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Veröffentlicht am 06.09.2019

Italienische Lebenswirklichkeit

Der Duft von Erde und Zitronen
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Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant – es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, ...

Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant – es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, das durch die organisierte Kriminalität dazu gezwungen wird unterzutauchen – und die Leseprobe war auch nach meinem Geschmack. Dennoch habe ich nicht viel mehr erwartet als einen soliden Roman. Letztlich hat sich das Buch aber als kleines Juwel herausgestellt. Obwohl ich es bei dem schweren Thema nicht erwartet hatte liest sich dieser Roman mit einer Leichtigkeit als würde man ein Dessert essen. Margherita Oggero, von der bereits zwei Krimis im Piper-Verlag auf Deutsch erschienen sind, war mir vorher leider kein Begriff, aber ich bin sehr froh dass sich das jetzt geändert hat.

„Der Duft von Erde und Zitronen“ ist ein erzähltes Familienpanorama! Es geht um die Mitglieder einer italienischen Familie (mit Angeheirateten und „über-5-Ecken-Verwandten“) und ihre jeweilige Geschichte. Zwischendrin ist immer wieder die Ich-Erzählung der Protagonistin Imma geschaltet, die fernab ihrer süditalienischen Heimat bei einer Nenn-Tante inkognito leben muss, weil sie unfreiwillig mit der Mafia in Kontakt gekommen ist: sie hat den Sohn des örtlichen Mafia-Paten mit einem Stein attackiert, nachdem dieser sie vergewaltigen wollte. Mit dem Gedanken ihn erschlagen zu haben muss sie im Norden Italiens bei Rosaria untertauchen. Auch deren Hintergrundgeschichte erfährt der Leser nach und nach. Imma ist mit ihren 13 Jahren bereits schwer vom Schicksal gezeichnet: die Mutter (Melina) wurde vom untreuen Vater verlassen und starb früh bei einem Autounfall, den Imma mit ansehen musste. Auch von einem grausamen Verbrechen wurde die träumerische Jugendliche Zeugin, verübt ausgerechnet von dem Mann, der ihr eigener Peiniger werden sollte…

Das Buch wurde als ein Roman verkauft, in dem es um das Lesen geht und darüber, wie es einem aus einer schlimmen Lebenssituation qua Eskapismus hinweghelfen kann. Ich würde sagen: es geht auch darum, aber nicht an erster Stelle. Imma verliebt sich am Ort ihres Exils in einen Studenten, der für seinen Onkel Bücher auf dem Markt verkauft. Auf Nachfrage nach ihren Lektürevorlieben sagt sie, dass sie Bücher über Kinder bzw. Jugendliche lesen, die eingesperrt sind oder sich stark angesichts ihren harten Schicksals verhalten. So kommt sie in Kontakt mit Anne Frank und Oliver Twist, aber auch mit Guy Montag, dem es in „Fahrenheit 451“ verboten ist zu lesen und der es trotzdem tut. Auch Immas Lesen ist zunächst geheim, hat sie doch von Zuhause nur Schulbücher mitgebracht und eigentlich darf sie nicht nach draußen (die neuen Bücher würden verraten, dass sie doch rausgegangen ist). Sie liest die Bücher und holt sich immer wieder Nachschub von Paolo.

Nebenbei wird die Geschichte Immas und ihrer Familie erzählt, der Leser erfährt immer mehr Details und kann sich aus der Rückschau ein kompletteres Bild machen.

Mir ist aufgefallen, dass das Buch weitaus weniger pathetisch ist, als es vermarktet wurde. Es ist von einem warmen Humor durchsetzt und stellt die Lebenswirklichkeit der Personen so dar dass es nie artifiziell oder konstruiert wirkt. Das ist für mich die absolute Stärke dieses Buches – weniger der scheinbarere Überbau (Emanzipation, Lektüre als Befreiung). Man fühlt sich in diese italienische Familie und ihr Umfeld hinein, kann mit ihr lachen und weinen ist nicht zuletzt entsetzt über die tatsächliche Allmacht der mafiösen Strukturen, die den italienischen Süden wie ein starres Korsett umschließen. Italienische Tradition (Familie steht an erster Stelle, die Schönheit des Landes, kulinarische Highlights, die Mafia) und globalisierte Moderne (Jobs in anderen Ländern, die Zerstreuung von Familien durch Mobilität und der hohe Einfluss der Technik) prallen aufeinander in diesem Roman. Hier wird Gegenwart erzählt und spürbar gemacht.

