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Veröffentlicht am 12.09.2019

Gelungenes Portrait einer hochadelig-exzentrischen Lady

Die Dame hinter dem Vorhang
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Kein Wunder dass sich die Dichterin und Exzentrikerin Dame Edith Louisa Sitwell DBE (1887-1964) mit Königin Elizabeth I. identifizierte und zwei sehr erfolgreiche Bücher über sie schrieb. Beide ...

Kein Wunder dass sich die Dichterin und Exzentrikerin Dame Edith Louisa Sitwell DBE (1887-1964) mit Königin Elizabeth I. identifizierte und zwei sehr erfolgreiche Bücher über sie schrieb. Beide Frauen waren an einem 7. September geboren, blieben Zeit ihres Lebens kinderlos und unverheiratet, waren groß, schlank und hoch gebildet, sahen eigenwillig aus und förderten die Künste. Außerdem floss durch Edith Sitwell wahrscheinlich mehr blaues Blut als durch die Adern der meisten Mitglieder der britischen Königsfamilie. Durch ihre Mutter Lady Ida Emily Augusta Denison entstammte sie der Linie der Beaufort und war damit eine Nachfahrin von John of Gaunt (1. Duke of Lancaster), einem der Söhne von König Edward III. Diese hochgradig aristokratische Abstammung von den Plantagenets machte Lady Ida für Ediths Vater George Sitwell, selbst “nur” ein Baronet of Renishaw Hall, interessant. Die Ehe war also rein vernunftorientiert und dementsprechend unglücklich. Beide Eltern waren charakterlich sehr speziell und eher gefühlskalt. Für Edith war es ein Glück, dass sie zwei jüngere Brüder hatte, Osbert und Sacheverell, auf die sie Zeit ihres Lebens zählen konnte und die auch ihre Leidenschaft für das Schreiben und exzentrische Auftritte in literarischen Salons teilten.

In “Die Dame hinter dem Vorhang” lernen wir Dame Edith durch die erzählende "Brille" ihrer langjährigen Vertrauen Jane Banister kennen. Zunächst als alte Frau im Jahr 1964, kurz vor ihrem Tod. Dann wird ihr Leben in Rückblenden erzählt - immer aus der Perspektive von Jane. Janes Mutter Emma, die ihr Leben auf dem Landsitz der Sitwells, Renishaw Hall, als Tochter des Gärtners verbrachte, freundet sich in diesem Buch mit der 5 Jahre jüngeren Edith an - eine Freundschaft über Standesgrenzen hinweg. Ob das in der Realität so möglich gewesen wäre sei mal dahingestellt, hier bildet es den Aufhänger für die Handlung. Emma bekommt Ediths schwierige Kindheit hautnah mit: die Ablehnung durch die Mutter, das Einzwängen in eine körperformende Apparatur, die Liebe zur Literatur und die Entwicklung zum extrovertierten Freigeist. Später wird dann Emmas Tochter Jane das Hausmädchen der nunmehr mit ihrer Vertrauten Hanna Rootham in einer Mietwohnung in London lebenden 40-jährigen Edith. Hier lernt Jane die schillernden Figuren der Londoner Bohème kennen - Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle. Dann zieht es Edith in die Stadt der Kunst und der Liebe, Paris. Jane kommt natürlich mit, denn die beiden haben mittlerweile eine symbiotische Beziehung, bei der die Rollen aber klar verteilt sind: Edith die exzentrische "Lebefrau" und Künstlerin, Jane die Angestellte und das bodenständige englische Mädchen vom Land.
Schließlich führt sie der Krieg zurück nach Renishaw Hall. Das Grauen dieser Zeit verarbeitet Edith wieder in ihrer Dichtung, sublimiert Schrecken in Schönheit. Sie will Renishaw schließlich zum "Zufluchtsort für Künstler" (S. 227) machen - Evelyn Waugh, T. S. Eliot und andere gehen ein und aus. Die letzten Lebensjahre verbringt sie wieder in London, mit einigen Abstechern nach Amerika, wo sie mit dem Hollywood Marylin Monroes, Billy Wilders und anderer Größen in Berührung kommt.

