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Veröffentlicht am 27.09.2021

Eine originelle Zeitreisegeschichte!

The Upper World – Ein Hauch Zukunft
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Femi Fadugbas brandneuer Scie-Fie-Thriller, der übrigens heute seinen Buchgeburtstag feiert, ist mir in der Verlagsvorschau ins Auge gestochen, da er die beiden komplexen Themenfelder Quantenphysik und ...

Femi Fadugbas brandneuer Scie-Fie-Thriller, der übrigens heute seinen Buchgeburtstag feiert, ist mir in der Verlagsvorschau ins Auge gestochen, da er die beiden komplexen Themenfelder Quantenphysik und Race Relations verbindet. Wie es in einem Jugendbuch sowohl um die Gang-Kultur in London als auch um die wissenschaftliche Fundierung von Zeitreisen gehen sollte, war mir ein so großes Rätsel, dass ich unbedingt wissen musste, wie der Autor diese beiden Aspekte zu einem YA-Thriller vereinen will. Nachdem ich "The Upper World" nun gelesen habe, weiß ich wie: mit zwei sympathischen Protagonisten, einem humorig-flotten Schreibstil und einer Menge origineller Ideen als Kleber. Doch auch wenn "The Upper World" ein wirklich ungewöhnliches Jugendbuch ist, klemmt es an einigen Ecken und Enden noch ein bisschen...

Doch beginnen wir wie immer mit der Gestaltung. Auf dem schwarzen Umschlag der gebundenen Ausgabe ist mittig ein knallbuntes Bild eines Jungenkopfes zu sehen, der von Blitzen, pixeligen Bildern und Stadtfragmenten umgeben ist, welche aus seinem Kopf hervorbrechen zu scheinen. Futuristisch, knallig, explosiv - diese Adjektive fallen mir zur Gestaltung ein und mit diesen kann man auch die Geschichte gut umschreiben. Mit "The Upper World" hat der cbj Verlag den englischen Originaltitel übernommen, der auf Platons Höhlengleichnis anspielt, nach dem wir Menschen nur die geheimnisvollen Schatten einer uns verborgenen "oberen Welt" sehen können, die uns aber verborgen und deshalb Gegenstand von Spekulationen und Deutungen bleibt. Um genau diese "obere Welt", die jenseits von unseren Illusionen über das, was wir Realität und Wirklichkeit nennen, liegt und an die wir uns nur über Mathematik, Physik und Philosophie annähern können, geht es in diesem Jugendroman. "The Upper World" verbindet also antike Philosophie in Form von Platons Höhlengleichnis mit mathematischen und physikalischen Grundsätzen, um eine Sicence-Fiction-Welt zu schaffen, die Zeit, Materie und Energie in einen realistischen Zusammenhang stellt, aber Raum für eine abenteuerliche Handlung lässt.


Erste Sätze: "Es braucht schon eine beeindruckende Mischung aus Dämlichkeit und Pech, um mitten in einen Bandenkrieg zu geraten, obwohl man nicht einmal Mitglied einer Gang ist. Ich schaffte das in weniger als einer Woche. Und das war noch vor der Sache mit dem Zeitreisen."


Den ersten Kontakt mit dieser Science-Fiction-Welt, der "oberen Welt" haben wir zusammen mit dem ersten Ich-Erzähler, dem afrikanisch stämmigen Esso, der nach einem Autounfall in eine andere Realität eintritt, von dem er in einem Notizbuch von seinem verstorbenen Vater schon gelesen hat. Hitze, Blitze und Projektionen, die Szenen - vergangene und kommende - aus seinem ganzen Leben zeigen? Zunächst ist er sich noch sicher, dass er sich so stark den Kopf gestoßen hat, dass er verrückt geworden ist. Aber als die ersten der gesehenen Szenen sich bewahrheiten, muss er einsehen, dass an dem Gefasel über die "obere Welt" doch etwas dran sein muss und sein Vater vielleicht doch kein sektentreuer Spinner war. Doch was bedeutet das für sein weiteres Leben, wenn alle kommenden Geschehnisse schon festgeschrieben sind? Und vor allem: wird dann womöglich auch die schrecklichste Vorhersage von allen wahr...?

Während wir dem jungen Esso dabei zusehen, wie er im Jahr 2020 alles tut, um zu verhindern, dass eintritt, was er in der "oberen Welt" gesehen hat, um sich, seine Freunde und seine große Liebe Nadia zu retten und sich aus der Schusslinie zwischen zwei Gangs heraus zu manövrieren, erhaschen wir durch einen zweiten Handlungsstrang einen Blick in die Zukunft. Neben Esso erzählt nämlich auch die elternlose Rhia aus der Ich-Perspektive, wie sie im Jahr 2035 auf der Suche nach Antworten über ihre Herkunft ist. Als der ominöse Nachhilfelehrer Dr. Esso bei ihr auftaucht und ein Bild von ihrer Mutter bei sich trägt, scheint sie den Antworten so nah zu sein, wie noch nie zuvor. Doch statt ihr von ihrer Familie zu erzählen, stellt er ihr Physikaufgaben und faselt von Zeitreisen. Je mehr Rhia aber über Energie, Zeit und Dimensionen erfährt, desto mehr Hoffnung bekommt sie: ist es vielleicht tatsächlich möglich, Geschehenes ungeschehen zu machen und ihre Mutter zu retten...?


