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Veröffentlicht am 03.04.2021

Sexismus ist überall

Sushi auf nackten Damen serviert
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Dr. Gisela Pravda zeigt in dem Buch “Sushi auf nackten Damen serviert - 264-mal Sexismus aufgespießt” mit Humor und Sarkasmus auf, wo überall in unserer Gesellschaft Sexismus und Misogynie vorzufinden ...

Dr. Gisela Pravda zeigt in dem Buch “Sushi auf nackten Damen serviert - 264-mal Sexismus aufgespießt” mit Humor und Sarkasmus auf, wo überall in unserer Gesellschaft Sexismus und Misogynie vorzufinden ist. Selbstverständlich weiß ich, dass Sexismus existiert, aber so viele Situationen in dermaßen unterschiedlichen Bereichen auf einmal zu sehen, hat mich dennoch schockiert. ⚠️ [CN: Ableismus, Abtreibung, Femizid, Misogynie, Pädophilie, Sexismus, Winnenden]
Vielen Dank an den Schmetterling Verlag für das Rezensionsexemplar!
3/5

In diesem Buch mischt Dr. Pravda Alltagssprache mit Wissenschaft und macht die Information dadurch für viel mehr Menschen zugänglich. Es ist auch schlichtweg krass, wie häufig Sexismus im Alltag vorzufinden ist, wenn wir uns dessen wirklich bewusst sind, und auch was für ein patriarchalischer Konstrukt dahinter steckt. Dr. Pravda beleuchtet mit anschaulichen Beispielen Sexismus in folgenden Bereichen: Erziehung, Medien, Politik, Sprache, Technik, Forschung, Medizin, bildende und darstellende Kunst, Philosophie, Kirche.

Sexismus ist so normalisiert, sodass ich mich selbst bei einigen Beispielen gefragt habe, “hm, ist das nicht übertrieben?”, aber auch “Kleinigkeiten”, wie die Situation, als die Autorin mit ihrem Mann für ihn einen Sommermantel kaufen wollten und der Verkäufer dann zu der Autorin sagte, dass sie ihn sogar waschen könne. "Ach, war doch nur so dahergesagt", könnten einige nun denken, aber genau das ist es ja. Uns kann etwas sexistischen “herausrutschen”, ohne dass wir uns dessen bewusst ist, eben weil wir so sozialisiert wurden. Dr. Pravda benennt hier klar “das patriarchalische Konstrukt weiblicher Dienstbarkeit am Mann”. Es sind nun mal diese “Kleinigkeiten” an denen wir merken, dass die Welt eher auf die Bedürfnisse der Männer ausgerichtet ist.

Dr. Pravda plädiert für eine geschlechterneutrale Sprache und zeigt, dass Gender ein wichtiges Werkzeug für kritische Analysen ist. Das Buch enthält so viel Information, sodass ich nach dem Lesen erstmal platt war von so viel Sexismus und Misogynie. Es zeigt auch auf, wie viel sich verändert hat und wie viel sich aber auch noch verändern muss. Leseempfehlung an alle, die einen Einblick bekommen wollen, wo und wie Sexismus überall vorzufinden ist.

Es gibt leider einige formale Dinge, die mich etwas gestört haben, wie doppelte Leerzeichen, fehlende Absätze, sich wiederholende Teilsätze und eine URL im Fließtext. Einige inhaltliche Kritikpunkte:

Im Großteil des Buches wird gendergerechte Sprache verwendet, doch manchmal wird leider doch nur von “Mann und Frau” (bspw. “Leser und Leserin”) gesprochen, sodass das binäre Geschlechtersystem reproduziert wird. Das Gendersternchen wird immer wieder mal nach Wörtern wie “Frauen” oder “Ingenieurinnen” drangehängt. Ich vermute, um nicht-binäre Menschen mitzumeinen? Allerdings ist die Verwendung von “Frauen*” leider alles andere als ideal, auch wenn sie inklusiv gemeint sein mag. Denn so wie wir Frauen nicht mitgemeint werden wollen, sollten wir auch nicht-binäre Menschen nicht einfach mitmeinen. Sie werden sowieso bereits in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen, da sollten nicht-binäre Menschen zumindest von Menschen, die sich der Macht der Sprache bewusst sind, benannt werden. Das Missy Magazin hat zu dieser Thematik einen tollen Artikel geschrieben.

