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Veröffentlicht am 28.11.2023

Bewegende Familiengeschichte

Aenne und ihre Brüder
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MEINE MEINUNG
In seinem beeindruckenden Debüt „Aenne und ihre Brüder“ hat sich der deutsche Sportmoderator und Talkmaster Reinhold Beckmann seiner tragischen und sehr bewegenden Familiengeschichte angenommen.
Nachdem ...

MEINE MEINUNG
In seinem beeindruckenden Debüt „Aenne und ihre Brüder“ hat sich der deutsche Sportmoderator und Talkmaster Reinhold Beckmann seiner tragischen und sehr bewegenden Familiengeschichte angenommen.
Nachdem er sich bereits 2021 mit seiner Band in dem Song „Vier Brüder“ dem Schicksal seiner vier Onkel mütterlicherseits gewidmet hatte, die alle den Zweiten Weltkrieg nicht überlebten, geht er in seinem sorgsam recherchierten Buch eingehender auf die traurige Geschichte seiner eigenen Familie ein, die zugleich stellvertretend für viele Familien, ihre zerstörten Hoffnungen und bitteren Verluste durch die Auswirkungen des grauenvollen Kriegs steht. Beckmann ist ein berührendes Zeitzeugnis und sehr lesenswertes Buch gelungen, das mich mit seinen Schilderungen bewegt und sehr nachdenklich zurückgelassen hat.
Ausgehend von seinen intensiven Gesprächen mit seiner Mütter Aenne und mit Zeitzeugen aus deren Heimatort Wellingholzhausen in Niedersachsen sowie Recherchen in Archiven ist es dem Autor gelungen eine höchst fesselnde und aussagekräftige Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt stehen die lebendigen Erinnerungen von Beckmanns Mutter Aenne, die ein hartes und vor herben Verlusten geprägtes Leben führte und dennoch mit bewundernswertem Willen an ihren Träumen und Hoffnungen festhielt. Neben einigen schwarz-weiß Fotografien blieben ihr als einzige Erinnerungsstücke an die vier Brüder Franz, Hans, Alfons und Willi nur etwa 100 in Sütterlin verfasste Feldpostbriefe, die sie sorgsam in einem Schuhkarton aufbewahrte und das Andenken an ihre geliebten Brüder all die Jahre stets liebevoll bewahrte. Gekonnt lässt Beckmann schrittweise anhand der Überlieferungen seiner Mutter und den Inhalten der Briefe die Historie um seine vier Onkel aufleben. So erhalten wir nicht nur lebendige, sehr persönliche Einblicke in den Lebensalltag von Aenne und ihrer Familie, sondern haben dank sorgsam eingearbeiteter historischer Hintergrundinformationen auch Anteil an den politischen Entwicklungen in Nazi-Deutschland. Anschaulich und glaubwürdig fängt er die damaligen Atmosphäre auf dem Dorf ein, schildert den dörflichen Alltag, geht ausführlich auf die Rolle der katholischen Kirche ein und macht den schleichenden Wandel durch die Diktatur in den Köpfen der Menschen deutlich. Von den einst streng gläubigen Menschen in jener erzkatholischen Region erleben wir hautnah den rapiden Wandel hin zur glühenden Nazibegeisterung der Bevölkerung in nur wenigen Jahren mit inklusive der Indoktrinierung der Jugend durch die Schule. Feinfühlig arbeitet Beckmann die unterschiedlichen Charaktere seiner Onkel sowie ihre persönlichen Einstellungen zum Leben und Krieg heraus und lässt die jungen Männer, die keine Nazis waren und sich doch von dem damaligen Zeitgeist haben einspannen lassen, für uns lebendig werden. Gekonnt veranschaulicht er in verschiedenen Episoden sehr nachvollziehbar und vielschichtig die unterschiedliche Entwicklung ihrer Figuren und ihr individuelles Handeln. Aufgebrochen mit einer gewissen Zuversicht und Abenteuerlust, lassen die grausamen Realitäten des Kriegs ihre Stimmung zusehends sinken. Auch wenn natürlich die Inhalte der Feldpostbriefe wegen der Zensur die Realität nicht offen thematisieren, enthalten sie oftmals doch erstaunlich ungeschönte Passagen, die von den Schrecken des nicht enden wollenden Kriegs an der Ostfront, der Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Soldaten in den Schützengräben zeugen. Beklemmend ist es über ihre Gedanken und Einschätzungen angesichts des ständigen Sterbens um sie herum zu lesen, ihrer Verzweiflung, Leere und Einsamkeit sowie ihrer permanenten Angst vor dem Vergessenwerden. Ergänzend zu den Briefauszügen finden sich geografische Zuordnungen der Kriegsschauplätze sowie „Feldberichte“ von ehemaligen Truppenangehörigen, die mehr Aufschluss über die Standorte, Truppenbewegungen geben und ermöglichen das Schicksal der Onkel zu rekonstruieren. Aus Sicht von Aenne erfahren wir aber auch über ihre übergroßen Sorgen um ihre Brüder im Krieg. Gerade der briefliche Kontakt mit ihren Liebenden Zuhause spendet ihnen so viel Kraft und Zuversicht und lässt ihr oft so ungewisses Schicksal und traumatische Erlebnisse besser ertragen. Sehr einfühlsam wird aufgezeigt, was der grausame Krieg mit den Menschen macht - für die Hinterbliebenen sind viele Leerstellen und Unsicherheiten geblieben und eine unendliche Traurigkeit über so viel vergeudetes Leben, doch ist es beeindruckend, wie aktiv das Andenken der vier im Krieg gefallenen Brüder in der Familie gewahrt wurde.