Man merkt zwar, dass Oggero eine Kriminalautorin ist, denn Mord, Tod und Totschlag spielen eine große Rolle. Dennoch durchzieht das Buch der Gedanke, dass man sich davon nicht einschüchtern lassen darf und das Leben feiern wo es geht – sei es durch Essen, Familie, Lektüre oder die bedingungslose Liebe eines Hundes.

Fazit: Ein einnehmender Roman voller Lebenswirklichkeit und Wärme, den ich jedem ans Herz legen möchte!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Die liebe Familie...

Irgendwas geht immer
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Englischer Humor: man mag ihn oder man mag ihn nicht. Ich gehöre zu denen die ihn vergöttern. Da habe ich natürlich sofort gedacht dass das Buch von Dawn French etwas für mich wäre, immerhin ist sie eine ...

Englischer Humor: man mag ihn oder man mag ihn nicht. Ich gehöre zu denen die ihn vergöttern. Da habe ich natürlich sofort gedacht dass das Buch von Dawn French etwas für mich wäre, immerhin ist sie eine britische Komikerin (und Schauspielerin) und auch der Klappentext hörte sich nach einer bissigen Komödie aus dem Bereich „Chick-lit“ mit Familienfokus an.

Ob das Buch von Dawn French eins zu eins mit dem typisch bitterbösen, oftmals politisch unkorrekten Humor gleichzusetzen ist? Nein, es ist eher eine abgemilderte Version, aber man kann zu jeder Zeit den kulturellen Background der Autorin erahnen. Laut gelacht habe ich eigentlich kaum, höchstens geschmunzelt, was auch daran gelegen hat, dass sich das Buch – gerade in der Schlussphase – etwas zu ernst nimmt und die satirischen Elemente durch einen Mantel von Sentimentalität zugedeckt werden.

Es handelt sich bei „Irgendwas geht immer“ um einen Tagebuchroman, also die Handlung ist in Ich-Erzählung von unterschiedlichen Personen verfasst – den Mitgliedern der Familie Battle – und umfasst einen chronologisch nachvollziehbaren Zeitabschnitt (ca. Silvester der Gegenwart – das kann man an Angaben im Buch (z.B: es sind 18 Jahre seit dem „annus horribilis“ der Queen 1992 vergangen) festmachen – bis zum 50. Geburtstag von Mo Battle, der Mutter der Familie). In dieser Zeit entwickeln sich die Charaktere und es passieren einige Sachen, die die Battles beschäftigen.

Die Battles bestehen aus der gerade erwähnten Mo Battle (49). Sie ist neben ihrem Dasein als Ehefrau und Mutter noch ausgebildete Psychotherapeutin für Kinder- und Jugendtherapie. Darin liegt auch schon viel von der Ironie der Geschichte, denn: obwohl sie ein Buch mit dem Titel „Teenager-ein Handbuch“ schreibt ist sie mit ihren eigenen Kindern (16/18) mehr als überfordert. Die Verständnislosigkeit für das Verhalten ihrer Tochter Dora ist symptomatisch. Auch für das exaltierte Dandytum des Sohnes hat sie nur ein Kopfschütteln übrig, weshalb sie ihm demnächst einen Termin bei ihrem überheblichen Praxiskollegen George machen will, damit dieser herausfindet warum er so ist wie er ist.

Dieser Sohn heißt eigentlich Peter, nennt sich aber „Oscar“ nach seinem großen Vorbild, dem Dichter Oscar Wilde. Dass er sich gerne gut kleidet (was ihm aber angesichts seiner bescheidenen finanziellen Möglichkeiten und dem fehlenden Angebot mitunter sehr schwer gemacht wird) und im amourösen Bereich dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist wird schnell klar.

