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Veröffentlicht am 13.09.2019

Not my Bridget

Bridget Jones - Verrückt nach ihm
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[Wer nichts über den Inhalt des neuen Bridget-Jones-Romans erfahren möchte sollte jetzt nicht weiterlesen - leider nicht ohne major Spoiler!]
Sie ist wieder da! Endlich! Die Mutter aller Chicklit-Heldinnen, ...

[Wer nichts über den Inhalt des neuen Bridget-Jones-Romans erfahren möchte sollte jetzt nicht weiterlesen - leider nicht ohne major Spoiler!]
Sie ist wieder da! Endlich! Die Mutter aller Chicklit-Heldinnen, die Patronin aller Thirtysomething-Singlefrauen, die auf der Suche nach Mr. Right, dem perfekten Job und dem besten Weg schlank zu werden - bei gleichzeitiger Konsummation von 5460 Kalorien täglich - ist, die sympathische Jedermännin, mit der wir gern das ein oder andere Weinchen auf ihrer Couch trinken und dabei "Pride & Prejudice" mit Colin Firth im nassen Hemd gucken möchten, mit der wir zwar Feminismus predigen, im Endeffekt aber mit den gemeinsamen FreundInnen über Männer diskutieren wollen und uns fragen warum sie so oder so reagieren - Bridget Jones is back!
Sie ist angekommen - zusammen mit dem Leser/der Leserin in den Jahren 2012/2013 - sie ist ihm sogar voraus, denn das Buch, erschienen im Oktober 2013, endet in der Weihnachtszeit 2013. Eine SciFi-Bridget also? Nun ja, anders und gereifter ist sie schon als wir sie im Jahr 1997 verlassen haben (Lesejahr 2004) - sie ist nicht mehr Single mit On-and-Off-Beziehung zu Mr. Darcy und/oder dem chauvinistischen, aber doch irgendwie liebenswerten (auf seine Art) Daniel Cleaver - sie ist jetzt Mrs. Bridget Darcy.
Leider mit negativem Beigeschmack denn - und jetzt wirklich nicht weiterlesen wenn kein Spoiler gewünscht bzw. wenn nicht schon gelesen .... - sie ist.. Witwe... Ja, der wirklich mit Abstand tollste Mann der Welt hat Bridget geheiratet und sie lebten happily ever after - bis, ja bis zu einem tragischen Tag im Jahr 2008. War es Darcys kosmopolitisch anspruchsvoller Berufs als Menschenrechtsanwalt, der ihm letztlich zum Verhängnis wurde? Warum nur, warum? Das ist ziemlich hm...eine Bridget ohne Darcy? Das ist ja wie Romeo ohne Julia, wie Susi ohne Strolch! Als ich - auch leider im Vorfeld gespoilert - gehört habe was die Autorin Helen Fielding sich für den dritten Teil da ausgedacht hat habe ich sehr viel meiner euphorischen Einstellung (juhuu, endlich ein dritter Teil!) einbüßen müssen. In der Tat ist Darcy im ganzen Buch über unterschwellig präsent - vor allem in ihrem Sohn Billy erkennt Bridget Züge ihrer verstorbenen großen Liebe wieder. Ja, Bridget ist Mutter, mit 51 alleinerziehend mit 2 kleinen Kindern, anscheinend wurde sie erst mit 40+ schwanger.
Wie gern hätte man das erlebt - die chaotische Bridget, geerdet als Mutter und doch unverkennbar sie selbst, eine Kleinfamilie mit Darcy, pure bliss...