Dadurch dass wir Edith nur durch den "Filter" Jane Banister kennenlernen, kommt keine Unmittelbarkeit auf. Eine Innensicht Ediths, ihre Gedanken, wären interessant gewesen. Dennoch wird der Charakter Edith Sitwells gut beleuchtet, auch wenn wir nur durch Jane auf sie blicken. Es wird deutlich, dass sie eine Person war, die durch Poesie und Kunst - durch das Erschaffen von Dichtung und die Rezeption von Literatur - der Enge ihres Daseins, der restriktiven Gesellschaft, dem britischen Erbrecht, den Existenzsorgen, den Schrecken des Krieges und ihrem nicht der Norm und vor allem dem damaligen Schönheitsideal entsprechenden, oft schmerzenden Körper entkommen konnte. Das ist denke ich die Hauptbotschaft dieses Buches und des Lebens der Edith Sitwell: in der Phantasie, in unseren Gedanken, können wir alles sein und der Realität - zumindest zeitweise - entfliehen.

Ein sehr lesenswertes Buch über eine hoch spannende Frau und ihre Zeit!

Lobend hervorheben möchte ich noch die sehr schöne Gestaltung dieses Romans von Veronika Peters als Hardcover durch den Wunderraum-Verlag. Das schöne Vorsatzpapier, das Lesebändchen und vor allem der auf den Umschlag geklebte Titel, wodurch der Leinenrücken sichtbar wird, geben dem Buch das gewisse Etwas!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Von Engeln und Männern

Für immer und eh nicht
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Die Idee ist für mich nicht neu, dass die Protagonistin in einem Frauenroman mit ihrem Traummann und der damit verbundenen Realisierung ihrer kühnsten Träume zu konfrontieren. Das hat bereits Alexandra ...

Die Idee ist für mich nicht neu, dass die Protagonistin in einem Frauenroman mit ihrem Traummann und der damit verbundenen Realisierung ihrer kühnsten Träume zu konfrontieren. Das hat bereits Alexandra Potter in "Be careful what you wish for" (dt. "Träumst du noch oder küsst du schon?") gemacht. Bei Heike Wanner kommt der besagte Traummann aber nicht aus dem Nichts wie bei Potter, sondern aus dem Himmel und hat damit eine quasi göttliche Legitimation, den Segen "von oben". Dies bringt allerlei heitere Situationskomik mit sich: das himmlische Organisationskommitee, dessen Mitglieder nur allzu menschliche Charakterzüge haben, die (moderne) Kommunikation (per Mobiltelefon) des Engel-Mannes mit diesem etc.

Die Protagonistin Theresa erlebt in diesem Roman, wie fatal es sein kann wenn Wünsche, an deren Erfüllung man doch nie geglaubt hat, plötzlich Realität werden und wie schön es doch ist ein bisschen Menschlichkeit in einem Mann verkörpert zu sehen. "Nobody is perfect und das ist auch gut so" könnte die Botschaft lauten, die dieser heitere Frauenroman - den man übrigens flugs durch hat - zu vermitteln sucht.

Der Verlauf der Geschichte ist ziemlich vorhersehbar: Theresa trifft in einem Südafrikaurlaub den Mann, der ganz allein für sie mit himmlischer Macht konzipiert wurde: Raphael von Hohenstein (39), Graf, Millionär, Schloss- und Pferdebesitzer, der dazu auch noch höllisch gut aussieht - und das obwohl es sich hier um einen Engel handelt (das weiß Theresa zu Anfangs natürlich nicht). Das Interesse wächst und Theresa fühlt sich mit diesem Mann wie in ihren eigenen Traumvorstellungen...dass das alles doch nicht das Gelbe vom Ei ist, dass ein bisschen Eigenständigkeit, Witzigkeit und Charakter bei einem Mann durchaus attraktiv sein können merkt sie, als sie Harald, den Polizistenkollegen ihres Bruders bei der Umbauhilfe im Haus ihrer Elter näher kennenlernt. Plötzlich ist es nicht mehr Raphael, der durch seine Perfektion glänzt sondern der "echte" Mann Harald, zu dem sie sich hingezogen fühlt...