Dora hingegen, die fast achtzehnjährige Tochter der Battles, steht kurz vor ihrem Schulabschluss und muss sich mit dem Unverständnis ihrer Mutter für ihre Probleme, ihrer Figur (die sie hasst) und dem Wunsch auseinandersetzen, gern eine berühmte Sängerin zu sein. Am liebsten hängt sie auf Facebook herum und chattet mit Jungs, manchmal mit solchen, die sie gar nicht kennt.

Es werden Konflikte auf- und wieder abgebaut. Dabei spielen u.a. Noel, der Therapeut aus Neuseeland, der ein Praxisjahr bei Mo und George macht sowie Lottie, die beste Freundin von Dora und Luke Wilson, Mitglied in Oscars elitärem „Club der Verzauberten“ und Patient von Mo eine Rolle. Außerdem noch der am Titel präsente Hund Poo, der ein Stelldichein mit Folgen hatte.

Der Vater der Familie kommt nur ein einziges Mal in Ich-Form zu Wort, gegen Ende des Buches. Von diesem Eintrag war ich sehr irritiert und muss sagen, dass er eigentlich nicht in das allgemeine Gefühl des Romans hineingepasst hat. Was Frau French sich bei dieser Handlungsführung gedacht hat wird mir ein Rätsel bleiben.

Durch seine Multiperspektivität hat mir das Buch unterschiedlich gut gefallen, denn die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Familie sind einem auch unterschiedlich sympathisch und ihre Sichtweise je nach dem ebenfalls. Die von Peter aka. „Oscar“ erzählten Stellen fand ich sehr köstlich, seinen an Wilde angelehnten, elaborierten Sprachgebrauch fand ich erfrischend amüsant, von Dora und ihrem anstrengenden „Ich bin fast erwachsen und weiß alles besser“-Gerede war ich stellenweise sehr angeödet. Bei Mo war es so mittendrin: ich kann mich einfach nicht genug in eine 49 (bald 50)jährige Kinder- und Jugendtherapeutin hineinversetzen, der die eigenen Kinder ein Rätsel sind. Dennoch war es mitunter ganz amüsant wie sie ihr Leben kurz vor der Menopause beschreibt. Zum Ende hin wird aber alles sehr sentimental und anstrengend, so dass ich das Buch nicht uneingeschränkt empfehlen kann.

Vom haptisch-optischen Aspekt ist dieses Buch hingegen ein echtes Erlebnis. Ich finde es toll dass Verlage immer mehr dazu übergehen den Schnitt eines Taschenbuchs (bisher habe ich das nur bei Taschenbüchern gesehen) mit Motiven zu verzieren. Das ist ein Highlight für alle bibliophilen Menschen und verleiht dem Kulturgut Buch einen echten Mehrwert, den das schnöde digitale Dokument eben nicht bieten kann. Auch den erhabenen Titel und die Umrandung finde ich sehr schön, ich habe während der Lesepausen ziemlich oft das Cover gestreichelt J. Entzückend sind auch die Rezepte für Backwaren aus dem Text, die im Anhang zum Nachkochen wiedergegeben werden.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Facetten der Paarbeziehung vor Meereskulisse

In diesem Sommer
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Romane die am Meer spielen haben immer ein besonderes Flair, sie sind symbolisch und metaphorisch aufgeladen, wobei es meistens irgendwie um Erinnerung, Vergessen und Veränderung, aber auch um die Fixpunkte ...

Romane die am Meer spielen haben immer ein besonderes Flair, sie sind symbolisch und metaphorisch aufgeladen, wobei es meistens irgendwie um Erinnerung, Vergessen und Veränderung, aber auch um die Fixpunkte im Leben geht. Das Meer bietet eine perfekte Folie für den doch meist sehr ohnmächtigen Menschen, der sich angesichts dieser natürlichen Übermacht der Konstanz den Veränderungen des Lebens nicht entziehen kann.

Auch in „In diesem Sommer“ von Veronique Olmi ist das nicht anders. Der Fixpunkt ist in diesem Fall ein Datum und ein Ort: der 14 Juli, der französische Nationalfeiertag, den Denis und Dominique seit 16 Jahren mit ihren Kindern und Freunden in ihrem Ferienhaus in der Normandie, in einem kleinen Ort am Meer feiern.

