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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.09.2019

Macht nachdenklich und unterhält gleichermaßen!

Ich kauf nix!
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Wenn Blogs zu Büchern werden legt das meist Zeugnis ab von der Qualität und/oder Aktualität derselben. So auch im Fall von Nunu Kaller, die mit ihrem Blog "Ich kauf nix!" 2012 Furore machte und mit ihrem ...

Wenn Blogs zu Büchern werden legt das meist Zeugnis ab von der Qualität und/oder Aktualität derselben. So auch im Fall von Nunu Kaller, die mit ihrem Blog "Ich kauf nix!" 2012 Furore machte und mit ihrem den Zeitgeist treffenden Thema immer mehr konsumkritische Leser und solche die es werden wollen anzog - so auch mich. Durch Suche im Internet nach den Themen "kein Kleiderkauf" und "Konsumdiät" landete ich auf dem Blog "Shoppingdiät" einer Münchner Moderedakteurin, die auch sehr bald Nunus Experiment ("Ich kauf nix!"), das um 15 Tage zeitversetzt war, verlinkte. Ich verfolgte beide Blogs mit großem Interesse, auf beiden wurde das Thema "1 Jahr ohne den Kauf von neuer Kleidung & Schuhen" auf unterschiedliche Weise verarbeitet. Nun gibt es "Ich kauf nix!" also als Buch, zumindest von der Vorgeschichte bis zum Ende des Experiments, denn der Blog von Nunu Kaller wird glücklicherweise weitergeführt - immerhin ist es auch interessant wie es nach dem Ende der "Diät" weitergeht und wie sich ihr Konsumverhalten geändert hat. Konsumverhalten - das (war und ist) für Nunu K. aus Wien, Anfang 30, in einer Umweltorganistation tätig und mit einem lieben, aber nicht gern einkaufenden Freund gesegnet, das Reizwort. Zumindest fiel ihr Ende des für sie schweren Jahres 2011 auf, dass sie sich immer öfter neue Kleidung beim "Textilschweden" (ein schöner, von Nunu geprägter Neologismus für eine Kette, die wir alle kennen) & Co. gekauft hat - um sich abzulenken, zu belohnen oder einfach so weil es auf dem Weg von der Arbeit nach Hause lag. Kleidung ist in der heutigen Zeit immer mehr zur billigen Massenware verkommen, die wir schnell konsumieren und schnell wieder in die Verwertungskette ausscheiden. Qualität war gestern - scheinbar. Dass ein Umdenken erfolgen muss und man wieder hin zum "weniger ist mehr und hält länger" sollte hat sich Nunu nun gedacht und beschlossen ab dem 16.01.2012 (ein Urlaub in Spanien mit Zugang zu reduzierten Klamotten vom "bunten Spanier", ebenfalls ein Nunu-Neologismus, hat verhindert, dass sie nicht am 1.1. damit angefangen hat) für ein Jahr keine neue Kleidung mehr zu erwerben. Für manche vielleicht ein Kinderspiel, für einen "Shopaholic" eine große Herausforderung (scheinbar). Nunu Kaller schafft es mit ihrer tagebuchartigen "Chronik des Verzichts" den Leser zu informieren und gleichzeitig zu unterhalten. Sie erzählt einerseits - mit viel ihr eigenem Wiener Schmäh - ihre eigene, privilegierte Situation als Konsumentin, die es sich leisten kann zu kaufen - und eben nicht (mehr) zu kaufen, von ihren Erfolgen, D(o)I(t)Y(ourself)-Versuchen und Rückschlägen und streut immer wieder das ein, was sie für sich in dem Jahr des Konsumverzichts recherchiert hat. Da geht es dann natürlich vor allem um die menschenunwürdigen Zustände der Näherinnen in Asien, um die schlechte Situation der Baumwollbauern und um das, was wir mit unserer Kauf- und Wegwerfmentalität anrichten und welche Auswirkungen dieser ganze Kleiderkreislauf auf Mensch, Tier und Umwelt hat. Auch um die Alternativen geht es, denn Nunu will neben ihrer Eigenenproduktion von Kleidung nach dem Jahr weiter konsumieren - aber öko und fair und nur noch dann, wenn sie wirklich etwas braucht (was ihr sympathischer Weise im Fall von Schuhen, besonders brauenen Stiefeln, sehr schwer fällt). Im Grunde kann man dieses Buch allen empfehlen die Zuviel im Schrank haben, zu oft beim "Textilschweden" kaufen, aber eigentlich auch allen anderen, die wieder hin zur Qualität und weg vom Konsumwahn wollen! Eigentlich kann man dieses Buch allen kritischen KonsumentInnen (und solchen die es werden wollen), PartnerInnen von Shoppingmuffeln, Wienaffinen und "tolle Sachbücher im Tagebuchstil-Mögenden" empfehlen - und allen anderen auch!