Wie das Ganze ausgeht lässt sich zwar erahnen, aber es macht trotzdem Spaß Theresa auf ihrem Weg zum (wahren) Glück zu begleiten. Ab und an hätte ich mir ein bisschen mehr witzige Begebenheiten mit Raphael gewünscht. Seine plötzliche Obsession für das Pokern habe ich auch nicht verstanden, denn wenn er Theresa für ihren Nenn-Onkel versetzt verhält er sich ja alles andere als perfekt, aber naja. Ich gebe für diesen vergnüglichen Sommerroman dennoch 4 Sterne, denn er hat mich gut unterhalten-wie es sein soll.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Fantasy-Ethno-Öko-Thriller-Romance-SciFi

Der Ruf des weißen Raben
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Die Handlung von „Der Ruf des weißen Raben“ löste in mir als Leser eine gewisse Unruhe aus. Ständig ist man mit Zeitsprüngen (Vorzeit/Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und unterschiedlichen Ich-Ausprägungen ...

Die Handlung von „Der Ruf des weißen Raben“ löste in mir als Leser eine gewisse Unruhe aus. Ständig ist man mit Zeitsprüngen (Vorzeit/Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und unterschiedlichen Ich-Ausprägungen bzw. Bewusstseinsstufen der Charaktere (Mythische Vorzeit-Lehrerin/Jüngeres Ich/Älteres Ich) konfrontiert, die einem die vollste Konzentration abverlangen. Diese doch sehr diffuse Handlungsführung kontrastiert auf eine merkwürdige Weise mit der sehr einfach gehaltenen Prosa und den ständig auftretenden semantischen Wiederholungen der Autorin, die, wenn sie sich einmal für eine Vokabel oder ein sprachliches Bild entschieden hat, selten davon abweicht (so sind die Zedern in diesem Buch omnipräsent, Myra empfindet jedes Mal dieses „seltsame Ziehen“ wenn sie die Zeiten wechselt, man muss dazu immer „bei Kräften bleiben“ und auch die Murmeltiere und Streifenhörnchen tauchen ständig auf und pfeifen oder huschen). Ein bisschen mehr semantische Variation hätte ich mir gewünscht. Die Naturbeschreibung ist ansonsten sehr anschaulich ausgefallen.

Zu den Charakteren ist zu sagen, dass sie alles in allem an der Oberfläche bleiben und selten greifbar werden. Vor allem die Protagonistin Myra wirkt gelegentlich fehl am Platz und Marionettenhaft, ihre Motivation und ihre Beweggründe sind nicht wirklich erkennbar. Sie bleibt oberflächlich und wirkt auf mich auch nicht sonderlich sympathisch, weil sie wenig „Ecken und Kanten“ hat. Chad hingegen versprüht einen gewissen menschlichen Charme, aber auch er wird aber für meinen Geschmack nicht befriedigend charakterisiert. Die Liebesgeschichte der beiden hätte ich mir auch etwas tiefgehender gewünscht, so wird zwar von Anfang gesagt, dass sich beide auf unerklärliche Weise zu einander hingezogen fühlen und am Ende des Romans wird auch klar warum. Dennoch wirkt die Lovestory zuweilen sehr aufgesetzt.

Die Grundaussage des Romans ist wie bei nahezu allen Ethno-Naturgeschichten sicher ehrenvoll: der Mensch hat den Sündenfall der Naturzerstörung begangen und begeht ihn weiterhin. Die alten Kulturen haben es sich zur Aufgabe gemacht dies zu verhindern indem sie die „Alten“ und die – dem modernen Menschen nicht mehr präsenten – Naturgewalten anrufen und um deren Hilfe ersuchen. Das natürliche „Gleichgewicht“ der Kräfte muss wieder hergestellt werden. Die Plotline dass Myra die Auserwählte ist und es jetzt „richten“ soll, ausgerechnet Myra, deren Eltern ursprünglich Einwanderer aus Deutschland sind, Myra, die Journalistin aus der Großstadt Victoria, wirkt auf mich sehr konstruiert. Da hat die ebenfalls aus Deutschland stammende Autorin etwas zu viel Autobiographisches in den Roman gepackt. Ich hätte es besser gefunden wenn Chad – in seiner Eigenschaft als Kanadischer Ureinwohner – diese Funktion des Gesandter bzw. Retters gehabt hätte, aber das wäre vielleicht zu unspektakulär gewesen.

