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Veröffentlicht am 21.02.2020

Toxische Familienbande

Je tiefer das Wasser
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Katya Apekinas Debüt „Je tiefer das Wasser“ ist eine Familiengeschichte und gleichzeitig das Gegenteil von dem, was man normalerweise darunter versteht. Zu Beginn des Buches, im Jahr 1997, sind die 14-jährige ...

Katya Apekinas Debüt „Je tiefer das Wasser“ ist eine Familiengeschichte und gleichzeitig das Gegenteil von dem, was man normalerweise darunter versteht. Zu Beginn des Buches, im Jahr 1997, sind die 14-jährige Mae und ihre zwei Jahre ältere Schwester Edith gerade bei ihrem Vater in New York angekommen. Dennis hat die Mädchen vor 12 Jahren in Louisiana bei ihrer Mutter Marianne zurückgelassen, seitdem bestand kein Kontakt. Nun hat Marianne allerdings versucht, sich umzubringen. Nach ihrer Einlieferung in eine psychiatrische Klinik werden die Töchter bei dem ihnen fast unbekannten Vater, einem bekannten Autor, untergebracht. Und darauf reagieren beide Schwestern total unterschiedlich. Während Edith rebelliert, den Vater hasst, sehnsüchtig auf Nachrichten der Mutter wartet und es nicht erwarten kann, in ihr altes Leben zurückzukehren, ist Mae nur eines: glücklich. Sie, die der Mutter ähnlich ist und sich von dieser komplett vereinnahmt fühlte, wirkt wie befreit und will nur keinen Fehler machen, um in New York bleiben zu dürfen. Dem Leser schwant allerdings bald, dass die Entscheidung zwischen Mutter und Vater eine Wahl zwischen Pest und Cholera sein könnte. Und nach und nach steuert alles auf eine Katastrophe zu …

Apekinas Stil fördert die Sogwirkung dieses Romans. Viele der kurzen Kapitel sind aus den Perspektiven von Mae und Edith geschrieben, einige im Handlungsjahr 1997, einige zu anderen Zeiten. Doch es kommen noch weitere Erzähler zu Wort: Die Eltern Marianne und Dennis, aber auch deren Wegbegleiter sowie Bekannte der Mädchen. Einige treten nur einmal in Erscheinung, helfen aber durch ihre Außenperspektive, Ereignisse einzuordnen – oder? Die Autorin spielt mit der Diskrepanz zwischen Außen- und Innenwahrnehmung, Fantasie, Wahn und Wirklichkeit. Sie hat ein Puzzle erschaffen, das sich mehr und mehr zusammensetzt und so langsam das volle Ausmaß des Dramas zeigt. Die beiden Hauptfiguren, Mae und Edith, sind die Unberechenbaren in dieser Gleichung; stärker und eigensinniger, als es die Erwachsenen auch nur ahnen. Doch können sie sich wirklich aus diesen sie manipulierenden Familienbanden befreien?

„Je tiefer das Wasser“ ist ein höchst ungewöhnlicher Roman voller Figuren, die sich in keinerlei Schublade stecken lassen. Ich denke immer noch darauf herum, wer hier unschuldig schuldig wurde, wer Täter und wer Opfer ist. Was für ein faszinierendes Debüt!

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

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Veröffentlicht am 03.11.2019

Kurzweiliger Krimi im Christie-Stil

Der zehnte Gast
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Shari Lapenas Setting in „Der zehnte Gast“ erinnert an ein Cosy Crime von Agatha Christie: Ein eingeschneites Luxushotel in der kanadischen Einöde, weder alle erwarteten Gäste noch das komplette Personal ...

Shari Lapenas Setting in „Der zehnte Gast“ erinnert an ein Cosy Crime von Agatha Christie: Ein eingeschneites Luxushotel in der kanadischen Einöde, weder alle erwarteten Gäste noch das komplette Personal haben es rechtzeitig vor dem Eissturm ins Mitchell’s Inn geschafft. So sind nur sechs Zimmer belegt: Zwei junge Paare, ein älteres, eine Autorin und ein Staatsanwalt freuen sich mehr oder weniger auf ein weißes Wochenende. Der Inhaber und sein Sohn sind zuversichtlich, ihren Gästen auch unterbesetzt einen wunderschönen Aufenthalt bieten zu können. Doch bereits in der ersten Nacht fällt eissturmbedingt der Strom aus – und morgens wird eine Leiche gefunden …

„Der zehnte Gast“ enthält vieles, was einen guten Krimi ausmacht. Die überschaubare Anzahl an sehr unterschiedlichen Figuren hat mir gefallen, teilweise hätte ich mir die Charaktere allerdings etwas mehrdimensionaler gewünscht. Der ein oder andere Protagonist war mir zu schwarzweiß gezeichnet und so richtig sympathisch wird eigentlich auch keine der Figuren. Ordentlich Spannung kommt aber trotzdem auf, vor allem, da Lapena ihre Leser immer wieder in verschiedene Perspektiven schlüpfen lässt. Dadurch wird schnell klar: Mehr als einer der Anwesenden hat etwas zu verbergen. Aber macht das auch einen von ihnen zum Mörder?