Veröffentlicht am 28.09.2019

Toller Theaterkrimi

Theatertod
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Es gibt kaum einen professionellen Mikrokosmos, in dem die beruflich agierenden mehr mit Konkurrenzdenken und permanenter Ellenbogenmentalität konfrontiert sind als den des - staatlich subventionierten ...

Es gibt kaum einen professionellen Mikrokosmos, in dem die beruflich agierenden mehr mit Konkurrenzdenken und permanenter Ellenbogenmentalität konfrontiert sind als den des - staatlich subventionierten - Theaters. Man muss, vor allem als Schauspieler nicht nur mit dem essentiell zum Berufsbild gehörenden Profil der eigenen Persönlichkeitsspaltung zurechtkommen, man muss auch ständig für die neue Rolle kämpfen und sich in dieser dann profilieren - man muss dem Regisseur und den Kollegen mit jeder Vorstellung erneut beweisen, dass man die einzig richtige Wahl war. Natürlich sind diese von ständigem Druck belasteten auch gleichzeitig meist in dem für sie befriedigendsten Beruf gelandet - Theatermacher & Schauspieler, das sind keine Jobs sondern Berufungen, die für diese Menschen meist einzig vorstellbare Tätigkeit.

Thomas Schrage, selbst langjähriger Theatermensch und Regieassistent, hat aus dem Themenbereich Druck und Mobbing am Theater einen intelligenten Regionalkrimi gemacht, der an - einem natürlich vom Personal her fiktiven - Kölner Stadttheater spielt. Eine neue Produktion, Kleists "Amphytrion", soll auf die Beine gestellt werden, bei der der allgemein verhasste, zu cholerischen Ausbrüchen und allgemeinem kapriziösen Verhalten neigende Schauspieldirektor Theo Fleischer Regie führt. Michael ist der Protagonist des Krimis (dessen immer mal wieder eingestreute Gedankenfetzen eine besondere Unmittelbarkeit erzeugen), ein junger Regieassisent, der in diesem Job, den er als Trittbrett zum eigentlichen Beruf des Regisseurs durchlaufen muss, vor sich hin dümpelt. Als "Mädchen für alles" einer Theaterproduktion müssen Regieassistenten ihre Augen und Ohren und natürlich auch Gedanken und Hände überall haben. Als der Schauspieler Peter Michael eines Abends sein Leid klagen will - er leidet unter Fleischer und dessen Anforderungen an ihn - ist der müde Assistent nur daran interessiert ins Bett zu kommen. Eine Sache, die er später bereuen wird...

Als die junge Studentin Sonja als Hospitantin wiederum die Assistentin von Michael wird kommt eine Person von außen dazu. Sie wird mit voller Wucht in den Theaterbetrieb integriert und muss erkennen, dass die Welt des Theaters eine ganz eigene, abgeschlossene und oft mit eigenen Gesetzen agierende ist.

Vor diesem Hintergrund spielt sich nicht nur die Tragödie "Amphitryon" ab, sondern auch die eines verzweifelten Kollegen, der von Michael tot aufgefunden wird. Verdächtige gibt es genug, aber war es überhaupt Freundverschulden? Michael recherchiert - mit Hilfe von Sonja - und muss immer tiefer in die charakterlichen und menschlichen Abgründe seiner Kollegen blicken - jeder gegen jeden oder einfach nur: Kriegsschauplatz Theater?

