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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2022

Frischer, trotz des pikanten Themas eher belangloser Frauenroman

Offen für alles
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Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia ...

Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia erkennt Viviane, dass in ihrer langjährigen Ehe der Sex kaum noch eine Rolle spielt. Um daran etwas zu ändern, schlägt sie ihrem Mann vor, ihre Ehe zu öffnen und andere Beziehungen einzugehen.
Neben Viviane und ihrem Mann Karl begegnen wir noch Claudia und Diego sowie der schwangeren Elena. Viviane und Karl gehen sehr offen und zunächst auch gnadenlos ehrlich miteinander um. Ob es ihnen gelingt, mit neuen Plänen mehr Pep in ihren Alltag zu bringen? Claudia und Diego hingegen hüten Geheimnisse voreinander. Aber was, wenn diese ans Tageslicht gelangen? Elena plagt sich mit dem fürsorglichen, aber äußerst übergriffigen Simon herum. Ob sie den wirklich braucht?
Im Großen und Ganzen gelingt es Autorin Lilly Blank recht gut, ihren Figuren Leben einzuhauchen (Diego gerät etwas blass, in manchen Situationen fehlt auch ein Stückchen Glaubwürdigkeit). Was sie ganz zweifelsohne wunderbar hinkriegt, ist ein heikles, erotisches Thema locker und augenzwinkernd zu verpacken und mit viel Situationskomik zu würzen. Das liest sich beinahe von alleine.
Doch so gern man die Personen in ihren Entwicklungen begleitet, so bleibt doch ein erhofftes tieferes Nachdenken über alternative Lebens- und Liebesweisen aus. Auch wenn viele Möglichkeiten angedacht und angetestet werden, so wirkt alles ein wenig seicht und oberflächlich. Wie seicht und oberflächlich es im Roman tatsächlich zugeht, offenbart sich auf den letzten gefühlt hundert Seiten. Da kommt es zu einem Happyend, das länger und glücklicher kaum möglich ist. Heile Welt zu stark dosiert.
Also doch leider nur ein flüssig zu lesender, unterhaltsamer Roman. Mehr nicht.

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Veröffentlicht am 18.03.2022

Perfekte Grundlage für Diskussionen über Rassismus

Dazwischen: Wir
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Seit ihrer Flucht nach Deutschland hat die 15-jährige Madina große Fortschritte gemacht, was Wohnsituation, Schulerfolg und Selbstbewusstsein angeht. Sie wohnt mit ihrer Familie bei ihrer besten Freundin ...

Seit ihrer Flucht nach Deutschland hat die 15-jährige Madina große Fortschritte gemacht, was Wohnsituation, Schulerfolg und Selbstbewusstsein angeht. Sie wohnt mit ihrer Familie bei ihrer besten Freundin Laura und deren Mutter und träumt davon, eines Tages Ärztin zu sein. Alles könnte so gut sein, wenn sie nicht plötzlich mit einigen Rassisten konfrontiert wäre. Zunächst verkünden die nur dumme Parolen, doch bald geben sie sich damit nicht mehr zufrieden.
Autorin Julya Rabinovich legt hier die Fortsetzung von „Dazwischen Ich“ vor, welches in der ersten Zeit der Ankunft in Deutschland spielt.
Es ist durchaus möglich, den neuen Band ohne Kenntnis des ersten zu lesen, empfehlenswert indes ist es nicht. Zu oft wird Bezug genommen auf vergangene Erlebnisse, immer wieder resultieren daraus Fragen.
Madina schreibt Tagebuch. Reflektiert und gleichzeitig emotional schildert sie ihr Leben, verwendet dafür eine aktuelle, frische Jugendsprache.
Sehr genau beobachtet und analysiert sie die Menschen in ihrer Umgebung, Familie, Freunde, andere. Da gibt es jede Menge Probleme, die benannt werden: Alkoholkonsum, Depression, Sprach- und Integrationsschwierigkeiten, Rollenverständnis innerhalb der Familie und natürlich die schwere Traumatisierung durch Krieg und Flucht. Dem gegenüber steht der Optimismus, der sich aus den vielen Fortschritten nährt, die sie jüngst gemacht hat. Deutlich spürt man die Reife, die durch zu viel vorzeitige Verantwortung entstanden ist und manchmal mit dem Wunsch nach einem ganz normalen Teenagerleben kollidiert.
Madinas Herkunft wird beabsichtigt im Unklaren gelassen. Sie steht stellvertretend für alle Schutz suchenden Mädchen, die in einem fremden Land eine neue Heimat suchen. Das beraubt sie allerdings ein wenig ihrer Individualität, sie gerät etwas stereotyp.
Die Begegnung mit dem Rassismus ist eine Erfahrung, die vermutlich jeder Mensch mit besonderer Hautfarbe in Deutschland erleben muss. Hier werden die Mittel, die in solchen Situationen helfen, deutlich benannt: Stärke, Mut und Freundschaft.
Hier liegt ein Buch vor, das gelesen gehört. Wobei die Zielgruppe, Kinder ab 12 Jahren, die Lektüre vielleicht eher als Pflicht denn als Kür bewerten würde. Aber die Autorin hat offensichtlich mit Herzblut ein Anliegen eingebracht und damit eine Steilvorlage für fruchtbare Diskussionen geschaffen.

