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WinfriedStanzick

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Veröffentlicht am 01.11.2019

Eine schöne Interpretation eines alten Kinderspiels

Kuckuck, wer bist du?
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Yayo Kawamura, Kuckuck, wer bist du, arsedition 2019, ISBN 978-3-8458-3359-0

Alle Kinder lieben es, wenn man mit ihnen das seit Generationen beliebte Versteckspiel „Kuckuck“ spielt, sich kurz wegdreht ...

Yayo Kawamura, Kuckuck, wer bist du, arsedition 2019, ISBN 978-3-8458-3359-0

Alle Kinder lieben es, wenn man mit ihnen das seit Generationen beliebte Versteckspiel „Kuckuck“ spielt, sich kurz wegdreht oder hinter etwas verbirgt, um dann mit einem lauten „Kuckuck“ wieder aufzutauchen.

Das hier vorliegende kleine und handliche Bilderbuch für kleine Kinder ab etwa 18 Monaten ist eine schöne Variante dieses beliebten Spiels.

Auf der linken Seite des Buches wird insgesamt acht Mal gefragt. „Kuckuck, wer bist du?“ Ein Guckloch auf der rechten Seite zeigt die Umrisse des zu erratenden Tieres. Wenn die Kinder dann umblättern – geraten oder nicht, finden sie die richtige Lösung der Aufgabe in einem Bild des gefragten Tieres.

Und so sollen geraten werden der Eisbär, die Giraffe, ein Chamäleon, ein Hase, ein Esel, Marienkäfer, Wale (sehr schwer!) und ein Pfau.

Nach mehrmaligen Versuchen, werden sich Kinder alle Tiere gemerkt haben, und dann noch lange große Freude daran haben, sie immer wieder zu erraten.

Eine schöne Interpretation eines alten Kinderspiels.

Veröffentlicht am 01.11.2019

Ein großer Roman mit beeindruckenden Figuren

Fliege fort, fliege fort
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Paulus Hochgatterer, Fliege fort, fliege fort, Deuticke Verlag 2019, ISBN 978-3-552-06403-4

Schon in seinen beiden hervorragenden Romanen „Die Süße des Lebens“(2006) und „Das Matratzenhaus“ (2010) hatte ...

Paulus Hochgatterer, Fliege fort, fliege fort, Deuticke Verlag 2019, ISBN 978-3-552-06403-4

Schon in seinen beiden hervorragenden Romanen „Die Süße des Lebens“(2006) und „Das Matratzenhaus“ (2010) hatte der in Wien lebende und dort als Kinderpsychiater arbeitende Schriftsteller Paulus Hochgatterer ein Ermittlerduo vorgestellt, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte.

Da ist zum einen Raffael Horn, ein in einer Klinik arbeitender Kinderpsychiater. In diese Person und ihre Ansichten politischer und psychologischer Natur hat Hochgatterer vermutlich sehr viel Eigenes hineingelegt. Horn schaut ohne Illusionen auf sein Leben und seine Tätigkeit:
„Das Leben geht immer schlecht aus. Als Psychiater bin ich in Wahrheit mit nichts anderem beschäftigt als damit, den Menschen vorzumachen, dass es nicht so ist. Ich bin ein Gaukler, dachte er. Dass das Leben immer schlecht ausgeht, ist Grund genug, verrückt zu werden oder sich aufzuschneiden oder sich Heroin in die Venen zu hauen, aber das darfst du nicht laut sagen.“ („Die Süße des Lebens“)

Dabei wird er nie zynisch, sondern er trägt zutiefst menschliche Züge, sowohl in seinen beruflichen, als auch in seinen privaten Beziehungen. Er macht sich keine Illusionen, nicht über die Politik seines Heimatlandes Österreich und der Notablen seiner Stadt Furth , in die er nach seiner Facharztausbildung in Wien zusammen mit seiner Frau gezogen ist, und auch nicht über seine Beziehung zu seinen Kindern.