Leider wird in dem Buch ziemlich viel ableistische Sprache verwendet. Vieles wird als “dumm”, “bescheuert” etc. bezeichnet, sexistische Aussagen werden von der Autorin als “Ausdruck einer geistigen Behinderung” gelesen. Etwas, das mich als Negativbetroffene von Rassismus sehr gestört hat, ist zwar nur ein Satz gewesen, aber da es mich so gewurmt hat, gebe ich ihn hier wieder: “In einem Land in dem das Rassismusverbot von der Mehrheit der Menschen eingehalten wird, darf der - ebenfalls verbotene - Sexismus fröhlich daherkommen und gilt noch als witzig!?” Also, ja, ich denke, dass die Mehrheit der Menschen keinen Rassismus reproduziert oder sich zumindest Mühe gibt dies nicht zu tun, aber es passiert immer wieder bspw. in den Medien, dass Rassismus für viele als witzig wahrgenommen wird und wenn Negativbetroffene darauf aufmerksam machen als “zu sensibel” abgetan werden. Auf mich wirkt der Satz relativierend, aber ich möchte mich doch nicht zu sehr an einem Satz aufhängen. Rassismus wird an anderen Stellen auch ganz kurz angesprochen, aber der Begriff “Schwarz” wird leider kleingeschrieben. Die Großschreibung des Wortes macht darauf aufmerksam, dass es ein politischer Begriff ist und es nicht lediglich um die Hautfarbe geht.

Außerdem sind einige Stellen von Cisnormativität geprägt. Bspw. wird auf sexistische Sprache aufmerksam gemacht, indem geschrieben wird, dass eine Frau eine “Scham” hätte und ein Mann ein “Gemächt”. Das ist cisnormativ, denn nicht alle Frauen haben eine “Scham” und nicht alle Männer ein “Gemächt”.

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Veröffentlicht am 24.03.2021

Bitte die CN beachten

Meine dunkle Vanessa
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So oft habe ich dieses Buch auf Bookstagram gesehen und nun habe ich es selbst gelesen. “My Dark Vanessa” von Kate Elizabeth Russell ist… heftig. Anders kann ich das gar nicht beschreiben. Es ist widerwärtig, ...

So oft habe ich dieses Buch auf Bookstagram gesehen und nun habe ich es selbst gelesen. “My Dark Vanessa” von Kate Elizabeth Russell ist… heftig. Anders kann ich das gar nicht beschreiben. Es ist widerwärtig, ekelerregend, krass, schockierend, und gleichzeitig konnte ich nicht aufhören das Buch zu lesen. Denn ich kann mir so gut vorstellen, dass das immer wieder passiert. [CN: 9/11, anti-asiatischer Rassismus, Blut, Body Shaming, Dissoziation, Gaslighting, Gewalt gegen Kinder, Grooming, Lehrer-Schülerin-Verhältnis, Pädophilie, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Suizid, Suizidalität, Tiermisshandlung, Victim Blaming/Shaming, Vergewaltigung]

Im Jahr 2000, als Vanessa 15 war, hatte sie das erste Mal Sex mit Jacob Strane, ihrem 42-jährigen Englischlehrer. 2017 beschuldigt Taylor, eine ehemalige Schülerin, Strane sie sexuell missbraucht zu haben. Taylor und eine Journalistin nehmen Kontakt zu Vanessa auf und bitten sie um Unterstützung. Doch niemand scheint zu verstehen, dass das, was zwischen Vanessa und Strane war, kein Missbrauch war. Es war Liebe. Nicht?

Die Geschichte wird in zwei Zeitsträngen erzählt: Das Buch fängt mit dem Jahr 2017 an, und Vanessa liest auf Facebook, dass Taylor an die Öffentlichkeit gegangen ist, um ihre Geschichte zu erzählen. Vanessa hat nach wie vor Kontakt zu Strane und sie steht an seiner Seite. Denn sie ist davon überzeugt, dass es Liebe war, dass sie all das, was damals geschah, willentlich getan hat. Deshalb schweigt sie weiterhin. Ansonsten müsste sie sich selbst und die Ereignisse ihrer Vergangenheit neu definieren.