Abgerundet wird das Buch durch zahlreiche im Mittelteil eingefügte Fotografien von Aenne und ihrer Familie sowie eine Zusammenstellung von Briefen und Feldpostkarten im Original auf den Vorsatzseiten.
Im interessanten Nachwort des Romans finden sich zudem weitere Erläuterungen und Erklärungen zu Beckmanns Familiengeschichte und seinen Onkeln sowie im Anhang einen kurzen Überblick über die verwendeten Quellen und Literatur.

FAZIT
Ein sehr bewegendes Buch über eine tragische Familiengeschichte und ein sehr lesenswertes Zeitzeugnis!

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.11.2023

Rundum gelungene Fortsetzung

Der Cocktailmörderclub
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MEINE MEINUNG
Nach ihrem äußerst unterhaltsamen Auftaktband „Die Dreitagemordgesellschaft“ hat die britische Autorin Colleen Cambridge mit „Der Cocktailmörderclub” eine rundum gelungene Fortsetzung ihrer ...

MEINE MEINUNG
Nach ihrem äußerst unterhaltsamen Auftaktband „Die Dreitagemordgesellschaft“ hat die britische Autorin Colleen Cambridge mit „Der Cocktailmörderclub” eine rundum gelungene Fortsetzung ihrer neuen Wohlfühl-Krimi-Reihe rund um die vorwitzige Phyllida Bright vorgelegt.
Der originelle, in den 1930er Jahren angesiedelte Cosy-Crime ist als typisch britischer Whodunit ganz im Stil der klassischen Kriminalromane der Queen of crime angelegt. Auch der zweite Fall für die gewitzte Haushälterin der berühmten Krimiautorin Agatha Christie, die sich neben ihren vielfältigen Aufgaben im stattlichen englischen Landsitz Mallowan Hall gerne auch als Hobbydetektivin betätigt, hat es wahrlich in sich und sorgt für ein fesselndes und abwechslungsreiches Lesevergnügen.
Der lebendige Schreibstil, die netten humorvollen Episoden, die amüsanten Wortgefechte sowie der höchst verzwickte Mordfall, bei dem man hervorragend miträtseln kann, konnten mich wieder sehr begeistern. Hinzu kommen die geschickt eingestreuten Anspielungen aus alten Christie-Klassikern und aufschlussreiche Einblicke hinter die Kulissen insbesondere in das elitäre Leben der britischen Upper Class und dem Lebensalltag der Dienerschaft.
Die Autorin hat sich erneut eine brillante Ausgangskonstellation und ein wundervoll atmosphärisch dichtes Setting einfallen lassen. Ein Mord geschieht ausgerechnet während eines im Pfarrgarten stattfindenden Cocktailempfangs anlässlich des Listleigher Mordbasars inmitten einer Ansammlung von ausgesprochenen Experten in Sachen Mord und Totschlag. Im Laufe dieser Wohltätigkeitsveranstaltung sollte nämlich eigentlich die beste, von hoffnungsvollen Nachwuchsautoren eingereichte Detektivgeschichte durch eine Jury aus erfolgreichen Schriftstellern gekürt werden – darunter neben Agatha Christie so bekannte Namen wie Dorothy Sayers und G.K. Chesterton. Mit ihrer hervorragenden Beobachtungsgabe und ihrem grandiosen Spürsinn ist Phyllida ganz in ihrem Element und beginnt sogleich auf eigene Faust zu ermitteln.
