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Veröffentlicht am 09.10.2020

Genialer dritter Fall

Der Todesbruder
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INHALT
Ein Killer, der an Grausamkeit nicht zu überbieten ist – diese Mordserie lehrt Berlin das Fürchten ...

Viktor Puppe vom Berliner LKA und sein Partner Ken werden zum Schauplatz eines grausamen Verbrechens ...

INHALT
Ein Killer, der an Grausamkeit nicht zu überbieten ist – diese Mordserie lehrt Berlin das Fürchten ...

Viktor Puppe vom Berliner LKA und sein Partner Ken werden zum Schauplatz eines grausamen Verbrechens gerufen. Auf einem abgesperrten Gelände wurde eine Leiche gefunden, gezeichnet von schrecklichen Verbrennungen. Bei dem Toten handelt es sich um einen Botschafter des Vatikans. Am Tatort finden sie eine römische Ziffernfolge. Bei der Autopsie stellt sich heraus, dass der Mann während der tödlichen Folter zwar bewegungsunfähig, jedoch bei vollem Bewusstsein war. Dann taucht ein weiteres perfide ermordetes Opfer auf, getötet durch unzählige Wespenstiche ... Auch bei diesem werden römische Ziffern gefunden. Ganz offensichtlich hängen die Morde zusammen. Die Ermittlungen führen Ken und Viktor an eine Schule, wo sie jedoch auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Und der Mörder hat gerade erst angefangen …
(Quelle: Blanvalet)
MEINE MEINUNG
Nach „Die Todesbotin“ und „Der Todesmeister“ setzt der deutsche Autor Thomas Elbel seine fesselnde Thriller-Reihe rund um das außergewöhnliche Berliner Ermittlerteam Viktor Puppe und Ken Togukawa, sowie Begüm Duran vom Berliner LKA mit dem äußerst packenden, dritten Band „Der Todesbruder“ fort.
Ziemlich brutal und blutrünstig kommt der interessante, clever konstruierte Kriminalfall daher, der mich mit seiner Komplexität sehr schnell fesseln konnte.
Eine ungewöhnliche Mordserie in Berlin hält die Ermittler diesmal in Atem und ihre Nachforschungen führen sie rasch ins Umfeld der katholischen Kirche. Schon bald deutet vieles darauf hin, dass der Täter sich für die seinen Opfern zugedachten Todesarten von Dantes „Göttlicher Komödie“ hat inspirieren lassen. Das mittelalterliche Werk des Italieners Dante Alighieri schildert die Reise des Dichters durch die Hölle, in der die Sündern je nach Schwere ihrer Vergehen eine grausame Strafe über sich ergehen lassen müssen. Sehr fesselnd und lehrreich sind die gut recherchierten Auszüge aus der literarischen Vorlageund die entsprechenden Interpretationen zu den aktuellen Fällen in die Handlung eingeflochten. Da macht das Miträtseln und Kombinieren richtig Spaß, auch wenn man bei dem rasanten Handlungsverlauf schon gut aufpassen muss!
