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Veröffentlicht am 11.04.2024

Der Zeichner von der Piazza del Mercato

Caffè sospeso
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Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene ...

Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene Ehefrau, ein Mann, der keinen Schlaf mehr findet oder eine junge Frau, die den geerbten Seidenschal ihrer Großmutter loswerden will.
In Neapel kann man einem Unbekannten einen Kaffee bezahlen, der sich gerade keinen leisten kann. In diese Tasse verpackt die Autorin nicht nur ein Stück Leben für den Geber und den Nehmer, sondern Erinnerungen, Anekdoten und Legenden einer Stadt, die selbst ein Gespür für das Schicksal zu haben scheint. Die Geschichten beziehen sich auf einen Zeitraum, der sich über einige Jahrzehnte erstreckt, dessen Episoden aber nicht chronologisch erzählt werden.
Als Leser ist man versucht, die Sichtweise des Protagonisten Jacques auf den Verfasser des Buchs zu übertragen. Immer wieder vermutet man daher auch einen Mann als Autor. Amanda Sthers führt die Leser durch die Wortwahl und manchmal durch die Darstellung der Frauen an der Nase herum. Wobei es letztlich natürlich egal ist, welches Geschlecht der Verfasser des Romans hat. Herausgekommen ist eine Sammlung sehr berührender Geschichten, die durch den Protagonisten und einige immer wieder auftauchende Personen zusammengehalten werden. Sthers beschreibt verschiedene Personen, aber auch deren Lebensraum, die Stadtviertel, macht Abstecher in die Ursprünge der Commedia dell´Arte, in die Machenschaften der Mafia, in die Mythologie, und allgemein in die Atmosphäre des lebensprallen Südens und dessen volkstümlicher Freude; es entstehen aber auch nachdenkliche Zeilen über das Leben und Sterben in Neapel. Ein Roman, der einen erfreut und gleichzeitig auch immer wieder zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 06.04.2024

Alpines Kleinod und sein Klon

Selbe Stadt, anderer Planet
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Die Ärztin Johanna übernimmt nach dem Tod des Vaters dessen Praxis; im Elternhaus findet sie viele Erinnerungen, in der schöne Bergwelt des Salzkammerguts erwandert sie mit ihrer Zwillingsschwester, die ...

Die Ärztin Johanna übernimmt nach dem Tod des Vaters dessen Praxis; im Elternhaus findet sie viele Erinnerungen, in der schöne Bergwelt des Salzkammerguts erwandert sie mit ihrer Zwillingsschwester, die immer in Hallstatt geblieben ist. Die vermeintliche Idylle leidet allerdings an Overtourism.
Strategieberater Ren besucht seine frühere Heimat Österreich im Auftrag der chinesischen Regierung, um Hallstatt zu erkunden, das die chinesischen Touristen gern besuchen. Die tatsächliche Hallstatt-Kopie in China macht die Einwohner des österreichischen Originals fassungslos und Johanna samt Zwillingsschwester neugierig auf die spiegelverkehrte Kopie.
Der Buchtitel beherrscht in bunten Lettern die Zeichnung der Stadt am See, die wie ein Werbeplakat aus dem letzten Jahrhundert anmutet. Die Geschichte rund um die Stadt im Salzkammergut und deren Kopie wird alternierend (teils innerhalb der Kapitel) über Johannas Leben und über den Ich-Erzähler Ren dargestellt. Der Roman ist drei Teile gegliedert und umfasst kurze Kapitel mit aussagekräftigen Überschriften. Der Name der Stadt „Hallstatt“ kommt erst im dritten Teil, und auch hier nur selten vor. An allen anderen Stellen wird der Touristenmagnet nur umschrieben. Meindl verwendet oft verschachtelte Sätze, etliche Wortspiele und viele Gedanken der Protagonisten, die sich manchmal überschlagen; und sie bedient sich an sehr vielen Stellen in ihrem Debütroman einer humorvollen Sprache. Die verschiedenen Handlungsstränge sind gut miteinander verknüpft, die Anekdoten der Traditionsbewussten und der Modernen reißen sehr viele Themen an, dennoch wirkt das Werk nicht überladen. Dem Besuch der beiden Schwestern in der nachgebauten Stadt wird gerade soviel Platz eingeräumt, wie diese Kopie verdient. Insgesamt handelt es sich bei dem Roman um ein Buch, das man wegen seiner Sogwirkung nicht gerne aus der Hand gibt.