Dank der anschaulichen, stimmungsvollen Beschreibungen konnte ich mühelos in die damalige Zeit abtauchen und mich unter die illustre Gästeschar des Listleigher Mordbasars mischen. Die Vielzahl der Figuren bereitet zwar anfangs etwas Schwierigkeiten, doch durch die Zusammenstellung der Personen der Handlung gelingt eine Zuordnung der Gäste und der Bediensteten nach einer Weile ohne Probleme.
Ein besonderes Highlight sind wieder die liebenswerten bis schrulligen Figuren, die mit ihren verschiedenen Eigenheiten bisweilen einige Klischees bedienen, aber sehr lebensnah und glaubwürdig gezeichnet sind. Ob nun die emsige Köchin Mrs Puffley, der steife, überkorrekte Mr. Dobble oder der neue unkonventionelle Chauffeur Joshua Bradford, der Phyllida gern zur Weißglut bringt – sie alle sind wundervolle, vielschichtige Charaktere, die man schon im ersten Band ins Herz geschlossen hat. Getoppt werden diese noch von der unnachahmlichen Haushälterin Phyllida Bright, die als clevere Hobby-Ermittlerin, ausgesprochener Hercule Poirot-Fan und langjährige Vertraute von Agatha mit ihrer Neugier, Cleverness und unerschütterlichen Hartnäckigkeit eine absolut brillante Besetzung für diesen Wohlfühl-Krimi ist. Auch wenn sie sich bisweilen verrennt und durch leichtsinnige Aktionen sogar in große Gefahr begibt, gelingt es ihr auch diesmal den Ermittlern der Polizei bei der Aufklärung des Falls eine Nasenlänge voraus zu sein.
Die Autorin versteht es hervorragend, die Spannung in diesem komplexen Mordfall durch etliche falsche Fährten und unvorhersehbare Wendungen bis zum gelungenen Finale immer weiter ansteigen zu lassen. Dank Phyllidas guter Beobachtungsgabe und messerscharfen Schlussfolgerungen gelingt es ihr schließlich den äußerst cleveren Täter zu überführen. Ganz wie in Agatha Christie-Werken wird die überraschende Auflösung von Phyllida vor allen versammelten Beteiligten präsentiert und der Fall mit allen Hintergründen und dem Tatmotiv sehr schlüssig zum Abschluss gebracht.
Ich bin schon sehr gespannt, wie es mit der cleveren Phyllida und Bradford weitergehen wird und freue mich schon sehr auf einen weiteren fesselnden Fall!

FAZIT
Eine sehr unterhaltsame und fesselnde Fortsetzung - mit liebenswerten Charakteren, einem richtig verzwickten Kriminalfall zum Miträtseln, tollem britischen Landhaus-Flair und und herrlich humorvollen Episoden!
Für Fans von anspruchsvollem Cosy-Crime und Christie-Klassikern genau das Richtige!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 17.11.2023

Spannender Nachkriegskrimi

Helle Tage, dunkle Schuld
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MEINE MEINUNG
Der fesselnde Kriminalroman „Helle Tage, dunkle Schuld“ von der deutschen Autorin Eva Völler ist der viel versprechende Auftakt einer neuen historischen Krimi-Reihe rund um den Kriminalbeamten ...

