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Veröffentlicht am 12.07.2019

Fesselnder Einstieg und starke Hauptfigur, aber die Auflösung schwächelt

Something in the Water – Im Sog des Verbrechens
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Spannung ab der ersten Seite zu erzeugen, ist eine hohe Kunst, die die Autorin dieses Buches ganz offensichtlich beherrscht. Zumindest ich fand den ersten Satz „Haben Sie sich jemals gefragt, wie lange ...

Spannung ab der ersten Seite zu erzeugen, ist eine hohe Kunst, die die Autorin dieses Buches ganz offensichtlich beherrscht. Zumindest ich fand den ersten Satz „Haben Sie sich jemals gefragt, wie lange es dauert, ein Grab auszuheben?“ ziemlich innovativ. Dass Hauptfigur Erin Roberts dann auch noch ihren Mann vergräbt, obwohl sie seinen Tod durchaus zu bedauern scheint, macht ebenfalls neugierig. Der Einstieg in diesen Thriller ist also schon einmal geglückt.

Catherine Steadman hat sich in „Something in the water“ eines Kunstgriffs bedient und eines der letzten Kapitel vorne angestellt. Danach beginnt die Geschichte drei Monate zuvor mit einem Wochenendausflug der Protagonisten Erin und Mark. Die beiden feiern ihren Jahrestag und planen ihre Flitterwochen, die nach Bora-Bora gehen sollen. Er ist Banker, sie Dokumentarfilmerin, beide in den Dreißigern – ein glückliches Londoner Pärchen, dem die Welt offensteht. Doch schon während dieses Wochenendausflugs werden Entscheidungen getroffen, die dem dramatischen Ende den Weg ebnen: „Und dann sage ich etwas, was ich mein Leben lang bereuen werde. Ich will mit Dir Gerätetauchen machen.“ Tja. Ich verrate noch nicht zu viel, wenn ich erzähle, dass Erin und Mark beim Gerätetauchen auf „Something in the water“ stoßen …

Sehr gut gefallen hat mir der Erzählton dieses Thrillers. Er ist ganz und gar aus Sicht von Hauptfigur Erin geschrieben, die den Leser auch gerne mal direkt anspricht. Ab und an benimmt sie sich sehr unbedarft, aber man ist stets so dicht an ihr dran, dass auch ihr teilweise kopfloses Verhalten, ihr Gedankenkarussell und vereinzelte wahnwitzige Ideen immer halbwegs nachvollziehbar bleiben. Und je mehr ich Erin und ihr Leben kennenlernte, desto weniger konnte ich mir einen Reim auf die Geschehnisse am Buchanfang machen. Vermutlich deswegen nahm die Sogwirkung der Geschichte zu, je weiter ich gelesen habe.

Aber jeder Thriller kommt irgendwann zu seiner Auflösung und die fand ich hier dann leider doch nicht hundertprozentig gelungen. Autorin Steadman hat der Ausgestaltung von Erins Charakter viel Raum gegeben, die Hundertachtzig-Grad-Wendungen von anderen Figuren passieren jedoch ohne jede Erklärung, was ich dann doch etwas schade fand. Dennoch ist „Something in the water“ eine spannende Urlaubslektüre – nicht nur auf Bora-Bora, nicht nur für Gerätetaucher, sondern für alle, die sich gerne mal der Frage „was wäre, wenn …“ hingeben.

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

Veröffentlicht am 24.06.2019

Vergnüglicher Reigen

Trennungen. Verbrennungen
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Manche Romane plätschern einfach nur munter vor sich hin und sind trotzdem grandiose Kompositionen – oder gerade deswegen? Helmut Krausser kann ich jedem empfehlen, der auf der Suche nach etwas wohlformulierter ...

Manche Romane plätschern einfach nur munter vor sich hin und sind trotzdem grandiose Kompositionen – oder gerade deswegen? Helmut Krausser kann ich jedem empfehlen, der auf der Suche nach etwas wohlformulierter und vergnüglicher Ablenkung ist. Der Mann kann schreiben und greift mit großer Leichtigkeit alle Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins auf.