Weil ich selber schon mal Hospitantin an einem städtischen Theater war und das Theater in all seinen Facetten liebe, war ich natürlich umso gespannter auf diesen Regionalkrimi aus dem Theatermilieu. Ich muss sagen: er hat meine Erwartungen definitiv erfüllt, ich bin äußerst positiv überrascht von Plotführung, Personentableau und dem atmosphärisch dichten Setting. Auch wenn sich alles sehr auf die Perspektive von Michael konzentriert kommen die anderen Personen und die Krimihandlung niemals zu kurz. Vom Timing war ich besonders entzückt, man hat das Gefühl dass man als Leser die Proben zeitnah miterlebt und dass wie in der griechischen Tragödie eine Einheit von Zeit, Ort und Handlung vorliegt. Der Autor hat sich in jedem Fall über die Konvergenz von Form und Inhalt Gedanken gemacht, was ich absolut toll finde.

Eine runde Sache und gleichzeitig ein spannender Krimi, dem man jedem Krimi- und Theaterliebhaber absolut empfehlen kann.

Veröffentlicht am 25.09.2019

Philosophischer Krimi mit Überlänge

Der Verein der Linkshänder
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Dies ist tatsächlich der allererste Krimi von Hakan Nesser, den ich gelesen habe. Mir sagten also weder Van Veeteren noch Inspektor Barbarotti etwas. Auch dass die Krimis um Van Veeteren wohl ...

Dies ist tatsächlich der allererste Krimi von Hakan Nesser, den ich gelesen habe. Mir sagten also weder Van Veeteren noch Inspektor Barbarotti etwas. Auch dass die Krimis um Van Veeteren wohl in einem fiktiven europäischen Land spielen war mir neu und hat mich etwas überrascht. Ich musste es im Internet nachlesen, weil ich doch etwas verwirrt war und noch nie von einer Stadt namens Maardam gehört hatte. Alle anderen Ortsnamen sind wie es aussieht ebenfalls ein Produkt von Nessers Phantasie. Gunnar Barbarotti, der Kommissar aus Nessers anderer erfolgreicher Krimireihe, ist zusammen mit Kollegin und "Love Interest" Eva Backman ebenfalls in den Fall als Ermittler involviert. Nesser verbindet hier also die zwei Welten seiner beiden Krimireihen. Barbarotti wohnt und wirkt in Schweden, einem echten Land, wenn auch in einem ebenfalls fiktiven Ort namens Kymlinge.
Ob man die Vorkenntnisse der beiden Reihen benötigt, um das Buch zu lesen? Mir jedenfalls hat die Recherche und die Tatsache, dass die Vorgeschichte der Ermittler immer wieder eingestreut wird (z.B. wenn Van Veeteren auf seine Polizeikarriere zurückblickt), sehr geholfen.

Was ich allerdings auf den ersten ca. 100 Seiten durchaus benötigt hätte, wäre ein Personenverzeichnis am Anfang gewesen, das alle Figuren auf Ermittlungsebene und die auf der "Verbrechensebene" (z.B. wer in der Vergangenheit in Oosterby gelebt hat) namentlich genannt und kurz aufgeschlüsselt hätte. Der Krimi ist nämlich sehr umfangreich (600 Seiten) und spielt auf drei (bzw. mehreren) Zeitebenen. Zum einen in der Vergangenheit ab 1958 (-1969), wo der "Club der Linkshänder" im kleinen Künstenörtchen Oosterby gegründet wurde. Dann im Herbst 1991, in dem Jahr wo das Verbrechen geschah, bei dem 5 Menschen ihr Leben lassen mussten - wieder in Oosterby bzw. der Umgebung. Und dann kommt die Gegenwartshandlung - Herbst 2012 - in der die Ermittler das Verbrechen von Oosterby aufgrund neuer Erkenntnisse bzw. eines Leichenfunds aufzuklären versuchen.
Später gibt es noch kurze erzählerische Ausflüge in andere Jahre und an andere Orte. Schließlich kommt auch noch ein aktueller Fall aus Schweden (Ermittler: Barbarotti) hinzu, der etwas mit dem Oosterby Fall zu tun haben könnte.