MEINE MEINUNG
Der fesselnde Kriminalroman „Helle Tage, dunkle Schuld“ von der deutschen Autorin Eva Völler ist der viel versprechende Auftakt einer neuen historischen Krimi-Reihe rund um den Kriminalbeamten Carl Bruns, der für die Abteilung Kapitalverbrechen im Essener Polizeipräsidium arbeitet. Angesiedelt ist die Handlung im Ruhrgebiet um 1948 erst wenige Jahre nach Kriegsende.
In ihrem Spannungsroman ist Eva Völler eine abwechslungsreiche und fesselnde Mischung aus interessanten Einblicken in die deutsche Zeitgeschichte, packender Krimihandlung und zarter Liebesgeschichte gelungen.
Als Aufhänger hat sich die Autorin eines realen Verbrechens angenommen, das in den letzten Märztagen des Jahres 1945 nur wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs in Essen verübt wurde. In einer Nacht und Nebelaktion wurden damals mindestens 35 osteuropäische Zwangsarbeiter von der Gestapo erschossen und in einem Massengrab verscharrt.
Der Autorin ist es hervorragend gelungen, viele historische Fakten und Hintergrundinformationen in die spannende Krimihandlung einzuflechten. Zugleich zeigt sie anschaulich die vielfältigen Verstrickungen der Polizei in die skrupellosen Machenschaften der Nazi-Schergen und die nur unzureichende Aufarbeitung der verübten Gräueltaten durch die Alliierten nach dem Krieg auf – insbesondere die laxe Handhabung der Entnazifizierung in Justiz und Polizei ist ein dunkles Kapitel der deutschen Zeitgeschichte.
Gekonnt nimmt uns die Autorin mit ins Ruhrgebiet der Nachkriegszeit und vermittelt ein sehr stimmiges, authentisches Bild der damaligen Zustände. Sehr facettenreich portraitiert die Autorin die ausgebombte Ruhrgebietsstadt Essen unter britischer Besatzung, in der Hunger, Armut, knapper Wohnraum und Kriminalität den Alltag bestimmen, der Schwarzmarkt bis zur Währungsreform floriert. Geschickt lässt Völler uns auch an der Stimmungslage der notleidenden Bevölkerung Menschen im besetzten Nachkriegsdeutschland teilhaben, die der Zukunft mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen und mit der Aufarbeitung der Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen haben.
Völler gelingt es hervorragend, das Lokalkolorit des Ruhrgebiets mit anschaulich geschilderten Schauplätzen einzufangen, und sorgt mit den geschickt eingestreuten Dialogen im Kohlenpottdialekt für ein authentisches Flair.
Dank des angenehmen und lebendigen Schreibstils wird man schnell in die fesselnde Krimihandlung hineingezogen, die ausgezeichnet in den historischen Kontext eingebettet ist.
Die Ermittlungen zum rätselhaften Tod der Mutter eines flüchtigen SS-Verbrechers, der zunächst ein ganz alltägliches Verbrechen vermuten lässt, führen Carl Bruns bald schon auf die Spur zu einem einige Jahre zurückliegenden grauenvollen Verbrechen. Schon bald überschlagen sich die Geschehnisse und bringen Carl bei seinen vielfältigen Nachforschungen nicht nur an seine persönlichen Grenzen, sondern lassen ihn auch an seinen Loyalitäten zu den Kollegen aus eigenen Reihen zweifeln und rücken ihn schließlich ins Fadenkreuz des Mörders. Die Autorin hält für uns einen komplexen Fall mit vielen Ansatzpunkten zum Miträtseln bereit, die allerdings im Mittelteil durch die im Vordergrund rückende Liebesgeschichte zwischen Carl und seiner alten Jugendliebe Anna leider deutlich an Schwung verliert. Nach einigen überraschenden Wendungen nimmt dann aber die Handlung enorm an Tempo und Spannung auf und gipfelt in einem sehr fesselnden Showdown. Die überraschende Auflösung des aufwühlenden Falls ist rundum stimmig und hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen.
Völler versteht es, ihre Figuren, vielschichtig und lebensnah zu zeichnen. Hervorragend hat mir die sympathische Hauptfigur Kriminalinspektor Carl Bruns gefallen, der wegen seiner jüdischen Wurzeln während der NS-Zeit nicht als Polizist arbeiten durfte und nun wieder mit seinen alten Kollegen im Dienst ist. Sehr glaubwürdig wird dargestellt wie durch den Fall sein ganzes Leben und seine moralischen Prinzipien völlig auf den Kopf gestellt werden. Ebenfalls der Charakter von Krankenschwester Anna mit ihrem dunklen Geheimnis ist sehr facettenreich und glaubwürdig gezeichnet, so dass ihre Handlungen für mich sehr nachvollziehbar waren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es bald eine Fortsetzung der viel versprechenden Krimireihe gibt und neuen Fall für Kriminalinspektor Carl Bruns.
FAZIT
Ein spannender historischer Kriminalroman im Nachkriegsdeutschland des Ruhrgebiets - mit einem sympathischen Ermittler, erschütterndem zeitgeschichtlichen Hintergrund und stimmig eingefangenem Zeitkolorit!