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Veröffentlicht am 01.03.2022

Spannender Jugendthriller

Radio Silent - Melde dich, wenn du das hörst
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Die 17-jährige Dee leidet noch immer darunter, dass sie vor zehn Jahren die Entführung ihrer besten Freundin Sibby miterleben musste, ohne ihr helfen zu können. Um dem Gefühl der Hilflosigkeit etwas entgegen ...

Die 17-jährige Dee leidet noch immer darunter, dass sie vor zehn Jahren die Entführung ihrer besten Freundin Sibby miterleben musste, ohne ihr helfen zu können. Um dem Gefühl der Hilflosigkeit etwas entgegen zu setzen, hat sie den anonymen Podcast Radio Silent ins Leben gerufen. Mit Hilfe einer großen, unterstützenden Hörerschaft gelingt es ihr so immer wieder, Vermisstenfälle aufzuklären.
Tom Ryan erzählt hauptsächlich in Ich-Perspektive und Präsens aus der Sicht Dees. Die kommt recht überzeugend daher, frisch, klug, lesbisch, traumatisiert. Daneben gibt es Rückblenden zu dem Geschehen, welches damals ihr siebenjähriges Leben völlig auf den Kopf stellte, ebenso Transkripte zu den aktuellen Podcast-Sendungen und Chats. Jede dieser Ebenen besitzt ihren eigenen Schrifttyp, wodurch das Lesen einen besonderen Erlebnischarakter erhält.
Von Beginn an fiebert man mit, versetzt sich in Dees Situation, teilt ihr Leiden, drückt ihrer Suche nach Vermissten die Daumen und freut sich, als sie in der hübschen Sarah, die neu in die Stadt gezogen ist, eine Freundin findet.
Als in ihrer Nachbarschaft wieder ein Kind entführt wird, muss sich Dee, wenn auch äußerst widerstrebend, ihrem alten Trauma stellen, zu ähnlich sind die beiden Fälle. Sie erhascht eine Spur und beginnt nachzuforschen.
Was folgt, ist atemberaubend spannend. Auch wenn man zuvor schon sehr dicht an der Heldin war, so fiebert man nun von Seite zu Seite mehr mit. Vielleicht darf auch noch verraten werden, dass das Buch trotz aller Spannung ohne Grausamkeiten und brutale Details auskommt. Erfreulich auch die unaufdringliche Art, eine gleichgeschlechtliche Verbindung mit etwas Romantik und viel Selbstverständnis einzubauen.
Ganz klar handelt es sich um einen Jugendroman, aber das Thema, die Charaktere und die Entwicklung der Handlung sind derart fesselnd, dass sicher auch jüngere oder ältere Erwachsene hier gerne mitlesen.

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Veröffentlicht am 28.02.2022

Wilhelm Tell - auf grandiose Weise neu erzählt

Tell
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Die Sage des Schweizer Freiheitshelden ist hinlänglich bekannt. Hier wird sie neu erzählt.
Joachim B. Schmidt hat dazu eine ganz besondere Form gewählt: In kurzen Sequenzen lässt er einzelne Betroffene ...