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Die Kissen-Verschwörung

Der ganz besondere Saft
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Mario untersucht mit seinem Kollegen Tristan ein neuartiges Sargkissen mit integriertem Blutkonservenhalter. Da etliche Nutzer unter Tagschlafstörungen und Fangzahnverkürzungen leiden, gehen die beiden ...

Mario untersucht mit seinem Kollegen Tristan ein neuartiges Sargkissen mit integriertem Blutkonservenhalter. Da etliche Nutzer unter Tagschlafstörungen und Fangzahnverkürzungen leiden, gehen die beiden Vampirprodukttester den Ursachen nach und entdecken nicht nur mysteriöse Lügen, Särge und Blutkonserven, sondern sogar Knoblauchpressen, die damit in Zusammenhang stehen.
Eine Blutkonserve am Cover des Vampirromans scheint schon etwas ungewöhnlich. Man fragt sich, ob die Nachtgestalten nicht mehr selber zubeißen und erfährt während des Lesens so einige weitere Besonderheiten im Leben eines Vampirs, die bisher noch unerforscht – oder jedenfalls unveröffentlicht - schienen. In angenehmer Sprache und mit lebhaften Dialogen unterstrichen, lässt der Autor die Welt der Nacht vor dem Auge des Lesers auftauchen. Wie gewohnt liegt der Antrieb des Autors im Unterhalten seines Publikums. Und dieses wird auch in diesem Buch nicht enttäuscht; sehr humorvoll schildert Manderley das Leben der Untoten, deren Wohnungen und Arbeitsplätze, und letztlich auch deren Charakterzüge, die gar nicht so sehr von uns Menschen abweichen. Bekanntes über Vampire vermischt sich dabei mit außergewöhnlichen Situationen und Eigenheiten, die man so gar nicht erwartet. Wer hätte gedacht, was sich in unseren Städten während der Nachtstunden – und eigentlich doch vor unser aller Augen – so alles abspielt.
Man muss nicht unbedingt zu den Hartgesottenen und Unerschrockenen zählen, um an dieser Geschichte seine reine Freude zu haben. Man braucht nur Humor und den Willen, sich einige Stunden witziger Unterhaltung ins Haus zu holen – oder wo immer man sonst (in sicherer Umgebung) lesen will ...

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Das Verstehen der sizilianischen Seele

Nostalgia Siciliana
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Ein Anruf nach dem Tod des Onkels in Sizilien führt die Berliner Grafikerin Tita zurück in die Vergangenheit. Ihr Vater Gianni war einer der ersten Gastarbeiter, der den Südosten Siziliens für Berlin verlassen, ...

Ein Anruf nach dem Tod des Onkels in Sizilien führt die Berliner Grafikerin Tita zurück in die Vergangenheit. Ihr Vater Gianni war einer der ersten Gastarbeiter, der den Südosten Siziliens für Berlin verlassen, dort eine Familie gegründet und berufliche Erfolge errungen hatte. Das Erbe des Landguts Magní weckt in Tita Kindheitserinnerungen und andere Emotionen.
Das Cover erinnert stark an die Plakate der Neunzehnfünfzigerjahre und mutet wie eine Werbung zum Urlaub am Meer an. In kurzen Kapiteln erzählt einerseits Ich-Erzählerin Tita von der Wiederentdeckung ihrer Wurzeln in Sizilien, andererseits erfährt man vom Leben ihres Vaters. Die Beschreibungen sind ausführlich, die Darstellung der Gegend und Gerüche der Mittelmeerinsel erwecken die Insel zum Leben und lassen einen die Gefühle der Protagonisten nachfühlen. Die Autorin erzählt sehr persönlich über den Werdegang ihres Vaters. Durch die eingeflochtenen Daten über die Gastarbeiter und deren Situation in Deutschland erfährt das Publikum nebenbei auch allgemeine Hintergründe dazu.
Di Stefano schreibt über die kulturellen Gegensätze zwischen Deutschen und Italienern, aber auch über die Widersprüchlichkeit auf Sizilien, der Insel, die sich immer mit zwei Gesichtern zeigt, schön und hässlich, fröhlich und traurig, mit Licht und Schatten; in deren Leben auch der Aberglaube noch verankert ist. Eingestreut sind auch Verweise auf die sizilianische Kultur, Spezialitäten deren Küche und italienische Ausdrücke, deren Sinn sich aus dem Geschehenen ableiten lässt.
Der Debütroman ist eine recht persönliche Beschäftigung mit dem Leben des zu früh verstorbenen Vaters, eine Brücke in die Vergangenheit, eine Suche nach den eigenen Wurzeln auf einer einer Insel, die lange Zeit im Herzen der Autorin verschüttet lag.