Zum anderen ist Teil des Duos der Kriminalkommissar Ludwig Kovacs, der, geschieden, in einer lockeren, von seiner Seite aus hauptsächlich sexuell orientierten Beziehung mit Marlene, der Betreiberin eines Secondhand-Shops lebt, mit der er sich in der Regel einmal in der Woche zu einem Essen und anderen Bedürfnisbefriedigungen trifft. In seinen einsamen Nachtstunden blickt er durch ein Fernrohr in die Weite des Universums, und versucht dabei seine Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Beide sind mittlerweile älter geworden. Horn spricht oft laut aus, was er denkt und schlägt sich mit seinem renitenten Sohn Tobias herum, den Hochgatterer in den vielsträngigen Handlungsverlauf des Buches einbezogen hat, und Kovacs steht kurz vor seinem Ruhestand und lässt sich von nichts und niemand aus der Ruhe bringen

Obwohl sie sich auch in diesem Buch nicht persönlich begegnen, sind Horn und Kovacs in ihren jeweiligen Tätigkeiten konfrontiert mit den gleichen Phänomenen, bei denen etliche ältere Menschen auf mysteriöse Weise zu erheblichem körperlichem Schaden kommen. Sie haben zunächst nur eines gemeinsam: sie schweigen eisern über den wirklichen Tathergang.

Unerklärlich scheinen all diese Vorkommnisse, die der Autor beschreibt. In Furth am See hat sich einiges geändert. In der sogenannten „Burg“, einem ausrangierten und halb verfallenen ehemaligen Kinderheim, hat der Staat ein Quartier für alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge des Landes eingerichtet, das nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von der Polizistin Petra Lindström, die zu dem Referat von Kovacs gehört, als „Lager“ bezeichnet wird. Es wird bewacht von einem privaten Sicherheitsdienst, schwarz gekleideten jungen Männern, die sich „Aktion 18“ nennen, ein klarer Hinweis auf die rechtsradikale Gesinnung dieser Truppe.

Etliche dieser Flüchtlinge besuchen auch das örtliche Jugendzentrum „Come In“, in der aus dem ersten Roman bekannte Benediktinerpater Joseph Bauer in einem Betreuerteam mitarbeitet.

All diese Menschen werden von Paulus Hochgatterer in eine Handlung eingeführt, in der der Leser lange keine roten Faden sehen kann, sich aber an der meist in wunderbar formulierter indirekter Rede gehaltenen Sprache des Autors erfreut. Wie er die Personen in Horns und Kovacs jeweiligen Abteilungen beschreibt und ihre Beziehungen untereinander, steht in einem wohltuenden Gegensatz zu der dunklen und bedrohlich erscheinenden Welt, in der sie leben und ihren Dienst tun.

Immer wieder in ihre privaten Angelegenheit involviert, die Hochgatterer sensibel und warmherzig beschreibt, versuchen sie die spärlichen Anhaltspunkte, die ihnen zur Verfügung stehen, miteinander zu verbinden.

Als dann noch ein Mädchen spurlos verschwindet, sind sie gezwungen, in eine ganz alte, offenbar längst vergangene Geschichte einzutauchen, die zu tun hat mit der „Burg“ und dem, was darin einst vor sich gegangen ist.

Der Roman bietet Unterhaltung und Spannung auf einem sehr hohen sprachlichen und literarischen Niveau. In einer Danksagung nennt er seinen Roman „ein Buch über den Sieg der Imagination des Individuums über die Diktatur der gleichgerichteten Einigkeit.“

Paulus Hochgatterer hat erneut vieles von dem, was ihn als politischen Zeitgenossen in Österreich bewegt und beschäftigt, sehr gelungen in seine beiden Hauptfiguren gelegt und einen offenen, den Leser teilweise verstörenden Roman geschrieben, in der er Verbrechen an Kindern thematisiert, die am Rande der Gesellschaft leben. Hochgatterer erzählt auch durch seine besondere Technik undramatisch, und erzielt beim Leser dadurch eine Wirkung, die ihn aufs Tiefste berührt.

Ein großer Roman mit beeindruckenden Figuren.

Veröffentlicht am 24.10.2019

Nach „Kaltenbruch“ ein weiterer anspruchsvoller Roman von Michaela Küpper, der mich sehr gespannt auf ihr nächstes Buch warten lässt.

Der Kinderzug
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Michaela Küpper, Der Kinderzug, Droemer Verlag 2019, ISBN 978-3-426-28218-2

Nachdem ihr erster Roman bei Droemer („Kaltenbruch“), ein Kriminalroman, der in der Nachkriegszeit der frühen Bundesrepublik ...

Michaela Küpper, Der Kinderzug, Droemer Verlag 2019, ISBN 978-3-426-28218-2

Nachdem ihr erster Roman bei Droemer („Kaltenbruch“), ein Kriminalroman, der in der Nachkriegszeit der frühen Bundesrepublik spielte, ein großer Erfolg war, hat Michaela Küpper für ihren neuen Roman die in der Literatur bisher wenig beschriebene Institution der Kinderlandverschickung (KLV) der Nationalsozialisten recherchiert und in einer spannenden fiktiven Handlung beschrieben.

