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Veröffentlicht am 06.09.2019

Außergewöhnlich mittelmäßig

Der Mondscheingarten
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Zum Inhalt:

Das Buch agiert auf mehreren Zeitebenen und changiert insbesondere zwischen der gegenwärtigen Handlung im Jahr 2011 und den Rückblenden in die Vergangenheit (1902, 1910).

Die Handlung der ...

Zum Inhalt:

Das Buch agiert auf mehreren Zeitebenen und changiert insbesondere zwischen der gegenwärtigen Handlung im Jahr 2011 und den Rückblenden in die Vergangenheit (1902, 1910).

Die Handlung der Gegenwart: Lilly Kaiser, Ende 30 und durch den Krebstod ihres Mannes Peter früh Witwe geworden, ist Antiquitätenhändlerin in Berlin mit eigenem Laden. Eines kalten Wintertages kommt ein Fremder in den saisonal gerade wenig besuchten Laden und legt ihr einen Geigenkoffer auf den Tisch der angeblich ihr gehöre. Er versichert sich ihrer Identität, will keine Bezahlung für die Geige und verschwindet ohne viele Erklärungen. Die Geige ist mit einem ungewöhnlichen Rosenornament versehen, das Lilly seltsam vorkommt. Außerdem enthält der Geigenkasten ein Musikstück namens „Der Mondscheingarten“, allerdings ohne Angabe des Komponisten. Eine mysteriöse Geige also! Wie gut dass ihre in London lebende Freundin Ellen Morris (gebürtige Hamburgerin wie Lilly, die mit einem Engländer verheiratet ist) ausgerechnet Expertin für alte Musikinstrumente ist! Sie ruft sie an und schlägt ihr vor sich die Geige anzusehen. Lilly reist nach London und lernt auf dem Flug den attraktiven Musiklehrer Gabriel Thornton kennen, der ihr in der Zukunft und in puncto Geige noch behilflich sein wird. In London führt sie die Spur der Geige zu zwei ihrer Vorbesitzerinnen: Rose Galway und Helen Carter. Was hat es mit der Geige und der Geschichte der Frauen auf sich? Ihre weitere Recherchereise führt sie nicht nur weiter in die Violinenstadt Cremona, Italien, sondern auch nach Sumatra, Südostasien und in ihre eigne, ganz persönliche Vergangenheit.
In der Vergangenheit lernen wir im London der Jahrhundertwende um 1900 Rose Galway kennen, eine gefeierte Stargeigerin. Als sie auf Konzertreise in ihrer mütterlichen Heimat Sumatra ist (Rose ist zur einen Hälfte Engländerin, zur anderen Hälfte eine Minangkabau, ein Volksstamm in dem die mütterliche Linie und das Matriarchat noch vorherrschend sind). Auf Sumatra lernt sie den englischen Kaufmann Lord Paul Heavenden kennen und verliebt sich in ihn, der allerdings bereits mit einer anderen verlobt ist…

„Der Mondscheingarten“ ist von seinem Erzählaufbau her ähnlich angestaubt wie der Geigenkoffer, in dem Lilly Kaiser in ihrem Berliner Antiquitätenladen die Geige von Rose Galway überreicht bekommt. Jemand in der Gegenwart findet einen alten Gegenstand (gerne auch ein Buch oder die üblichen Briefe mit Samtschleife), der natürlich geheimnisumwoben ist; dieser jemand recherchiert alles, was es über dieses Artefakt (warum ist es nur so besonders?) zu wissen gibt und reist deswegen in ferne/fremde Länder und natürlich auch immer in die eigene Vergangenheit – denn es ist erzähltechnisch ja kein Zufall dass genau diese Person das geheimnisvolle Artefakt findet. Nebenbei findet sich auch meistens die große Liebe, denn der/die GeheimnissucherIn ist natürlich ein etwas vereinsamter Single (meist mit tragischem Verlust eines früheren Partners oder anderen Verletzungen) und irgendjemand mit einem Spezialwissen zu dem Gegenstand hilft ihr nicht nur dessen Vergangenheit aufzuklären sondern ist meistens auch besonders attraktiv und sympathisch…
Was soll ich sagen außer: alles schon mal dagewesen und in Antonia S. Byatts „Posession“ literarisch um einiges reizvoller aufbereitet. Aber es wäre nicht gerecht einen Roman dieser Qualität mit dem „Mondscheingarten“ zu vergleichen, der sicher mehr unterhalten als durch seine literarische Raffinesse überzeugen will. Aber auch ein Jugendroman nach dem gleichen Schema („Revolution“/"Das Blut der Lilie" von Jenniffer Donelly) hat mich da um einiges mehr überzeugt. Dort wurde man mehr mitgenommen von der Geschichte und dem Schema F wurde durch eine differenzierte Erzähltechnik ein einzigartiger Charakter verliehen.