"Feind" ist nur ein Etikett, das wir jemandem verpassen, dessen Vergangenheit und Zukunft wir noch nicht kennen, jemand, dessen Geschichte noch erzählt werden muss."


Der nigerianische Femi Fadugba hat einen Master in Quantenphysik von der Universität Oxfords und bringt in seinem Romandebüt zwei Welten zusammen, die er selbst gut kennt: die der Physik und die der Straßengangs im Süden Londons. Erstere Welt spiegelt sich in dem bereits oben erwähnten Science-Fiction-Anteil der Geschichte wider, welcher auf einem Grundgerüst aus tatsächlicher Mathematik und Physik gebaut ist. Mit seinem Doktor in Quantenphysik hat der Autor uns als Lesern natürlich einiges voraus, aber egal ob Einsteins Relativitätstheorie, das Paradoxon der Lichtgeschwindigkeit, der Satz des Pythagoras, Unschärfetheorie oder Gravitation - der Autor hat sich große Mühe gegeben, sich einfache und eindrückliche Beispiele zu überlegen, um seine Überlegungen zu untermauern und den Lesern nahe zu bringen. Neben den Beispielen benutzt er auch viele greifbare Analogien und schlägt aus seinem lockeren, humorvollen Schreibstil Kapital, um die Geschichte trotz der Realitätsbezüge nicht trocken erscheinen zu lassen. Ich habe schon wirklich von einer ganzen Menge gut durchdachter Scie-Fie-Welten gelesen, aber eine, die auf wissenschaftlich fundierten Annahmen beruht und dabei trotzdem so unterhaltsam geschrieben ist, sprengt wirklich den Rahmen.

Leider schöpft der Autor meiner Meinung nach seinen innovative Worldbuildingansatz viel zu wenig aus und hat mit zwei Problemen zu kämpfen. Erstens ist durch die Bindung an die mathematische Realität der Handlungsspielraum eingeschränkt und sobald die Realität zugunsten der Dramatik gedehnt wird, wird es sehr schnell unrealistisch. Dies ist vor allem im Showdown ein Problem, bei welchem mir die Handlung für den zuvor sorgsam aufgebauten physikalischen Hintergrund viel zu weit ins Magische abgedriftet ist. Das zweite Problem ist, dass Femi Fadugba seinen LeserInnen zu wenig zutraut und er seine Ausführungen viel zu selten in die Handlung integriert. Ich habe das Gefühl, der Autor wollte seine LeserInnen nicht mit zu vielen Exkursen überfordern und garantieren, dass man die Geschichte auch ohne Verständnis von Mathe und Physik verstehen kann, dabei aber die dargelegten Überlegungen zu stark vom tatsächlichen Geschehen getrennt. Auf diese Weise wirkt der Physikanteil an manchen Stellen wie ein störender Randfaktor, der die Handlung davon abhält, wirklich greifbar zu sein. Dadurch dass wir nicht eher oberflächlich in die Thematik einsteigen, hat man außerdem zu keinem Zeitpunkt des Romans das Gefühl, sich auf einer ähnlichen Wissensebene wie die Figuren zu befinden. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass der Autor zwar zusätzliche Skizzen, Herleitungen, Rechnungen und Beweise hinten im Anhang eingefügt hat, diese aber nicht aktiv eingebunden werden. So habe ich mich dabei erwischt, nur grob über die Gleichungen hinwegzublättern und mich gar nicht ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Der Autor hätte also meines Erachtens nach entweder seinen Realitätsanspruch zugunsten der Handlung etwas mehr herunterschrauben, oder eben die LeserInnen noch stärker auf die physikalische Gedankenreise mitnehmen müssen, um das, was passiert auch wirklich nachvollziehbar machen zu können.


"Jedes Ding und jeder Mensch hinterlässt seine Spur in der vierdimensionalen Raum-Zeit - das ist eine Weltlinie: eine Spur aus Momenten. Physiker zeichnen sie als krumme Linie in einer Grafik. Aber hier - in dieser realeren Realität - ist sie eine lange Reihe von Projektionen, anfangen mit dem Tag, an dem du geboren wurdest, bis zum Augenblick deines Todes."


Neben dem Science-Fiction-Anteil hat "The Upper World" aber noch ein anderes, viel handfesteres Herzensthema: den Alltag in einem Londoner Problemviertel. Gangs, Kriminalität, Gewalt, Rassismus, Armut, Perspektivlosigkeit - das sind Probleme, mit denen sich Esso neben dem ungewollten Ausflug in die Zukunft herumschlagen muss. Auch Rhia hat fünfzehn Jahre später ähnliche Probleme und steht vor ungerechten Hürden, sodass es fast unmöglich ist, sich beim Lesen nicht mit den beiden, die schon in jungen Jahren eine Menge aushalten müssen, zu solidarisieren. Während in Erzählperspektive die Milieubetrachtung eine große Rolle spielt, fließen in Rhias Perspektive noch futuristische Erfindungen und Entwicklungen mit ein, mit denen der Autor ebenfalls eine politische Botschaft sendet. Dass die Figuren an sich darüber wenig Zeit haben, sich zu entwickeln, tut meiner Begeisterung für die Geschichte keinen großen Abbruch.