Die Hauptfigur des sensibel und atmosphärisch dicht erzählten Romans ist die junge Lehrerin Barbara Salzmann. Sie lebt in Essen, wo sie in einer Schule vor einiger Zeit angefangen hat zu unterrichten. Als im Sommer 1943 die Bombardierungen der Alliierten auch das Ruhrgebiet und Essen erreichen, wird Barbara beauftragt, eine Gruppe von Mädchen auf einer Kinderlandverschickung zu begleiten. Auch der Rektor ihrer Oberschule, Dr. Ritter, wird zusammen mit seiner Familie zu diesem Dienst verpflichtet. Drei Monate lang soll der Aufenthalt in einem Hotel auf der Ostseeinsel Usedom dauern, doch für Barbara und die meisten Mädchen werden lange Jahre bis nach dem Krieg daraus, dauerhaft getrennt von ihren Familien. Barbaras Freund Johann, ein Soldat, der kurz danach auch wieder zur Front muss, verabschiedet sie am Essener Bahnhof unter Tränen. Sie wissen nicht, ob sie sich angesichts der politischen Lage jemals wiedersehen werden.

Das neue Heim der Mädchen erweist sich als angenehme Überraschung. Es gibt ausreichend und gut zu essen, und Barbara kann die Mädchen täglich unterrichten. In einem benachbarten Lager von Jungen geht es anders zu. Da werden die Jungs militärisch gedrillt und viele freuen sich schon auf ihren späteren Einsatz als Soldaten.

Michaela Küpper treibt die sich über zwei lange Jahre hinziehende dramatische Handlung voran, in dem sie insgesamt vier Personen immer wieder von sich erzählen lässt, bzw. den Erzähler von ihnen. Da ist zunächst Barbara Salzmann selbst, deren Schicksal als junge Frau im Nationalsozialismus sozusagen das Zentrum des Romas bildet. Dann gibt es die kleine Edith, die mitverschickt wurde, obwohl sie eigentlich zu jung ist für die Gruppe. An ihrem Beispiel macht die Autorin deutlich, was es für kleinere Kinder bedeutete, so lange von zu Hause und den Eltern getrennt zu sein. Ihre ältere Schwester Gisela vertraut ihrem Tagebuch alles an, was sie erlebt. Und da ist Karl, dessen Schicksal die Autorin weiterverfolgt, auch nachdem beide Gruppen längst Usedom wieder verlassen haben und in unterschiedlichen Häusern quer durch das Deutsche Reich immer wieder nur für kurze Zeit unterkommen. Karl ist bei der HJ und ein glühender Anhänger Hitlers.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist eine wahre Odyssee. Sie führt nicht nur die Lehrerin Barbara an ihre Grenzen, sondern auch die Kinder. Einzelne von ihnen muss Barbara im Lauf der langen Zeit Briefe mit Todesnachrichten naher Verwandter vorlesen und sie in ihrer unendlichen Trauer stützen, was sie jedes Mal an den Rand ihrer seelischen Kraft bringt. Sie, die sich lange aus der Politik herauszuhalten versuchte, wird immer kritischer, als sie zunehmend mit den Methoden und Plänen der Nationalsozialisten konfrontiert wird. Als dann während des Aufenthaltes in einem der vielen wechselnden Unterkünfte, die ihr und ihren Mädchen Schutz bieten sollen, ein Mädchen verschwindet und ein polnischer Fremdarbeiter, der sich rührend um die Gruppe gekümmert hatte, nicht nur verdächtigt, sondern auf dem Marktplatz aufgehängt wird, da platzt ihr der Kragen und sie bietet den örtlichen NS-Funktionären die Stirn.

Ein dramatisches Ende wird schon ganz zu Anfang des Buches beschrieben, nur kennt man da die Handlung noch nicht. Der Roman ist ein bewegendes Stück literarischer Zeitgeschichte. Er beschreibt sehr gut recherchiert auf dem historischen Hintergrund der wenig bekannt gewordenen Kinderlandverschickungen der Nazis das Schicksal einer immer stärker und mutiger werdenden Frau und am Beispiel einiger ausgewählter Kinderfiguren, wie der Krieg deren Kindheit geprägt und verformt hat.

In einem Nachwort gibt die Autorin Aufschluss über ihre Recherchen und zitiert sie in diesem Zusammenhang auch Loki Schmidt, die selbst als Junglehrerin im Rahmen der KLV tätig gewesen ist.