Leider hat sich Frau Fielding anders entschieden - wahrscheinlich auch in Hinblick auf den potentiellen Film, denn Colin Firth und Hugh Grant alias Darcy und Cleaver sind beide um die 50, wobei Ersterer ja wenn nur in Rückblicken erzählt werden würde und Cleaver im neuen Roman eine, wenn auch sehr witzige, Nebenrolle spielt. René Zellwegger ist Mitte 40, hätte also die Rolle einer Bridget mit Anfang 40 perfekt spielen können (was die ziemlich Gesichtsverändernde OP betrifft bin ich mir da jetzt aber nicht mehr so sicher).
Die alten Freunde von Bridget sind zum Teil noch da, der schwule Tom und die Karrierefrau Jude, nur Sharon alias Shazzer ist aus dem Blickfeld nach LA verschwunden. Dann gibt es noch die mondäne Talitha (60, das darf aber keiner wissen) und die freigeistige Rebecca von nebenan, mit der sich Bridget anfreundet. Auch in familärer Hinsicht ist ein Person den Weg alles Irdischen gegangen. Bridget ist also eine Frau, die einiges hinter sich hat und dennoch mit 51 immer noch albern, verantwortlungslos und chaotisch agiert. Passt das zusammen? Ich sage ja, denn was wäre Bridget ohne ihren Charakter - wo wir doch schon auf ihren ultimativen "love interest" verzichten müssen? Es ist eine Bridget 2.0 mit allen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, die wir da serviert bekommen. Auch ungesunde Ernährung (sie isst gerne Reibekäse), der Widerstand des hinfälliger werdenden Körpers und der Wunsch nach "endlich wieder einem Mann" dürfen da nicht fehlen. Bridget dated und sie wird fündig - allerdings ist der neue ein "Toy Boy", 20 Jahre jünger und verdammt toll, wäre da nicht der Altersunterschied...
Und wären da nicht ihr Job (wirklich arbeiten muss sie aufgrund des Erbes nicht mehr) als Drehbuchautorin inklusive den immerwährenden Versuchen das Stück "Hedda Gab(b)ler" in ein modernes Setting zu pressen, die "Freuden" einer Mutter von Schulkindern, sprich: Elternabende, Veranstaltungen aller Art und Auseinandersetzungen mit Lehrern, wobei ein gewisser Lehrer schon ziemlich penetrant ist...und natürlich ihre alte Liebe und verhängnisvolle Affäre Daniel Cleaver - älter, abgebrannter aber noch immer der liebenswerte Chauvi von damals. Ich muss sagen seine Szenen haben bei mir die meisten Lacher verursacht - dass Bridget ihn als Babysitter einsetzt ist natürlich höchst fahrlässig, die selbstironische Beschreibung wie ein Babysitterabend mit ihm ablaufen könnte ist genial - das hat das Buch fast gerettet für mich!
Was soll ich sagen: ich bin einerseits sehr dankbar dafür, dass es überhaupt einen neuen Bridget Jones Roman gibt und die vielen Mängel, einem Zuviel an Fäkalhumor, in das sich Fielding meiner Meinung nach flüchtet, sonstige Schwächen in der Erzählung und Plotentscheidungen, die mir nicht gefallen haben, nehme ich dafür in Kauf. Lieber eine schlechtere Bridget als keine Bridget...allerdings und andererseits: es hätte so schön werden können...

