Ina von der ersten Minute an und versucht, ihr das Leben schwer zu machen. Doch Ina selbst ist eine Meisterin im Verheimlichen, trägt sie doch seit längerem ein Geheimnis mit sich, das sie nicht preisgeben möchte. Doch für einen Kleinkrieg zwischen den beiden Frauen bleibt keine Zeit, denn bald schon gibt es den nächsten Toten inklusive dem Hinweis, dass noch weitere folgen werden.

„Gerecht ist nur der Tod“ von Judith Bergmann ist aus Ich-Perspektive der Journalistin und Psychologin Ina Reich erzählt, welche ihre Umgebung sehr detailliert beobachtet. Ina selbst als Person ist schwer zu fassen, sie versucht krampfhaft professionell zu bleiben und ihre Emotionen zu unterdrücken. Schnell wirkt sie auf den Leser innerlich zerrissen, da sie ein Geheimnis birgt, welches sich erst nach und nach enthüllt. Sie ist somit ein „unzuverlässiger Erzähler“, welcher Dinge verschweigt und dem Leser nicht vollen Einblick in seine Gedanken- und Handlungswelt gewährt.

Gut gefallen haben mir die sehr unterschiedlich konstruierten Figuren, auch wenn sich wenig Sympathieträger unter ihnen befinden. Jede verfügt über ihren eigenen, individuellen Charakter mit verschiedenen facettenreichen Stärken und Schwächen. Des Weiteren ergibt sich in unterschiedlichen Situationen eine faszinierende Dynamik zwischen einzelnen Figuren, welche sie überraschend handeln lassen.

Judith Bergmanns Schreibstil ist angenehm und sehr detailliert, die Handlung geht schnell voran ohne gehetzt zu wirken und lässt sich somit flüssig lesen. Die Kapitel sind nach Tagen und Uhrzeiten eingeteilt, so dass der Leser gut und engmaschig nachvollziehen kann, was wann geschieht. Interessant finde ich auch, dass der Fokus des Buches mehr auf Ina Reich als auf dem Mordfall an sich liegt. Diese faszinierende Perspektive die des eher Außenstehenden findet man nicht oft in Büchern.

Fasziniert hat mich der psychologisch raffinierte Aufbau des Buches. Die Geschichte macht neugierig, da sie zunächst schwer zu fassen ist, bis sich am Ende alles zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügt. Dementsprechend überrascht war ich von der Auflösung des Falles, da sich gerade zum Showdown hin noch einige unvorhersehbare Wendungen ereignet haben. Das übergeordnete Thema ist die Frage danach, was Individuen unter „Gerechtigkeit“ empfinden. Hierzu passend das Zitat aus dem Klappentext, das meiner Meinung nach das Buch ideal zusammenfasst: „Der gerechte Tod des einen war der Tod der Gerechtigkeit für andere“.

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Veröffentlicht am 24.03.2020

Game On für zwei starke Protagonisten und eine liebenswerte Chaos-WG

Feeling Close to You
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Teagan hat es nicht einfach. In der Highschool ist sie eine Außenseiterin und fühlt sich nirgends zugehörig. Ihre Mutter hat sie vor einigen Jahren ohne ein Wort zu sagen verlassen, ihr Vater vergräbt ...

Teagan hat es nicht einfach. In der Highschool ist sie eine Außenseiterin und fühlt sich nirgends zugehörig. Ihre Mutter hat sie vor einigen Jahren ohne ein Wort zu sagen verlassen, ihr Vater vergräbt sich in seine Arbeit und findet kaum Zeit für die Tochter. Nur in der Welt der Online-Games fühlt sich Teagan verstanden und verbringt jede Nacht zockend vor ihrem Livestream, dem zunehmend mehr Menschen folgen. Eines Abends besiegt sie mehrfach einen der bekanntesten YouTube-Stars in einem Spiel – und zieht somit sein Interesse auf sich. Parker ist wahnsinnig neugierig, wer ihn so gedemütigt hat und nimmt Kontakt zu Teagan auf. Die beiden chatten und spielen immer regelmäßiger, es knistert gewaltig und spätestens nach dem ersten Treffen im „real life“ lässt sich nicht mehr bestreiten, dass die beiden Gefühle füreinander entwickelt haben. Doch jeder hat gute Gründe dafür, warum eine Beziehung gerade so überhaupt nicht in das eigene Leben passt. Heißt es für die beiden eher „Game over“ oder „…to be continued“?!

