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Veröffentlicht am 20.06.2021

Heimeliges Gefühl mit ein bisschen weniger Zauber als sonst

Queen of Air and Darkness
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Cassandra Clare und ihre Romane haben mich fast durch die ganze Teenager-Zeit begleitet, deswegen werden die Schatten(jäger)welt immer einen besonderen Stellenwert bei mir haben. Leider musste ich aber ...

Cassandra Clare und ihre Romane haben mich fast durch die ganze Teenager-Zeit begleitet, deswegen werden die Schatten(jäger)welt immer einen besonderen Stellenwert bei mir haben. Leider musste ich aber bei den letzten beiden Bänden dieser Reihe feststellen, dass sie mich nicht so gefesselt haben, wie ich es gewohnt bin. Ich war nahezu einen ganzen Monat mit einem Teil beschäftigt.
Es liegt einfach daran, dass ich mit Emma und Jules nicht soviel anfangen kann wie mit Tessa, Will und Jem, wobei ich mein Herz an Clary und Jace und dem Urstamm der Charaktere verloren habe. Ich habe hier wiedermal jede Szene aufgesogen, in der sie eine Rolle spielen. Ganz selten wurde hier sogar aus ihrer Perspektive berichtet, aber alles in allem hatten sie nur Gastrollen, wenn sie auch für die Handlung bedeutend sind. Ich hatte auch den Eindruck, dass vor allem Jace anders agiert und sich verhält, als ich es in Erinnerung habe. Irgendwie softer. Vielleicht ist er aber auch einfach erwachsen geworden. Gefreut hat mich, dass alle Geschichten zusammengeführt wurden und auch Alec und Magnus wieder mehr Platz bekommen. Hieran schließt sich eine positive Kritik an. Unter den namhaften Urban-Fantasy-Autoren scheint Cassandra Clare Vorreiter in der Revolution der gängigen Partnerschaftsformen und der Einwebung der LGBTQ-Debatte zu sein. Wir haben hier nicht nur homosexuelle Paare, sondern auch harmonische Dreierbeziehungen (Achtung! Nicht zu verwechseln mit einer klassischen Dreiecksbeziehung). Von Letzterem habe ich sonst noch nie in einem Roman gelesen und es hat mir gefallen. Es hatte etwas magisches.

Ich finde auch, dass das Genre als Ganzes zu wenig Beachtung empfängt. Man kann es oft hervorragend als Parabel geschichtlicher und gegenwärtiger politischer Ereignisse und Verhältnisse lesen. Rassismus, Feindlichkeit, Einmischung in die Angelegenheiten anderer Völker, Überlegenheit, auserwähltes Volk, Kriege... All das existiert nicht nur in der Schattenwelt. Gerade Lehrer*innen können sich das zu eigen machen und für den Unterricht nutzen.
Und durch die vielen verwobenen Handlungsstränge gibt es nun wieder einige Möglichkeiten, an denen die Autorin mit einem neuen Spin-Off ansetzen könnte. Bei einigen Charakteren gibt es noch Aufklärungsbedarf, sodass ein Folgeband unbedingt erwünscht ist, anderes sollte so stehenbleiben.

Aber alles in allem fänd ich es gut, wenn der Schwerpunkt beim nächsten Mal auf einem anderen Ort als Los Angeles liegen würde. Mit Julian werde ich immer noch nicht richtig warm und es gibt auch einige andere Charaktere, mit denen ich nicht mitfiebern kann. Und die Probleme, vor die die Schattenjäger und -weltler gestellt werden, wiederholen sich so langsam.
Was mich aber bei Laune halten konnte, sind die häufigen Perspektivenwechsel und wiederaufgegriffenen Elemente aus alten Bänden.

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Veröffentlicht am 10.06.2021

Psychologisch interessant, kriminalistisch nicht so besonders wie sein Ruf

Schuld und Sühne
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Zuerst möchte ich sagen, dass ich das Buch als Hörbuch gehört habe. Ob das eine gute Entscheidung war? Das musst du natürlich selbst entscheiden, es ist aber gar nicht so einfach, eine passende Vertonung ...