Im Jahr 2000 erleben wir hautnah mit, wie das Grooming stattfindet, ohne eingreifen zu können. Wir erleben, wie Strane Vanessa manipuliert und sie glauben lässt, dass sie diejenige sei, die all die Entscheidungen trifft, sodass sie quasi letztendlich Schuld an allem ist. Denn er kann doch nichts dafür, dass er sich in sie verliebt hätte. Abwechselnd in Vanessas Gegenwart und ihrer Vergangenheit sehen wir den Schaden, den er angerichtet hat und auch weiterhin anrichtet, wie sie nach fast 20 Jahren immer noch kämpft. Nichts von all dem, was geschehen ist, ist ihre Schuld. Doch sie nimmt alles auf sich und es ist so frustrierend zu sehen, dass Vanessa es nicht als Missbrauch sieht. Für sie muss es eine Liebesgeschichte sein. Denn, wenn es keine ist, befürchtet sie daran zu zerbrechen.

Teilweise musste ich das Buch weglegen, weil mir die Vergewaltigungsszenen zu stark beschrieben wurden. Ich bin mir nicht sicher, ob das notwendig gewesen ist. Nach dem Lesen war ich einfach fertig. Vanessa und Strane als Charaktere finde ich unglaublich gut ausgearbeitet, insbesondere die Komplexität von Vanessa. Die anderen Charaktere, wie ihre Eltern, Freundinnen und der Englischdozent, sind für mich eher blass und eindimensional.

Ich fand das Buch wirklich gut, aber versucht euch mental darauf vorzubereiten, was euch erwartet.

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Veröffentlicht am 20.03.2021

Tolles Buch zum Thema Mental Health

Sara auf der Suche nach Normal
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Wesley King hat mit “Sara auf der Suche nach Normal” ein total schönes Buch geschaffen. Es ist zwar ein Buch, das sich eher an Jugendliche richtet, aber ich finde auch als erwachsene Person konnte ich ...

Wesley King hat mit “Sara auf der Suche nach Normal” ein total schönes Buch geschaffen. Es ist zwar ein Buch, das sich eher an Jugendliche richtet, aber ich finde auch als erwachsene Person konnte ich einiges für mich mitnehmen. Die Thematik ist nicht ohne, denn es geht um psychische Gesundheit und psychische Krankheiten. [CN: Ableismus, Alkoholismus, Angststörung, bipolare Störung, Blut, Depression, Gewalt (gegen Kinder), HP Referenzen, häusliche Gewalt, Mobbing, Panikattacken, Saneismus, Schizophrenie, Tod, Trichotillomanie, Zwangsstörung]

Sara ist 12 und der Kinderpsychiater hat ihr gleich mehrere Etiketten gegeben: bipolare Störung, generalisierte Angststörung, leichte Schizophrenie und Depression. All das ist für sie nicht “normal” und deshalb hat sie eine Liste mit Regeln aufgestellt, um nach dem “Normalsein” zu streben. Doch so einfach ist das gar nicht, denn Sara spricht nur mit vier Menschen und alle anderen an der Schule nennen sie bei einem saneistischen "Spitznamen", sogar sie selbst nennt sich manchmal so. In einer Gruppentherapie lernt sie Erin kennen, die ohne Punkt und Komma redet und auch kein Problem mit Saras Schweigsamkeit hat. Plötzlich hat Sara endlich eine Freundin und sie geht sogar ins Kino. Doch nach und nach muss Sara erkennen, dass Erins Fröhlichkeit nur Fassade ist, aber wie kann sie ihr helfen, ohne ihre Freundschaft zu gefährden?

Ich selbst wurde mit schwerer Depression diagnostiziert, tendierte häufiger zu Dissoziationen, habe selbst eine ganz leichte Trichotillomanie und war auch zwei Jahre bei einer Therapeutin. Von diesem Standpunkt aus finde ich sowohl Sara als auch Erin toll entwickelt und wundervoll porträtiert. Psychische Krankheiten werden nicht stereotypisch wiedergegeben und die beiden werden auch nicht darauf reduziert. Es ist total spannend gewesen die Welt aus Saras Sicht zu erleben und so schön mitzuerleben, wie sie sich selbst mehr akzeptiert. Auch Erin habe ich sofort ins Herz geschlossen, denn sie hält so gar nichts von “normal” und das stimmt auch. Was ist denn schon normal?