Das Miträtseln hat mir Spaß gemacht und ich tappte lange – sehr lange – im Dunkeln und habe die Auflösung nicht kommen sehen. Das vielleicht etwas viel Zufall im Spiel war – geschenkt. Insgesamt ist „Der zehnte Gast“ solide Krimiunterhaltung an einem kalten Winterabend und lässt einen kaum mehr los, wenn man sich erstmal eingelesen hat. Mit Agatha Christie kann Lapena vom Raffinessegrad her nicht mithalten, aber es kann eben auch nur eine Queen of Crime geben.

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Veröffentlicht am 04.07.2018

Spannender Jugendthriller um typische Teenagerprobleme – gepaart mit Mord …

Mädchen, Mädchen, tot bist du
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Leila ist tot. Die Sechzehnjährige baumelt erhängt von einem Dachbalken in ihrem Zimmer. Selbstmord, so scheint es. Doch direkt auf den ersten Seiten meldet sich ein namenloser Erzähler zu Wort, der den ...

Leila ist tot. Die Sechzehnjährige baumelt erhängt von einem Dachbalken in ihrem Zimmer. Selbstmord, so scheint es. Doch direkt auf den ersten Seiten meldet sich ein namenloser Erzähler zu Wort, der den Leser informiert: Es war Mord. Und es wird nicht der letzte bleiben … Nach Leilas Tod begleitet der Leser nacheinander drei weitere blonde, sechzehnjährige Mädchen durch diesen Jugendthriller. Sie alle haben Stress mit ihren Eltern, zicken sich mal mit ihren Freundinnen an, gehen in die Schule, zum Hockeytraining und auf Partys – typische Teenager halt. Wer will ihnen Böses? Und warum? Auch wenn sich dieser Jugendthriller rasant weglesen lässt, tappt man als Leser doch lange im Dunkeln. Genau wie die Protagonistinnen, die in anonymen Briefen bedroht und vorgewarnt werden, sich darauf jedoch keinen Reim machen können.

Anfangs störte mich, dass die einzelnen Mädchen recht rasch abgehandelt werden. Da sie alle Ich-Erzählerinnen sind, kommt man ihnen zwar kurz nahe, aber bevor man sich einen wirklichen Eindruck machen kann, wechselt Autorin Mel Wallis de Vries auch schon zur nächsten Figur. Da die Mädchen kaum miteinander zu tun haben, entstehen so harte Brüche. Im letzten Buchdrittel führt die Autorin jedoch schwungvoll und gekonnt alle Informationen zu einem Gesamtbild zusammen, auf das ich als Leserin nie gekommen wäre – und gerade das macht ja einen guten Thriller aus. Außerdem gefiel mir, dass fast keine der Figuren schwarzweiß ist – nur gut, nur böse. Die Autorin zeigt Jugendliche in der Selbstfindungsphase mit Ecken und Kanten, mal grausam gedankenlos, mal noch recht kindlich. Die Themen, die sie anschneidet, dürfte jeder von seinem eigenen Heranwachsen kennen: Beliebtheit, Mobbing, Erfolge und Misserfolge im Schulsport, der Wunsch, nur mit den richtigen Leuten gesehen zu werden, der Wunsch nach Anerkennung und Zuneigung. Ein spannendes, stellenweise gruseliges Jugendbuch, das ich mir bis zur Mitte allerdings etwas ausführlicher gewünscht hätte.

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Veröffentlicht am 15.03.2024

Ausnahmebuch

Trophäe
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Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf ...

Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf wenige Protagonisten und Handlungsschauplätze. Hauptfigur ist der amerikanische Jäger Hunter White – der Name ein Klischee, der Mann dahinter jedoch nicht zu unterschätzen. Hunter ist ein Trophäenjäger mit Ethos, zumindest stellt er sich selbst so dar und seine Perspektive ist den Leserinnen und Lesern am nächsten. Nicht zum ersten Mal ist er mit einer teuer erkauften Jagdlizenz nach Afrika gekommen, doch diese hier war vermutlich die kostspieligste: Hunter will ein Nashorn erschießen und damit die Big Five vollmachen – Löwe, Büffel, Elefant und Leopard hat er also bereits erlegt. Kein Wunder, dass er mit seinem südafrikanischen Jagdtourenorganisator schon gut befreundet ist – van Heeren weiß genau, was Hunter White will. Eine halbwegs authentische Jagderfahrung, Übernachtungen im Zelt, keinen Firlefanz. Die Tage des ausgewählten Nashorns sind gezählt, doch erstmals läuft nicht alles nach Plan und es sieht ganz so aus, als müsste Hunter mit leeren Händen zurückreisen. Doch dann erzählt ihm van Heeren von den Big Six und plötzlich erscheinen alle moralischen und ethischen Fragen, mit denen Gaea Schoeters ihre Leser*innen bis dahin konfrontiert hat, wie leichte Aufwärmübungen …

