Profilbild von clematis

clematis

Lesejury Star
offline

clematis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit clematis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.02.2023

Die zweite Generation

Zuckerjahre – Die Frauen der Backmanufaktur
0

Backpulver und Puddingpulver verkaufen sich prächtig, die Meisterwerke florieren, auch im Privaten läuft alles nach Wunsch, als der Sohn des Firmengründers, Julius, seine große Liebe Lotte heiratet. Doch ...

Backpulver und Puddingpulver verkaufen sich prächtig, die Meisterwerke florieren, auch im Privaten läuft alles nach Wunsch, als der Sohn des Firmengründers, Julius, seine große Liebe Lotte heiratet. Doch der Erste Weltkrieg wirft seine Schatten voraus. Wie werden die Meisters und ihre Lieben durch diese schweren Zeiten kommen? Eine spannende und bewegende Fortsetzung von „Vanilletage“ beginnt.

Wie bereits beim ersten Band, gliedert Eva-Maria Bast ihre Geschichte in drei große Abschnitte, welche die Jahre 1914 bis 1919 umfassen. Die Verquickung von persönlichen Schicksalen, Umwälzungen in der Firma und politischem Hintergrund ist sehr gut gelungen, von allem genug, von nichts zu viel.

Nachdem Josephine und Carl die Meisterwerke gegründet und zu großem Erfolg geführt haben, ist es nun an der nächsten Generation, Neuerungen zu erarbeiten, die den Fortbestand des Unternehmens sichern. Julius steigt nach seinem Chemiestudium an der Seite seines Vaters in die Werke ein, aus denen er allerdings recht bald herausgerissen und an die Westfront entsendet wird. Wie so viele, kann er der Geburt seines ersten Kindes nicht beiwohnen, die kleine Käthe nicht sofort in seine Arme schließen. Indes übernehmen die Frauen daheim in Bielefeld die Arbeiten ihrer Männer, füllen Pulver an den Maschinen in Tütchen, während Familie Meister einen Werkskindergarten und eine Kantine für ihre Mitarbeiterinnen eingerichtet hat. Viele Veränderungen erfolgen aus der Not, auch diesmal sind die Frauen die wahren Kämpfernaturen, die sich nicht unterkriegen lassen.

Anschaulich charakterisiert die Autorin auch diesmal wieder ihre Figuren, realistisch und glaubwürdig agieren die vom Schicksal hart getroffenen Menschen während der schrecklichen Kriegsjahre. Dass die Geschichte eines wahren Lebensmittelherstellers die Grundlage bildet für Basts Roman, spürt man hinter den authentischen Zeilen. Bessere und schlechtere Zeiten prägen das Bild der schweren Zeit, dennoch sind die Meisters stets füreinander, für ihre Hausangestellten und ihre Fabrikarbeiter da. Jedem Leid entwächst auch ein Funken Zuversicht, selbst wenn es vorerst nur für die Kinder und Enkel sein muss.

So erreichen den Leser Trauer und Freude gleichermaßen, versteht es die Autorin, alle Gefühle und Empfindungen, die unweigerlich zum Leben gehören, in diesen Roman zu verpacken. Sogerne ich die beiden ersten Teile rund um die Backmanufaktur gelesen habe, so sehr freue ich mich auf die Fortsetzung mit dem Titel „Zimtträume“ im September 2023.


Titel Zuckerjahre – Die Frauen der Backmanufaktur
Autor Eva-Maria Bast
ASIN B0B18L1MQV
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (431 Seiten)
Erscheinungsdatum 14. Februar 2023
Verlag Aufbau
Reihe Die Backdynastie, Band 2

Veröffentlicht am 19.02.2023

Ein Sommer in Irland

Das dritte Licht
0

Ein Wagen fährt Richtung Wexford, am Steuer der Vater, im Fond das Mädchen mit den zwei Zöpfen. Das Kind soll zu entfernten Verwandten, denn die Mutter ist schon wieder schwanger, die Mäuler sind nur noch ...

Ein Wagen fährt Richtung Wexford, am Steuer der Vater, im Fond das Mädchen mit den zwei Zöpfen. Das Kind soll zu entfernten Verwandten, denn die Mutter ist schon wieder schwanger, die Mäuler sind nur noch schwer zu stopfen. Bei den Kinsellas, den Zieheltern, gibt es genug, erwartet wird lediglich die Mithilfe im Haushalt. Was wird das Kind dort sonst noch erwarten?

Das Titelbild und der Klappentext mit dem Hinweis auf ein trauriges Geheimnis werfen Fragen auf, wecken die Neugier des Lesers. Man glaubt kaum, dass eine ganze Geschichte hineinpasst in die acht Kapitel auf knapp einhundert Seiten. Und doch zeigt Claire Keegan, dass dies möglich ist: mit einem nüchternen Schreibstil besinnt sie sich auf das Allerwesentlichste, manches kann man indirekt herauslesen – wie die Information aus den Nachrichten, dass es sich um die 1980er-Jahre handelt – anderes darf der Leser seiner eigenen Phantasie überlassen. Jedenfalls geht es um ein kleines Mädchen im Volksschulalter, welches aus seiner Perspektive in der Ich-Form erzählt. Das Kind bleibt die ganze Zeit über namenlos und fügt sich brav in sein Schicksal. Bei der Anreise passiert man verschiedene Orte, welche Erinnerungen bereithalten, so erfährt der Leser, dass der Vater trinkt und spielt. Das Leben des Kindes in seiner eigenen Familie ist kein leichtes. Ob sich in diesem Sommer etwas ändert, wird sich weisen.