Ich muss sagen ich war nicht sonderlich überrascht als sich im „Mondscheingarten“ die Beziehung zwischen den Vorbesitzerinnen der Geige (Rose Galway und Helen Carter) und ihrer gegenwärtigen Besitzerin als so erwiesen hat wie es sich im Roman herausstellt. Ich hab eher gedacht: das kann doch nicht sein dass es tatsächlich so ist, wie langweilig! Auch Lilly Kaiser als gegenwärtige Hauptfigur erschien mir ziemlich oberflächlich und stromlinienförmig charakterisiert. Dass dann mit Gabriel auch noch so ein „offensichtliches“- männliches Pendant (ein „larger-than-life“-Kerl) dazukam, hatte – ich muss es leider sagen – Groschenromancharakter (leider hat der ein oder andere Groschenroman aber auch noch mehr pep!)
Die Charaktere in der Vergangenheit hatten etwas mehr Tiefgang, was die historische Erzählung gegenüber der Gegenwartshandlung aufgewertet hat. Die ganze Handlung ist allerdings zu steif und wirkt übermäßig konstruiert.
Nun gut, aber der Roman – so viele finden ihn ja toll – muss doch irgendetwas haben was ihn besonders macht, so besonders wie den „Mondscheingarten“ in Padang, Sumatra, Indonesien…
Leider habe ich es nicht gefunden. Ja klar, es geht um Frauenschicksale in der Vergangenheit, um Künstlerinnen, das ist an sich ein ehrenwertes Thema und man lernt etwas über ein Land, das einem – wenn man nicht gerade Südostasienexperte ist – ziemlich fremd und exotisch vorkommt. Das Thema Matriarchat wird auf den Plan gebracht, was mir auch gut gefallen hat: alles wird von einer weiblichen Linie definiert. Alles wunderbar und auch ganz lesens- bzw. hörenswert, aber das gewisse Etwas, das diesen Roman zu einem einzigartigen Wow-Erlebnis hätte machen können, hat mir persönlich gefehlt. Das heißt jetzt aber nicht dass der Roman schlecht ist: die Autorin kann durchaus erzählen und einen Spannungsbogen aufbauen, allerdings hat dieser meinen Erwartungen nicht entsprochen und mich durch eine gewisse Vorhersehbarkeit enttäuscht.

Ich habe den Roman als Hörbuch erhalten. Die Stimme der Vorleserin war ganz angenehm. Die Qualität der Hörbuch-CDs ist einwandfrei.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Bauernschwank in Prosaform

Ein Sommer am Chiemsee
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„Ein Sommer am Chiemsee“ von Johanna Nellon ist ein Bauernschwank – oder sollte ich vornehmer sagen: ein Volksstück – in Prosaform. Wir haben eigentlich alle Zutaten die ein zünftiges Mundartstück braucht ...