Mit schnellen Perspektiv- und Schauplatzwechseln, geschickt gewählten Cliffhangern und einigen überraschenden Wendungen sorgt der Autor für reichlich Tempo, Nervenkitzel und viel Spannung. Atmosphärisch dicht, detailreich und sehr anschaulich werden die verschiedenen Schauplätze rundum Berlin eingefangen.
Elbels lebendiger, bildhafter und mitreißender Schreibstil sorgt schon bald für ein tolles Kopfkino. Auch seine flotten, humorvollen Dialoge mit gewürzt mit einigen Einsprengsel von Berliner Schnauze konnten mich wieder vollauf begeistern.
Ein absolutes Highlight sind aber die skurrilen, äußerst unkonventionellen, aber sympathischen Charaktere, die mit viel Liebe zum Detail und sehr vielschichtig angelegt sind. Sie haben sich im Laufe der Krimi-Reihe weiterentwickelt und entfalten eine wundervolle Eigendynamik. Mit ihren eigenwilligen bis gewöhnungsbedürftigen Eigenarten und privaten Geheimnissen sorgen die Charaktere für so manche Überraschung und bereichern die Geschichte. Der clevere, sehr gebildete Viktor von Puppe aus bestem Hause gebärdet sich zwar manchmal als großer „Klugscheißer“, ist aber ein wirklich guter Ermittler mit starken Nerven und hervorragender Intuition. Immer besser gefällt mir auch der sehr extravagante, recht derbe Sprüche klopfende und mit seiner provokanten Art überall aneckende Halb-Japaner Ken, der aber auch seine sehr sympathischen Seiten hat und mit seinem „Püppi“ ein tolles Team bildet, das sich trotz aller Unterschiede hervorragend ergänzt. Als dritte im Bunde haben wir sie etwas unnahbare, taffe und inzwischen zur Oberkommissarin beförderte Begüm, die sich vor allem durch ihre gewagten Alleingänge auszeichnet und aufgrund einer Fortbildung nicht direkt in die Ermittlungsarbeit involviert ist.
Sehr packend und beklemmend zugleich ist diesmal auch die Nebenhandlung rund um die Gerichtsmedizinerin Stella und Freundin von Viktor gestaltet, die unmittelbar an einige Entwicklungen vom letzten Band anknüpft und im Zusammenhang mit Viktors Großvater steht.
Elbel ist es hervorragend gelungen, den Spannungsbogen stets bis zum Zerreißen gespannt zu halten. Sowohl die packende Ermittlungsarbeit mit immer neuen Wendungen als auch die dramatischen und völlig unerwarteten Geschehnisse aus der Nebenhandlung sorgen für jede Menge Thrill und Gänsehautmomente. Für Abwechslung und Unterhaltung sorgen zudem immer wieder witzige Schlagabtausche zwischen den Figuren.
Zum Ende hin bekommt der Leser schließlich noch ein unglaublich packendes, filmreifes Finale präsentiert und eine stimmige Auflösung des Falls.
Eine echte Überraschung war für mich allerdings der äußerst unerwartete Ausklang des Krimis, der leider das Ende dieser tollen Thriller-Reihe nahelegt.
FAZIT
Ein unglaublich packender, neuer Fall für die unkonventionellen Berliner Ermittler.