Veröffentlicht am 13.09.2019

Historische Familiensaga

Die Rosen von Montevideo
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Und wieder ein Auswandererroman aus dem 19. Jahrhundert! Da ich mit Iny Lorentz' "Das goldene Ufer" ja ganz zufrieden war neulich habe ich mich auch an diese "Saga" herangewagt, die ihrem Namen alle Ehre ...

Und wieder ein Auswandererroman aus dem 19. Jahrhundert! Da ich mit Iny Lorentz' "Das goldene Ufer" ja ganz zufrieden war neulich habe ich mich auch an diese "Saga" herangewagt, die ihrem Namen alle Ehre macht. Drei Generationen einer deutsch-uruguayanischen Familie werden nacheinander erzählt (wobei die Vertreter der ersten Generation auch noch im letzten Abschnitt auftauchen und den Kreis damit schließen) und man hat als Leser tatsächlich das Gefühl dass das alles so formschön ineinandergreift und sich die Schicksale - vor allem natürlich der Frauen - wiederholen bzw. in der Wiederholung abwandeln. Denn es geht vornehmlich um die Frauen - zunächst um Rosa, eine junge Frau aus dem südamerikanischen Uruguay, die aus der gutsituierten Kaufmannsfamilie de la Vegas stammt. Vor dem Schicksal von ihrem Vater in eine geschäftliche Konvenienzehe mit einem älteren Mann gedrängt zu werden rettet sie der junge Frankfurter Kaufmann Albert Gothmann, Erbe des familieneigenen Bankhauses, der ihr die Ehe und damit ein neues gutes Leben in Deutschland in Aussicht stellt. Die de la Vegas nehmen das Angebot an und intensivieren durch die Heirat die kaufmännischen Beziehungen zwischen Frankfurt und dem uruguayanischen Montevideo.
Die unbekümmerte Rosa lebt sich nur langsam in Deutschland ein, wo sie mit den weltmännischen deutschen Salondamen konkurrieren und gegen einen Alltag ohne Inhalt ankämpfen muss. Auch ihre Schwägerin Antoine, die Frau von Alberts Bruder Carl-Theodor, ist ihr dabei keine große Hilfe: überheblich reitet sie sie in die ein oder andere prekäre Situation hinein und selbst als sie gemeinsam schwanger sind avanciert die Schwägerin nicht zur Freundin. Albert ist fast nur noch in Frankfurt, während Rosa im Landhaus im Taunus vor sich hin vegetiert. Einzig ihr neuer Musiklehrer, der Franzose Fabien schenkt ihr etwas Aufmerksamkeit. Eine Tatsache, die Albert plötzlich negativ auffällt - er sieht seine Ehre in Gefahr, es kommt zum Eklat.
Im folgenden Abschnitt wird erzählt wie die Töchter von Albert und Carl-Theodor (Valeria und Claire) um die zwanzig Jahre alt sind, also im selben Alter, wie Rosa war als sie Albert geheiratet hat. Im letzten Abschnitt geht es dann um die Urenkel von Albert und Rosa (ohne zu viel zu verraten) bzw. um die, die aus der ersten Generation noch am Leben sind.
Die Szenerien wechseln zwischen Frankfurt bzw. dem Taunus und Rosas Heimat Montevideo, wobei im mittleren Abschnitt auch Paraguay und Argentinien ins Spiel kommen. Valeria und Claire werden zum Spielball im sogenannten "Tripel-Allianz-Krieg", in dem Paraguay von 1864-1870 gegen die Nachbarstaaten Argentinien, Brasilien und Uruguay führte. Ein Krieg, der das gesellschaftlich-soziale Leben dieser Zeit entscheidend geprägt hat und zum Hass gegen alles Paraguayische in den genannten Ländern geführt hat. Es war interessant etwas über diesen Krieg, der im europäischen Geschichtsunterricht nicht mal am Rande vorkommt, zu erfahren, wobei gerade die Handlung im Mittelteil sich als teilweise schleppend erweist. Hier hätte man ruhig etwas kürzen können, ohne das Erzählkonzept allzu sehr zu zerstören.
Ansonsten hat mir das Buch sehr gut gefallen, die Frauenschicksale kommen in jedem Fall zur Geltung und als historische Familiensaga ist das Ganze wirklich lesenswert. An manchen Stellen wird das Buch etwas trivial, aber bei über 700 Seiten kann man darüber auch hinwegsehen.

Die Gestaltung des Buches gefällt mir wieder ausnehmend gut. Wie schon bei "Das goldene Ufer" wurde hier auch zum 50jährigen Verlagsjubiläum von Knaur mit einer hochwertigen Klappenbroschur gearbeitet, die es einem ermöglicht nach Beendigung der Lektüre den Buchschnitt zuzumachen. Man kann dann dort wo der Schnitt ist ein Zitat aus dem Buch lesen. Sehr schön gemacht!

Veröffentlicht am 13.09.2019

Lauwarm trotz des guten Erzählers

Beste Jahre
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In „Beste Jahre“ geht es darum wie ein Mann Anfang 40 das Thema Kinderwunsch und späte Schwangerschaft aufarbeitet – und außerdem seine eigene Biographie.
Der Protagonist ist Schauspieler (seinen Namen ...