Ich würde das Buch als "philosophischen" Krimi bezeichnen, da es viel um das Innenleben der beteiligten Personen geht und ihre Ansichten zum Leben ("Das wirklich Schwierige war jedenfalls zu leben, am Leben zu bleiben, Tag für Tag, Jahr für Jahr.", S. 356). Die Stimme des Autors findet sich vor allem in Van Veeteren wieder, der in der Gegenwartshandlung bereits seit 15 Jahren offiziell in Rente ist und auf seinen 75. Geburtstag zusteuert. Dennoch wird er, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ulrike Fremdli, noch einmal zum Ermittler in diesem "Cold Case", bei dem er bereits vor 21 Jahren als ermittelnder Kommissar beteiligt gewesen war. Auch er philosophiert über das Leben und Sterben, über das Menschsein an sich. Tiefgründige Betrachtungen durchdringen an fast allen Stellen die Krimihandlung. "Der Verein der Linkshänder" ist trotz der aktuellen Leichenfunde größtenteils ein retrospektiver Krimi, in dem viele Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht kommen. Dabei sind es vor allem die Beweggründe der Personen, ihr Handeln und ihre früheren Entscheidungen, die dieses Buch interessant machen.

Mir gefällt die etwas ausschweifende und gelegentlich detailverliebte Erzählweise Nessers sehr gut. Das Buch ist kein klassischer Pageturner, aber dennoch auf eine dreidimensionale Art und Weise spannend und lesenswert. Ein typischer "Herbstschmöker" für lange Leseabende, spielt das Buch doch auch größtenteils in dieser Jahreszeit.

Eine Anmerkung habe ich noch zum Lektorat. Mir ist eine Diskrepanz aufgefallen und zwar geht es um das Geburtsdatum von Qvintus Maasenegger. Auf Seite 29 heißt es dass er sich "am Morgen seines Geburtstags am zehnten September" im Spiegel betrachtet und in seinem Ausweis auf S. 104 steht dann "Geboren am fünfzehnten September". Solche Fehler sollten dem Lektorat eigentlich auffallen.


Veröffentlicht am 17.09.2019

Toller Regionalkrimi vom Gardasee

Vino Rosso
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Wenn ich verreise nehme ich am liebsten ein Buch mit in den Urlaub, das einen Bezug zu dem Ort hat, an dem ich temporär verweile. Auch letzte Woche hat sich das so ergeben, denn ich war für ein paar Tage ...