Zuerst möchte ich sagen, dass ich das Buch als Hörbuch gehört habe. Ob das eine gute Entscheidung war? Das musst du natürlich selbst entscheiden, es ist aber gar nicht so einfach, eine passende Vertonung zu finden. Ich habe eine gefunden, mit der ich mich gut arrangieren konnte. Denn ihr könnt euch sicher denken, dass es min. ein Monatsvorhaben ist. Ich glaube, ich war zwei beschäftigt. Mit einer nervigen Stimme sicher kein spaßiges Vergnügen. Wer das Buch aber intensiv lesen möchte, dazu gehört meiner Meinung nach auch, sich Bemerkungen am Rand zu machen, der sollte es lieber gleich selbst lesen. Ich habe viel mitbekommen, aber manchmal bin ich auch mit den Gedanken abgeschweift.
Ganz ehrlich: Es ist kein Klassiker, den ich bedingungslos weiterempfehle oder den man meiner Meinung nach gelesen haben muss. Es gilt als der Ur-Krimi. Ich bezweifle das. Das fängt schon dabei an, dass es eher ein Psychothriller ist, der aufzeichnet, wie die Gewissensbisse den Mörder auffressen. Da der Erzähler auktorial ist, können die einzelnen Figuren bis in die hintersten Ecken durchleuchtet werden. Was in ihnen vorgeht, wissen die Leser*innen sofort. Es geht also nicht per se um die Ermittlungen, sondern darum, ob Raskolnikow ungestraft davonkommt.
Eine andere Besonderheit des Romans sind die vielen gesellschaftlichen Themen, die mitmischen, allen voran die Theorie über die Polarität der Menschheit in Große und weniger wertvolle. Aber das hat mich persönlich jetzt nicht sonderlich inspiriert, weil ich die Theorie nicht für tragfähig und deswegen auch für bedeutungslos halte. Zu sehen, dass Raskolnikow daran scheitert, sie zu bestätigen, hat mich keineswegs überrascht. Es ist wohl eher eine Ermessenssache, dass manche Morde aufgrund deren (positiver) Wirkung in den Hintergrund geraten und ungestraft davon kommen. Die meisten von uns, wenn sie sich die Taten vor Augen führen, werden sie aber doch wohl trotzdem verurteilen. Vielleicht bin ich da aber auch zu optimistisch. Man sollte den Roman auch nicht aus dem räumlichen und zeitlichen Kontext seiner Entstehung heben. Für mich klang es jedenfalls an manchen Stellen ziemlich aus der Luft gegriffen. Das durchgängige geisteswissenschaftliche Geplätscher (Die Hinzunahme vieler verschiedener Diskurse von Politik über Philosophie bis hin zu Psychologie) erinnert stark an Dostojewski erinnert stark an seinen Kollegen Tolstoi. Von beiden russischen Autoren habe ich bis jetzt nur ein Werk gelesen, weswegen es schwer fällt, die Beobachtungen zu verallgemeinern. Aber Tolstoi konnte mich besser unterhalten. Bei ihm habe ich mehr Witz vorgefunden und in der Düsternis der gläsernen Figuren (beide schaffen es, dass man sich in die verschiedensten Personen hineinversetzen und ihre Schwächen erkennen kann) ist auch mehr Wärme übrig geblieben. Schwierig machen es einem beide, was die Namen angeht, besonders für den ungeübten. Wer bitteschön hat sich das russische Namensystem ausgedacht?
Das Ende von Schuld und Sühne war auch gar nicht mein Fall. Wenn ich ihm auch lassen muss, dass es gar nicht mal so einfach ist, am Ende die Frage zu beantworten, ob er denn nun gerecht gestraft wurde oder nicht. Fast alle Diskussionen im Buch haben mit dieser Schlüsselfrage irgendwie zu tun, weswegen ich schon sagen würde, dass es sich als Schullektüre eignete, wenn es nicht so dick wäre. Sprachlich ist es auch gut lesbar. Aber genauso gut kann man meiner Meinung nach auch Das Parfum von Süsskind oder Der Prozess von Kafka lesen. Auch Der Richter und sein Henker von Dürrenmatt wären thematisch eine gute Alternative. Das einzige Argument, das für mich für Dostojewski sprechen würde, wäre die besondere psychologische Innensicht und die auktoriale Erzählhaltung. Vielleicht sollte ich noch mehr von ihm lesen, um ein besseres Urteil zu fällen.