Die Sage des Schweizer Freiheitshelden ist hinlänglich bekannt. Hier wird sie neu erzählt.
Joachim B. Schmidt hat dazu eine ganz besondere Form gewählt: In kurzen Sequenzen lässt er einzelne Betroffene zu Wort kommen. Die spinnen den roten Faden der Handlung, indem sie sie aufgreifen, dort, wo der Vorerzähler aufhörte, oder eine andere Sichtweise einbringen, Erkenntnisse verfeinern. Das ist ein Staffellauf über eine weite Strecke, bei welcher der Stab von Hand zu Hand geht und sich - von einer Ausnahme abgesehen - genau wie dieser strikt an eine durchgängige Chronologie hält.
Man könnte bemängeln, dass der historische Hintergrund so gar nicht beleuchtet wird. Das wäre aber sehr kurz gedacht, denn das würde die radikal subjektiven Sichtweisen der einzelnen Personen verunmöglichen, und genau davon lebt das Buch. Die wechselnden Perspektiven erlauben sehr exakte Einblicke in Gefühlswelten, Wahrnehmungen und Gedanken, und verbauen die einzelnen Sequenzen zu einem bunten Mosaik, dessen Motiv sich nach und nach herausschält.
Wilhelm Tell zeigt sich als verschlossener, eigenbrötlerischer Bergbauer, dessen schwieriger Charakter sich später erklärt. Neben seiner Frau Hedwig, beider Mütter und dem ältesten der drei Kinder kommen Nachbarn und Freunde zu Wort, manchmal auch völlig Fremde. Und natürlich die Gegenspieler in Form marodierender Soldaten sowie Landvogt Gessler selbst.
Nur wenige, wie etwa der abscheuliche Harras, erfüllen, ja, überfüllen ihr Klischee. Andere zeigen sich unentschlossen, ängstlich, nachdenklich, überraschen andere und manchmal sich selbst - menschlich eben durch und durch.
Trotzdem ist auch Platz für Helden. Walter beispielsweise, der Erstgeborene, erobert die Herzen durch Besonnenheit, Verantwortungsbewusstsein und Mut. Aber auch die Großmütter, die, jede auf ihre Art, so viel zu geben bereit sind für die anderen. Und ja, auch Tell. Allerdings keineswegs so, wie man es erwartet.
Beeindruckend auch die Sprache: Mit großer Leichtigkeit führt sie nicht nur in die harsche Umgebung, die kargen Bedingungen der Zeit und der Region, in welcher die Geschichte angesiedelt ist, sondern überzeugt zudem als jeweils eigener Ausdruck der gerade erzählenden Person.
Ein wunderbares, großartiges, anrührendes Buch. Und, ganz nebenbei erwähnt, spannender als jeder Thriller.

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Veröffentlicht am 26.02.2022

Harte Kerle in Louisiana

Eine Zelle für Clete
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Detective Dave Robicheaux und sein Freund Clete Purcel versuchen, Licht in das Dunkel um eine Mordserie an jungen Frauen zu bringen. Ausgerechnet mit einem der Hauptverdächtigen hat sich Daves Stieftochter ...

Detective Dave Robicheaux und sein Freund Clete Purcel versuchen, Licht in das Dunkel um eine Mordserie an jungen Frauen zu bringen. Ausgerechnet mit einem der Hauptverdächtigen hat sich Daves Stieftochter gerade angefreundet, was ihn in besondere Alarmbreitschaft versetzt.
James Lee Burke nimmt sich auch im 18. Band der Reihe die Zeit, als Grundlage eine intensive Südstaatenatmosphäre auszubreiten. Es gelingt ihm hervorragend, die besondere Stimmung der Region zu übermitteln. Die Historie der Bevölkerungsgruppe der Cajuns in Louisiana wirkt unaufdringlich präsent, Orts- und Naturbeschreibungen beschwören die Vorstellungskraft, politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse zeigen ihre Einflüsse. Die Vergangenheit atmet aus jeder Zeile, auf eine irgendwie trostlose Weise, und wirkt sich besonders in der Diskriminierung farbiger Menschen bis ins Heute aus.
Auf der Suche nach Wahrheit erweisen sich nicht nur die kriminellen Personen als äußerst gewaltbereit. Auch Dave und besonders Clete versuchen in vielen Situationen erst gar nicht, die Kontrolle über ihre testosterongesteuerten Handlungsweisen zu behalten. Ein echtes Kerlsgetue, rüpelnd und provozierend mischen sie alles auf, was sich in den Weg stellt. Bereits bei einfachen Dialogen sorgen ständige Sticheleien für Eskalation. Da geht es schnell hart und blutig zu und die Anzahl der Toten steigt gefühlt von Seite zu Seite. Fast aus keiner Begegnung findet der alkoholaffine Clete ohne nennenswerten Konflikt wieder heraus. Der wenig schmeichelhafte Nickname „Abrissbirne“ trifft daher genau ins Schwarze.
Da ist so gar nichts Feines, Subtiles. Sobald die beiden im Gegenüber einen Gegner wittern, wird Schuld vorausgesetzt und im Wespennest herumgestochert.
Bei all den Problemen, die sie magisch anziehen, ist es wunderbar und überlebenswichtig, dass sie sich hundertprozentig aufeinander verlassen können.
Manchmal wird Bezug genommen auf ehemalige Erlebnisse, aber der Roman lässt sich ohne Weiteres ohne Kenntnis der Vorgängerbände lesen.

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