Ein wichtigerer Grund, weshalb ich einen Stern bei der Bewertung abgezogen habe, ist das Ende. Dieses wird dem grandiosen Beginn, in Laufe dessen man sich allerlei Hypothesen ausmalt, wie die beiden Handlungsstränge zusammenhängen, weshalb Esso Rhia braucht, um einen Kampf gegen die Zeit zu führen und was die beiden am Ende erreichen wollen, nämlich nicht gerecht. Sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch der Showdown, zu dem diese führen habe mich nicht ganz überzeugen können und blieben hinter meinen Erwartungen zurück. Das liegt zum einen daran, dass das tatsächliche Ende für mich viel zu vorhersehbar war (Spoiler Dass Esso bei seiner Reise in die Vergangenheit nichts ändert, sondern nur dafür sorgt, dass alles so kommt, wie es gekommen ist - denn alles andere würde der grundsätzlichen Logik eines fortlaufenden, schon feststehenden Zeitstrahls komplett widersprechen - war mir schon von Beginn an klar. Insgesamt ist das für den Spannungsbogen aber ein eher mittelmäßig befriedigendes Ergebnis ). Zum anderen erschienen mir einige Handlungen nicht ganz logisch (Spoiler Zum Beispiel erschließt sich mir einfach nicht, warum Esso nicht einfach seine Freunde und Nadia warnt, NICHT zur Bibliothek zu gehen, wenn er weiß, was passieren wird. Und warum reisen sie nicht noch zu einem anderen Zeitpunkt zurück, um Nadia davor zu retten, später in der Klinik zu sterben? Und weshalb sie in der "Nachberechnung" plötzlich physikalischen Gesetze außer Kraft heben können, ist mir auch nicht klar, dass das in keinster Weise durch die zu vorigen Erklärungen abgedeckt wird. ).


"Glauben ist sehen, Esso. Ohne Glaube gibt es keine Hoffnung. Und ohne Hoffnung gibt es nur eine Gasse mit Teenagern, die zu Hashtags werden."




Fazit:


"The Upper World" ist eine originelle Zeitreise-Geschichte, welche antike Philosophie, mathematische und physikalische Grundsätze und ein reales Gang-Setting im Herzen von London verbindet. Den Bogen zwischen Quantenphysik und Race Relations zu schlagen, gelingt Femi Fadugba allen Zweifeln zum Trotz durch zwei sympathische Protagonisten, einem humorig-flotten Schreibstil und einer Menge origineller Ideen. Leider hapert es etwas am Ende, wo der verrückte Genremix an seine Grenzen stößt...

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.09.2021

Eine originelle Zeitreisegeschichte!

The Upper World – Ein Hauch Zukunft
0

Femi Fadugbas brandneuer Scie-Fie-Thriller, der übrigens heute seinen Buchgeburtstag feiert, ist mir in der Verlagsvorschau ins Auge gestochen, da er die beiden komplexen Themenfelder Quantenphysik und ...

Femi Fadugbas brandneuer Scie-Fie-Thriller, der übrigens heute seinen Buchgeburtstag feiert, ist mir in der Verlagsvorschau ins Auge gestochen, da er die beiden komplexen Themenfelder Quantenphysik und Race Relations verbindet. Wie es in einem Jugendbuch sowohl um die Gang-Kultur in London als auch um die wissenschaftliche Fundierung von Zeitreisen gehen sollte, war mir ein so großes Rätsel, dass ich unbedingt wissen musste, wie der Autor diese beiden Aspekte zu einem YA-Thriller vereinen will. Nachdem ich "The Upper World" nun gelesen habe, weiß ich wie: mit zwei sympathischen Protagonisten, einem humorig-flotten Schreibstil und einer Menge origineller Ideen als Kleber. Doch auch wenn "The Upper World" ein wirklich ungewöhnliches Jugendbuch ist, klemmt es an einigen Ecken und Enden noch ein bisschen...

Doch beginnen wir wie immer mit der Gestaltung. Auf dem schwarzen Umschlag der gebundenen Ausgabe ist mittig ein knallbuntes Bild eines Jungenkopfes zu sehen, der von Blitzen, pixeligen Bildern und Stadtfragmenten umgeben ist, welche aus seinem Kopf hervorbrechen zu scheinen. Futuristisch, knallig, explosiv - diese Adjektive fallen mir zur Gestaltung ein und mit diesen kann man auch die Geschichte gut umschreiben. Mit "The Upper World" hat der cbj Verlag den englischen Originaltitel übernommen, der auf Platons Höhlengleichnis anspielt, nach dem wir Menschen nur die geheimnisvollen Schatten einer uns verborgenen "oberen Welt" sehen können, die uns aber verborgen und deshalb Gegenstand von Spekulationen und Deutungen bleibt. Um genau diese "obere Welt", die jenseits von unseren Illusionen über das, was wir Realität und Wirklichkeit nennen, liegt und an die wir uns nur über Mathematik, Physik und Philosophie annähern können, geht es in diesem Jugendroman. "The Upper World" verbindet also antike Philosophie in Form von Platons Höhlengleichnis mit mathematischen und physikalischen Grundsätzen, um eine Sicence-Fiction-Welt zu schaffen, die Zeit, Materie und Energie in einen realistischen Zusammenhang stellt, aber Raum für eine abenteuerliche Handlung lässt.