In „Trennungen. Verbrennungen“ entwirft Krausser einen locker-flockigen Reigen aus verschiedenen Personen, die in unterschiedlichsten Beziehungen zueinanderstehen. Im Zentrum des Ganzen steht ein wohlhabendes, in Wannsee lebendes Ehepaar: Archäologieprofessor Fred Reitlinger und seine Frau Nora, die in regelmäßigen Abständen Soireen organisieren, zu denen auch zwei besonders hoffnungsvolle Studenten eingeladen werden, Gerd und Leopold. Ersterer ist mit der kapriziösen Sonja liiert, deren Eltern für die ihrer Tochter zugedachte Zukunft finanzielle Anreize setzen. Zweiterer läuft an einem unglückseligen Tag der Tochter der Reitlingers über den Weg, die gegen alles und jeden rebelliert. Ihr Bruder Ansgar, ihre Freundin Caro, deren Affäre Petar – sie alle sind in ein komplexes Beziehungsgeflecht verwickelt und es kommt zu „Trennungen. Verbrennungen“, aber auch, um einen anderen Romantitel Kraussers zu zitieren, zu „Einsamkeit und Sex und Mitleid“. All dem lesend beizuwohnen, macht einfach Spaß. Kraussers plaudernder Erzählton, der das Leben und seine Abgründe beschreibt, ohne es sonderlich ernst zu nehmen, macht dieses Leseerlebnis sehr vergnüglich. „Trennungen. Verbrennungen“ lässt sich in einem Rutsch durchlesen und kennt weder Längen noch unnötige Aufregungen. Krausser scheut vor keiner möglichen Verwicklung zurück, wodurch es den ein oder anderen Überraschungsmoment gibt. Dabei behält er durchgehend seinen spöttisch-wohlwollenden Blick auf alles Menschliche. Ein Roman wie eine Oase der amüsanten Gelassenheit.

Veröffentlicht am 17.06.2019

Schwache Umsetzung einer packenden Idee

Vox
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„Vox“ ist das Romandebüt der amerikanischen Linguistin Christina Dalcher. Doch noch mehr als von der Stimme handelt die Geschichte vom Schweigen, was das einen Frauenmund verbergende „x“ auf dem Cover ...

„Vox“ ist das Romandebüt der amerikanischen Linguistin Christina Dalcher. Doch noch mehr als von der Stimme handelt die Geschichte vom Schweigen, was das einen Frauenmund verbergende „x“ auf dem Cover perfekt illustriert. Der dystopische Roman ist in unserer Gegenwart angesiedelt: Der erste farbige Präsident der USA ist Geschichte, sein Amtsnachfolger – nicht Trump, sondern Präsident Myers – ein Vollidiot, der von der einflussreichen „Bewegung der Reinen“ wie eine Marionette gesteuert wird. Diese Bewegung propagiert, dass das moderne Leben die Wurzel allen Übels ist und Zucht und Ordnung wiederhergestellt werden müssen, indem längst überwundene Rollenbilder reaktiviert werden. Doch wie dreht man den Lauf der Welt zurück? Der Plan ist so perfide wie wirkungsvoll: Der männlichen Hälfte der Bevölkerung wird eingeredet, als Krone der Schöpfung Gott gewollte Dominanz zu besitzen. Und die weibliche Hälfte wird zum Schweigen gebracht – mittels eines Wortzählers, der sich fest um das Handgelenk jedes Mädchens und jeder Frau schließt und zählt, wie viele Wörter sie an einem Tag ausspricht. Sind es mehr als 100, gibt es Stromstöße.

Dalcher entwirft ein ziemlich verstörendes Szenario, das mehrere große Themen streift: dass der Gedanke „sowas ist doch bei uns nicht möglich“ stets fahrlässig ist, man Bürgerrechte wahrnehmen sollte und Kommunikation den Menschen ausmacht. Die Kernaussagen von „Vox“ kannte ich dann auch schon, bevor ich überhaupt zu diesem Buch griff – durch die die Veröffentlichung begleitende Werbekampagne und den Medienhype. Worauf ich allerdings nicht gefasst war: „Vox“ ist schlecht geschrieben. Die Figuren sind holzschnittartig zusammengezimmert, Dialoge oft platt und ein Klischee jagt das nächste. Zudem hat die Autorin absolut kein Händchen dafür, Spannung aufzubauen oder irgendeine Atmosphäre zu schaffen. Die Romanhandlung entwickelt sich auf eine so komplett unlogische Art und Weise, das ich spätestens während des letzten Buchdrittels nur noch hoffte, schnell fertig zu werden. Danach las ich in einigen anderen Rezensionen, dass manche Leser „Vox“ als einen Abklatsch von Margaret Atwoods „Report einer Magd“ empfunden haben. Da ich dieses Buch jedoch nicht gelesen habe, kann ich das nicht selbst beurteilen.

„Vox“ hätte ein gutes, wichtiges Buch sein können, doch die mangelhafte Umsetzung hat aus der eigentlich packenden dystopischen Idee komplett die Luft rausgelassen. Das aus dem vorhandenen Potential so wenig gemacht wurde, ist in meinen Augen noch schlimmer, als wenn das Buch dieses gar nicht erst gehabt hätte.

Veröffentlicht am 08.06.2019

Hart statt herzlich

Der Zopf meiner Großmutter
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Großmütter gibt es in der Literatur viele. Meist handelt es sich um kluge und weitsichtige Frauen mit großem Herzen, viel Geduld und einem immer offenen Ohr, die stets zur Stelle sind, wenn sie gebraucht ...

Großmütter gibt es in der Literatur viele. Meist handelt es sich um kluge und weitsichtige Frauen mit großem Herzen, viel Geduld und einem immer offenen Ohr, die stets zur Stelle sind, wenn sie gebraucht werden. Und oft bringen sie dann auch noch Kuchen mit.