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Veröffentlicht am 16.11.2023

Außergewöhnlicher Roman

Weil da war etwas im Wasser
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MEINE MEINUNG
Mit seinem Debüt „Weil da war etwas im Wasser“ ist dem deutschen Autor Luca Kieser ein außergewöhnlicher, tiefgründiger Roman gelungen, der es zu Recht auf die auf die Longlist des Deutschen ...

MEINE MEINUNG
Mit seinem Debüt „Weil da war etwas im Wasser“ ist dem deutschen Autor Luca Kieser ein außergewöhnlicher, tiefgründiger Roman gelungen, der es zu Recht auf die auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 geschafft hat.
Der Autor hat sich eine höchst originelle, anspruchsvolle Geschichte aus genial miteinander verwobenen Einzelfragmenten ausgedacht, die uns in unglaublich viele Themenkomplexe eintauchen lässt. Hierbei sinniert er in einem faszinierenden thematischen Rundumschlag beispielsweise über Raubbau an den Ressourcen unseres Planeten, Ökologie, Umweltschutz und Nachhaltigkeit über Geopolitik und Glasfaserkabeln in der Tiefsee, bis hin zu Scham, häuslicher Gewalt und transgenerationalen Traumata.
Kieser nimmt uns mit auf eine abenteuerliche, vielschichtig angelegte Reise, die uns nicht nur in die Untiefen der Ozeane sondern auch weit zurück in Vergangenheit führt.
Schon zu Beginn begegnen wir einer sehr ungewöhnlichen Hauptfigur in Gestalt eines weiblichen Riesenkalmars, jener rätselhaften, sagenumwobenen Oktopus-Art und furchterregenden Kreatur in den Tiefen der Weltmeere. Kieser verleiht jedem seiner Fangarme nicht nur einen spezifischen Namen, eine ganz eigene Persönlichkeit sondern auch eine individuelle Erzählstimme. Aus unterschiedlichsten Blickwinkeln erzählen diese recht ungleichen Tentakel ihre Geschichte über ihr Schicksal, die Welt und verschiedene Menschen, und verstricken sich dabei bisweilen in einen unterhaltsamen Wettkampf, wer nun den Faden weiter aufnehmen darf. Ihre Erzählungen werden zudem ergänzt durch kleine aufschlussreiche Exkurse über den Oktopus und dessen Rezeption in Film und Literatur. So begegnen wir schließlich in eingeschobenen Episoden neben historischen Persönlichkeiten wie dem berühmten Schriftsteller Jules Verne, dem für Disney arbeitenden Spezialeffektkünstler Bob Mattey oder dem Autor von „Der weiße Hai“ Peter Benchley auch der jungen Praktikantin Sanja auf dem Krill-Trawler, der rätselhaften Schiffsingenieurin Dagmar in der Antarktis oder einem jungen Autoren mit ihren unterschiedlichen Hintergrundgeschichten.
Kunstvoll eingeflochten in die Erzählungen wird nach und nach die weitverzweigte Familiengeschichte der Sanchez nachgezeichnet. Beginnend mit dem Seefahrer Hernan Sanz Sanchez, der im 19. Jahrhundert eine traumatische Begegnung mit einem Riesenkalmar hatte, erfahren wir mehr über die Lebensgeschichten und Schicksale seiner Nachfahren bis in die Gegenwart.
Kiesers beweist mit seiner hochkomplexen Geschichte viel Freude am Experimentieren und große Kreativität. Die unterschiedlichen Erzählstränge werden nicht chronologisch erzählt, immer wieder unterbrochen und bisweilen später aufgegriffen, so dass sie im Gesamtkontext erst einen Sinn ergeben. Auch wenn mich einige wenige Episoden etwas ratlos zurückgelassen haben, so sind die meisten Handlungsfäden großartig miteinander vernetzt und fügen sich schließlich sehr stimmig zusammen.
Der permanente Wechsel der Erzählperspektiven macht die faszinierende Lektüre zwar sehr anspruchsvoll aber doch sehr lohnend und ist durch die interessanten Verweise und gut recherchierten Einblicke höchst lehrreich.
Gerne hätte ich noch mehr von den eindrücklichen, atmosphärisch dichten Beschreibungen der faszinierenden Unterwasserwelt am Meeresgrund gelesen, die mich anfangs in den Bann gezogen hatten. Hervorragend hat mir Kiesers Idee gefallen, uns unterschiedliche, sehr innovative Lesarten der Geschichte austesten zu lassen, indem wir den von den Tentakeln unterbreiteten Vorschlägen in den Fußnoten zu folgen. So kann man ihren Empfehlungen folgen und zu späteren Kapitel springen oder auch einige Passagen erneut lesen, was einem erstaunlich neue Einblicke und Erkenntnisse beschert.