Dennoch hätte ich mir für das Buch Content Notes oder Triggerwarnungen gewünscht, weil bspw. die Kindesmisshandlung für manche triggernd sein könnte. Ansonsten möchte ich das allen empfehlen, die sich mit dem Thema Mental Health auseinandersetzen möchten. Das Buch ist von einem #OwnVoices Autor und das erklärt wahrscheinlich auch die respektvolle Darstellung von psychischen Krankheiten. Ich habe mich selbst auch, sowohl in Sara und Erin, wiedererkannt und ich denke, es hätte mir gutgetan, wenn ich das bereits als Jugendliche gelesen bzw. wenn ich solch ein Buch damals gehabt hätte.

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Veröffentlicht am 08.03.2021

Leider nicht gefallen

Bis die Liebe uns findet
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Danke an Keff Vidala, dass du mir ein Rezensionsexemplar deines Buches “Bis die Liebe uns findet” angeboten hast. Kein Danke für die Drohung mit dem Anwalt für diese Rezension. Leider hat mir das Buch ...

Danke an Keff Vidala, dass du mir ein Rezensionsexemplar deines Buches “Bis die Liebe uns findet” angeboten hast. Kein Danke für die Drohung mit dem Anwalt für diese Rezension. Leider hat mir das Buch gar nicht gefallen. Auf dem Cover steht “Nach einer wahren Begebenheit” und der Autor selbst schreibt über sich selbst, seine Jugend, seine Beziehungen und seine Ansichten.

[CN: Ableismus, Body Shaming, Depression, Exotisierung, Fetischisierung, Heteronormativität, HP Referenz (19, 20), Misogynie, Rassismus, Saneismus, Selbstverletzung, Sexismus, Suizidgedanke, Transfeindlichkeit]

Bereits mit dem ersten Satz im Vorwort habe ich bereits ein Problem. “Der größte Fehler, den wir Männer in einer Beziehung machen, ist, dass wir uns nie mit der Frau zufriedengeben, die wir erobert haben.” Zum einen wird hier lediglich heterosexuelle Beziehungen dargestellt und der Mann ist immer der Eroberer, während die Frau immer die Eroberte ist. Sexismus und Misogynie ist in dem Buch durchgehend vertreten. Männer werden passiv dargestellt “Wir lassen uns von Frauen in sozialen Netzwerken verführen und um den Finger wickeln, wenn wir mit ihnen chatten.” (9) “Lass dich nicht von [Schlmpen] verführen [...].” (10) Diese Aussagen implizieren, dass es ja nicht die Schuld der Männer sei, wenn sie ihren Partnerin(nen) betrügen, da sie doch verführt wurden.

Manche Verwendungen von bestimmten Begriffen sind unpassend. Meiner Meinung nach sollte der Begriff “vergewaltigen” nur bei einer Vergewaltigung verwendet werden. Andernfalls werden Vergewaltigungen verharmlost, doch Vidala schreibt “[...] um zu verhindern, dass man meinen richtigen Namen vergewaltigte.” (15) Das hätte anders ausgedrückt werden können. Außerdem verwirrt es mich, dass Vidala “Mädels”, “Frauen”, “Damen” als austauschbare Synonyme verwendet. Ein Mädchen, das 16 ist, ist keine Frau. Vidala schreibt auch, “Was ich aber noch vergessen habe zu sagen [...]” (83) Das ist ein Buch. Das Manuskript kann überarbeitet werden.