„Feeling close to you“ von Bianca Iosivoni hat mich in eine bis dato unbekannte Welt entführt: Die Welt des Gamings und Streamings von Online-Spielen. Hier wurde ein absolut modernes und angesagtes Thema aufgegriffen, dass eher selten in Büchern thematisiert wird. Als Laie habe ich mir zu Anfang etwas schwer mit dieser Gaming-Welt getan und habe ich etwas gebraucht, um mich auf sie einzulassen – was sich aber absolut gelohnt hat! Durch anschauliche, realitätsnahe Beschreibungen kann ich die Begeisterung vieler junger Menschen für Online-Games nun besser nachvollziehen und habe das Gefühl, Zugang zu einer mir bisher unbekannten Welt bekommen zu haben – und das ist spannend und bereichernd gleichermaßen.

Am meisten begeistert haben mich an Bianca Iosivonis Buch ihre wahnsinnig liebevoll und durch und durch authentisch konstruierten Charaktere! Toll, dass mit Teagan eine so ungewöhnliche Frauenfigur als Protagonistin geschaffen wurde: Sie ist nicht nur Gamerin, sondern in ihrer Art auch taff, frech, selbstbewusst und unerschrocken. Auch gefällt mir ihr zynisch-sarkastischer Humor und dass sie offen ihre Meinung äußert und sich nicht scheut, Contra zu geben. Demgegenüber steht der liebenswerte Parker, der trotz seiner Follower-Zahlen komplett auf dem Boden geblieben ist, empathisch auf seine Umwelt eingeht und sich selbstlos um seine Familie kümmert. Die beiden nähern sich langsam und vorsichtig-neckend an, ohne dass es kitschig oder aufgesetzt wirkt. Die Emotionen und das Knistern zwischen beiden sind deutlich spürbar und übertragen sich automatisch auf den Leser.

Besonders sind aber nicht nur diese beiden starken und sympathischen Hauptcharaktere, sondern die Vielzahl an Nebendarstellern, die in ihrer jeweiligen Individualität so gut getroffen wurden, dass der Leser sie einfach nur ins Herz schließen muss! Bianca Iosivoni hat eine Wohngemeinschaft in Florida geschaffen, in die man sofort einziehen möchte und in der man sich als Leser zu jeder einzelnen Person ein eigenes Buch wünscht. Ich habe so häufig herzlich losgelacht wie selten beim Lesen. Ganz große Klasse!

Der Schreibstil Bianca Iosivonis ist flüssig und gut zu lesen. Ich liebe den sarkastischen Humor des Buches, es ist kurzweilig und macht einfach nur Spaß! Sehr passend ist die Bezeichnung der einzelnen Kapitel als „Level“, des Epilogs als „Bonuslevel“ – so bleibt das Gaming-Thema durchgängig präsent. Ebenfalls gefielen mir die eingebauten Stilelemente moderner Kommunikation: Zwischen Parker und Teagan werden jede Menge Chats, SMS und Nachrichten hin und her geschickt, aufgelockert durch jeweils passende Emojis. daumenhoch

Erst im letzten Drittel des Buches verliert sich die Leichtigkeit des anfänglichen Annäherns der Protagonisten ein wenig. Gerade das Ende kommt sehr schnell und wirkt überstürzt. Hier hätte ich mir etwas mehr Hintergrundinformationen und noch ein ganzes Stück Story gewünscht. Des Weiteren sind mir einige Erzählstränge zu viel offen geblieben, insbesondere das wichtigstes Thema, das Teagans Verhalten erklärt und im Buch ständig erwähnt wird, bleibt offen. Auch wirkt die Dramatik am Ende etwas konstruiert, hier konnte ich im Gegensatz zum Rest des Buches das Verhalten einzelner Personen leider nicht nachvollziehen, da es auf mich teilweise nicht authentisch wirkte, sondern eher wie ein Bruch in den ansonsten sehr schlüssig konzipierten Charakteren. Schade, das hat dem Buch einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, den es nicht verdient hat.

Mein Fazit:

„Feeling close to you“ ist ein modernes Buch mit modernen Protagonisten, einem modernen Thema, umgesetzt mit modernen Stilelementen. Trotz inhaltlicher Schwächen zum Ende hin ist es ein Buch, das mit berührt hat, thematisch zu 100 Prozent in die heutige Zeit passt und insbesondere aufgrund der liebenswertesten WG aller Zeiten einfach nur jede Menge Spaß macht!

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Wertvolle Reise in die traurigsten Jahre Würzburgs

Zeit des Sturms
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Die Residenzstadt Würzburg kurz vor der Machtergreifung der NSDAP. Die 19jährige Sophia Wagner lebt mit ihren beiden Schwestern und den Eltern ein privilegiertes Leben, ihr Vater ist Parteimitglied und ...