Drei Paare werden dem Leser vorgestellt und diese drei Paare befinden sich in jeweils anderen Stadien ihrer Beziehung. Die Besitzer des Hauses, Denis und Delphine, beide um die Fünfzig, sind gerade dabei ihre Liebe ad acta zu legen – sie werden sich trennen. Trotz dem Reichtum, den sie im Laufe ihrer Ehe angehäuft haben, sind sie miteinander nicht mehr glücklich. Sie wissen beide, dass sie sich neu orientieren werden und müssen.

Marie und Nicholas (ebenfalls im selben Alter – Nicholas war mit Denis auf der Schule) hingegen lieben sich nach wie vor wie in jungen Jahren und das obwohl Marie in ihrem Job als Schauspielerin nur noch Großmutterrollen angeboten bekommt und der fünfundfünfzigjährige Nicholas Hüftprobleme hat wie ein alter Mann und von Depressionen geplagt wurde.

Lola, eine ehemalige Kriegsberichterstatterin, ist jedes Jahr mit einem anderen Mann zu Gast – dieses Mal mit Samuel, der mit 26 fünfzehn Jahre jünger ist als sie: dieses Paar repräsentiert die frische, die junge & euphorische Liebe und auch die, die von der Gesellschaft eben nicht als konventionell akzeptiert wird.

Dann gibt es noch Jeanne und Alex, die Kinder von Denis und Dominique, die im Teenageralter sind und ihre Freunde mitgebracht haben sowie Dimitri, einen Zwanzigjährigen, den Samuel in den Dunstkreis der Freunde eingeführt hat und der Nicholas bedrohlich und unangenehm bekannt vorkommt…

Ich habe dieses Buch geradezu verschlungen, man kann es an einem Stück „weglesen“, denn es hat einen ganz besonderen Rhythmus: wie das Meer. Man fühlt sich beim Lesen als würde man die leise schwankenden Bewegungen der Protagonisten wie Wellen schwappen hören, ihre Gedanken und Gefühle vor sich hin plätschern. Ich finde es faszinierend dass die Sicht der einzelnen Personen abwechselnd wiedergegeben wird. So wird das Wellen-Meeres-Feeling noch etwas unterstrichen.

Es werden in diesem Roman ganz existentielle Fragen gestellt: was ist Glück, was bedeuten Freundschaft, Geld und Liebe? Was bedeutet es für ein Leben Eltern, Freund oder Lebenspartner von jemandem zu sein?

Die Nacht spielt auch eine große Rolle im Roman. Sie ist die Zeit, in der man sich ausruhen oder feiern sollte und in der die Konflikte und Probleme des Tages eine viel größere Wirkung entwickeln. In der Nacht passiert dann auch das, was man in dem Buch den Handlungskatalysator nennen könnte – kurz vor Schluss hört das Plätschern auf und – metaphorisch gesprochen – ein „Sturm“ zieht auf über dem Meer, der Szenerie, die bisher vor allem von den leisen Problemen der Protagonisten bespielt wurde.

Dieses Buch ist einfach ein wundervoller Roman voller Gefühl und Menschlichkeit, der die Enttäuschungen, aber auch die Freuden und den Mehrwert des Lebens wie ein Bild auf Leinwand festhält.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Brillante Farce!

Willkommen auf Skios
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Ich freue mich sehr dass es dieses Buch auf die Longlist des Man Booker Prize 2012 geschafft hat, denn es ist ein hochliterarisches Paradebeispiel für den Facettenreichtum und die unterschwellige Seriosität ...

Ich freue mich sehr dass es dieses Buch auf die Longlist des Man Booker Prize 2012 geschafft hat, denn es ist ein hochliterarisches Paradebeispiel für den Facettenreichtum und die unterschwellige Seriosität des britischen Humors, der sich hier auf 285 Seiten Bahn bricht.

„Willkommen auf Skios“ ist ein Universitätsroman – und das ohne an einer Universität zu spielen. Er ist es in dem Sinne, indem er den Wissenschaftsbetrieb mit seiner eigenen Welt aus Forschungsaufenthalten und Vortragsreisen, Allüren und Affären persifliert so wie David Lodge es mit „Changing Places“ getan hat – nur eben anders. Die vermeintliche Wichtigkeit eines Forschungsgebietes (in diesem Fall: Szientometrie, die Wissenschaft über die Wissenschaft – allein das ist schon eine ironische Tautologie!) wird auf die Schippe genommen ebenso wie alle Leute, die sich vom Glauben an herausgeputzte schöne Orte am „Geburtsort“ der menschlichen Kultur, die der Vermittlung von Wissen geweiht sind blenden lassen.