Stichwort Rassismus: Vidala hat als Teenager damit angegeben mit wie vielen Frauen er schon etwas hatte. Dabei hat er Geschichten erfunden, um dies glaubwürdiger zu machen. Dies kann man ihm vielleicht nachsehen, da er jung war und die Akzeptanz seines Umfelds gesucht hat. Was ich ihm nicht nachsehe, ist die Verwendung des I-Wortes und die Anmache “Na, Pocahontas”. Hinzu kommt, dass das Japanerin-Klischee (läuft im Alltag im Cosplay mit Schuluniform herum) aufgegriffen wird. In dieser Geschichte beleidigt er die Japanerin mit “Du, [Schl
mpe]” auf Mandarin, woraufhin die Japanerin mit ihm schlafen will. (22) Im Buch steht “Chinesisch”, aber angesichts der größeren Probleme ist mein Pet Peeve zweitrangig.

Später sagt ein Freund zu Keff: “[...] aber du musst wissen, dass afrikanische Mischlingsfrauen [sic!] echt gefährlich sind, denn sie werden von weißen und schwarzen [sic!] Jungs begehrt.” (46) Mixed people mit Afrika Bezügen werden hier über einem Kamm geschert, ohne dass darauf aufmerksam gemacht wird, wie problematisch diese Aussage ist. Als Vidala von dem ersten Mädchen erzählt, das mit ihm gehen wollte, dachte er, “Lustig nur, dass die erste Frau, die mich fragte, eine muslimische Türkin war.” (27) Inwiefern ist das lustig? Und als der Protagonist mit einer kopftuchtragenden Muslimin telefoniert, wundert er sich über ihre “ziemlich Deutsch klingende Stimme, als würde ich mit einer Melanie oder Lisa reden”. (94) Hier noch eine Prise Rassismus. Offensichtlich erwartete er, dass Menschen mit nicht stereotypischen deutschen Namen “anders” zu klingen haben. Ich dachte, der Autor wollte seine Entwicklung darstellen. Hin und wieder benennt er sich selbst als “Arschloch”, doch durch die Art und Weise, wie er diese Situationen darstellt, ohne Diskussion oder konkretes Aufweisen, wieso das rassistisch war, zeigt mir, dass keine Aufarbeitung stattgefunden hat.

Nun kommen wir zu den zwei großen Themen in diesem Buch: Misogynie und Sexismus.

Wir fangen mit etwas Leichtem an und gehen dann über zu dem schwer verdaulichen, das ich widerwärtig finde: “Frauen entdeckten plötzlich das Schminken für sich, wobei ich mir bei manchen wünschte, sie hätten es nie ausprobiert.” (22) Die Meinung einer Person, wie Frauen etwas zu tun haben, was ihren eigenen Körper betrifft, ist irrelevant. Ich dachte, das wäre mittlerweile bei allen angekommen? Er selbst ist oberflächlich bis zum Gehtnichtmehr, aber sich selbst darüber auslassen wie oberflächlich Frauen seien. “Ich hatte das Gefühl, dass die hübschen Frauen mehr auf Aussehen, Geld und Style achten als auf das Herz.” (53) Und worauf werden Frauen in diesem Satz reduziert? Auf ihr Äußeres. Doppelmoral gefunden!

Ein Freund von ihm hat vier parallel laufende Beziehungen und betrügt die Frauen, doch anstatt das zu kritisieren, wird das als Errungenschaft dargestellt. Das einzige Problem für den Protagonisten sei die Logistik… Ich hoffe, es ist zu erkennen, was hier die Problematik ist. Der Satz “Du hast mir beigebracht, wie man sich als Frau verhalten sollte.” (131) wird von Aaliyah gesagt. Da diese Geschichte auf wahre Begebenheiten beruht, weiß ich nicht, ob dies tatsächlich von Aaliyah gesagt wurde, aber nichtsdestotrotz, bin ich der Meinung, dass niemand das Recht hat pauschal zu sagen, wie sich Frauen verhalten sollten.