„Ein Sommer am Chiemsee“ von Johanna Nellon ist ein Bauernschwank – oder sollte ich vornehmer sagen: ein Volksstück – in Prosaform. Wir haben eigentlich alle Zutaten die ein zünftiges Mundartstück braucht (bis auf die Mundart und den Humor vielleicht): da wäre zum einen die Hauptperson, gerne a Madl, also eine Frau, aus „dar Stodt“ (hier: Köln) – das wäre im unserem Fall Hannah Scheifart. Diese Person flüchtet aufs Land (hier: der Chiemsee, also das was drumherum und auch drin ist), weils in „dar‘ Stodt“ eben nicht mehr so „lauft“ (Vermieter schmeißt sie aus ihrem Blumenladen weil sie mit der Zahlung der Miete in Verzug ist etc.); zum Personal gesellt sich nun der offensichtlich böse weil betrügerische Exfreund hinzu (bei uns: Jo) – er erlaubt sich gar keine Grauzonen, er ist einfach: fieeeeees – wir hätten dann die ehemals beste Freundin der Hauptperson (Nina), die diese auch betrogen hat (mit dem Ex, damals noch Nicht-Ex); nun reist die Hauptperson zu Verwandten aufs Land, weil sie von der „Stodt“ genug hat; diese Verwandten sind meist Onkel und Tante, die eine Pension betreiben, eine „Wirtschaft“ oder eine Landwirtschaft haben oder, wie in unserem Fall (die moderne Variante) – der homosexuelle Cousin (Bastian), der einen Bootsverleih am Chiemsee betreibt und mit seinem Freund, dem Tierarzt Ulli harmonisch vor sich hinlebt ; Onkel und Tante (Bastian und sein Freund Ulli) führen eine glückliche Beziehung; plötzlich taucht die Cousine auf und bleibt erst mal „für ein paar Tage“ (aus denen natürlich Wochen werden); rausgeschmissen werden darf sie nicht, weil sie ein durch die gemeinsamen Großeltern vererbtes „Wohnrecht“ im schönen Haus von Bastian besitzt, das diesem von ebendiesen Großeltern hinterlassen wurde. Die „Städterin“ sorgt nun so allmählich für Turbulzen in der Dorfgemeinschaft; sie sucht sich einen Job bei den Gasthausleuten (Walli und Andreas; die sollen ein bisschen Pfeffer in die Story bringen), wobei der Andreas der neuen Bedienung prompt schöne Augen macht (was der Walli nicht gut bekommt); dann rettet die Hannah auch noch ein Kind aus dem See, das dem reichen und gutaussehenden Gastronom Stefan (der Love-Interest bzw. „Retter“ der Hauptfigur) gehört; wer jetzt denkt das wär dann das Happy End, der weiß nicht dass noch viele Missverständnisse, Verwechslungen, kleine Katastrophen, Geheimnisse und Personen aus der Vergangenheit (ja, der Jo und die Nina aus Akt 1 tauchen nochmal auf) das glückliche Paar in Bedrängnis bringen werden bis alle wieder glücklich und zufrieden (und natürlich in den adäquaten Paarungen) am schönen Chiemsee leben dürfen.

Ja, die Handlung ist ziemlich, nun ja, nennen wir es mal „vorhersehbar“. Aber das tut ja dem Fun normalerweise keinen Abbruch. Es ist ja ein netter lieber Frauenroman, den wir da vor uns haben und keine düstere Charakterstudie. Deswegen kann man von der „klugen“ (ja, so wird sie von ihrem Cousin und dessen Freund beschrieben) Hannah nun wirklich nicht erwarten dass sie besonders dreidimensional und interessant wäre. Sie sucht sicht halt immer die „falschen“ Männern, das arme Hascherl – und das noch mit Neuunddreißig! Aber sie sieht halt (noch) so gut aus und deswegen verfallen auch ihr die Männer reihenweise. Auch Stefan: er geht es ja schon etwas schnell an, aber hey, so einen Gutshof mit Haushälterin am Chiemsee… Nein, Hannah will selbstständig und unabhängig bleiben (klare Rechnung, gute Freundschaft) und sich trotz der drohenden 40 im Gegensatz zu ihrem Traum von „Lover“ Stefan nicht allzu schnell festlegen…

Ich sag mal so: das Buch ist nur unfreiwillig komisch und neigt zum „Drama, Baby“. Es ist nicht sonderlich anspruchsvoll geschrieben und ich habe es infolgedessen recht schnell durchgelesen, weil ich natürlich wissen wollte in welches Fettnäpfchen Hannah als nächstes tritt. Dem Buch hätte die ein oder andere beabsichtigt humorvolle Stelle sicher gutgetan. So wirkt es sehr gestelzt und mit dramatischen Situationen übervoll und deswegen wie eine schlechte Soap.