Die Residenzstadt Würzburg kurz vor der Machtergreifung der NSDAP. Die 19jährige Sophia Wagner lebt mit ihren beiden Schwestern und den Eltern ein privilegiertes Leben, ihr Vater ist Parteimitglied und hat eine Baufirma, die älteste Schwester ein Kaufhaus. Obwohl nicht gewählt breitet sich die NSDAP in Würzburg aus, schikaniert die Bevölkerung und verbreitet ihre gefährliche Ideologie. Sophia ist dies schon länger ein Dorn im Auge, sie beschließt, nicht länger wegzusehen. Als sie Martin kennenlernt, der im christlichen Widerstand aktiv ist, schließt sich Sophia seiner Gruppierung an und verliebt sich in ihn. Mit ihrem künstlerischen Talent trägt sie dazu bei, Flugblätter der Bewegung zu illustrieren, um die Würzburger Bevölkerung aufzurütteln. Doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten ist unaufhaltsam und schließlich wird Martin gesucht. Sophia hält ihn versteckt und verhilft ihm zur Flucht – wissend, dass sie damit sich und ihre Familie in größte Gefahr bringt.

„Zeit des Sturms“ ist der 2. Band der „Kaufhausdynastie“-Reihe der Würzburger Autorin Mila Sommerfeld. Ich habe Band 1 nicht gelesen, aber mir hat nichts gefehlt. Die Geschichte wirkt und steht für sich und ist auch erst ab dem zweiten Band ohne Abstriche gut verständlich. Insgesamt gefällt mir die Herangehensweise, dasselbe Geschehen aus Sicht von drei sehr unterschiedlichen Schwestern zu betrachten sehr gut. Jede hat ihre eigene Perspektive auf die Ereignisse und eigene Sorgen und Nöte. Ich bin auf jeden Fall sehr neugierig auf die anderen beiden Bände geworden.

Die Protagonistin Sophia wird als mutige, couragierte junge Frau dargestellt, die sich nicht einschüchtern lässt und großes Rückgrat zeigt. Dadurch, dass im Buch mehrere Jahre abgebildet werden spürt man, wie die zunächst stürmische, impulsive und an manchen Stellen auch etwas naive Sophia wächst und reift, rationaler vorgeht und ihr Handeln reflektiert. Eine absolut starke und bewundernswerte Frauenfigur! Auch ihre beiden Schwestern lernt der Leser gut kennen und begreift schnell, in welchen Eigenschaften und Einstellungen sich die drei unterscheiden. Einige Randfiguren hingegen bleiben eher blass, was aber aufgrund der Vielzahl der Begegnungen innerhalb mehrerer Jahre verständlich ist.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr vielfältig. Durch ihre bildliche Darstellung konnte ich viele Dinge gut nachvollziehen, insbesondere der Gang durch die mir wohlbekannte Stadt Würzburg war absolut authentisch und lebensnah. Auch das Kriegsgeschehen wurde treffend eingefangen, es ist Mila Sommerfeld gut gelungen, den grausamen, unverständlichen Krieg in Worte zu fassen. Aber auch in erschütternden Alltagsszenen, in denen die zahlreichen täglichen „kleinen“ Schikanen dargestellt werden, offenbart sich die Stimmung und Atmosphäre der damaligen Zeit: Jeder leidet, aber die meisten sehen weg, um sich selbst zu schützen. Dadurch wurde ich als Leser emotional sehr stark angesprochen und musste insbesondere mit Sophia mitleiden, hoffen und kämpfen. Diese realitätsnahe Darstellung lässt darauf schließen, dass die Autorin sehr viel Zeit und Herzblut in ihre Recherche zum Buch gesteckt hat, um ein authentisches Bild der damaligen Verhältnisse abliefern zu können – was ihr auch absolut gelungen ist.

Den einzigen Punkt Abzug gibt es nur dafür, dass es mir an manchen Stellen etwas zu schnell ging. Einige Ereignisse, über die ich gerne mehr erfahren hätte, werden dann doch relativ fix und sachlich abgehandelt, wirken durch den kurzen Satzbau teilweise gehetzt und manche Wendungen sind somit nur schwer nachvollziehbar. Vielleicht ist dies aber auch Absicht, da in den anderen beiden Bänden der Fokus verstärkt auf diesen Aspekten liegen soll.

Fazit:

Eine wahnsinnig interessante Reise in die düsterste Zeit der Residenzstadt Würzburg mit einer absolut starken Frauenfigur, die Mut beweist und Hoffnung bringt. „Zeit des Sturms“ macht betroffen und regt den Leser zum Nachdenken darüber an, dass sich solche Zeiten niemals wiederholen dürfen.