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Veröffentlicht am 09.10.2020

Fesselnder, vielschichtiger Psychothriller

Du darfst nicht sterben
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INHALT
~SAG MIR, WER DU BIST~

Lili und Anne sind eineiige Zwillinge, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eine verhängnisvolle Leidenschaft verbindet die Schwestern: Beide haben eine Beziehung ...

INHALT
~SAG MIR, WER DU BIST~

Lili und Anne sind eineiige Zwillinge, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eine verhängnisvolle Leidenschaft verbindet die Schwestern: Beide haben eine Beziehung mit dem charismatischen Paul, der erst nach und nach seine dunkle Seite offenbart. Was als Liebe beginnt, mündet in einen Alptraum aus Lügen und Mord. Als Lili und Anne begreifen, dass man sie in eine tödliche Falle gelockt hat, wird ihnen klar, dass sie nur eine Chance haben: Sie müssen zusammenhalten.

(Quelle: Emons Verlag)

MEINE MEINUNG
Mit „Du darfst nicht sterben“ ist der österreichischen Autorin Andrea Nagele ein unglaublich fesselnder, clever konstruierter und psychologisch tiefgründiger Psychothriller über eine lebensgefährliche Liebe gelungen, der unter die Haut geht.
Die in 4 Teilen angelegte Geschichte um die beiden Zwillinge Lili und Anne zieht den Leser mit ihrem nicht chronologischen Erzählstil und den geschickt gesetzten Zeitsprüngen immer mehr in ihren Bann und hält uns bis zum Ende in Atem.
Schon der packende Einstieg der Geschichte im ersten Teil sorgt mit Gänsehautmomenten und seinem anfänglichen Verwirrspiel für reichlich Spannung und jede Menge Nervenkitzel. Der zweite Teil lässt sich zunächst ruhiger an, und wir erfahren rückblickend aus den drei verschiedenen Erzählperspektiven von Lili, Anne und Paul die Vorgeschichte zu allem. So lernen wir die beiden Zwillinge kennen, die selbstbewusste Anne und die ruhigere, sensible Lili, sowie ihre gemeinsame Urlaubsbekanntschaft, der attraktive, charismatische Paul, zu dem sich beide Schwestern hingezogen fühlen. Sehr gelungen sind die raschen Perspektivwechsel, die zum einen aufschlussreiche Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten erlauben und zum anderen eine fesselnde, subjektiv eingefärbte Sicht auf die Geschehnisse ermöglichen. Zunehmend baut sich eine greifbare Spannung auf. Insbesondere, als man beginnt, hinter Pauls Fassade zu blicken, seine dunkle, obsessive Seite kennenlernt und über immer mehr Details über seine problembehaftete Kindheit und Jugend erfährt. Schrittweise erleben wir, wie sich die glücklich verliebte Lili verändert und erkennen schließlich voller Abscheu Pauls perfide Psychospielchen, seine Manipulationen, Intrigen und Lügen. Blind vor Liebe erkennt Lili viel zu spät, dass Annes wohlgemeinte Warnungen vor Pauls Verhalten Berechtigung hatten.
Mit den schrittweisen Entwicklungen offenbart die Autorin gekonnt so manche schockierenden Abgründe der menschlichen Psyche.
Durch ihre clever konstruierte Handlung und viele unerwartete Wendungen versteht es die Autorin, die aufgebaute Spannung bis zum packenden Showdown immer weiter zu steigern. Auch wenn die Auflösung des Falls für mich sehr überraschend kam, waren die psychologischen Hintergründe für die Taten in sich schlüssig und sehr nachvollziehbar.
Sehr vielschichtig und lebensnah hat Nagele die unterschiedlichen Persönlichkeiten ihrer Figuren mit ihren Höhen und Tiefen charakterisiert, insbesondere die tiefgründigen Einblicke in ihre Psyche wirken sehr authentisch und lassen ihr Verhalten sehr nachvollziehbar erscheinen.
Hervorragend eingefangen hat die Autorin auch die äußerst eindringlich und glaubwürdig beschriebenen Passagen aus der Gedankenwelt der Protagonistin im Ringen um Leben und Tod während ihres Komas, in denen ihre Gehirn die traumatischen Geschehnisse und ihre Emotionen auf ganz eigene, faszinierende Art zu verarbeiten versucht.
Der Schreibstil von Andrea Nagele ist sehr mitreißend, abwechslungsreich und flüssig. Ihr gelingt es hervorragend, Schauplätze und Szenen sehr anschaulich zu beschreiben und unheilvolle Stimmungen sehr nachdrücklich heraufzubeschwören. Im letzten Teil schließlich nimmt die Handlung immer mehr an Fahrt auf, Tempo und Spannung ziehen enorm an und der Psychothriller gipfelt in einem sehr packenden, dramatischen Finale.
FAZIT
Ein sehr fesselnder, raffiniert konstruierter Psychothriller – packend, psychologisch tiefgründig, unter die Haut gehend! Lesenswert!

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Veröffentlicht am 06.09.2020

Berührender Roman

Kalmann
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INHALT
Er ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn. Er hat alles im Griff. Kein Grund zur Sorge. Tag für Tag wandert er über die weiten Ebene um das beinahe ausgestorbene Dorf, jagt Polarfüchse und ...