“Dass ich so späte Erfahrungen gesammelt habe, lag ganz einfach daran, dass ich sehr schüchtern war und extrem viel Respekt vor Frauen hatte. (22) Der Respekt ist, meiner Meinung nach, nicht ersichtlich. Er beschreibt, dass er versuchte immer nett und freundlich zu allen Frauen zu sein und sie ihn daraufhin lediglich als den “Kumpel-Typ” ansahen. Er erwähnt auch die “Friend Zone”. Diese existiert nicht. Das ist ein Konstrukt, dass sich Männer ausgedacht haben, um zu zeigen, dass sie erwarteten mit einer Person zusammenzukommen, indem sie nett und freundlich sind, und sich diese Erwartung nicht erfüllt hat. “Nett” und “freundlich” ist das mindeste, was ein Mensch mitbringen sollte, um überhaupt als potenzieller Partnerin wahrgenommen zu werden. Das Konzept einer “Friend Zone” ist toxisch. Freundschaften werden abgewertet, und nur zu einer Person “nett” zu sein, um mit der Person zusammenzukommen, ist verdammt nochmal nicht nett. Niemand schuldet euch eine Beziehung. Die “Friend Zone” gehört in den Müll. “Ich war immer nett und respektvoll; als Dank habe ich nur Dreck bekommen. Ich bekam nur irgendwelche freundschaftlichen Angebote.” (53) Gut zu wissen, dass er Freundschaften mit Frauen als Dreck erachtet.

Es ist schon widerwärtig, wie er darüber berichtet, dass seine Freundin zu seinem “persönlichen Spielball” wurde und wie er sich dann das nächste “Opfer” sucht. Dann kommt noch mehr Sexismus mit Sätzen, wie “Nicht zu tussimäßig, aber eben wie eine Frau für mich sein sollte - gutriechend und sauber.” (64) und “Kleine Mädels standen auf ‘Swag’, Frauen auf ‘Classic’.” (72) Was ist das für eine Einteilung von Frauen? Wie war das nochmal mit “extrem viel Respekt vor Frauen”? Jedenfalls machte er mit einer Frau Schluss und bekam mit, dass sie nach zwei Wochen in einer neuen Beziehung war und wurde wütend. Er rief sie an, beleidigte sie und sagte ihr dann doch, das er sie liebe. Außerdem fragte er sich, wie sie ihn einfach so ersetzen konnte. Dabei stand in wenigen Absätzen davor, dass er sofort, nachdem er sich von Alexandra getrennt hatte, unzählige Frauen anschrieb und seine Freiheit genoss. Aber wehe, sie ist in einer Beziehung und trauert ihm nicht hinterher! Dass dieses Verhalten und diese Denkweise falsch war, wird nicht aufgearbeitet. Stattdessen versinkt der Protagonist in Selbstmitleid.

Der Autor schreibt über psychologische Taktiken, um Frauen “herumzukriegen”, die er heute noch anwendet. Dinge, die er durch “Pick-Up-Artist” Bücher/Videos gelernt hat. Anstatt die Frau als Person anzusehen und so mit ihr zu interagieren, ist das Ziel “Frau klarmachen”. Die Frau wird dann als “Opfer” oder als “Fang” betitelt. “Diese kleinen Partymäuse, die sich betranken und überall ihren Arsch zum Wackeln brachten, reizten mich nicht im Geringsten; für mich und meine Jungs waren das einfach nur billige Objekte.” (73) Danke, für diese klare misogyne Ansage. Es ist so degradierend, wie er über Frauen schreibt. Nachdem er sein “Opfer” losgeworden ist, indem er ihr, nachdem er sie den ganzen Abend angelogen hat, endlich die Wahrheit sagte, dass er nämlich keine Beziehung wollte, steht geschrieben: “Es war mir wichtig, die Sache frühzeitig und vor allem im Guten zu beenden.” (82) Inwiefern kann das als “im Guten zu beenden” verstanden werden?

Was ich extrem widerwärtig fand: die Einteilung in “qualitativ hochwertige Frauen” und… alle anderen. “Ich war der Psychologe, der Frauenversteher. Ich konnte zwar nicht so schnell mehrere Nummern auf einmal klarmachen, aber dafür qualitativ hochwertige Frauen, die Jura und Medizin studierten.” (87) Danke, ich bin wohl keine qualitativ hochwertige Frau, aber das will ich für ihn auch gar nicht sein. Gegen Ende der Geschichte hat er wieder einmal vor eine Frau zu verarschen, aber hat es gelassen, weil sie sich menschlich gut verstanden haben. Wow. Wie großzügig. Ist das mit “nett und freundlich” gemeint? So kann das also gehen, wenn er Frauen als Menschen ansieht. Applaus!