In „Beste Jahre“ geht es darum wie ein Mann Anfang 40 das Thema Kinderwunsch und späte Schwangerschaft aufarbeitet – und außerdem seine eigene Biographie.
Der Protagonist ist Schauspieler (seinen Namen erfahren wir nicht), er ist an einem Theater in Hamburg engagiert und lebt schon seit vielen Jahren mit seiner Frau Lisa, die ebenfalls Schauspielerin ist, in einer glücklichen Zweierbeziehung. Während sie ihrem Beruf auf der Bühne mit voller Inbrunst nachgehen, ist das private Leben des Paares mittlerweile eher undramatisch – und das ist auch gut so bzw. war gut so. Denn seit sie an den Rand von Bremen gezogen sind haben ihnen ihre dortigen Nachbarn, späte Eltern von Zwillingen vorgemacht, dass ihnen im Leben etwas fehlt: ein Kind.
In Rückblenden erzählt der Schauspieler von seinem Leben und den jüngsten Ereignissen rund um die Entstehung von „Obsklappt“, der Name den sie ihrem ungeborenen Kind scherzhaft gegeben haben. Es wird deutlich wie fragil und artifiziell diese Kindeswerdung, die durch künstliche Befruchtung ermöglicht wurde, in diesem Alter ist. Ein Abenteuer und gleichzeitig eine schicksalhafte Notwendigkeit für diese beiden Menschen, die es sich schon in der Mitte ihres Lebens bequem gemacht haben.
Die Innensicht des Mannes, der immer von außen auf das „Projekt“ Kind schauen muss, er, der wahrscheinlich dafür verantwortlich ist dass es bisher eben nicht geklappt hat, ist das Interessante an diesem Roman. Das Gefühl der Unwirklichkeit und Machtlosigkeit, das durch die Erzählersicht gefiltert wird, kommt sehr gut rüber.
Die eigene bevorstehende Vaterschaft des Schauspielers wird durch zwei Figuren gespiegelt, die keine biologischen Väter sein können: da wäre zum einen der ehemalige Griechischlehrer des Erzählers, der homosexuell ist und durch ein Nahtoderlebnis eines seiner Schüler zu einem ideellen Vater wurde. Zum anderen gehört zu diesen Männerfiguren, die keine Väter sein können sein ehemals bester Freund HC, der ironischer Weise unfruchtbar ist, obwohl er doch als Staatsanwalt und Besitzer einer kindgerechten Immobilie von einem bürgerlichen Wohlstandsaspekt heraus der perfekte Vater wäre und er und seine Frau sich außerdem nichts sehnlicher wünschen.
Hier stellt sich beim Erzähler natürlich die Frage ob die vielfältigen Konstruktionen von Männlichkeit – Macht, Geld, schöne Frauen, (selbst)darstellerisches Talent – letztlich auf die Potenz und die Fähigkeit zum Zeugen herunter gebrochen werden.
In diesem geistigen Spannungsfeld bewegt sich der Ich-Erzähler, der zwischendrin immer wieder seine individuelle Geschichte reflektiert, die sich durch sein Kind gewissermaßen fortschreiben wird.
In diesem Roman ist vieles symbolisch ohne schwer oder unrealistisch zu werden. Der Schriftsteller John von Düffel ist ein Intellektueller und als solcher hat er seinen Roman auch mit kulturellen Referenzen gespickt. Besonders auffällig ist dabei die unglückliche Verliebtheit des Protagonisten in eine Frau aus Stendal, die er während seiner Zeit am dortigen Theater kennenlernt. Dies verweist auf die Biographie des Schriftstellers Stendhal, der sich sein Pseudonym nach einer Verliebtheit in eine Stendalerin zulegte. Mit seiner „Emigration“ in den Osten wird zudem das Thema geteiltes und wiedervereinigtes Deutschland anschnitten. Als „Westler“ im Osten betritt der junge Schauspieler eine exotische Welt, die schnell sein Zuhause wird – bis er wieder in den Westen abberufen wird.
Neben der starken Symbolkraft des Romans fällt auch die elaborierte gehobene Sprache des Buches auf, die aber von einem leicht ironischen Unterton durchzogen wird.
Das Buch ist über große Strecken aus der Ich-Perspektive erzählt, gelegentlich wechselt aber die Erzählweise ins Personale um zum Schluss sogar kurz in eine Du-Perspektive zu verfallen.
Vom (teil überraschenden-teils vorhersehbaren) Ende aus gesehen wirkt das Buch dann doch etwas konstruiert und bekommt durch die Handlungsentwicklung eine unrealistische, fast triviale Note. Ich glaube der Autor wollte den von ihm bisher heraufbeschworenen Realismus seiner Erzählung aufbrechen. Das ist schade, denn von Düffel ist ein toller Erzähler, dessen Sprache eine ganz eigene Kraft entwickelt.