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Veröffentlicht am 17.03.2020

(Irr)Glaube und Selbstfindung

Ein wenig Glaube
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Lyle Hovde ist 65 Jahre alt, glücklich mit seiner Frau Peg und lebt seit er denken kann im kleinen Ort Redford in Wisconsin. Seit dem Tod seines Sohnes Peter hat er mit Gott nicht mehr viel am Hut, er ...

Lyle Hovde ist 65 Jahre alt, glücklich mit seiner Frau Peg und lebt seit er denken kann im kleinen Ort Redford in Wisconsin. Seit dem Tod seines Sohnes Peter hat er mit Gott nicht mehr viel am Hut, er hat durch das tragische Ereignis schlicht seinen Glauben an ihn verloren. Sein ländliches ruhiges Leben ändert sich, als seine Tochter Shiloh mit seinem geliebten Enkelsohn Isaac zurück in ihr Elternhaus zieht. Der kleine Junge bringt Schwung in das Leben der älteren Dorfbewohner und ist Lyles ganzer Stolz. Beunruhigt bemerken Peg und Lyle, dass Shiloh sich immer mehr in ihren Glauben zurückzieht, bedingt durch ihren Anschluss an eine neue Glaubensgemeinschaft. Diese vereinnahmt sie immer mehr und voller hilfloser Besorgnis müssen die Großeltern zusehen, wie ihr Enkelsohn ebenfalls tiefer in die Strukturen der sektenähnlichen Gemeinschaft integriert wird und dadurch in Gefahr gerät.

„Ein wenig Glaube“ von Nickolas Butler ist ein Buch, das zu Denken gibt. Es ist aus Sicht von Lyle, einem älteren Mann in einer ländlichen Gegend, der oftmals über sein bisheriges Leben reflektiert, beschrieben – eine sehr interessante Perspektive mit neuen Sichtweisen auf die kleinen und großen Dinge des Lebens. Insbesondere das Thema des Glaubens wird häufig aufgegriffen, der Leser lernt verschiedene Personen in Lyles Umfeld kennen, die alle eigene Zugänge zum Glauben für sich gefunden haben. Des Weiteren wird deutlich, wie gefährlich ein zu fanatisch ausgelebter Glauben werden kann, wenn er manipulativ eingesetzt wird – bis hin zum Gefährden der Menschen, die einem am Wichtigsten sind. Inspiriert ist die Geschichte von einer wahren Begebenheit, bei der ein kleines Mädchen aufgrund unterlassener Hilfeleistung sterben musste, da die Eltern mehr daran glaubten, es „gesundbeten“ zu können als an die Möglichkeiten der modernen Medizin.

Dem Autor ist es in dem Buch sehr gut gelungen, Lyles Emotionen zu transportieren. Seine Position des hilflosen Außenstehenden, der ausgegrenzt wird und aber nichts lieber tun würde, als das sich androhende Unheil von einem geliebten Menschen abzuwenden berührt und macht betroffen. Sowohl seine Besorgnis, als auch seine unendliche Liebe gegenüber seiner Familie wird absolut spürbar.

Nickolas Butlers verfügt über einen angenehmen Schreibstil, der sich manchmal allerdings in der blumigen Sprache mit all ihrer Vielzahl der Details verliert und sich deshalb an manchen Stellen etwas in die Länge zieht. Sowohl in der Beschreibung des manchmal erschwerten Alltags in einer ländlichen Kleinstadt Wisconsins, als auch der kleinen Freuden, welche die Menschen dort noch richtig wertschätzen und genießen können geht die Schilderung sehr tief. Gut gefallen haben mir die zahlreichen Bilder und Metaphern, die neue Blickwinkel eröffnen.

Teilweise wurde für meinen Geschmack zu viel Wert auf die Nebengeschichten und Beschreibung des „Außen-Herum“ gelegt und zu wenig Fokus auf das eigentliche Thema: Wie gelingt es der Glaubensgemeinschaft, Shiloh so massiv von ihren Eltern abzusondern und einzunehmen, dass sie sogar das Leben ihres Kindes aufs Spiel stellt? Der Leser erfährt leider zu wenig aus ihrem Alltag und hinsichtlich ihrer Sicht des Glaubens, um wirklich nachvollziehen zu können, warum es so weit kommen musste. Gefühlt wurde der eigentliche Kern des Buches zu einer Nebengeschichte abgedrängt, die noch dazu offen endet – mein größter Kritikpunkt. Viele Handlungsstränge bleiben in der Luft hängen, der Leser ratlos zurück. Gerne hätte ich mir zumindest bei manchen eine (wenn auch nur teilweise) Auflösung gewünscht.