Dann habe ich noch einige andere inhaltliche Fragen, aber angesichts der größeren Problematiken, sehe ich diese als zweitrangig an und lasse es einfach. Der Protagonist zeigt sich von seiner besonders unsensiblen Seite, indem er eine Mutter zu der Vergewaltigung ihrer Tochter befragt… Was hat er sich dabei gedacht? Anscheinend nicht viel. “Wir leben in einer Welt, in der die Liebe nicht mehr ernst genommen wird. Männer werden zu Frauen, Frauen werden zu Männern.” (168) Anscheinend rundet noch ein bisschen Transfeindlichkeit das ganze Buch ab.

Leider wird auch Ableismus in diesem Buch reproduziert. Vergleiche mit Menschen mit Be_hinderungen sind unnötig und meist, wenn nicht sogar immer, ableistisch. Auch sich selbst als “schizophrener Penner” zu beschreiben ist saneistisch und unnötig. Die anderen Vergleiche möchte ich hier nicht wiedergeben.

Ach ja, die Leser*innen werden außerdem auch noch direkt beleidigt. “Aber diese Geschichte über sie kann ich dir im Moment nicht erzählen, es wären zu viele Informationen auf einmal, zu viel für dein Gehirn.” (99) Geht’s noch? Zu viel für mein Gehirn? Fazit: Die ganze Geschichte war zu viel für mein Gehirn.

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Veröffentlicht am 28.02.2021

Große Leseempfehlung!

Strafe
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Bei einer Freundin habe ich mal ein Buch von Ferdinand von Schirach gesehen und wurde neugierig. Also habe ich mir über rebuy gleich mehrere Bücher von ihm gekauft und hier seht ihr eines davon. Ich hätte ...

Bei einer Freundin habe ich mal ein Buch von Ferdinand von Schirach gesehen und wurde neugierig. Also habe ich mir über rebuy gleich mehrere Bücher von ihm gekauft und hier seht ihr eines davon. Ich hätte mich vielleicht vorher informieren sollen, weil “Strafe” ist nämlich der letzte Teil einer Trilogie, aber nun ja. Da es zwölf einzelne Geschichten sind, habe ich kein Vorwissen gebraucht. Zumindest fühlt es sich nicht so an, als würde ich das ohne die vorherigen Bände nicht verstehen. [CN: Drogen, häusliche Gewalt, Menschenhandel, Mord, Selbstverletzung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Zwangsprostitution]

Ich bin begeistert! Von Schirach zeigt, wie schwierig es ist einen Menschen in “gut” und “böse” einzuordnen. Der Schreibstil ist distanziert, regelrecht kühl, wodurch eine ruhige Atmosphäre geschaffen wird, obwohl es von schrecklichen Themen handelt, die ich als Content Note aufgelistet habe. Doch diese prägnanten Sätze schaffen es ein klares Bild vor dem inneren Auge zu erzeugen. Dieses Buch zeigt, dass Wahrheit nicht unbedingt das ist, was in einem Gerichtssaal zählt. Alle zwölf Schicksale regen zum Nachdenken an, denn von Schirach erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven.

Es gab allerdings drei Dinge, die mich gestört haben: 1) Einmal wurde “Hautton Kakao” geschrieben. Ja, bei Make Up ist das leider nach wie vor üblich, aber dennoch hätte ich es besser gefunden, wenn er das nicht so übernommen hätte. Immerhin wurde keine Person das zugeschrieben. 2) Der vermeintlich türkische Nachname “Deledenkobdülkadir” wurde verwendet. Ich habe selbst keine Ahnung von türkischen Nachnamen, aber das hört sich für mich nicht richtig an und meine Google-Suche hat nichts ergeben. Ich hätte es besser gefunden, wenn von Schirach einfach einen existierenden Nachnamen genommen hätte. 3) Mein persönlicher Pet Peeve: “Chinesisch sprechen”. Wir können nicht “Chinesisch sprechen”, weil es zig chinesische Sprachen gibt. Meistens ist mit “Chinesisch sprechen” Mandarin gemeint, aber es gibt nun mal nicht “die eine chinesische Sprache”.

Abgesehen davon, fand ich “Strafe” aber wirklich toll und freue mich darauf weitere Bücher von ihm zu lesen!

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