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Veröffentlicht am 07.03.2024

Die veränderte Wahrheit

Der Stich der Biene
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Das Leben der Familie Barnes ändert sich abrupt, als ihr Autogeschäft kriselt. Familienvater Dickie baut im Wald einen Bunker, Mutter Imelda verkauft online ihren Schmuck und fühlt sich zum Rinderzüchter ...

Das Leben der Familie Barnes ändert sich abrupt, als ihr Autogeschäft kriselt. Familienvater Dickie baut im Wald einen Bunker, Mutter Imelda verkauft online ihren Schmuck und fühlt sich zum Rinderzüchter Big Mike hingezogen. Die achtzehnjährige Tochter Cass flüchtet vor ihrem Schulabschluss in Alkohol und der zwölfjährige PJ will von zu Hause abhauen. Doch wann begannen all diese Schwierigkeiten? Wie weit muss man die Zeit zurückdrehen, um zur Ursache des Übels vorzudringen? Liegen die Gründe zurück in Dickies Kindheit? Begannen sie beim Autounfall seines Bruders? Oder hat der Stich einer Biene an Imeldas Hochzeitstag das derzeitige Chaos verursacht?
Das Cover ist schlicht und ruhig; und doch fällt es mit den abwechselnd braunen und gelben Streifen und der Biene im Zentrum sofort auf. Die 700 Seiten lassen ein umfangreiches Familienepos erahnen. Der Roman ist in einige größere Abschnitte unterteilt, die jeweils über längere Kapitel verfügen. Der Schreibstil ist sehr intensiv; teils mit tragischer und depressiver Komponente, doch dann wieder hoffnungsvoll und mit humorvollem Unterton. Nach und nach erfährt das Publikum die Umstände aus dem Leben der Barnes, abwechselnd legt jedes Familienmitglied aus seiner Sicht die Geschichte dar. Die unterschiedlichen Charaktere haben dabei durchaus einen eigenen Erzählstil. Bei Imelda, die in einer Sozialsiedlung aufgewachsen ist, verzichtet der Autor – bis auf das Fragezeichen - gar auf die Satzzeichen. Und dennoch stört diese Tatsache beim Lesen überhaupt nicht. Murray bändigt die Wörter auf eine unglaubliche Weise; mit einfachen Wörtern gelingt es ihm beispielsweise eindringlich das Gefühl der Trauer zu beschrieben. Die Gedanken der Personen entwickeln eine unglaubliche Sogwirkung. Der Umfang von 700 Seiten mag einen abschrecken, doch weder ist ein Wort in diesem Roman zu viel, noch kann man irgendwelche Längen in der Geschichte feststellen.
Der Autor beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die uns das Leben stellt. Der Schauplatz kann von einer irischen Kleinstadt nahe Dublin dabei ganz einfach auch an einen anderen Ort verlegt werden. Murray schreibt über das Schicksal, das Pflichtgefühl der Familie gegenüber, den Versuch, das zu sein, was andere von uns erwarten; gleichzeitig dokumentiert er zum Beispiel die Probleme von Jugendlichen oder das Leben in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Ein Werk, das absolut empfehlenswert für jeden ist, der sich für das Leben anderer interessiert; man kann es als neugieriger Nachbar genießen, der die Barnes vom Fensterplatz hinter der Gardine beobachtet; man kann sich auf diese Geschichte aber auch einfach einlassen, mit den Beteiligten mitfühlen und - trotz allem - die Hoffnung nicht verlieren.

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