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Veröffentlicht am 04.06.2021

Das Buch, das die Leserschaft verschlang

Der Junge, der das Universum verschlang
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Ich hatte das Vergnügen, die letzten zwei/drei Wochen mit diesem hübschen Buch verbringen zu dürfen. Und ich muss sagen, dass es mich intensiv beschäftigt hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sehr ...

Ich hatte das Vergnügen, die letzten zwei/drei Wochen mit diesem hübschen Buch verbringen zu dürfen. Und ich muss sagen, dass es mich intensiv beschäftigt hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sehr viele Song-Verweise gibt und ich schon nach einigen Kapiteln eine Playlist zusammengestellt hatte, die sich sehen lassen kann. Die habe ich dann immer beim Lesen gehört und was soll ich sagen: Sie hat wie die Faust aufs Auge gepasst. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich behaupte, dass ich die Geschichte gefühlt habe. Wichtige Stichpunkte, die einem helfen, die Handlung einzusortieren, sind: 80'er Jahre, Brisbane (Australien), Drogen, schwere Kindheit, große Träume, Traumata. Und eine blühende Phantasie.

Worauf man sich auf jeden Fall auch einstellen sollte, sind die vielen dreckigen Bilder, die durch die Erzählung heraufbeschworen werden. Mir haben sich die Zehennägel gekräuselt, wenn das Elend beschrieben wurde: In Form von blutigen Szenen, schmutzigen Orten, Ungeziefer... Unverhofft kommt oft. Ich finde es eine sehr starke Leistung, wenn ein Autor es vollbringt, dass die Leser*innen nicht nur mitfühlen, sondern das Leid teilen, weil sie vermeintlich dasselbe sehen wie der Erzähler. Ein Film hätte es kaum plastischer vermitteln können. Apropos: Ich warte nun auf die Verfilmung! Es war sogar, als ob Gerüche und andere Eindrücke durch die Seiten zu mir gelangt sind.

Dadurch wird auch der Umstand aufgewogen, dass der Zauber im letzten Drittel nachgelassen hat. Da hat mich die Geschichte ein wenig verloren. Es kam zu viel zusammen und dafür, dass es am Anfang noch so glaubwürdig war, gab es zu viele Fügungen. Allerdings war es deswegen auch bis zuletzt spannungsgeladen und ich denke, dass ein anderes Ende es auch nicht hätte viel besser machen können. Nun gut, man könnte den Verlauf "Schema F" nennen, aber genau das ist es, was die Besonderheit dieses Romans ausmacht: Die Anbindung an die Biographie des Autoren und das Spiel mit Überhöhung der Wirklichkeit. Ja, es gibt unerklärliche Begebenheiten und teilweise zu viel Pech oder Glück, um in unsere Vorstellung der Realität zu passen. Aber dennoch fühlt es sich die ganze Zeit echt an. Fiktionalität und Wirklichkeit lassen sich nicht trennen. Manche Dinge lassen sich nur poetisch verklärt ausdrücken.

Womit wir bei der Sprache wären. Diese ist bis auf einige hoch poetische Phrasen, wozu auch der Titel gehört, ziemlich klar. Für meinen Geschmack hätte es diese Phrasen nicht gebraucht. Sie wirkten teilweise deplatziert und zu sehr gewollt, aber ich muss dennoch zugeben, dass sie dem Buch eine zusätzliche Würze verliehen haben. Zusammen mit dem Phänomen des Wörter-in-die-Luft-Schreibens kann man es so stehen lassen.

Ich glaube, dass ich Eli, seine Familie und Freunde vermissen werde. Obwohl die beschrieben Szenen und das Setting an Derbheit kaum übertroffen werden können, habe ich mich sehr wohl gefühlt. Alle Interessierten seien dennoch gewarnt, dass es teilweise sehr heftig zugeht: Gewalt, Kriminalität, Sucht, Vernachlässigung... Aber betrachtet man das Ganze aus einer anderen Perspektive, wird auf einmal eine schöne Coming-Of-Age-Geschichte daraus, die einem die Hoffnung vermittelt, dass man letztendlich auch hinter dem dunkelsten Tunnel Licht finden kann und es auf die Liebe ankommt, die man vor allem während des Aufwachsens teilt.

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Veröffentlicht am 01.06.2021

Inspirierend und humorvoll!