INHALT
Er ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn. Er hat alles im Griff. Kein Grund zur Sorge. Tag für Tag wandert er über die weiten Ebene um das beinahe ausgestorbene Dorf, jagt Polarfüchse und legt Haiköder im Meer aus, um den Fang zu Gammelhai zu verarbeiten. Doch in Kalmanns Kopf laufen die Räder manchmal rückwärts. Als er eines Winters eine Blutlache im Schnee entdeckt, überrollen ihn die Ereignisse. Mit seiner naiven Weisheit und dem Mut des reinen Herzens wendet er alles zum Guten. Kein Grund zur Sorge.



(Quelle: Diogenes – Erscheinungstermin: 26.08.2020 - ISBN: 978-3-257-07138-2)

MEINE MEINUNG
Mit «Kalmann» hat der in Island lebende Schweizer Autor Joachim B. Schmidt einen fesselnden und zugleich herzerwärmenden Roman vorgelegt, der mich sehr begeistern konnte.
Obwohl die Entdeckung einer großen Blutlache im Schnee und ein mysteriöser Vermisstenfall den Ausgangspunkt für polizeiliche Ermittlungen bilden in dessen weiteren Verlauf es zu allerlei spannenden Verwicklungen kommt, handelt es sich nicht um einen typischen Kriminalroman. Der Roman lebt vielmehr von seinem grandiosen Protagonisten Kalmann, der als Ich-Erzähler im Mittelpunkt der Ereignisse steht und vom Autor sehr liebevoll und facettenreich gezeichnet wird.
Angesiedelt ist die Geschichte in dem kleinen, schon etwas heruntergekommenen Fischerdorf Raufarhövn im Nordosten Islands gelegen. Da nach der ungünstigen Verteilung der Fangquoten der einst florierende Ort endgültig dem Niedergang geweiht ist, hofft man wenigstens noch Touristen anlocken zu können. Ohne Existenzgrundlage sind die meisten Jüngeren abgewandert und zurück bleiben schließlich nur noch die Alten. Das faszinierende winterliche Setting mit der einzigartigen, kargen isländischen Landschaft und seinem unwirtlichen wie unberechenbaren Wetter ist von Joachim B. Schmidt sehr stimmungsvoll eingefangen worden und bildet eine phantastische, atmosphärisch dichte Kulisse für diesen Roman. An den lebendigen Beschreibungen der verschiedenen Schauplätze merkt man deutlich, dass der Autor diese Gegend gut kennt und Land und Leute sehr schätzt.
Mit seinem recht einfach gehaltenen, aber abwechslungsreichen Schreibstil, einigen schönen poetischen Passagen und der außergewöhnlichen Erzählstimme des Ich-Erzählers ist es dem Autor gelungen, mich von Beginn an zu fesseln. Der knapp 34-jährige Außenseiter Kalmann ist eine wundervolle, sehr vielschichtig angelegte Figur, die einem rasch ans Herz wächst. Der grundehrlich, gutmütige, eigenbrötlerische und geistig etwas zurückgebliebene Kalmann wird zwar von einigen als „Dorftrottel“ verspottet, dennoch wird er als letzter Haifischfänger des Orts und bester Gammelhaiproduzent Islands von vielen geschätzt und ist in die Dorfgemeinschaft gut integriert. Allzu sehr in die Enge getrieben neigt er allerdings manchmal zu Blackouts und unkontrollierbaren Wutausbrüchen, die aber meist in selbstverletzendem Verhalten münden. Es macht großen Spaß, den selbsternannten Sheriff mit seinem Sheriffstern, Cowboyhut und der alten Mauser bei der Polarfuchsjagd, auf hoher See oder seinen Ausflügen zu seinem dementen Großvater zu begleiten. Die Handlung verfolgen wir stets ungefiltert durch seine Perspektive und lernen so auch seine ungewöhnliche Sicht der Dinge kennen. Kalmann sorgt so manches Mal mit seinem unkonventionellen, verschrobenen Verhalten für so manche humorvolle Episode. Zugleich konnte er mich mit seiner kindlichen Naivität, seiner Abgeklärtheit, guten Beobachtungsgabe und vor allem einer faszinierend scharfsinnigen Sicht auf das Leben beeindrucken. Der Autor versteht es hervorragend, den Spannungsbogen immer weiter anzuziehen. Inzwischen beginnt man zu ahnen, dass Kalmann in die ganze Sache doch mehr involviert ist, als es anfangs scheint und doch einige Details in der verwickelten Geschichte unbewusst zurückhält.
Zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse regelrecht und die fesselnde Handlung gipfelt in einem überraschenden und packenden Showdown, bei dem Kalmann schließlich doch noch zum verdienten und gefeierten Helden von Raufarhövn wird. Die in sich schlüssige, sehr erschütternde Auflösung des Vermisstenfalls geht unter die Haut und stimmt nachdenklich.