Dieser Roman ist also tatsächlich wie ein zünftiger Bauernschwank: oberflächlich, offensichtlich, unfassbar vorhersehbar und „wie kann sie/er nur so dumm sein“-komisch!

A light read for a heavy day!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Ein wahrer Theatertraum!

Sommernachtszauber
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Das Theater ist nicht nur eine uralte Kunstform der Menschheit, es ist auch schon immer Gegenstand von Theaterstücken selbst - man muss nur an "Hamlet" denken, wo dieser zur Überführung seines Onkels als ...

Das Theater ist nicht nur eine uralte Kunstform der Menschheit, es ist auch schon immer Gegenstand von Theaterstücken selbst - man muss nur an "Hamlet" denken, wo dieser zur Überführung seines Onkels als Mörder ein Stück aufführen lässt. Auch in Romanen wird das Theater als Sehnsuchtsort der Menschen immer wieder zum Gegenstand der Handlung. Hinter der Bühne spielen sich nämlich oft die größeren Dramen ab - unter Akteuren und Machern des Theaters selbst.
Auch "Sommernachtszauber" von Ellen Alpsten versteht sich in der Tradition des Metatheaters, des "Spiels im Spiel", das hier in Prosaform gleich mehrere Ebenen reflektiert. Da wäre zum einen die "reale Ebene" im Roman, die Lebenswelt von Caroline und ihrer besten Freundin Mia, die beide ein Semester Schauspiel an der renommierten "Ernst-Busch" hinter sich haben und nun in den Semesterferien ein Engagement an einer Berliner Bühne suchen. Da trifft es sich gut dass das alte Theater in der Fasanenstraße, das seit der Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg nicht mehr bespielt wird, als Bühne wiederbelebt werden soll. Dafür will der Jungregisseur Carols sorgen, der mit einer Neuinszenierung von "Romeo & Julia" für Furore machen und so den Berliner Senat davon überzeugen will das "Bimah" (jiddisch für "Bühne") als neuen Schmelztigel der Berliner Theaterszene zu fördern. Caroline, die vom Schicksal durch den Selbstmord ihres Vaters, die daraus resultierenden Depressionen ihrer Mutter und das Großziehen ihres kleinen Bruders schon viel abbekommen hat, will ihr Glück beim Vorsprechen versuchen. Ebenso wie ihre Freundin Mia, die aus einer bekannten Berliner Theaterdynastie mit Villa am Wannsee stammt und als Schauspielerin ebenfalls Erfolge feiern will. Außerdem hat sie einen Blick auf den attraktiven Ben Behrens, Jungstar und Mädchenschwarm geworfen, der den Romeo geben soll. Caroline ergattert die Rolle durch ihre intensive und unpretentiöse Art zu spielen, während Mia gerade mal den Job als Maskenfrau und Garderobiere ausüben darf. Als Caroline eines Abends auf der Bühne alleine proben will steht plötzlich ein wunderschöner junger Mann vor ihr, der vorgibt "Romeo" zu sein und Johannes heißt - und der eine riesige blutende Wunde hat...
Nun kommt die zweite, fanatstische Ebene des Buches ins Spiel: das Theater an der Fasanenstraße wird von einem Geist bewohnt. Das ist Johannes, der hier 1935 auf der Bühne als Romeo während einer Aufführung von "Romeo & Julia" zu Tode kam. Wie das alles geschah und die Hintergründe seiner Geschichte sei dem Buch vorbehalten. Die zweite Ebene ist die Geschichte von Johannes und Caroline, ihre gemeinsame Zeit im Theater und auf der Bühne.
Die dritte Ebene ist die gegenwärtige Aufführung von "Romeo & Julia", für die geprobt wird.
Die vierte Ebene ist die der Vergangenheit - die Geschichte von Johannes, die sich vor und hinter der Bühne abspielt.
Wir haben also vier Ebenen, die prosaisch vermittelt werden müssen. Das ist gar nicht so einfach, aber Ellen Alpsten versteht es mit Bravour zwischen den vier Ebenen zu wechseln ohne das der Leser verwirrt ist.
Es ist ein Buch voller theatraler Referenzen, in dem viele Situationen und Personen gespiegelt werden und in dem Realität und Realität der Theaters bzw. des Schauspiels mitunter verschwimmen. Genau diese Intertextualität bzw. Intertheatralität macht für mich die Qualität und die Faszination dieses Jugendromans aus.
Die Wahl der Vergangenheitszeit ist sicher mutig, ist sie doch die dunkelste Zeit die Deutschland und Berlin durchstehen musste.
Diese Roman ist für mich eine der Entdeckungen dieses Sommers, den nicht nur 18jährige angehende Jungschauspieler lesen sollten. Chapeau Frau Alpsten, Sie haben mich nicht enttäuscht - im Gegenteil!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Innigkeit, Hoffnung, Liebe