Wenn ich verreise nehme ich am liebsten ein Buch mit in den Urlaub, das einen Bezug zu dem Ort hat, an dem ich temporär verweile. Auch letzte Woche hat sich das so ergeben, denn ich war für ein paar Tage am Gardasee, genauer gesagt in Limone sul Garda, dem Ort wo die Zitronen blühen. Glücklicherweise habe ich im Vorfeld ein Buch gefunden das in Limone spielt und durch die Münchner Hauptfigur auch noch einen Bezug zu meiner Heimatstadt hat.
Es handelt sich wieder mal um einen Krimi, eigentlich sogar um einen Regionalkrimi, denn die Handlung spielt ausschließlich am Gardasee, in den Orten Limone und Malcesine. Auch andere bekannte Urlaubsorte rund um den Gardasee wie Torbole, Sirmione, Bardolino, Garda, Riva und Salò werden erwähnt, so dass ein jeder der schon einmal das Glück hatte dort zu sein die Handlung geografisch genau verorten kann.
Zur Handlung: Rosi Holzwurm ist eine ehemalige Münchner Rechtsanwaltsgehilfin, die ihrer Heimat vor drei Monaten den Rücken gekehrt hat um ein neues Leben als Inhaberin einer Putzagentur (mit bisher nur einer Mitarbeiterin, nämlich ihr) im Ferienort Limone sul Garda zu beginnen. Bei einem Urlaub im September des Vorjahres hatte sie sich dort in den Gastronomen Antonio verliebt, der ihr einige unvergessliche Nächte in einem Boot auf dem Gardasee beschert hatte. Der Kontrast zu ihrem verstockten urbayerischen Verlobten Leopold und die Sehnsucht nach Antonio war so groß, dass sie kurzerhand beschloss in die Nähe ihres Geliebten, der zu allem Überfluss verheiratet ist, zu ziehen.
Zu Beginn des Krimis lernen wir eine Rosi Holzwurm kennen, die die Vorzüge ihrer neuen Heimat (Sonne, See & dolce vita) sowie die ausgiebigen Mahlzeiten mit ihrer Vermieterin Signora Bruna genießt sowie den ein oder anderen Spritz im Ristorante ihres Lovers Antonio oder der Bar von Fabio. Außerdem hat sie vier gutsituierte private Klienten, die sich als Ausgleich zu ihrem stressigen Münchner Leben eine Ferienwohnung am Gardasee leisten können. Dort putzt sie gründlich um danach die Vorzüge von deren Wohnungen (große Küche, Bibliothek, Musiksammlung Whirlpool, Fitnessgeräte) in vollen Zügen zu genießen. Dies ist aber nie penetrant, denn als Gegenzug erweist sie den Besitzern auch eine kleine Gefälligkeit. Man merkt: Rosi Holzwurm ist eine unorthodoxe Lebemännin, die einem schnell sympathisch ist.
Ihr Neukunde Otto Simon, ein Weinhändler aus München, hat eine alte Bratsche in Besitz, die vom Geigenbauer Gasparo da Salò (es gab ihn wirklich, seine Lebensdaten sind 1540-1609) stammen soll. Durch das Auftauchen des Instruments wird die eigentliche Krimihandlung in Gang gesetzt. Otto Simon verschwindet, Rosi bekommt merkwürdige Anrufe von dessen Hausmeister. Was haben ihre Klienten Dr. König, ein bekannter Musikkritiker und eine Herzspezialistin aus München, die auffällig viele Bratschen-CDs zu Hause hat, damit zu tun? Warum wird Rosi von diesem Signor Prati, einem Antiquitätenhändler aus Malcesine, verfolgt? Und warum hat ihr Geliebter Antonio plötzlich keine Zeit mehr für sie?

Dieses Buch ist ein echter Geheimtipp für alle Freunde von humorvollen Regionalkrimis, die das gewisse Etwas und eine spritzige Erzählweise zu schätzen wissen. Es trägt angenehm zur Lesefreude bei dass die Autorin ihre Geschichte zwar gut durchdacht und kennerisch unterfüttert hat, sie bei alldem aber nicht allzu ernst nimmt. Dieses Buch soll unterhalten, nicht mehr und nicht weniger (auch wenn man nebenbei etwas über die Geschichte des Gardasees und die Typica dieser Region sowie über Musikgeschichte lernt).

Ein heiterer Sommerkrimi der so gut mundet wie ein Spritz mit Blick auf den Gardasee gepaart mit einer angenehmen Unterhaltung über Gott und die Welt.

Wie ich im Anhang sehe hat Roswitha Wildgans noch einige andere Krimis geschrieben die mit Musik zu tun haben bzw. mit Bayern.

Veröffentlicht am 17.09.2019

Lesenswert aber kein Krimi im eigentlichen Sinn

Die Dirne vom Niederrhein
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„Die Dirne vom Niederrhein“ ist Teil 2 einer historischen Trilogie, die im zerstückelten Deutschland des 30jährigen Krieges – 1642 am Niederrhein – spielt. Der erste Teil „Die Hexe vom Niederrhein“ behandelt ...