Erste Sätze: "Es braucht schon eine beeindruckende Mischung aus Dämlichkeit und Pech, um mitten in einen Bandenkrieg zu geraten, obwohl man nicht einmal Mitglied einer Gang ist. Ich schaffte das in weniger als einer Woche. Und das war noch vor der Sache mit dem Zeitreisen."


Den ersten Kontakt mit dieser Science-Fiction-Welt, der "oberen Welt" haben wir zusammen mit dem ersten Ich-Erzähler, dem afrikanisch stämmigen Esso, der nach einem Autounfall in eine andere Realität eintritt, von dem er in einem Notizbuch von seinem verstorbenen Vater schon gelesen hat. Hitze, Blitze und Projektionen, die Szenen - vergangene und kommende - aus seinem ganzen Leben zeigen? Zunächst ist er sich noch sicher, dass er sich so stark den Kopf gestoßen hat, dass er verrückt geworden ist. Aber als die ersten der gesehenen Szenen sich bewahrheiten, muss er einsehen, dass an dem Gefasel über die "obere Welt" doch etwas dran sein muss und sein Vater vielleicht doch kein sektentreuer Spinner war. Doch was bedeutet das für sein weiteres Leben, wenn alle kommenden Geschehnisse schon festgeschrieben sind? Und vor allem: wird dann womöglich auch die schrecklichste Vorhersage von allen wahr...?

Während wir dem jungen Esso dabei zusehen, wie er im Jahr 2020 alles tut, um zu verhindern, dass eintritt, was er in der "oberen Welt" gesehen hat, um sich, seine Freunde und seine große Liebe Nadia zu retten und sich aus der Schusslinie zwischen zwei Gangs heraus zu manövrieren, erhaschen wir durch einen zweiten Handlungsstrang einen Blick in die Zukunft. Neben Esso erzählt nämlich auch die elternlose Rhia aus der Ich-Perspektive, wie sie im Jahr 2035 auf der Suche nach Antworten über ihre Herkunft ist. Als der ominöse Nachhilfelehrer Dr. Esso bei ihr auftaucht und ein Bild von ihrer Mutter bei sich trägt, scheint sie den Antworten so nah zu sein, wie noch nie zuvor. Doch statt ihr von ihrer Familie zu erzählen, stellt er ihr Physikaufgaben und faselt von Zeitreisen. Je mehr Rhia aber über Energie, Zeit und Dimensionen erfährt, desto mehr Hoffnung bekommt sie: ist es vielleicht tatsächlich möglich, Geschehenes ungeschehen zu machen und ihre Mutter zu retten...?


"Feind" ist nur ein Etikett, das wir jemandem verpassen, dessen Vergangenheit und Zukunft wir noch nicht kennen, jemand, dessen Geschichte noch erzählt werden muss."


Der nigerianische Femi Fadugba hat einen Master in Quantenphysik von der Universität Oxfords und bringt in seinem Romandebüt zwei Welten zusammen, die er selbst gut kennt: die der Physik und die der Straßengangs im Süden Londons. Erstere Welt spiegelt sich in dem bereits oben erwähnten Science-Fiction-Anteil der Geschichte wider, welcher auf einem Grundgerüst aus tatsächlicher Mathematik und Physik gebaut ist. Mit seinem Doktor in Quantenphysik hat der Autor uns als Lesern natürlich einiges voraus, aber egal ob Einsteins Relativitätstheorie, das Paradoxon der Lichtgeschwindigkeit, der Satz des Pythagoras, Unschärfetheorie oder Gravitation - der Autor hat sich große Mühe gegeben, sich einfache und eindrückliche Beispiele zu überlegen, um seine Überlegungen zu untermauern und den Lesern nahe zu bringen. Neben den Beispielen benutzt er auch viele greifbare Analogien und schlägt aus seinem lockeren, humorvollen Schreibstil Kapital, um die Geschichte trotz der Realitätsbezüge nicht trocken erscheinen zu lassen. Ich habe schon wirklich von einer ganzen Menge gut durchdachter Scie-Fie-Welten gelesen, aber eine, die auf wissenschaftlich fundierten Annahmen beruht und dabei trotzdem so unterhaltsam geschrieben ist, sprengt wirklich den Rahmen.

Leider schöpft der Autor meiner Meinung nach seinen innovative Worldbuildingansatz viel zu wenig aus und hat mit zwei Problemen zu kämpfen. Erstens ist durch die Bindung an die mathematische Realität der Handlungsspielraum eingeschränkt und sobald die Realität zugunsten der Dramatik gedehnt wird, wird es sehr schnell unrealistisch. Dies ist vor allem im Showdown ein Problem, bei welchem mir die Handlung für den zuvor sorgsam aufgebauten physikalischen Hintergrund viel zu weit ins Magische abgedriftet ist. Das zweite Problem ist, dass Femi Fadugba seinen LeserInnen zu wenig zutraut und er seine Ausführungen viel zu selten in die Handlung integriert. Ich habe das Gefühl, der Autor wollte seine LeserInnen nicht mit zu vielen Exkursen überfordern und garantieren, dass man die Geschichte auch ohne Verständnis von Mathe und Physik verstehen kann, dabei aber die dargelegten Überlegungen zu stark vom tatsächlichen Geschehen getrennt. Auf diese Weise wirkt der Physikanteil an manchen Stellen wie ein störender Randfaktor, der die Handlung davon abhält, wirklich greifbar zu sein. Dadurch dass wir nicht eher oberflächlich in die Thematik einsteigen, hat man außerdem zu keinem Zeitpunkt des Romans das Gefühl, sich auf einer ähnlichen Wissensebene wie die Figuren zu befinden. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass der Autor zwar zusätzliche Skizzen, Herleitungen, Rechnungen und Beweise hinten im Anhang eingefügt hat, diese aber nicht aktiv eingebunden werden. So habe ich mich dabei erwischt, nur grob über die Gleichungen hinwegzublättern und mich gar nicht ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Der Autor hätte also meines Erachtens nach entweder seinen Realitätsanspruch zugunsten der Handlung etwas mehr herunterschrauben, oder eben die LeserInnen noch stärker auf die physikalische Gedankenreise mitnehmen müssen, um das, was passiert auch wirklich nachvollziehbar machen zu können.