Tanz auf Glas
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Meistens behandeln literarische Liebesgeschichten das "Vorher" der Liebe, das "Daraufhinzu" und enden mit dem Finden des glücklichen Paares. Die in Worte gefasste Liebesgeschichte von Lucy und Mickey Chandler ...

Meistens behandeln literarische Liebesgeschichten das "Vorher" der Liebe, das "Daraufhinzu" und enden mit dem Finden des glücklichen Paares. Die in Worte gefasste Liebesgeschichte von Lucy und Mickey Chandler beginnt - obwohl sie mitunter auch in Rückblenden erzählt wird - elf Jahre nach der Hochzeit. Wir erfahren dass die beiden in einer Kleinstadt in Amerika leben und jeweils füreinander die große Liebe sind. So weit so perfekt, aber es gibt natürlich einen, sogar mehrere Haken an der Garderobe dieser Liebe. Da wäre zum die psychische Erkrankung von Michael, genannt Mickey: er hat eine bipolare Störung, ist schizophren, manisch-depressiv. Mit dieser "Voraussetzung" hat Lucy den gutaussehenden, acht Jahre älteren Michael kennengelernt - an ihrem 21. Geburtstag. Wir lernen gleich zu Beginn, dass es auch in Lucys Leben bisher nicht ohne schwere Schicksalsschläge ablief: als Kind verlor sie ihren Vater, wenige Jahre darauf ihre Mutter. Diese starb an einer der heimtückischsten Krankheiten der Menschheitsgeschichte, die auch Lucy und ihre zwei Schwestern, Lily und Priscilla (Priss), erbbedingt bedroht.

Alles starker Tobak möchte man meinen und in der Tat bleibt diesem Paar - und auch dem Leser - nichts erspart. Als man auch noch erfährt wie der erneute Schicksalsschlag, der eigentlich ein absoluter Glücksfall ist, sich als unfassbar zweischneidiges Schwert ins Leben des Paares und ihrer Familien schleicht, denkt man schon dass die Autorin hier das literarische Rad der Fortuna ein bisschen zu weit um die eigene Achse gedreht hat. Normalerweise ziehen mich solche Bücher, in denen den Protagonisten viel Negatives erfährt, mit herunter und ich gelange meist an einen Punkt, an dem es mir zu viel wird und ich unbedingt etwas Humorvolles oder Spannendes brauche um mich aus dem traurigen Lesetal herauszuziehen. Bei diesem Buch ist es nicht passiert und das spricht meines Erachtens für die Qualität dieses amerikanischen Romans, der es schafft ohne ein Zuviel an Sentimentalität zu agieren und das ohne gleichzeitig in Belanglosigkeit und Oberflächlichkeit abzudriften. Ja, es ist traurig was dem Paar wiederfährt, ja, man möchte es eigentlich nicht und doch bleibt man bis zum Schluss bei den beiden, aus der Ich-Perspektive erzählenden Protagonisten (Lucys Sicht im Normaltext und Micheys Perspektive kursiv gesetzt) und ihrem Leben - man hat Hoffnung, man fiebert mit und will dass alles gut gehen wird obwohl man weiß, wie schlecht die Chancen stehen.