In Alina Bronskys „Der Zopf meiner Großmutter“ erfüllt die russische Oma keins der gängigen Klischees. Sie ist selbstgerecht, herrschsüchtig, weiß alles besser, beschimpft und tyrannisiert ihr Umfeld. Backen tut sie zwar, gleich zu Beginn des Romans zum Geburtstag ihres vielleicht fünf- oder sechsjährigen Enkels Mäxchen, doch der darf die Torte nur anschauen und einmal dran schnuppern, bevor sie vor seinen sehnsüchtigen Augen verzehrt wird. Denn Max verträgt Kuchen eh nicht, weiß die Oma. Außerdem ist er, wie sie ihm immer wieder einbläut, debil, schwachsinnig, todkrank und wird das Erwachsenenalter niemals erreichen. Dass weder Ärzte noch Lehrer diese Diagnose bestätigen, verunsichert Margarita Iwanowna kein bisschen.

Diese beratungsresistente Schreckschraube war dann auch der Grund, dass mich die Geschichte anfangs ziemlich befremdet hat. Natürlich muss nicht jede Oma selbstlos und wohlwollend auftreten, aber diese hier beleidigt und piesackt ihr verwaistes Enkelkind in einem fort, ohne dass ihr schweigsamer Mann Tschingis Mäxchen jemals zu Hilfe kommt. Für mich war das kein Lesespaß, sondern ziemlich unangenehm. Doch der Roman entwickelt sich, Mäxchen, aus dessen Perspektive er geschrieben ist, wird älter, verständiger und schafft es mehr und mehr, sich von der Großmutter zu emanzipieren – wobei er gleichzeitig eine Ahnung von deren wahrem Wesen bekommt. Außerdem wirbelt noch ein für alle Seiten unerwartetes Ereignis das Familiengefüge unwiderruflich durcheinander: Der Großvater verliebt sich. Und ab da bekommt der Roman eine gewisse Leichtigkeit, die mir vorher gefehlt hat.

Alina Bronsky schildert Mäxchens Heranwachsen in einer deutschen Flüchtlingsunterkunft in nüchternen Worten, die doch anrühren. Sie ist eine Meisterin der knappen Beschreibungen, die alles ausdrücken und nachwirken. Und nötigt ihren Lesern schließlich sogar Respekt vor Margarita Iwanowna ab – einer Großmutter, die ich nicht so schnell vergessen werde.

Ich habe dieses Buch als Leseexemplar erhalten.

Veröffentlicht am 27.05.2019

Gnadenlos ausgereizt

Der Löwe büllt
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„Der Löwe büllt“ ist Tommy Jauds dritter Roman über Pauschalurlaub. Selbst wenn man von „Resturlaub“ und „Hummeldumm“ noch nie gehört hat, macht schon das Cover klar, dass dieses Buch ein unterhaltsames ...

„Der Löwe büllt“ ist Tommy Jauds dritter Roman über Pauschalurlaub. Selbst wenn man von „Resturlaub“ und „Hummeldumm“ noch nie gehört hat, macht schon das Cover klar, dass dieses Buch ein unterhaltsames ist: Man sieht das Gebiss des „büllenden“ Löwen und ansonsten viel orange. Ein Löwe im übertragenen Sinne wäre gerne Nico Schnös, 47 Jahre alter Controller und von seinem Chef in einen Zwangsurlaub entsendet, den er mit seiner Mutter Rosi antritt. Es geht in einen kanarischen Ferienclub, der beide vor Herausforderungen stellt: Für Rosi ist es der erste Urlaub seit dem Tod ihres Mannes und Nico soll in dieser gute Laune-Hölle zur Entspannung finden. Meldet sein Fitnesstracker keine sichtliche Beruhigung seines Pulsschlags, wird ihm gekündigt. Druck und drohende Arbeitslosigkeit sind der Entspannung allerdings ebenso wenig zuträglich wie ein Doppelzimmer mit seiner Mutter zu teilen und seine Frau auf Fortbildung mit ihrem attraktiven Kollegen zu wissen …

Sieht Jaud die Chance eines Gags am Horizont, haut er drauf – aber das ist wohl sein generelles Erfolgskonzept. Der cholerische Controller und seine betreuungsintensive Mutter lassen kein Klischee aus – das wurde mir beim Lesen etwas anstrengend. Glücklicherweise ist die Schilderung des Cluburlaubs von Rückblicken durchbrochen, sonst hätte ich sie nicht ertragen. Aber ganz manchmal schlägt Jaud auch leisere Töne an, und das gelingt ihm überraschend gut und verleiht „Der Löwe büllt“ tatsächlich den ein oder anderen anrührenden Lesemoment. Im Großen und Ganzen ist der Roman unterhaltsam und schnell weggelesen – mir war er nur viel zu überspitzt. Aber andererseits ist diese Überspitzung ja gerade Jauds Markenzeichen, ich sollte mich also vermutlich nicht beschweren. Und als Urlaubslektüre eignet sich „Der Löwe büllt“ sicher – vor allem für den Cluburlaub.