Veröffentlicht am 13.09.2019

Die Queen als Leserin

Die souveräne Leserin
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Bei manchen Büchern fragt man sich als Leser warum man sie nicht schon längst gelesen hat – mir ging es mit „The Uncommon Reader“ jedenfalls so! Wie konnte ich es all die Jahre geschafft haben es nicht ...

Bei manchen Büchern fragt man sich als Leser warum man sie nicht schon längst gelesen hat – mir ging es mit „The Uncommon Reader“ jedenfalls so! Wie konnte ich es all die Jahre geschafft haben es nicht zu lesen? Eine ähnliche Frage stellt sich die Protagonistin des Kurzromans (oder der „novella“, wie man im Englischen sagt), die keine Geringere ist als Königin Elizabeth II. von England. Allerdings lautet ihre Frage eher: wie konnte ich erst jetzt im hohen Alten mit dem Lesen aus Leidenschaft anfangen?
Gut, der Grund ist einfach: als eine Person des öffentlichen Interesses, ja sogar als Identifikationsfigur eines Landes tut man seine Pflicht und gibt sich nicht so einer dekadenten Passion hin wie dem Lesen eines literarischen Werks, einer Beschäftigung, die scheinbar keinerlei positiven Einfluss auf das Land hat – allerdings auf sein Oberhaupt, wie Elizabeth II. im Laufe der Handlung feststellt.
Es ist ein Fest „Zeuge“ zu sein wie „ER II“ – angezettelt durch die mobile Leihbibliothek im Palasthof und in Begleitung des Küchenhelfers Norman, der von ihr zu einer Art „Lesebeauftragten ihrer Majestät“ befördert wird – zu einer passionierten Leserin wird und den Staatsgeschäften mit immer weniger Disziplin und Nachhaltigkeit nachgeht. Die Königin lernt die Klassiker ihres Landes (Trollope, Brontë, Dickens etc.) kennen und verschlingt den einen oder anderen Liebesroman und sogar richtig „dekadente“ – also „l’art pour l’art“ Literatur von französischen Autoren wie Marcel Proust und Jean Genet – während Schwimmbaderöffnungen in Norfolk oder Verleihungen der Ritterwürde immer weniger Priorität gegenüber dem auserwählten Lesestoff haben.
Ihrem nonchalanten Mann Prinz Philip, dem Duke of Edinburgh (DoE genannt), ringt dies allenfalls ein amüsiertes Augenzwinkern ab, nicht so ihrem neuseeländischen Sekretär Sir Kevin, der um die Erfüllung ihrer royalen Pflichten zunehmend besorgt ist. Auch der Premierminister („Her Majesty“ hat ja schon an die 10 im Amt vorübergehen sehen) ist „not amused“ darüber dass sich die Monarchin lieber über seine Lektüreerlebnisse (und dabei ist er kein großer Leser) als über die Konfliktherde der Welt und die Lage der Nation unterhalten will. Zusammen mit den Sir Kevin machen sie dem Lesebeauftragten ihrer Majestät ein unmoralisches Angebot. Doch eine „ungewöhnliche Leserin“ kann nichts von ihrer wahren Bestimmung abhalten: dem Lesen!
Dieses Buch ist mit einer großen Leichtigkeit und einem genialen Blick für Charakterfeinheiten und Situationskomik verfasst worden. Ich fand es herrlich erfrischend und das obwohl es auch nachdenkliche Momente der Königin gibt, die zunehmend befürchtet „keine Stimme“ zu haben und nach ihrem Tod nur durch ihre Funktion und nicht durch ihre gemachten Äußerungen weiterzuleben. Die (fiktive) Rede der Queen zu ihrem 80. Geburtstag ist bissig und witzig zugleich – auch wenn es nicht ihre tatsächlichen Worte sind kann man sich – auch durch die vorhergende Charakterisierung – absolut vorstellen dass sie sie zumindest wirklich so oder ähnlich zumindest denken könnte.
„The uncommon reader“ trägt somit auch dazu bei dass man die berühmteste Monarchin der Welt auch mal als Mensch betrachtet, dem durch sein Amt nicht nur zahlreiche Privilegien und ein einzigartiges Ansehen zustehend, sondern dass diesem Menschen auch eine lebenslange Bürde auferlegt ist, die mit einer Einschränkung persönlicher Freiheiten und einer ständigen Selbstbeurteilung einhergeht.
Wie sagte Shakespeare so schön: „Uneasy lies the head that wears a crown.“