"Tanz auf Glas" nennt Lucy ihre Ehe, die in der Tat tatsächlich wie ein Scherbenlauf daherkommt. Allerdings ist und bleibt es ein Tanz. Ka Hancock wählt auch formal die rythmische Situation als Mittel um das Bild eines sich liebenden und tanzenden Paares, das diesen Tanz allerdings auf schweren Voraussetzungen aufbaut, zu erschaffen. Dieser Tanz ist melancholisch und traurigschön!

Die Familienkomponente des Romans kommt auch nicht zu kurz: während Mickey eher ein Einzelgänger (auch durch seine familiäre Situation bedingt) ist, ist Lucy ganz Teil ihrer Herkunftsfamilie Houston, der "Frauenfamilie" mit drei Schwestern, die gerade in ihrer Weiblichkeit als angreifbar und verletztlich gezeigt wird. Die Schwestern Lily und Priss sind ein starker Teil der Handlung und lassen das Buch auch als Familienroman gelten.

Auch das Cover hat mich sehr angesprochen: ein attraktives junges Paar, das sich vor einer Winterlandschaft, dick eingepackt in Winterkleidung, im Arm hält. Es vermittelt Innigkeit, Hoffnung und Liebe - die drei Themen, die auch im Roman eine große Rolle spielen. Hier nochmal ein großes Lob an die Gestaltungsabteilung von Knaur.

Wer also gerne traurige Liebesromane mag, die die Liebe in ihrer Unbedingtheit und in all ihren Facetten beleuchtet sollte dieses Buch lesen.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Gehaltvoll, prickelnd, wunderschön!

Die Champagnerkönigin
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Kurz zum Inhalt: Wir schreiben das Jahr 1898 und lernen Isabelle kennen, die schon im ersten Teil der "Jahrhundertwind"-Trilogie, "Solange die Welt noch schläft" als großzügige Berliner Großbürgerstochter ...

Kurz zum Inhalt: Wir schreiben das Jahr 1898 und lernen Isabelle kennen, die schon im ersten Teil der "Jahrhundertwind"-Trilogie, "Solange die Welt noch schläft" als großzügige Berliner Großbürgerstochter im Radfahraffinen und vom Geist einer zukünftigen Gleichheit von Mann und Frau geprägten Freundeskreis von Josefine und Clara (die allerdings weniger gerne Rad fährt) ihre Rolle hat. Teil 2 gehört nun ganz ihrem Schicksal, das sich nach ihrer Heirat mit dem Radfahrer und Weinbauernsohn Leon Feininger entscheidend verändert. Ihre großbügerlichen Eltern brechen mit ihr. Sie zieht in die Pfalz auf den Hof der Familie, und lebt mit Vater, Mutter und Onkel Feininger ein langweiliges Leben, bis ihr Mann Leon vom anderen, kosmopolitischen Onkel Jaques (eig. Jakob) - dem "Schwarzen Schaf" der Familie - ein Weingut in der Champagne erbt. Für Isabelle verändert sich mit dem Umzug einmal mehr das ganze Leben - denn das was sie vorfindet ist zwar einerseits wunderschön, aber ganz anders als erwartet. Während ihr Mann Leon weiterhin seiner Leidenschaft, dem Radfahren fröhnt, rutscht Isabelle immer mehr in die Rolle der Geschäftsführerin und Winzerin. Sie will den "Feininger" wieder zu einer bedeutenden Marke machen - dabei hat sie allerdings nicht mit dem Gegenwind gerechnet, der ihr zusammen mit dem "Jahrhundertwind" ins Gesicht schlägt...