„Die Dirne vom Niederrhein“ ist Teil 2 einer historischen Trilogie, die im zerstückelten Deutschland des 30jährigen Krieges – 1642 am Niederrhein – spielt. Der erste Teil „Die Hexe vom Niederrhein“ behandelt die Geschichte des Schmiedes Lorenz, der die Tochter des Statthalters von Kempen, Elisabeth, rettet. Obwohl diese ein Auge auf Lorenz geworfen hat verliebt er sich in Elisabeths Stiefschwester Antonella, die im Dorf durch ihr Kräuterwissen zunehmend als Hexe verschrien ist.
[Wer nicht wissen will wie „Die Hexe vom Niederrhein“ ausgeht sollte jetzt nicht weiterlesen!]
In „Die Dirne vom Niederrhein“ sind Lorenz und Antonella tot und Elisabeth fühlt sich schuldig, weil sie ihre Schwester in einem Anfall von Eifersucht als Hexe denunziert und auf den Scheiterhaufen gebracht hat. Aus dem Kriegsversehrten und von den Hessen geplünderten Kempen flieht sie und wünscht sich einen schnellen Tod im Straßengraben. Auch Lorenz‘ Bruder Maximilian lebt in Sühne: er hat seinen Bruder erstochen und bereut die Tat zutiefst. Wie Elisabeth wünscht auch er sich einen schnellen Tod. Im ebenfalls vom Krieg gebeutelten Viersen kommt er halb tot an und bricht schließlich zusammen. Eine Nonne (Schwester Agathe) findet ihn, pflegt ihn gesund und bietet ihm an sich Kost und Logis im Viersener Nonnenkloster zu erarbeiten. Dort lernt er auch den charismatischen Leiter des Klosters, Vikar Weisen, kennen. Auch Elisabeth hat Glück im Unglück: sie wird halbtot von einer Hurenmutter (Rosi) aufgefunden. Diese peppelt sie auf und Elisabeth will sich revanchieren indem sie selbst als Hure im Tross des Heeres anfängt.

Sowohl Maximilian als auch Elisabeth bekommen es in ihren neuen Lebenswelten mit groben Menschen und Kriegsgewinnlern (Major von Rosen, Doktor Sylar,…), aber auch mit Hilfsbereitschaft und Freundschaft (Bela, Agathe) zu tun. Dies illustriert dass sich im Krieg und in anderen Extremsituationen oft das wahre Gesicht der Menschen zeigt. Außerdem passt die sich zwischen Tod und Verderben sowie Menschlichkeit und Liebe (in ihrer gegenwärtigsten Ausprägung) angesiedelte Handlung perfekt zu den miteinander verbundenen Leitthemen des Barocks: „memento mori“ & „carpe diem“.

Die Handlungsstränge um Elisabeth und Maximilian laufen zunächst parallel und man kann den beiden unterschiedlichen Geschichten (die sich in der Vergangenheit bereits gekreuzt haben) gut folgen. Der Leser ahnt dass es darauf hinauslaufen wird dass die beiden Protagonisten sich wieder begegnen und wird in dieser Hinsicht auch nicht enttäuscht. Die Handlung an sich finde ich durchaus passend für einen historischen Roman. Der Autor vermeidet es aber trotz der historischen Handlung allzu genau auf historisch-soziologische Details und die Umstände des Krieges einzugehen. Man hat oft das Gefühl dass sich alles in einer Kulisse mit dem Titel „30jähriger Krieg am Niederrhein“ abspielt, die ein moderner Geist für die Dauer der Handlung aufgebaut hat – um sie danach wieder im Theaterfundus verschwinden zu lassen. Richtig hineinversetzt in die Zeit – wie das bei anderen historischen Romanen oft der Fall ist – fühlte ich mich als Leser also nicht.

Auch was den Untertitel „historischer Kriminalroman“ betrifft möchte ich potentielle Leser warnen sich auf eine spannende Krimihandlung einzuschießen. Ein Krimi im eigentlichen Sinne ist das Buch nicht, auch wenn Leichen und Verbrechen zahlreich vertreten sind. Es gibt keinen ungeklärten Fall, keine Ermittlung im eigentlichen Sinne, auch wenn Maximilian ein Verbrechen (bzw. mehrere) aufdeckt. Dies geschieht aber mehr nebenbei, der Fokus der Handlung liegt auf den beiden Biographien der Hauptfiguren und ihrer sich entwickelnden gemeinsamen Geschichte.

Zur Erzählsprache muss ich noch sagen dass der Autor eine klare und schöne Prosa schreibt, die sehr schnörkellos und gut lesbar ist ohne aber einfach zu wirken. Der Autor kann erzählen, daran besteht für mich kein Zweifel.