Die Dienstagsfrauen
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Ich habe das Buch quasi von meiner Mama übernommen und als sie gesehen hat, dass ich es lese, konnten wir uns über den Inhalt austauschen, obwohl es bei ihr bestimmt schon zehn Jahre her ist. Auch ich ...

Ich habe das Buch quasi von meiner Mama übernommen und als sie gesehen hat, dass ich es lese, konnten wir uns über den Inhalt austauschen, obwohl es bei ihr bestimmt schon zehn Jahre her ist. Auch ich glaube jetzt, dass ich die Geschichte nicht so schnell vergessen werde, denn trotz der Kürze fehlt es ihr nicht an Würze. Nicht zuletzt liegt es auch an der humoristischen Erzählhaltung. Es gibt lustige Situationen, gewitzte Dialoge und Wortspiele sowie hin und wieder eine amüsante Wortwahl wie "Plötzlichkeiten".
Spannung wird durch die zahlreichen Vorausdeutungen aufgebaut. Es gibt zwar eine wechselnde Innensicht der Gedanken der einzelnen Freundinnen, aber ansonsten schien der Erzähler allwissend zu sein, was auf die Geschichte einen erfrischenden Effekt hatte.
Die einzelnen Details der Reise wurden gut recherchiert, ich habe nebenbei oft im Internet nachgeschaut und mir Bilder angeschaut und habe meistens das vorgefunden, was sich auch schon in meinem Kopf visualisiert hatte.
Sprachlich war etwas merkwürdig, dass es eine systematische Nachstellung des "nicht" in Sätzen gab. Ein Beispiel: "Doch das Schwelgen in Erinnerungen war Phillips Sache nicht." (S.38). Mich hat das ein wenig gestört. Schade fand ich auch, dass Estelle unter den anderen Freundinnen etwas untergegangen ist. Aber trotz der kleinen Mängel habe ich das Buch schnell und sehr gern gelesen. Ich hatte danach großes Verlangen, selbst mit ein paar Mädels in ein Abenteuer aufzubrechen. Denn obwohl es viel Drama gibt, bleibt die lebensbejahende Message vordergründig. Folgende weitere Messages werden im Buch betont und unten unter "Weitere Zitate" auf dieser Seite aufgeführt:
- Lügen sind Bumerangs
- wahre Freundschaft übersteht alles
- Pilgern hat nicht zwangsläufig etwas mit Religiosität zu tun und kann zur Selbstfindung beitragen.
Zum Abschluss haben meine Mutter und ich den Film gemeinsam geschaut und über den war ich ein wenig enttäuscht. Aber vielleicht mach ich darüber nochmal einen getrennten Post. Hauptsächlich, weil Kiki als Figur fehlt, aber auch, weil ich mir das Aussehen der Freundinnen anders vorgestellt hatte. Ihr Wesen und die Grundstimmung des Romans wurden derweilen sehr gut von einem Medium in das andere übertragen.

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Veröffentlicht am 13.05.2021

Es brennt, auch im Nachhall!

Drei Kameradinnen
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Erst einmal gilt zu sagen, dass das Cover grandios ist. Auf dem Bild kommt es nicht ganz so gut rüber, aber das Gelb ist in Wirklichkeit ein glänzendes Gold. Deutschland, wie es brennt.
Das Bemerkenswerte ...

Erst einmal gilt zu sagen, dass das Cover grandios ist. Auf dem Bild kommt es nicht ganz so gut rüber, aber das Gelb ist in Wirklichkeit ein glänzendes Gold. Deutschland, wie es brennt.
Das Bemerkenswerte sind die Leserinnenführung und der Erzählstil. Beides zeugt hier von einer sehr talentierten Autorin. Ich weiß nicht, ob ich jemals einer so unzuverlässigen Erzählerin wie der in diesem Buch begegnet bin. Aber der Punkt ist, dass sich dadurch nichts an der Glaubwürdigkeit bzw. der Wiedererkennbarkeit unserer Realität in diesem Land ändert. Die Leserschaft wird auf eine harte Probe gestellt und muss eingestehen, dass sie längst bemerkt hat, was kaum einer ausspricht.