FAZIT
Ein außergewöhnlich erzählter, origineller und vielschichtiger Roman, dessen anspruchsvolle Lektüre mich sehr fasziniert und zum Nachdenken angeregt hat.

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Veröffentlicht am 14.11.2023

Eine herausragende Biografie

Eine wie sie fehlt in dieser Zeit
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MEINE MEINUNG
Mit ihrem kurzweiligen und informativen Sachbuch „Eine wie sie fehlt in dieser Zeit – Erinnerungen an Astrid Lindgren“ ist der deutschen ZEIT-Journalistin Katrin Hörnlein ein sehr interessantes ...

MEINE MEINUNG
Mit ihrem kurzweiligen und informativen Sachbuch „Eine wie sie fehlt in dieser Zeit – Erinnerungen an Astrid Lindgren“ ist der deutschen ZEIT-Journalistin Katrin Hörnlein ein sehr interessantes Portrait der weltberühmten schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren gelungen, das sich sehr zu lesen lohnt und nicht nur Lindgren–Fans begeistern wird.
Obwohl ihr Tod schon mehr als 20 Jahre zurückliegt, ist ihre enorme Popularität ungebrochen und so lebt sie in ihren einzigartigen Werken und in den Herzen ihrer Fans weiter.
Mehrere Biografien habe ich bereits über Astrid Lindgren, ihr Leben und Schaffen gelesen, und doch reizt es mich immer wieder Neues über diesen ganz besonderen, allseits geschätzten Menschen und ihr persönliches Umfeld zu erfahren sowie einige bislang unbekannte Facetten ihrer Persönlichkeit zu entdecken.
Wie die Autorin in ihrem Vorwort betont, wollte sie nicht eine weitere Lindgren-Biografie schreiben, sondern den Versuch wagen, „ihr aus der Distanz nahezukommen“ und dies insbesondere „durch Schilderungen der Menschen, die ihr nahestanden.“
Dies ist ihr wie ich finde auch sehr gut gelungen, indem sie die vielfältigen Erinnerungen, humorvolle Anekdoten, Zitate und bewegende Erlebnisse von Familienmitgliedern, Freunden, Zeitzeugen und Weggefährten Astrid Lindgrens höchst unterhaltsam und abwechslungsreich zusammengestellt hat. Aus einem äußerst geschickt gewählten, eher Reportage-artigen und persönlich geprägten Blickwinkel vermittelt sie uns nach und nach ein lebendiges Bild dieser beeindruckenden und facettenreichen Frau.
Katrin Hörnlein nimmt uns in ihrem Buch mit auf eine faszinierende Spurensuche nach Schweden und in die Vergangenheit. Auf ihren aufschlussreichen Recherchereisen hat sich die Autorin mit Lindgrens Nachkommen getroffen und einigen Menschen, die sie früher persönlich kennenlernen durften - darunter beispielsweise ihre Tochter Karin, ihren Urenkel Johan oder Pippi Langstrumpf-Darstellerin Inger Nilsson. Durch die wiedergegebenen Erzählungen kommt man der faszinierenden Persönlichkeit allmählich immer näher, entdeckt zudem in vielen aufschlussreichen Episoden wenig bis unbekannte, private Seiten und kann bisweilen einen kurzen Blick auf den wahren Menschen mit seinen Zweifeln und Schwächen hinter der großen, allseits verehrten und geliebten Schriftstellerin erhaschen.