Die indianische Mystik ist in diesem Roman sehr gut beschrieben, die Autorin weiß von was sie spricht. Die Fantasy-Elemente beschränken sich im Wesentlichen auf die Zeitreisen (für die Indianer sind alle Zeiten stets präsent und deshalb ist es für sie keine Fantasy, sondern Teil der universellen Wirklichkeit), die Myra macht. Allerdings kann nur Myra so in die Vergangenheit reisen, wie sie es tut und das macht alles in wenig fragwürdig.

Es gibt fast wie in der klassischen Novelle ein Falkenmotiv, nämlich den Talisman, der so etwas ist wie der „Stein der Weisen“. Um ihn und um sein Haben bzw. Nicht-Haben dreht sich die gesamte Story. Natürlich gibt es auch einen Bösewicht mit Allmachtsphantasien, Morris, der vor nichts zurückschreckt um diesen Talisman (der Myras Mentorin Runa in der Vorzeit vermacht und von mehreren Schamanen mit magischen Kräften und Weisheit aufgeladen wurde) zu besitzen.

Alles in allem hat der Roman für mich Stärken und Schwächen, die sicher vermeidbar gewesen wären. Ein gutes Buch für Zwischendurch, aber auch nicht mehr.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Der letzte Schattenschnitzer: ein romantisches Buch!

Der letzte Schattenschnitzer
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Mit der Überschrift ist nicht etwa gemeint, dass dieser Fantasyroman auch nur im Entferntesten etwas mit der Pseudo-Romantik einer schnulzigen Fernsehromanze zu tun haben könnte. Hier ist die gleichnamige ...

Mit der Überschrift ist nicht etwa gemeint, dass dieser Fantasyroman auch nur im Entferntesten etwas mit der Pseudo-Romantik einer schnulzigen Fernsehromanze zu tun haben könnte. Hier ist die gleichnamige Epoche gemeint und damit die der Düsternis, der Doppelbödigkeit und des Unbelebten, das durch Magie zum Leben erweckt wird. Die Romantiker interessierten sich für die Dinge hinter den Dingen und so auch für Schatten, wie man an der berühmten Geschichte von „Peter Schlehmil“ (die im „Schattenschnitzer“ auch zitiert wird) sehen kann. Diese Thematik, die verschachtelte Geschichte und auch die vielen Perspektiven- und Schauplatzwechsel machen das Buch „romantisch“ und damit extrem gehaltvoll.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist so gruselig wie phantastisch: es geht um Schatten als eigene Entitäten, die ihr Dasein zunächst mit dem Menschen zusammen fristen und nach deren Tod eigenständig werden. Es gibt den Limbus, den Ort an dem die Schatten wohnen. Ein Rat der Schattensprecher hat die Aufgabe, das Gleichgewicht zwischen Licht und Schatten zu halten und einen Krieg zwischen Menschen und Schatten zu verhindern. Es gibt also Schatten, die gegen die Menschen kämpfen und sich von ihnen ablösen wollen oder aber, wie im Falle des „Schattensprechers“ Jonas Mandelbrodt, (zunächst) ihre Verbündeten sind: Gut vs. Böse, das alte Lied auch hier neu eingespielt. Madelbrodt ist der Hauptakteur des Buches, um ihn herum wird die Geschichte aufgezogen. Der Junge ist in der Lage mit Schatten zu kommunizieren und ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Diese gefährliche Gabe, die von anderen Schattenmagiern häufig zum Negativen gebraucht wird, bringt ihn bald in die Bredouille: er und seine Familie sind nicht mehr sicher… Dann gibt es noch Carmen Maria Dolores Hidalgo, das „Mädchen ohne Schatten“, das auch von der Schattenwelt instrumentalisiert wird. Jonas erfährt, dass der Rat der Schattensprecher den Tod von Jonas und Maria beschlossen hat, denn sie werden als Anomalien betrachtet und dürfen deshalb nicht weiterleben. Ein(e) Bösewicht(in), der (die) alles daran setzt die Schattenmächte zu beherrschen darf natürlich auch nicht fehlen…