Die flämische Autorin geht von Anfang an in die Vollen. Hunter Whites Respekt vor der Beute hat mir beim Lesen durchaus welchen abgenötigt, seine Argumentation, warum Trophäenjagd Artenschutz bedeutet, klingt erschreckend logisch. Nebenbei lässt Gaea Schoeters ihren passionierten Jäger immer wieder Erfahrungen machen, die ihm zeigen: Westliche Wertevorstellungen muss man sich erstmal leisten können. Vom amerikanischen oder auch deutschen Sofa aus mag Gut und Böse klar trennbar sein, in Afrika stellt sich aber einiges anders dar. Darf man urteilen, wenn man die Komplexität von Situationen interkulturell gar nicht erfassen kann? Und als sie mich als Leserin endlich soweit hatte, dass ich alte Gewissheiten mit neuer Demut in Frage stellte, trieb es die Autorin erbarmungslos auf die Spitze. Ein verstörender Roman, der fasziniert, herausfordert und erschreckt. Ungewöhnlich und absolut lesenswert.

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Veröffentlicht am 18.02.2024

Nachlassende Sogwirkung

Arctic Mirage
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Das Cover dieses Buchs wirkt sanft, fast verträumt. Eine Frauengestalt, klein in einer riesigen Schneelandschaft, im Hintergrund dunkle Berge und ein pastellfarbener Himmel. Terhis Kokkonens Roman ist ...

Das Cover dieses Buchs wirkt sanft, fast verträumt. Eine Frauengestalt, klein in einer riesigen Schneelandschaft, im Hintergrund dunkle Berge und ein pastellfarbener Himmel. Terhis Kokkonens Roman ist allerdings eher das Gegenteil von sanft und verträumt; schon der kurze Prolog ist brutal, scheint außerdem das Ende vorwegzunehmen und lässt Leserinnen und Leser mit vielen Fragezeichen zurück.

Das titelgebende „Arctic Mirage“ ist ein Luxushotel in Lappland, in dem die Protagonisten Karo und Risto unfreiwillig landen. Eigentlich waren sie am Ende ihres Urlaubs schon auf dem Weg zum Flughafen, hatten dann jedoch einen Autounfall. Ins Krankenhaus muss das mittelalte Pärchen nicht, doch der sie untersuchende Arzt empfiehlt, eine Nacht vor Ort zu bleiben, die Hotelangestellte insistiert, dass ein Aufenthalt von zwei Nächten das Minimum ist und schlussendlich verbringen die beiden doch mehrere Tage im Arctic Mirage. Doch wirklich erholsam ist der Aufenthalt nicht – irgendwas liegt in der Luft, die Nerven sind angespannt, die Stimmung brüchig. Und die Situation spitzt sich zu …

Der mit 192 Seiten eher kurze Roman entwickelt in den ersten zwei Dritteln eine ziemliche Sogwirkung – obwohl gar nicht so viel passiert. Es gibt kleine Rückblicke, mehrere Nebenfiguren werden eingeführt, Karo und Risto scheinen in der Luxusanlage eher so vor sich hinzudümpeln. Trotzdem mochte ich das Buch nicht aus der Hand legen und wollte gerne ergründen, was da eigentlich vor sich geht. Doch das änderte sich irgendwann. Tatsächlich war es zunächst wohl einfach ein Nebenschauplatz zu viel, der mich nicht interessierte und auch im Nachhinein keine Relevanz für die Geschichte hatte. Dadurch, dass einigen Randfiguren relativ viele Seiten eingeräumt werden, hatte ich von ihnen vermutlich mehr erwartet. Außerdem hat mich die Tristesse irgendwann ermüdet – so unterschiedlich die Protagonisten dieses Buches sein mögen, niemand ist sympathisch, niemand scheint mit seinem Leben im Reinen. Wobei die Autorin dazu kein Wort zu viel verliert. Zum Teil bestätigt „Arctic Mirage“ die Klischees, die einem bei einem in Finnland spielenden Roman in den Sinn kommen: depressive, wortkarge Figuren, Einsamkeit und Kälte. Das Ende hat zwar manches aufgeklärt, mich aber auch deprimiert. Richtig rund ist dieses Buch auch im Rückblick nicht.

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