Ich finde diesen Roman einfach klasse - und das auf so vielen Ebenen. Zum einen natürlich die Protagonistin, die eine klare Entwicklung durchmacht. Sie hat ein erzähltes Innenleben und einen durchaus komplexen Charakter, wie ihn leider sehr viele weibliche Hauptfiguren in historischen Romanen vermissen lassen. Es macht einfach Spaß mit ihren Augen die Champagne zu erkunden und mit ihr zu lernen - wobei wir schon bei der nächsten positiven Eigenschaft des Buches wären: sein interessantes Thema. Man ist nicht nur Zeuge einer spannenden Erzählung, man erlangt beim Lesen genau wie Isabelle neues Wissen zum Thema Weinbau und Champagnerherstellung (sofern man das alles natürlich nicht vorher schon wusste) - und das im historischen Zusammenhang. Dass sich aus dem ganzen Thema Champagne und dem Aufstieg teilweise bis heute produzierender und renommierter Marken ein spannender historischer Roman machen ließe zeugt vom innovativen Geist der Autorin. Endlich mal etwas anderes - und dann auch noch etwas so lesenswertes!

Auch die Idee eine Trilogie zum Thema "Jahrhundertwind" zu machen und in ihr jeweils drei Frauenschicksale zu verarbeiten, bei denen die drei Frauen durch Freundschaft miteinander verbunden sind und auch noch in den beiden Romanen eine erzählerische Rolle spielen, in denen die jeweils Dritte Hauptfigur ist - diese Idee finde ich wunderbar und in der "Jahrhundertwind"-Trilogie, Teil 2 perfekt umgesetzt. Nun bin ich sowohl auf Teil 1 neugierig, in dem Josefine die Protagonistin ist und auf den wohl im nächsten Jahr erscheinenden dritten Teil, wo Clara die Hauptrolle spielen wird.

Die emanzipatorische Komponente hat mir ebenfalls sehr gut gefallen sowie die damit einhergehende Tatsache, dass eben Frauen gerne mal die Geschäfte in ihren Champagnerdynastien leiteten. Ob Fiktion oder tatsächliche historische Realität - eine interessante Sache, die dem Ganzen einen zusätzlichen Mehrwert verliehen hat.

Der ganze Figurenkosmos ist bis in weniger bedeutende Nebenpersonen (z.B. Alphonse Trubert) wundervoll gezeichnet. Durch die unterschiedlichen Charaktere bekommt das Dorf Hautvillers eine Lebendigkeit und Dreidimensionalität, die jedes Leserherz erfreuen dürften. Ganz besonders gut fand ich die Zeichnung der "Antagonistin" Henriette Trubert, des geheimnisvoll-omnipräsenten und überaus anziehenden Daniel Lambert, des "Glöckner"-haften Kellermeisters Gustave Grosse, des leicht Dandyhaft-dekadenten Champagnerhändlers Raymond Dupont und auch die Schwestern Guenin sind eine Bereicherung für die Handlung.

Die Atmosphäre, die Petra Durst-Benning heraufbeschwört ist ebenfalls einzigartig - man kann das "silberne" Leuten, das über der Champagne liegt, geradezu zwischen den Trauben hervorschimmern sehen. Und die Unbedingtheit, mit der die Bewohner dieses Landstriches ihr ganzes Leben dem Schamwein widmen und ihr Jahr danach takten, ihre Feiern danach feiern - das ist so überzeugend beschrieben als wäre man beim Lesen Teil dieser eingeschworenen Champagner-Gemeinschaft.

Positiv möchte ich außerdem die zeitgenössischen Illustrationen und Zeichnungen nennen, die hier und da an den Text angefügt wurden und immer zu der jeweiligen Textstelle passten - eine tolle zusätzliche Bereicherung beim Lesen! Außerdem ist die Gesamtgestaltung sowie das Cover perfekt.

Fazit: "Die Champagnerkönigin" ist ein überaus prickelndes, süffiges und fesselndes Leseerlebnis, das ich unbedingt empfehlen kann!