Das Ironische am Ganzen ist ohne Zweifel die Tatsache, dass sich die Fred-Toppler-Stiftung der hehren Zivilisation geweiht hat, ihre Mitglieder und Gäste aber einen Ausbund an Chaos repräsentieren. Nikki Hook, der Assistentin der verwitweten Stiftungsgründerin gelingt es bei aller weißblusigen Perfektheit und trotz aller logistisch-organisatorischer Bemühungen mit Direktionsambitionen nicht, Ordnung in das Chaos zu bringen – stattdessen wird sie vom Chaos wie eine Marionette bespielt ab dem Moment in dem sie den charmanten und zwielichtigen Oliver Fox in der Rolle des Dr. Norman Wilfred akzeptiert.

Das Chaos herrscht aber auch im Untergrund: Mrs. Fred Toppler, die früher mal Showtänzerin war, macht es sich mit griechischen monströsen Männern gemütlich während ihre Assistentin aufgrund des „Fred Toppler Vortrags“ im Dreieck springt. Und der eigentliche Direktor der Stiftung, Christian, ist schon längst zum Eremiten geworden der in eigenen Sphären schwebt und sich nur noch sporadisch über die Vorgänge in seiner Institution von seinem persönlichen Assistenten Eric Felt unterrichten lässt. Sehr köstlich finde ich diesen „Scheindirektor“ und seinen Assistenten, sozusagen die „Mr. Burns und Smithers“ der Toppler-Stiftung, die die heimliche Herrschaft von Nikki Hook torpedieren wollen.

Dass das Fleisch schwächer ist als alle kulturellen und wissenschaftlichen Bemühungen wird uns auch noch aufs Butterbrot geschmiert, denn die menschlichen Bedürfnisse nach Nähe (Wilfred und Georgie) und einer Dusche sowie Nahrung treten in den Vordergrund wenn es hart auf hart kommt – und das kommt es in dieser Satire nur allzu oft!

Das große Thema des Romans ist Identitätsverwirrung, Zeichenhaftigkeit und die Tatsache, wie leicht wir einfältigen Menschen uns vom Aussehen, Statussymbolen (wie z. B. einem Klemmbrett, das auf Autorität verweist) und anderen Dingen täuschen lassen. Ist etwas wie es scheint, so nehmen wir es dankbar hin ohne es zu hinterfragen, so könnte die Grundthese des Buches lauten. Dass dies alles natürlich in diesem Fall humorvoll verarbeitet und präsentiert wird ist schön, denn wer will schon ohne Augenzwinkern erfahren wie leicht man sich von roten Kofferanhängern blenden und von griechischen Taxifahrern ins Nirvana fahren lässt.

In diesem Sinne: „Phoksoliva!“

Veröffentlicht am 06.09.2019

Ein richtig schöner irischer Schmöker!

An und für dich
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Ich muss vorweg sagen dass ich dieses Buch sehr gern gelesen habe und das obwohl ich während des Lesens von Zahnschmerzen und den Folgen einer anschließenden Zahn-OP geplagt wurde – und das will was heißen. ...

Ich muss vorweg sagen dass ich dieses Buch sehr gern gelesen habe und das obwohl ich während des Lesens von Zahnschmerzen und den Folgen einer anschließenden Zahn-OP geplagt wurde – und das will was heißen. „An und für dich“ reiht sich ein in die Galerie von Liebesromanen irischer Autorinnen, die es fabelhaft verstehen Melancholie, Gefühl, einen sanften Humor und die Huldigung der irischen Landschaft zu einem süffigen Panorama zu verbinden, aus dem man als Leser nur allzu ungerne wieder auftaucht. Ich denke da an Autorinnen wie Cecilia Ahern, Marian Keyes und Maeve Binchy mit denen sich der Stil von Ella Griffin vergleichen lässt.