Dennoch stimme ich der absolut treffenden Beschreibung des Klappentextes zu einhundert Prozent zu: Ein „schmerzhaft-schöner Familienroman, der die Macht und die Grenzen des Glaubens mit besonderem Feingefühl erkundet.“

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Veröffentlicht am 14.03.2020

Aus Sicht des Bösen

Die Frauenkammer
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Kommissar Frank Holpers Team wird zu einer Frauenleiche gefunden, die auf einem stillgelegten Kasernengelände gefunden wird. Es scheint ein Profi am Werk gewesen zu sein, der das Vorgehen der Polizei ...

Kommissar Frank Holpers Team wird zu einer Frauenleiche gefunden, die auf einem stillgelegten Kasernengelände gefunden wird. Es scheint ein Profi am Werk gewesen zu sein, der das Vorgehen der Polizei bei Mordermittlungen gut kennt – es finden sich keinerlei Spuren an der Leiche, auffällig ist lediglich ein nicht erklärbares Schmetterlingstattoo am Knöchel der Frau. Eben dieses Tattoo findet sich an derselben Stelle einer weiteren Frauenleiche, die wenig später gefunden wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt für Kommissar Holper, zu dessen Hilfe er sich Privatdetektiv Lukas ins Team holt – ohne zu ahnen, wen er hier tatsächlich mit Informationen versorgt…

„Die Frauenkammer“ ist kein typischer Kriminalroman, denn hier wird primär aus Perspektive des Antagonisten erzählt. Es gibt kein Rätseln und Jagd nach dem Mörder, denn dieser ist bereits nach wenigen Seiten bekannt, es wird kein Geheimnis um ihn gemacht. Vielmehr liegt der Fokus auf dieser Verkörperung des Bösen. Der Leser erhält durch diese Erzählweise aber viele Einblicke in das Gehirn eines irren Psychopathen, und die Möglichkeit, diesen mit all seinen Gedanken und Handlungen umfassend kennen zu lernen. Eine spannende Herangehensweise, die man nicht oft in Büchern findet, die aber auch etwas die Spannung um das Rätselraten nach dem Schuldigen genommen hat.

Diese wird aber insbesondere dadurch hergestellt, dass der Leser mit den gefangenen Frauen in der Kammer mitfiebert und darauf wartet, dass der Mörder einen Fehler macht. Tempo erhielt die Geschichte durch sehr kurze Leseabschnitte, die den schnellen Perspektivwechsel der jeweiligen Protagonisten dargestellt haben. Teilweise ging es mir allerdings etwas zu schnell, so dass nicht mehr alles nachvollziehbar war. Dies wurde auch noch dadurch bestärkt, dass einige Figuren etwas seltsam und untypisch gehandelt haben und somit nicht authentisch erschienen. Auch gab es in der Erzählung etwas viele Zufälle, so dass sich z.B. alle Beteiligten plötzlich privat im Haus des zuständigen Ermittlers wiederfinden. Das Ende kam mir etwas zu abrupt.

Durch diese Erzählweise hat der Leser immer einen Wissensvorsprung vor der ermittelnden Polizei. Und hier kommt mein größter Kritikpunkt: Ich mag es nicht, dass die Polizei in so ein schlechtes Licht gestellt, teilweise sogar als unfähig dargestellt wird. Zunächst dachte ich, mein dementsprechendes Empfinden liegt am eben geschilderten Wissensvorsprung, spätestens aber seit Kommissar Holper Lukas als externen Berater einstellt und ihm innerhalb kürzester Zeit sämtliche Ermittlungsergebnisse zur Verfügung stellt, hat mich die Darstellung der Ordnungshüter zunehmend geärgert. Natürlich bekommt der Leser aufgrund der Fokussierung nur sehr wenig von der eigentlichen Polizeiarbeit mit, aber was dargestellt wird klingt wenig professionell. Ist die Polizei wirklich so naiv? Wie realistisch ist eine solche Vorgehensweise? Und ist es normal, dass der Hauptverantwortliche innerhalb weniger Kontakte bereits per du und sehr privat mit einem beauftragten externen Berater ist? Meiner Meinung nach eher nicht.

Das Cover passt gut zum Inhalt, der Schmerz der weinenden Frau wird spürbar und der Leser kann sich richtig vorstellen, dass dies ein verzweifeltes Opfer in der Frauenkammer sein könnte.

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