FAZIT
Ein herzerwärmender Roman mit einer fesselnden Geschichte vor einem grandiosen isländischen Setting und einem wundervollen Protagonisten! Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 01.09.2020

Beklemmendes Portrait einer "Wahnsinnigen"

Die Wahnsinnige
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INHALT
Spanien, 1503: In der Festung La Mota soll Johanna von Kastilien endlich zur Vernunft kommen. Zu viel steht für ihre Mutter, Isabella die Katholische, auf dem Spiel. Die Königin regiert das Land ...

INHALT
Spanien, 1503: In der Festung La Mota soll Johanna von Kastilien endlich zur Vernunft kommen. Zu viel steht für ihre Mutter, Isabella die Katholische, auf dem Spiel. Die Königin regiert das Land mit unerbittlicher Härte, sie hat die Mauren vertrieben und lässt Tausende als Ungläubige auf den Scheiterhaufen der Inquisition verbrennen. Sie kann ihr Reich nicht in die Hände einer Tochter geben, die nicht betet, nicht beichtet und der Macht nichts bedeutet. Johanna will nicht über andere herrschen. Alles, was sie will, ist, über sich selbst zu bestimmen. Aber das scheint eine Freiheit zu sein, die nur Männern vorbehalten ist. Als sie mit Philipp dem Schönen ins ferne Flandern verheiratet wird, sieht es für einen Moment so aus, als sei das Unwahrscheinliche möglich: ein Leben in Liebe in einer Welt aus Verrat. Doch auch als sich diese Hoffnung nicht erfüllt, hält Johanna unbeirrbar an dem fest, was alle um sie herum für Wahnsinn halten – dem unerhörten Wunsch, dass die Welt anders sein könnte als sie ist. 

(Quelle: DuMont Buchverlag - Erscheinungsdatum: 18.08.2020 - ISBN: 978-3-8321-8127-7)