Es geht in diesem Roman um vier „Mittdreißiger“ in Dublin und ihr Leben: die Hauptperson Saffy und ihren Freund Greg sowie deren Freunde Connor und Jess. Saffy, die eigentlich den selbst für manche Iren unaussprechlichen gälisch-mythologischen Namen Sadbh trägt, arbeitet in einer Werbeagentur. Im Job hat sie vor 6 Jahren den attraktiven Greg kennengelernt, der mittlerweile eine kleine Berühmtheit und Darsteller in einer populären irischen Soap ist. Dass Greg ziemlich oberflächlich ist wird dem Leser sehr schnell klar, denn statt sich mit Saffy zu verloben zieht es ihn auf neuen Karrierewegen nach Amerika. Saffys Gedanken und Gefühle auch nur annähernd zu verstehen – dafür ist er nicht der richtige Mann und man fragt sich, warum sie so lang zusammen geblieben sind.
Die Beschreibung Gregs hat mich manchmal an den ebenfalls irischen „Märchenprinz“ von Marian Keyes erinnert: außen hui, innen, naja, grenzwertig. Dennoch: irgendwie hat er einen halbwegs guten Kern und eine manchmal geradezu liebenswerte Naivität an sich. Das ist wohl auch der Grund warum sein langjähriger Freund Connor, der so ganz anders ist, immer noch mit ihm befreundet ist. Die Freundschaft wird durch verschiedene Ereignisse im Lauf des Buches auf mehrere harte Proben gestellt. Connor hat neben denen von Greg auch noch eigene Probleme: die achtjährige Beziehung zu seiner Freundin Jess, die wiederum Saffys beste Freundin ist, ist nicht mehr so innig wie sie mal war seit er angefangen hat einen Roman zu schreiben. An der Schule, an der er unterrichtet läuft es suboptimal und der Hamster seiner Kinder hat nichts als ein paar mit Marmelade verklebte Haare an einem Briefumschlag hinterlassen. Connor und Jess‘ achtjährige Zwillinge Luke und Lizzie sowie der Hamster Brendan sind liebenswerte Nebenfiguren, die der Handlung eine familiäre Realität verleihen. Aber zurück zu Saffy. Sie ist das uneheliche Kind ihrer Mutter Jill mit einem verheirateten Mann, der sie beide verlassen hat als sie zwei war, um zurück zu seiner Frau zu gehen. An dieser Tatsache hat Saffy noch heute zu knabbern und sie zieht sich leitmotivisch durch den Roman: was verheimlicht ihre Mutter? Wie ist es um ihre eigenen Beziehungen zu Männern bestellt oder ist sie gar Beziehungsunfähig? Sind eigene Kinder vielleicht doch gar nicht so eine schlimme Vorstellung? Und wo kriegt man so schnell einen Engel her, wenn man mal einen für eine Werbekampagne – oder evtl. für sein Leben – braucht?

An dem Buch mochte ich so vieles. Die Karikatur der sich selbst viel zu ernst nehmenden und selbstbeweihräuchernden Werbebranche und die Postersprüche an Ants Tür haben mir den ein oder anderen Lacher hervorgelockt. Auch das Themen „zerbrochene Familie“ und „alleinerziehend“ werden einfühlsam angefasst, man hat nie das Gefühl dass etwas aufgebauscht oder übertrieben wird. Die Geschichte an sich, die abwechslungsreiche Erzählweise mit unterschiedlichen Perspektiven und der entspannte Erzählstil haben mich gefesselt. Und schließlich die irische Herzlichkeit, die aus jedem Wort zu tropfen scheint, das war schon toll. Ich kann das Buch also allen empfehlen die eine gute Prise von der Tragikomik des Lebens zu schätzen wissen – und ein Ende, das vielleicht nicht perfekt, aber lebensecht und für den Leser befriedigend ist.
Natürlich ist der Roman literarisch nicht sehr anspruchsvoll und manche Figuren (Greg, leider auch Saffy) sind etwas eindimensional gezeichnet, also bekommt es auch keine fünf Sterne. Aber für Unterhaltungsfaktor, den Schmökerkoeffizienten und das „Ich-will-nicht-dass-es-endet“-Gefühl gibt es satte 4. Außerdem hat es mich hervorragend von meinem Zahnweh abgelenkt, also eine 4 plus!