"Jedes Ding und jeder Mensch hinterlässt seine Spur in der vierdimensionalen Raum-Zeit - das ist eine Weltlinie: eine Spur aus Momenten. Physiker zeichnen sie als krumme Linie in einer Grafik. Aber hier - in dieser realeren Realität - ist sie eine lange Reihe von Projektionen, anfangen mit dem Tag, an dem du geboren wurdest, bis zum Augenblick deines Todes."


Neben dem Science-Fiction-Anteil hat "The Upper World" aber noch ein anderes, viel handfesteres Herzensthema: den Alltag in einem Londoner Problemviertel. Gangs, Kriminalität, Gewalt, Rassismus, Armut, Perspektivlosigkeit - das sind Probleme, mit denen sich Esso neben dem ungewollten Ausflug in die Zukunft herumschlagen muss. Auch Rhia hat fünfzehn Jahre später ähnliche Probleme und steht vor ungerechten Hürden, sodass es fast unmöglich ist, sich beim Lesen nicht mit den beiden, die schon in jungen Jahren eine Menge aushalten müssen, zu solidarisieren. Während in Erzählperspektive die Milieubetrachtung eine große Rolle spielt, fließen in Rhias Perspektive noch futuristische Erfindungen und Entwicklungen mit ein, mit denen der Autor ebenfalls eine politische Botschaft sendet. Dass die Figuren an sich darüber wenig Zeit haben, sich zu entwickeln, tut meiner Begeisterung für die Geschichte keinen großen Abbruch.

Ein wichtigerer Grund, weshalb ich einen Stern bei der Bewertung abgezogen habe, ist das Ende. Dieses wird dem grandiosen Beginn, in Laufe dessen man sich allerlei Hypothesen ausmalt, wie die beiden Handlungsstränge zusammenhängen, weshalb Esso Rhia braucht, um einen Kampf gegen die Zeit zu führen und was die beiden am Ende erreichen wollen, nämlich nicht gerecht. Sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch der Showdown, zu dem diese führen habe mich nicht ganz überzeugen können und blieben hinter meinen Erwartungen zurück. Das liegt zum einen daran, dass das tatsächliche Ende für mich viel zu vorhersehbar war (Spoiler Dass Esso bei seiner Reise in die Vergangenheit nichts ändert, sondern nur dafür sorgt, dass alles so kommt, wie es gekommen ist - denn alles andere würde der grundsätzlichen Logik eines fortlaufenden, schon feststehenden Zeitstrahls komplett widersprechen - war mir schon von Beginn an klar. Insgesamt ist das für den Spannungsbogen aber ein eher mittelmäßig befriedigendes Ergebnis ). Zum anderen erschienen mir einige Handlungen nicht ganz logisch (Spoiler Zum Beispiel erschließt sich mir einfach nicht, warum Esso nicht einfach seine Freunde und Nadia warnt, NICHT zur Bibliothek zu gehen, wenn er weiß, was passieren wird. Und warum reisen sie nicht noch zu einem anderen Zeitpunkt zurück, um Nadia davor zu retten, später in der Klinik zu sterben? Und weshalb sie in der "Nachberechnung" plötzlich physikalischen Gesetze außer Kraft heben können, ist mir auch nicht klar, dass das in keinster Weise durch die zu vorigen Erklärungen abgedeckt wird. ).


"Glauben ist sehen, Esso. Ohne Glaube gibt es keine Hoffnung. Und ohne Hoffnung gibt es nur eine Gasse mit Teenagern, die zu Hashtags werden."




Fazit:


"The Upper World" ist eine originelle Zeitreise-Geschichte, welche antike Philosophie, mathematische und physikalische Grundsätze und ein reales Gang-Setting im Herzen von London verbindet. Den Bogen zwischen Quantenphysik und Race Relations zu schlagen, gelingt Femi Fadugba allen Zweifeln zum Trotz durch zwei sympathische Protagonisten, einem humorig-flotten Schreibstil und einer Menge origineller Ideen. Leider hapert es etwas am Ende, wo der verrückte Genremix an seine Grenzen stößt...

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2021

Witzig, lebensnah, aber leider etwas überspitzt...

Der erste letzte Tag
0

Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist ...

Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist auch dieser Roman, der als Ablenkung während des zweiten Lockdowns entstanden ist, hochspannend, hat ein flottes Erzähltempo und lässt sich in wenigen Stunden weglesen, wie man das von seinen Thrillern gewöhnt ist. Statt Mord und Totschlag, Blut und Gedärme, Abgründe und Unmenschlichkeit gibt es hier aber philosophische Diskussionen, spritzige Gags, absurde Aktionen und eine zarte Freundschaft. Da Livius und Lea auf ihrem gezwungenen Roadtrip von München nach Hamburg allerlei schräge Dinge zustoßen - unter anderem flüchten sie aus einem Altersheim, schmuggeln Obdachlose in ein Luxushotel, tauschen einen Mietwagen gegen einen Schweinetransporter und lassen sich von einem tschetschenischen Masseur vermöbeln - sollte man besser etwas geistige Flexibilität mitbringen. Denn zugegebenermaßen ist die Handlung an einigen Stellen total überzogen und gerade zu haareraufend absurd - dennoch: der Pfad, den die Geschichte einschlägt, ist gerade durch diese ständige Überspritzung herrlich unvorhersehbar.

Schreibstil
: Sebastian Fitzek hat bisher nur in Interviews und Danksagungen bewiesen, dass er einen lebendigen Humor hat und sich ansonsten eher auf dunklere Emotionsgefilde konzentriert. In diesem neuen Genreexperiment konnte er sich jedoch ganz ausleben und hat mich damit so herzhaft zum Lachen gebracht wie schon lange kein Buch mehr. Neben vielen plastischen Vergleichen und unschlagbarer Situationskomik sorgt vor allem der selbstironische Erzähler dafür, dass man es dem Autor gerne verzeiht, wenn ein Witz mal nicht sitzt oder er es mit dem gelegentlichen Fäkalhumor übertreibt. Besonders gut hat mir aber gefallen, dass die Geschichte sich nicht allein auf platte Gags ausruht, sondern unter der spaßigen Verpackung tatsächlich auch ein ernstes Thema zum Vorschein kommt. Eine gewisse Tragik kann man dem Roman nicht absprechen, trotz der Endzeitstimmung des "ersten letzten Tages" strahlt die Geschichte jedoch große Leichtigkeit, Flexibilität und Freude am Leben aus, sodass "Der erste letzte Tag" auf jeden Fall unter die Rubrik "Wohlfühlbuch" zu verorten ist.

Figuren:
Genau wie die Handlung und der Humor sind auch die beiden Hauptfiguren etwas überzeichnet. Mit dem vorhersehbaren Lehrer, der bei jedem Schritt auf seinem Lebensplan cool und locker erscheinen will, aber schon lange seinen Weg verloren hat und der lebensfrohen, sprunghaften Idealistin, die als lebendiges Öko-Klischee durchgehen würde, treffen hier zwei sehr gegensätzliche Figuren aufeinander, die jedoch sehr ähnliche Werte vertreten und sich auf den 790 Kilometern zwischen München und Hamburg immer mehr annähern. Etwas schade fand ich, dass Lea im Kapitel 18 einmal selbst erzählen darf und dabei ihr wohlgehütetes Geheimnis schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt verrät. Hier hätte es der Autor seinen LeserInnen meiner Meinung nach schon zumuten können, bis zum Ende bei Spekulationen zu verbleiben.

Gestaltung:
Als letztes will ich noch kurz die tolle Gestaltung des Romans hervorheben. Das Cover ist ganz im Comic-Stil gehalten und zeigt ein blaues winziges Auto, in dem zwei Personen dem Sonnenuntergang über dem Meer entgegenfahren. In orangener Schrift weist außerdem ein "kein Thriller" darauf hin, dass Fans von Sebastian Fitzek hier nicht seine übliche Richtung vorfinden werden. Neben dem passenden Cover hat Illustrator Jörn Stollmann aber auch das Innere der Geschichte mit einfachen Schwarz-Weiß-Zeichnungen verschönert, die die wichtigsten Etappen von Livius´ und Leas Reise graphisch zusammenfassen. Ein Blick in "Der erste letzte Tag" lohnt sich also nicht nur wegen des Inhaltes!



Die Zitate:


"Was tun wir?" Lea sah mich an wie jemanden, der auf einer stillgelegten Rolltreppe darauf wartet, dass sie wieder anläuft. "Na, was wohl. Wir leben diesen einen gemeinsamen Tag lang so, als wäre es unser letzter."

"Was zum...?"
"Frag nicht."
"Aber...?"
"NEIN!" (...)
"Aber du hast keine..."
"Ja ich weiß. Ich habe keine Hosen an", schnauzte ich sie an und startete den Motor. Wie heißt es so schön? Man hat nie wieder eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen."




Das Urteil
:

"Der erste letzte Tag" ist eine mitreißende Roadnovel voller philosophischer Diskussionen, spritziger Gags und absurder Aktionen, die vom Beginn einer Freundschaft erzählt und uns dazu anregen will, mal wieder etwas Verrücktes und Spontanes zu tun. Für dieses Fitzek-Genre-Experiment gibt es eindeutig eine Leseempfehlung von mir. Einen Stern abgezogen habe ich, weil Humor, Handlung und Hauptfiguren leider etwas überzogen sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2021

Witzig, lebensnah, aber leider etwas überspitzt...

Der erste letzte Tag
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Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist ...

Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist auch dieser Roman, der als Ablenkung während des zweiten Lockdowns entstanden ist, hochspannend, hat ein flottes Erzähltempo und lässt sich in wenigen Stunden weglesen, wie man das von seinen Thrillern gewöhnt ist. Statt Mord und Totschlag, Blut und Gedärme, Abgründe und Unmenschlichkeit gibt es hier aber philosophische Diskussionen, spritzige Gags, absurde Aktionen und eine zarte Freundschaft. Da Livius und Lea auf ihrem gezwungenen Roadtrip von München nach Hamburg allerlei schräge Dinge zustoßen - unter anderem flüchten sie aus einem Altersheim, schmuggeln Obdachlose in ein Luxushotel, tauschen einen Mietwagen gegen einen Schweinetransporter und lassen sich von einem tschetschenischen Masseur vermöbeln - sollte man besser etwas geistige Flexibilität mitbringen. Denn zugegebenermaßen ist die Handlung an einigen Stellen total überzogen und gerade zu haareraufend absurd - dennoch: der Pfad, den die Geschichte einschlägt, ist gerade durch diese ständige Überspritzung herrlich unvorhersehbar.

Schreibstil
: Sebastian Fitzek hat bisher nur in Interviews und Danksagungen bewiesen, dass er einen lebendigen Humor hat und sich ansonsten eher auf dunklere Emotionsgefilde konzentriert. In diesem neuen Genreexperiment konnte er sich jedoch ganz ausleben und hat mich damit so herzhaft zum Lachen gebracht wie schon lange kein Buch mehr. Neben vielen plastischen Vergleichen und unschlagbarer Situationskomik sorgt vor allem der selbstironische Erzähler dafür, dass man es dem Autor gerne verzeiht, wenn ein Witz mal nicht sitzt oder er es mit dem gelegentlichen Fäkalhumor übertreibt. Besonders gut hat mir aber gefallen, dass die Geschichte sich nicht allein auf platte Gags ausruht, sondern unter der spaßigen Verpackung tatsächlich auch ein ernstes Thema zum Vorschein kommt. Eine gewisse Tragik kann man dem Roman nicht absprechen, trotz der Endzeitstimmung des "ersten letzten Tages" strahlt die Geschichte jedoch große Leichtigkeit, Flexibilität und Freude am Leben aus, sodass "Der erste letzte Tag" auf jeden Fall unter die Rubrik "Wohlfühlbuch" zu verorten ist.

Figuren:
Genau wie die Handlung und der Humor sind auch die beiden Hauptfiguren etwas überzeichnet. Mit dem vorhersehbaren Lehrer, der bei jedem Schritt auf seinem Lebensplan cool und locker erscheinen will, aber schon lange seinen Weg verloren hat und der lebensfrohen, sprunghaften Idealistin, die als lebendiges Öko-Klischee durchgehen würde, treffen hier zwei sehr gegensätzliche Figuren aufeinander, die jedoch sehr ähnliche Werte vertreten und sich auf den 790 Kilometern zwischen München und Hamburg immer mehr annähern. Etwas schade fand ich, dass Lea im Kapitel 18 einmal selbst erzählen darf und dabei ihr wohlgehütetes Geheimnis schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt verrät. Hier hätte es der Autor seinen LeserInnen meiner Meinung nach schon zumuten können, bis zum Ende bei Spekulationen zu verbleiben.

Gestaltung:
Als letztes will ich noch kurz die tolle Gestaltung des Romans hervorheben. Das Cover ist ganz im Comic-Stil gehalten und zeigt ein blaues winziges Auto, in dem zwei Personen dem Sonnenuntergang über dem Meer entgegenfahren. In orangener Schrift weist außerdem ein "kein Thriller" darauf hin, dass Fans von Sebastian Fitzek hier nicht seine übliche Richtung vorfinden werden. Neben dem passenden Cover hat Illustrator Jörn Stollmann aber auch das Innere der Geschichte mit einfachen Schwarz-Weiß-Zeichnungen verschönert, die die wichtigsten Etappen von Livius´ und Leas Reise graphisch zusammenfassen. Ein Blick in "Der erste letzte Tag" lohnt sich also nicht nur wegen des Inhaltes!



Die Zitate:


"Was tun wir?" Lea sah mich an wie jemanden, der auf einer stillgelegten Rolltreppe darauf wartet, dass sie wieder anläuft. "Na, was wohl. Wir leben diesen einen gemeinsamen Tag lang so, als wäre es unser letzter."

"Was zum...?"
"Frag nicht."
"Aber...?"
"NEIN!" (...)
"Aber du hast keine..."
"Ja ich weiß. Ich habe keine Hosen an", schnauzte ich sie an und startete den Motor. Wie heißt es so schön? Man hat nie wieder eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen."




Das Urteil
:

"Der erste letzte Tag" ist eine mitreißende Roadnovel voller philosophischer Diskussionen, spritziger Gags und absurder Aktionen, die vom Beginn einer Freundschaft erzählt und uns dazu anregen will, mal wieder etwas Verrücktes und Spontanes zu tun. Für dieses Fitzek-Genre-Experiment gibt es eindeutig eine Leseempfehlung von mir. Einen Stern abgezogen habe ich, weil Humor, Handlung und Hauptfiguren leider etwas überzogen sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2021

Witzig, lebensnah, aber leider etwas überspitzt...

Der erste letzte Tag
0

Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist ...

Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist auch dieser Roman, der als Ablenkung während des zweiten Lockdowns entstanden ist, hochspannend, hat ein flottes Erzähltempo und lässt sich in wenigen Stunden weglesen, wie man das von seinen Thrillern gewöhnt ist. Statt Mord und Totschlag, Blut und Gedärme, Abgründe und Unmenschlichkeit gibt es hier aber philosophische Diskussionen, spritzige Gags, absurde Aktionen und eine zarte Freundschaft. Da Livius und Lea auf ihrem gezwungenen Roadtrip von München nach Hamburg allerlei schräge Dinge zustoßen - unter anderem flüchten sie aus einem Altersheim, schmuggeln Obdachlose in ein Luxushotel, tauschen einen Mietwagen gegen einen Schweinetransporter und lassen sich von einem tschetschenischen Masseur vermöbeln - sollte man besser etwas geistige Flexibilität mitbringen. Denn zugegebenermaßen ist die Handlung an einigen Stellen total überzogen und gerade zu haareraufend absurd - dennoch: der Pfad, den die Geschichte einschlägt, ist gerade durch diese ständige Überspritzung herrlich unvorhersehbar.

Schreibstil
: Sebastian Fitzek hat bisher nur in Interviews und Danksagungen bewiesen, dass er einen lebendigen Humor hat und sich ansonsten eher auf dunklere Emotionsgefilde konzentriert. In diesem neuen Genreexperiment konnte er sich jedoch ganz ausleben und hat mich damit so herzhaft zum Lachen gebracht wie schon lange kein Buch mehr. Neben vielen plastischen Vergleichen und unschlagbarer Situationskomik sorgt vor allem der selbstironische Erzähler dafür, dass man es dem Autor gerne verzeiht, wenn ein Witz mal nicht sitzt oder er es mit dem gelegentlichen Fäkalhumor übertreibt. Besonders gut hat mir aber gefallen, dass die Geschichte sich nicht allein auf platte Gags ausruht, sondern unter der spaßigen Verpackung tatsächlich auch ein ernstes Thema zum Vorschein kommt. Eine gewisse Tragik kann man dem Roman nicht absprechen, trotz der Endzeitstimmung des "ersten letzten Tages" strahlt die Geschichte jedoch große Leichtigkeit, Flexibilität und Freude am Leben aus, sodass "Der erste letzte Tag" auf jeden Fall unter die Rubrik "Wohlfühlbuch" zu verorten ist.

Figuren:
Genau wie die Handlung und der Humor sind auch die beiden Hauptfiguren etwas überzeichnet. Mit dem vorhersehbaren Lehrer, der bei jedem Schritt auf seinem Lebensplan cool und locker erscheinen will, aber schon lange seinen Weg verloren hat und der lebensfrohen, sprunghaften Idealistin, die als lebendiges Öko-Klischee durchgehen würde, treffen hier zwei sehr gegensätzliche Figuren aufeinander, die jedoch sehr ähnliche Werte vertreten und sich auf den 790 Kilometern zwischen München und Hamburg immer mehr annähern. Etwas schade fand ich, dass Lea im Kapitel 18 einmal selbst erzählen darf und dabei ihr wohlgehütetes Geheimnis schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt verrät. Hier hätte es der Autor seinen LeserInnen meiner Meinung nach schon zumuten können, bis zum Ende bei Spekulationen zu verbleiben.

Gestaltung:
Als letztes will ich noch kurz die tolle Gestaltung des Romans hervorheben. Das Cover ist ganz im Comic-Stil gehalten und zeigt ein blaues winziges Auto, in dem zwei Personen dem Sonnenuntergang über dem Meer entgegenfahren. In orangener Schrift weist außerdem ein "kein Thriller" darauf hin, dass Fans von Sebastian Fitzek hier nicht seine übliche Richtung vorfinden werden. Neben dem passenden Cover hat Illustrator Jörn Stollmann aber auch das Innere der Geschichte mit einfachen Schwarz-Weiß-Zeichnungen verschönert, die die wichtigsten Etappen von Livius´ und Leas Reise graphisch zusammenfassen. Ein Blick in "Der erste letzte Tag" lohnt sich also nicht nur wegen des Inhaltes!



Die Zitate:


"Was tun wir?" Lea sah mich an wie jemanden, der auf einer stillgelegten Rolltreppe darauf wartet, dass sie wieder anläuft. "Na, was wohl. Wir leben diesen einen gemeinsamen Tag lang so, als wäre es unser letzter."

"Was zum...?"
"Frag nicht."
"Aber...?"
"NEIN!" (...)
"Aber du hast keine..."
"Ja ich weiß. Ich habe keine Hosen an", schnauzte ich sie an und startete den Motor. Wie heißt es so schön? Man hat nie wieder eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen."




Das Urteil
:

"Der erste letzte Tag" ist eine mitreißende Roadnovel voller philosophischer Diskussionen, spritziger Gags und absurder Aktionen, die vom Beginn einer Freundschaft erzählt und uns dazu anregen will, mal wieder etwas Verrücktes und Spontanes zu tun. Für dieses Fitzek-Genre-Experiment gibt es eindeutig eine Leseempfehlung von mir. Einen Stern abgezogen habe ich, weil Humor, Handlung und Hauptfiguren leider etwas überzogen sind.

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