MEINE MEINUNG
In „Die Wahnsinnige“, dem neuesten Werk der deutschen Autorin Alexa Hennig von Lange, steht mit Johanna I. Königin von Kastilien (1497-1555) eine faszinierend-ambivalente historische Persönlichkeit im Mittelpunkt. Eine starke Frau und eine mächtige Herrscherin hätte sie werden können, aber im gnadenlosen Spiel um die Liebe und Macht wurde sie zur tragischen Verliererin. Denn im Kampf um die Herrschaft in Kastilien wurde sie von ihrem Vater König Ferdinand II., und Ehemann verraten, stürzte nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns in tiefe Trauer, unfähig sich um die Staatsgeschäfte zu kümmern und verbrachte schließlich die letzten 45 Jahre ihres Lebens in Tordesillas weggesperrt als Gefangene – veranlasst zunächst von ihrem Vater und später von ihrem eigenen Sohn Karl V.. Schon der Auftakt des Romans mit dem fiktiven Brief, den Johanna aus ihrer langjährigen Gefangenschaft an ihre Tochter verfasst hat, lässt erahnen, wie übel dieser Frau mitgespielt wurde und welch unvorstellbares Leid sie über sich ergehen lassen musste.
Inspiriert von der überaus beklemmenden wie berührenden Lebensgeschichte hat die Autorin jedoch keinen klassischen historischen Roman oder historische Biographie verfasst, sondern präsentiert uns ein facettenreiches Portrait und einfühlsames Psychogramm dieser außergewöhnlichen Königin, die mit dem wenig schmeichelhaften Beinamen „Die Wahnsinnige“ in die Geschichtsschreibung einging. Mit 16 wurde sie aus machtpolitischem Kalkül mit Philipp dem Schönen verheiratet, mit dem sie sechs Kinder hatte. Für sie war es die große Liebe, doch Philipp nahm es wie damals unter Herrschern üblich mit der ehelichen Treue nicht allzu ernst. Überliefert sind Johannas dramatische Wutausbrüche und Eifersuchtsszenen. Schon früh galt sie als psychisch labil, wobei es unklar ist, um welche Art Erkrankung es sich handelte, da sich viele Legenden um das Ausmaß ihres 'Wahnsinns' ranken.
Vor dem historischen Hintergrund beleuchtet die Autorin durchaus aktuell gebliebene, feministische Themen, die in damaligen wie heutigen Zeiten gesellschaftlich Bestand haben. Gekonnt zeigt sie uns das Schicksal einer um Selbstbestimmung und Anerkennung ringenden jungen Frau auf, die in starren patriarchalen Machtverhältnissen gefangen ist, und deren verzweifelte Versuche aus der ihr zugedachten Rolle auszubrechen und sich Freiheiten herauszunehmen, von ihrem Umfeld vehement unterbunden werden. Geschickt lässt die Autorin viele sorgsam recherchierte, historisch verbürgte Details aus Johannas Leben in Handlung ihres Romans einfließen und gibt uns aufschlussreiche Einblicke in höfische Leben insbesondere die zahlreichen Intrigen rund um die spanische Krone, die soziale Stellung der Frau und die große Macht der Religion Anfang des 16. Jahrhunderts.

FAZIT
Ein einfühlsam erzählter, berührender Roman über eine außergewöhnliche Frau und ihren verzweifelten Kampf um Selbstbestimmung.
Ein starker Roman über ein bewundernswerte Frau - sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 13.08.2020

Aufschlussreiches Sittenbild der heutigen USA

Die Topeka Schule
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INHALT
Kansas um die Jahrtausendwende: der 17-jährige Adam geht auf die Topeka High School, er steht kurz vorm Abschluss. Er ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft ...

INHALT
Kansas um die Jahrtausendwende: der 17-jährige Adam geht auf die Topeka High School, er steht kurz vorm Abschluss. Er ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt. Seine Eltern sind als Therapeuten in einer psychiatrischen Einrichtung tätig. Die Mutter ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater ist Experte darin, Jugendliche durch außergewöhnliche Therapieformen wieder zu einem normalen Leben zu verhelfen. Ihr Sohn Adam ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich – er tut alles dafür, dass keiner auf die Idee kommt, er könnte schwach sein. Weil er ein Herz für Außenseiter hat, freundet er sich mit Darren an. Adam weiß nicht, dass der einer der Patienten seines Vaters ist –, und führt ihn seine Kreise ein. Mit desaströsen Folgen …
​(Quelle: Suhrkamp)