Durch die immer nach maximal zehn Seiten wechselnden Erzählperspektiven wird der Roman schnell zu einer spannenden, aber sehr bewegenden Lektüre, die dem Leser eine Geschichte der letzten Jahre des NS-Systems bis in die Zeit im September 1945 bietet, die er bisher wahrscheinlich nicht kannte.

Nach „Kaltenbruch“ ein weiterer anspruchsvoller Roman von Michaela Küpper, der mich sehr gespannt auf ihr nächstes Buch warten lässt.




Veröffentlicht am 24.10.2019

Ich halte dieses mir bis heute unbekannte Buch für das beste von Paulo Coelho. Es kann und will immer wieder gelesen werden.

Der Weg des Bogens
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Paulo Coelho, Der Weg des Bogens, Diogenes 2019, ISBN 978-3-257-07091-0

Schon 2003 und dann wieder 2011 ist dieses kleine spirituelle Kleinod von Paulo Coelho auf Spanisch erschienen. 2017 hat, parallel ...

Paulo Coelho, Der Weg des Bogens, Diogenes 2019, ISBN 978-3-257-07091-0

Schon 2003 und dann wieder 2011 ist dieses kleine spirituelle Kleinod von Paulo Coelho auf Spanisch erschienen. 2017 hat, parallel zu einem Hörbuch, der Diogenes Verlag in Zürich die erste deutsche Buchausgabe seines vielleicht besten und tiefsten spirituellen Buches vorgelegt, das nun zwei Jahre später in einer speziellen Geschenkausgabe noch einmal verlegt wird.
Es ist, eingebettet in eine kleine Geschichte, eine wunderbare und inspirierende Anleitung Coelhos über Ziele, wie man sich ihnen nähert, wie man sie verfolgt und erreicht und wie man sie wieder loslässt um sich dem nächsten zu widmen. Dabei ist „Der Weg des Bogens“ und das Bogenschießen und seine Elemente ein Sinnbild für das ganze Leben, wie wir es leben und mit Sinn erfüllen. Es geht viel um Haltung, um die Überwindung von Schwierigkeiten, um Standfestigkeit, und den Mut, riskante Entscheidungen zu treffen.

Es ist die Geschichte von Tsetsuya, der sich als bester Bogenschütze des Landes in ein abgelegenes Tal zurückgezogen hat und dort eine kleine Tischlerwerkstatt betreibt. Eines Tages bekommt er Besuch von einem anderen erfolgreichen Bogenschützen, der lange gesucht hat, bis er mit Hilfe eines Jungen Tsetsuya gefunden hat. Er will, sich mit ihm messen. Der nimmt die Herausforderung an und düpiert den ehrgeizigen Konkurrenten, der daraufhin abzieht, ohne dass er in die Kunst Tsetsuyas eingeführt worden wäre, wie er sich gewünscht hatte.

Stattdessen erklärt der Tischler dem Jungen auf dessen Frage hin auf dem Heimweg den „Weg des Bogens“ Er spricht über die sogenannten Verbündeten, die jeder erfolgreichen Schütze haben müsse, über den Bigen, den Pfeil, das Ziel, die Haltung, wie man den Pfeil hält, wie man den Bogen hält, wie man die Sehen spannt, wie man auf das Ziel blickt. Er spricht über den Augenblick des Abschusses, über die Wiederholung, über den Flug des Pfeils und schließlich über den Schützen selbst.

All diese Elemente stehen sinnbildlich für das gesamte Leben und jede einzelne Handlung in jedem einzelnen Leben. Coelho selbst hat dazu gesagt: „Ich habe diesen Text geschrieben, in dem Bogen, Pfeil und Ziel und Schütze Teil des gleichen Systems von Entwicklung und Herausforderung sind.“
Ich halte dieses mir bis heute unbekannte Buch für das beste von Paulo Coelho. Es kann und will immer wieder gelesen werden.

Veröffentlicht am 22.10.2019

Was seine Stimme allerdings bewirkt: sie steigert die Spannung, die das Buch und die Geschichte, die es erzählt, auszeichnet.

Der Wanderer
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Luca D` Àndrea, Der Wanderer (Hörbuch), der Hörverlag 2019, ISBN 978-3-8445-3199-2

Mit dem neuen Thriller des Südtiroler Erfolgsautors Luca D`Andrea habe ich mich schwer getan. Zu verworren scheint zunächst ...