Veröffentlicht am 13.09.2019

Philosophischer Kurzroman

Vom Ende einer Geschichte
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Eine Freundin hatte das Buch bereits gelesen und ich wusste schon halbwegs was mich erwartet: die nicht immer ganz akkuraten Erinnerungen eines Mannes aus der Ich-Perspektive in Form eines Kurzromans ...

Eine Freundin hatte das Buch bereits gelesen und ich wusste schon halbwegs was mich erwartet: die nicht immer ganz akkuraten Erinnerungen eines Mannes aus der Ich-Perspektive in Form eines Kurzromans (einer „novella“, wie man im Englischen sagt). Dieser Mann ist Anthony (Tony) Webster und man kann von ihm sagen dass er ein durchschnittlicher Jedermann ist. Er ist Anfang/Mitte Sechzig und erzählt dem Leser auf schmalen 150 Seiten die Geschichte seines Lebens, wobei einzelne Erinnerungen mehr Platz einnehmen als viele Jahre, in denen scheinbar wenig bis nichts passiert ist. Die Beziehung zwischen seiner ersten Freundin Veronica und ihm steht im Mittelpunkt seiner Erinnerungen. Warum ist sie gescheitert? Als die Mutter von Veronica stirbt und er ein mysteriöses Erbe antreten soll ist er gezwungen seine Vergangenheit zu reexaminieren…

Auch einer seiner besten Freunde zu Schulzeiten, der philosophische Adrian, ist ein Teil von Anthonys Vergangenheit, der ihn einholen wird.
Worum geht es in diesem Buch? Julian Barnes führt am Beispiel eines Mannes vor wie fragil Erinnerung ist und was sie für den Einzelnen bedeutet. Wie konstruiert man sich sein Leben und seine Identität aus der Rückschau heraus, stellt man es sich anders vor als es wirklich gewesen ist? Und welche Rolle spielen eigentlich die modernen technischen Möglichkeiten beim Erschaffen des eigenen Selbst, seiner Irrungen und Wirrungen?
Der Roman ist sehr philosphisch und ab und an blitzt auch ein wenig schwarzer britischer Humor hervor. Ich finde er hat nicht umsonst den Booker Prize gewonnen, denn die Thematik ist eine zutiefst menschliche, die literarisch hervorragend angepackt werden kann. Julian Barnes tut das und lässt den Leser mit einem melancholischen Gefühl zurück: das Leben ist doch ein ziemlich tragikomisches Ereignis.