Darüber hinaus hat Hörnlein auch viele Orte bereist und aufgesucht, die in Lindgrens Leben eine wichtige Rolle gespielt haben, wie der Geburtsort Vimmerby, die von ihr so geliebte smaländische Landschaft oder ihre Wohnung in Stockholm. Untermalt werden die interessanten Impressionen durch zahlreiche, sehr stimmungsvolle Fotografien, die Lindgren in all ihren Facetten zeigen. Eine selbstbewusste und eigenwillige Frau, die an das Gute im Menschen glaubte und sich nicht nur zeitlebens für Kinderrechte und gewaltfreie Erziehung einsetzte sondern im Alter auch politisch engagierte! Wie schön, dass sie auch einige Geheimnisse vor der Öffentlichkeit und ihrer Familie bewahren konnte!
Mir hat es großen Spaß bereitet, mich gemeinsam mit der Journalistin Hörnlein auf diese kleine Entdeckungsreise zu begeben. Ob nun der Ausflug mit Astrids Tochter Karin in das Sommerhaus nach Furusund, ein winterlicher Besuch des „Astrid Lindgren Värld“-Freizeitparks, berührende Treffen mit Lindgrens ehemaliger Privatsekretärin und Freundin Kerstin Kvint und ihrem Mann Lennart, die aufregende Entschlüsselung der kryptischen Kringel aus den Original-Stenoblöcken mit Lindgrens Enkelin Annika in der Königlichen Bibliothek oder der hochinteressante Besuch bei den Kindern des „Michel“-Illustrators Björn Berg – all diese sehr unterhaltsam und lebendig geschilderten Begegnungen gewähren uns höchst einzigartige Einblicke in Lindgrens Leben und Persönlichkeit. Äußerst spannend ist zudem der Bericht über die von Lindgrens Tochter und Enkel*innen geführte „Astrid Lindgren Company“, durch die sich darum bemühen, dass das geistige Erbe ihrer Großmutter geschützt bleibt und zugleich ihre wundervollen Geschichten auch von kommenden Generationen gelesen werden.
Abgerundet wird das Sachbuch durch einen Anhang mit Quellenangaben, einer umfangreichen Bibliografie, Hinweisen zu den Recherchen der Autorin sowie einem Bildnachweis.
FAZIT
Eine sehr unterhaltsame und lesenswerte Biografie, die ein einfühlsames, vielschichtiges Portrait von Astrid Lindgren aufzeigt – mit bewegenden Erinnerungen, interessanten Eindrücken und vielen humorvollen Anekdoten.
Für alle, die Astrid Lindgren und ihre Bücher lieben und tiefer in ihre Welt eintauchen möchten, ein absolutes Must Read.

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