Es vermischt sich in diesem Roman auch Realhistorie mit Fantasy. George Ripley, ein Alchemist aus dem 15. Jahrhundert, hat der heutigen Welt ein gefährliches Erbe hinterlassen: das „Eidolon“. Es gab diesen bedeutenden Alchemisten aus England tatsächlich, das Eidolon ist natürlich eine Zutat des Autors. Auch anderen historischen Figuren wird die Schattenwelt als Grund ihres Untergangs zugeschrieben: Giordano Bruno, Kaspar Hauser etc. sowie zahlreiche Hexenverbrennungen. Auch John Dee, Alechmist der Königin Elizabeth, (der Protagonist aus „Die Gebeine von Avalon“), kommt zwischendurch zu Wort indem immer wieder Passagen aus seinem „Alchimia Umbrarum“ als Zwischentexte eingestreut werden.

Die „Schattenfresser“ erinnern sehr an die „Dementoren“ aus „Harry Potter“, genau wie die Siegel, mit denen die Welt der Schatten geschützt ist an die Horkruxe erinnern. Auch andere Anleihen bei Fantasy-Geschichten sind durchaus zu finden (irgendwie erinnert mich die ganze Atmosphäre ein wenig an den „Schrecksenmeister“ von Walter Moers). Aber das stört ja nicht, denn Autoren haben sich immer überall bedient und Intertextualität ist schließlich ein Wert an sich.

Dass auch aus der Erzählperspektive des Schattens (mit Du-Anrede der Leser) von Jonas Mandelbrodt erzählt wird fand ich bereits in der Leseprobe sehr speziell und durchaus begrüßenswert.

Die Zitate zum Thema Schatten am Beginn jedes Kapitels finde ich sehr anregend und informativ, auch die graphische Gestaltung des Buches sowie des Schutzumschlags lässt bibliophile Herzen höher schlagen. Die Hobbit Presse wird ihrem eigenen Standard hier absolut gerecht (danke auch für das schöne beigelegte Lesezeichen). Ein Abschlusslektorat täte dem Buch aber dennoch gut, immerhin fehlen bei manchen Wörtern die letzten Buchstaben oder es ist einer zuviel.

Christian von Aster erzählt eloquent, geheimnis- und anspruchsvoll, so dass der Leser stets mit voller Konzentration bei der Sache sein sollte. Leider ist der Autor aber letztlich etwas klüger als seine Geschichte, die vielleicht ein wenig zu arabeskenhaft und ambitioniert daherkommt und ihrem eigenen hohen Anspruch in letzter Konsequenz nicht ganz gerecht werden kann. Die Geschichte wird zum Schluss sehr esoterisch, der letzte Teil des Buchs ist recht dicht gewebt, so dass man leicht den Überblick verlieren kann. Ich fand dass es dann zum Ende auch immer pathetischer wurde und das hat mich sehr gestört. Die Auflösung-den Überraschungseffekt-fand ich gut.

Veröffentlicht am 06.09.2019

"Murmeltier" mal anders!

Die Insel der besonderen Kinder
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Jakob ist ein ganz normaler amerikanischer Teenager, der ein wenig schüchtern ist und sich ansonsten wenig Sorgen um die Zukunft machen muss, weil er durch die Drogeriemarkt-Dynastie seiner Familie finanziell ...

Jakob ist ein ganz normaler amerikanischer Teenager, der ein wenig schüchtern ist und sich ansonsten wenig Sorgen um die Zukunft machen muss, weil er durch die Drogeriemarkt-Dynastie seiner Familie finanziell abgesichert ist und dies auch wahrscheinlich immer sein wird. Sein Leben gerät aus den Fugen als sein 85jähriger Großvater Abraham, genannt Abe, auf geheimnisvolle und brutale Weise ums Leben kommt und ihm als Vermächtnis seine geheimnisvollen letzten Worte hinterlässt: er soll den Vogel suchen, hinter dem Grab, die Schleife, 3. September 1940.