MEINE MEINUNG
«Die Topeka Schule» ist bereits der dritte Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Ben Lerner, der eigentlich Lyriker ist und mit seinen Romanen inzwischen zum international gefeierten Shooting Star der amerikanischen Literaturszene avancierte. Es ist ein mitreißender, ungeheuer vielschichtiger und anspruchsvoller Roman, der mich mit seiner Mischung aus faszinierender Coming of Age-Geschichte um den hochbegabten Protagonisten Adam, seiner komplexen Familiengeschichte und der bedrückenden Geschichte um den „verlorenen Jungen“ Darren, die schließlich in einer fatalen Tragödie mündet, sehr fesseln konnte.
Feinfühlig, sehr eindringlich und stets äußerst sprachgewaltig erzählt Ben Lerner in seinem Roman die Geschichte einer Intellektuellen-Familie aus Topeka, einer Stadt in Kansas im Mittleren Westen, um die Jahrtausendwende und ihrem recht labilen Zusammenhalt. Die Handlung wird uns nicht-chronologisch in einem abwechslungsreichen, multiperspektivischen Erzählstil präsentiert. So wird Adams Erzählstrang aus der dritten Person erzählt, während wir die Handlung aus der Sicht von Adams Therapeuten-Eltern jeweils in der Ich-Perspektive erleben, die uns Leser zudem oftmals direkt ansprechen – der erfolgreichen feministischen Autorin Jane, die den Missbrauch durch ihren Vater aufzuarbeiten versucht und Adams einfühlsamen Vater Jonathan, der seine Ehe mit einer Affäre verrät. Eingeschoben ist zudem eine weitere als kursiv gedruckte, Transkript-ähnliche Sicht, die sich in verschiedenen Episoden der traurigen Geschichte von Adams Schulkameraden Darren widmet, einem Patienten von Adams Vater und von seinen Mitschülern gemobbten Außenseiter mit kognitiven Defiziten. Der permanente Wechsel zwischen den Perspektiven, eingestreute Andeutungen und implizierte Vorahnungen erzeugen beim Leser ein ungutes Gefühl und steigern die Spannung ungemein. Aus den vielen erzählten Episoden ergibt sich schließlich ein interessantes, aufwühlender und nachdenklich stimmendes Gesamtbild.
Lerner lässt uns im Laufe der oftmals mäandrierenden Handlung an familiären Dramen, Missverständnissen, Konflikten, inneren Kämpfen, fehlender Kommunikation und Versöhnungsversuchen teilhaben. Hervorragend sind Lerner seine unterschiedlichen Charaktere gelungen, die sehr vielschichtig, lebendig und mit nuancierten Persönlichkeiten ausgearbeitet sind. Mit außerordentlich gutem, psychologischem Feingespür enthüllt er menschliche Sehnsüchte, Wunschdenken, folgenschwere Fehlurteile und allzu menschliche Irrtümer und zeigt uns letztlich die Komplexität des Lebens auf.
Doch wirft er in seinem Roman auch einen hochinteressanten, äußerst scharfsichtigen und kritischen Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft.
Die unglaubliche Vielzahl der im Laufe der Handlung angeschnittenen Themen ist nahezu erschlagend und regt sehr zum Nachdenken an, ist aber mit oftmals sehr US-amerikanischen Bezügen und Anspielungen nicht immer verständlich. Die Bandbreite reicht von genial orchestriert bis hin zu ausufernd nebulös und so habe ich mir in einigen Fällen gewünscht, dass er seine tiefgründigen Einlassungen mehr auf den Punkt hätte bringen können.
Geschickt beleuchtet er komplexe Themenfelder vom Feminismus über fundamentalistische, homophobe religiöse Eiferer wie die Phelps bis hin zu fragwürdigen Männlichkeitsritualen, toxischer Maskulinität, weißem Elitebewusstsein oder den Wurzeln der Wut des sich abgehängt fühlenden weißen Manns. In den Mittelpunkt rückt Lerner aber immer wieder die Auseinandersetzung mit der Macht der Sprache, ihrer Umfunktionierung und der Problematik zunehmender manipulativer „Phrasendrescherei“ und Verwendung leerer Worthülsen in Politik und Gesellschaft.

FAZIT
Ein vielschichtiger und beeindruckender Roman, der allerdings nicht leicht zu lesen ist. Sprachgewaltig und anspruchsvoll geschrieben, verwirrend, nachdenklich stimmend und aufwühlend!

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