Luca D` Àndrea, Der Wanderer (Hörbuch), der Hörverlag 2019, ISBN 978-3-8445-3199-2

Mit dem neuen Thriller des Südtiroler Erfolgsautors Luca D`Andrea habe ich mich schwer getan. Zu verworren scheint zunächst die Handlung, zu unklar die ab der Mitte des Buches eingeführte geheimnisvolle Figur des „Wanderers“, die dem Buch seinen Titel gab.

Das Buch spielt in Kreuzwirt, einem auf den ersten Blick beschaulichen kleinen Örtchen in Südtirol, an dem der Tourismus vor langer Zeit schon vorbeigegangen ist. Kreuzwirt entpuppt sich als ein Ort voller Geheimnisse und vielfältiger Seilschaften, in die der zunächst von der Handlung etwas verwirrte Leser im Laufe des Buches einen düsteren Einblick erhält.

Als die junge, motorradbegeisterte Sybille eines Tages einen Brief ohne Absender erhält, befindet sich in ihm ein Bild ihrer toten Mutter. Vor über zwanzig Jahren war sie bei einem mysteriösen Unfall am See ums Leben gekommen, ein Unfall, der damals schnell als Selbstmord zu den Akten gelegt wurde.

Irgendwer will Sybille mit diesem Hinweis zeigen, dass sich ihre Mutter damals eben nicht umgebracht hat, sondern dass sie ermordet wurde. Zusammen mit dem Schriftsteller Tony, der damals als junger Lokaljournalist über das Geschehen berichtete und der mit seinem riesigen Bernhardiner allein lebt, begibt sie sich auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. Was ist da vor zwanzig Jahren wirklich geschehen, als man „die narrische Erika“, die anderen Menschen aus Tarotkarten die Zukunft gelesen hat und in Kreuzwirt keineswegs beliebt war, tot an dem abgelegenen Bergsee gefunden hat? Was hat es mit dem seltsamen Tarotzeichen auf sich, das vom Bösen kündet?

Die beiden, die im Laufe der Handlung durchaus Gefühle füreinander entwickeln, stoßen sehr schnell auf ein Geflecht aus Lügen, Eifersucht und Verrat. Da spielen Drogen eine Rolle, Okkultismus und immer wieder auch ein große Portion Wahnsinn, die der Leser erst einmal mehr oder weniger erfolgreich entwirren muss.

Es stellt sich bald heraus, dass das Sonderbare und abgrundtief Geheimnisvolle an der ganzen Geschichte, die der Autor da entwickelt, auf eine schwer zu entschlüsselnde Weise mit der Geschichte der ganzen Dorfgemeinschaft selbst zusammenhängt. Die blockt alle Aufklärungsversuche rigoros ab und beginnt die beiden „Ermittler“ sogar zu bekämpfen.

Der Autor lässt den Leser auf weiten Strecken im Unklaren, wer da auf welcher Seite steht. Teils verworrene Handlungsstränge und Gedanken hängen miteinander zusammen, oder etwa doch nicht?

Mir ist es so gegangen, dass ich besonders nach langen Leseabschnitten stellenweise dachte, einen Faden der Lösung gefunden zu haben, nur um ihn bald nach einer längeren Lesepause wieder zu verlieren.

Dennoch gelingt es dem Autor, seinen Leser bei der Stange zu halten, der unbedingt wissen will, was sich nun genau hinter all den Geheimnissen des Ortes verbirgt und vor allem, wie die bald eingeführte Figur des „Wanderers“ zu interpretieren ist.

Die Lösung soll hier natürlich offen bleiben. Doch wenn man trotz der erwähnte Wirrungen tapfer am Buch bleibt, stellt sich ein ungewöhnlicher Leseeffekt ein, der den Leser nicht mehr loslassen will und der sehr viel mit der Sprache und dem Gesamtarrangement des Autors zu tun hat.

Dennoch: seine beiden ersten Bücher haben mir besser gefallen. Den für die Lektüre des neuen Buches nötigen Sinn für Esoterik besitze ich nicht.

Daran konnte auch die hervorragende Einspielung des Romans in einer eicht gekürzten Fassung durch Matthias Koeberlin, die hier im Hörverlag als mp 3 erschienen ist, nichts ändern. Auch beim reinen Hören wurde mir die teilweise schwer verständliche Handlung nicht klarer und auch die dunkle Gestalt des „Wanderers“ hat sich mir nicht weiter entschlüsselt.

Was seine Stimme allerdings bewirkt: sie steigert die Spannung, die das Buch und die Geschichte, die es erzählt, auszeichnet.