Der spitze Ton der Erzählerin, gepaart mit dem ausschweifenden Stil und der verschiedenen Ebenen konnten mich nicht nur gut unterhalten: Ich hatte das Gefühl, die Erzählerin würde neben mir sitzen und mir teilweise aus dem Herzen schreiben. Ich habe mich und auch andere Menschen wiedererkannt. Viele Diskussionen habe ich ähnlich selbst geführt oder miterlebt. Diese Mischung aus Fiktion und purem und realem Material wirkten wie ein Sog auf mich. Es war nicht wichtig, ob alles so passiert ist, allein die Tatsache, dass man es für möglich hält, etabliert eine Spannung.

Diese Spannung beruht darauf, dass es eine Rahmenerzählung bzw. einen anfänglichen Teaser gibt. Auf das Ende soll hingearbeitet werden. Als Leserin habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wie es dazu kommen soll und es mit jeder Seite für unmöglicher und wahrscheinlicher zugleich gesehen, dass es so kommen wird, wie es zu Anfang prophezeiht wurde. Weil einem die Charaktere mit jeder Seite mehr ans Herz wachsen, die drei Kameradinnen. Deswegen hat die Spannung auch mit jeder Seite zugenommen, bis ich am Ende platt war.

Das Buch ist hart mit den Leser
innen, den Charakteren und Deutschland, könnte man meinen. Aber darauf würde ich antworten, dass das Leben in Deutschland für viele Menschen hart ist. In einem Land, in dem Demokratie und Gleichheit groß geschrieben und die Aufarbeitung der Geschichte eine allseits gegenwärtige Tatsache darstellen, steht es um die Toleranz gegenüber Migrant*innen (ganz besonders gegenüber dem Islam) und um gleiche Chancen immer schlechter. Was den Main Stream entweder nicht stört oder ihm zugute kommt. Deswegen ist es so wichtig, dass unsere Stimmen Gehör finden und in den Kanon der Literatur aufgenommen werden. Schon krass, dass es manchmal erst Fiktion braucht, um auszudrücken, was eigentlich in eine Reportage gehört...

Aber es geht hier noch um so viel mehr! Am Anfang dachte ich noch, dass es vllt zu viel ist und ich habe mich gefragt, wo die Erzählung hinführen soll. Aber man muss es als genau das sehen: Eine Erzählung. Besser noch: Als ein tiefgründiges Gespräch mit einer sehr guten Freundin. Hin und wieder schweift man vom Thema ab, um auf dem Nachbarfeld ins Schwarze zu treffen. Brisant und aktuell sind die Themen allemal und vor allem aus der Mitte des Lebens gegriffen. Am Ende habe ich mich über meinen anfänglichen Einwand nur gewundert. Letztendlich war es eine total runde Sache. Hinter der ganzen Unordnung habe ich System entdeckt. Ein interessanter Fakt ist vielleicht noch, dass es keine Kapitel gibt. Es ist eine zusammenhängende Erzählung. Die Autorin hat Mut zu experimentieren und ihren Mund aufzumachen sowie mit der Leserschaft zu spielen. Mir hat es ausgesprochen gut gefallen.

Aber man sollte sich darauf einstellen, besonders am Ende öfters zu schlucken und tief Luft zu holen, ich musste Pausen machen. Mehrmals hat die Autorin mir das Herz gebrochen und es dann wieder zusammengeschustert. Am Ende würde ich sogar sagen, dass sie nach einer aufregenden Achterbahnfahrt uns unsere 3D-Brillen abgenommen hat, damit wir draußen auf das echte Karussell vorbereitet sind. Auf dem wir schon unser Leben lang fahren, aber übel wird uns erst mit der Brille auf der Nase. Dabei habe ich in der Retrospektive den Eindruck, dass die Erzählerin uns trotzdem immer noch min. mit einem Samthandschuh angepackt hat. Wer das Buch zuschlägt, wird wohl kurz geschockt sein, sicherlich (hoffe ich!) nicht ungerührt und bestimmt ab jetzt genauer hinsehen. Und womöglich viele Situationen hinterfragen und auch nachträglich aus einer anderen Perspektive betrachten. Das wäre jedenfalls schon mal ein Anfang und ein Lichtblick.
Die Message, die ich empfangen habe, ist nicht, dass es darum geht, die Sichtweise zu wechseln, sondern anzuerkennen, dass es da draußen noch mindestens eine weitere gibt.

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