Nach vielen Psychotherapien beschließt Jacob mit seinem Vater – der Hobby-Ornithologe ist – auf eine kleine Insel neben Wales aufzubrechen, auf der sein Großvater als polnischer Flüchtling vor den Nazis Teile seiner Jugend verbracht haben soll. Dort nehmen die Ereignisse ihren Lauf: Jacob trifft auf Miss Peregrine und ihre Flüchtlingskinder, die aussehen wie die mysteriösen Kinder mit besonderen Fähigkeiten auf den Fotografien seines Großvaters. Sie sind in einer Zeitschleife gefangen und erleben den 3. September 1940 immer und immer wieder, um nicht den Bomben der Deutschen zum Opfer zu fallen. Immer mehr gerät Jacob in ihren Sog und erfährt bald, dass auch er etwas „Besonderes“ ist…

Nach der Lektüre des Klappentextes hatte ich erwartet Schauer und Grusel zu empfinden beim Lesen des Romans. Diese Erwartung hat sich nur sehr bedingt bestätigt. Das Buch spielt zwar mit Fantasyelementen (Zeitreise, außergewöhnliche Begebenheiten etc.), ist aber vom Gruselfaktor her kein Stephen King-ähnlicher Roman. Er changiert gekonnt zwischen dem sachlichen Erzählstil des Ich-Erzählers und dem Eindruck der bizarren Geschichte, die dieser erlebt. Wie Jacob aus seinem eintönigen Leben wird auch der Leser aus der Geschichte rausgerissen, um einen Blick auf die Fotos zu werfen, dieselben Fotos, mit denen auch Jacob konfrontiert ist. Dies schafft eine enge Verbindung zwischen Leser und Ich-Erzähler, mit dem er quasi gemeinsam auf die Suche nach den „besonderen Kindern“ und ihrer Betreuerin geht. Das macht den Roman multimedial, man kann ihn sowohl visuell als auch durch den Text begreifen. Intertextuell ist er durch die Referenz auf die Werke Ralph Waldo Emersons, die Jacob helfen, den Sinn der letzten Worte seines Großvaters nachzuvollziehen.

Alles in allem ist dieses Buch spannend, mystisch und gelegentlich auch beunruhigend, weil es den Leser dazu herausfordert, Schein und Sein nicht als Entsprechungen zu sehen. In der Welt, in die Jacob eintritt ist nichts wie es scheint, nicht mal auf die Konstante „Zeit“, die bisher berechenbar schien, ist mehr Verlass.

Im Roman geht es auch um die Angst und ihre Etikettierung sowie um die Frage: Heilt die Zeit alle Wunden oder eben doch nicht? Bei Abraham, der noch im hohen Alter von den „Monstern“ aus seiner Vergangenheit verfolgt wurde, scheint dies nicht der Fall zu sein, während die Kinder von Miss Peregrine durch ihr „Immer-wieder-erleben“ des gleichen Tages mit der Zeit abgestumpft sind und den Bombenangriff nur noch als alltägliches Schauspiel erleben. Auch Emmas Gefühlen, die in Abraham Zeit ihres Lebens verliebt gewesen ist, scheint die Zeit nichts anzuhaben-im Gegenteil: durch Jacobs Erscheinen wird alles wieder aufgewühlt.

Ich finde diesen Roman sehr spannend und empfehle ihn allen, die gerne den Dingen auf den Grund gehen, nichts für selbstverständlich nehmen und als Leser abenteuerlustig sind. Dieses Buch und seine Geschichte(n) kann man nicht so schnell vergessen und man fragt sich beständig: kann es eine Parallelwelt in der Zeit wirklich geben. Werden Zeitreisen irgendwann möglich sein- oder: sind sie es etwa längst?

Zum Schluss ist noch zu sagen, dass der Roman wohl in erster Linie jugendliche Leser ansprechen soll. Nicht nur der Protagonist und die im Titel erwähnten „Kinder“ sind jung, sondern auch der Sprachstil ist einfach zu erfassen und somit für junge Leser besonders geeignet. Es ist eine „Coming-of-Age“-Initiationsgeschichte, die hier erzählt wird.