Stark gerafft und recht nüchtern im Schreibstil präsentiert sich dieser Roman, der das Erwachsenwerden eines Kindes darstellt, der hinter der Kargheit von Worten dennoch eine Reihe von Gefühlen und Weisheiten verbirgt und auch mit Ungesagtem noch eine Menge an Informationen bereit hält, wenn man nur genau genug hinsieht. Der Satz „So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.“ (kindle, Pos. 531) passt nicht nur im Zusammenhang gut in die Handlung, sondern trifft auch den Kern des Buches perfekt. Mit wenigen oder gar ohne Worte zaubert die Autorin das Gefühl dieses Sommers zwischen zwei Buchdeckel, gibt dem Kind als Hauptfigur Platz und Zeit zum Reifen und seine Persönlichkeit deutlich weiterzuentwickeln. Was schmerzt, ist die Zerrissenheit zwischen den beiden Lebenswelten.

Ein Roman, der trotz oder gerade wegen seiner Kürze und seiner distanzierten Schreibweise bewegt und zum Nachdenken anregt. Ich freue mich, dass ich mit „Das dritte Licht“ Claire Keegan als Autorin kennenlernen durfte.


Titel Das dritte Licht
Autor Claire Keegan
ASIN B0BVBLMY99
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (104 Seiten)
Erscheinungsdatum 1. Februar 2023
Verlag Steidl
Originaltitel Foster
Übersetzer Hans-Christian Oeser

Veröffentlicht am 16.02.2023

Italienisierung und Heimholen ins deutsche Reich

Der Duft von Erde nach dem Regen
0

Südtirol, 1936: Einige Jahre sind vergangen, Johanna hat mit dem ehemaligen Knecht Wilhelm eine Familie gegründet und bewirtschaftet erfolgreich den Apfelhof. Zwistigkeiten mit ihrem älteren Bruder Leopold, ...

Südtirol, 1936: Einige Jahre sind vergangen, Johanna hat mit dem ehemaligen Knecht Wilhelm eine Familie gegründet und bewirtschaftet erfolgreich den Apfelhof. Zwistigkeiten mit ihrem älteren Bruder Leopold, welcher sich um sein Erbe betrogen fühlt, stehen an der Tagesordnung. Ebenso heißt es stets auf der Hut sein, mit wem man noch ein deutsches Wort wechselt. Die Zeiten werden nicht einfacher, die einheimischen Juden sehen sich immer öfter nach Auswanderungsmöglichkeiten in die Schweiz oder gleich nach Amerika um.

Leicht fließt Anna Thalers Sprachmelodie dahin, detailliert und bildhaft beschreibt sie das Familienleben jener Figuren, die man schon aus dem Vorgängerband kennt. Wer neu einsteigt, wird es jedoch ebenfalls nicht schwer haben, den roten Faden im Buch zu finden und mit vielen liebenswerten Personen einige schicksalreiche Jahre zu verbringen. Die Umbrüche in deutschen Landen führen auch in Südtirol zu zunehmender Verunsicherung. Hatten die deutsch sprechenden Bewohner von Alto Adige es in den letzten Jahren schon schwer, Sprache und Brauchtum zu bewahren und gleichzeitig den gestrengen Blicken der Carabinieri auszuweichen, welche die Italienisierung überwachen müssen, so gibt es nun Gerüchte über Umsiedlungen in sizilianische Arbeitslager. Kein Wunder, dass Angst umgeht unter den Südtirolern.

Die persönlichen, genauso wie die politischen Zustände vermag Anna Thaler gut vorstellbar zu Papier zu bringen. Allerdings fehlt es mir dann und wann an Lebendigkeit im Vergleich zum Vorgängerband. Der ist mir ein wenig bunter und aufregender in Erinnerung. Nichtsdestotrotz hat die Autorin die Stimmung im Land wunderbar eingefangen, die Sicht des ein wenig fremd gewordenen Bruders Andreas dargelegt, der schon Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert ist. Alles in allem ergibt sich ein stimmiges Bild der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: Nachbarn, die in den 1920er-Jahren verfeindet waren, weil sich manche ihrer Meinung nach zu schnell an die Italiener angepasst haben, werden nun wieder zu Freunden. Andere sympathisieren mit Hitler und dessen Vorhaben, Südtirol „heimzuholen“. Realistisch und authentisch geht es auch im Band Zwei zu, gute und schlechte Tage wechseln einander ab wie es eben auch im echten Leben so geschieht.

Ich kann „Der Duft von Erde nach dem Regen“ ebenso empfehlen wie Teil Eins der Trilogie und werde die Leidingers, die Andergassers, die Rosenbaums und alle anderen sehr gerne auch im folgenden Band auf ihren Wegen begleiten.


Titel Der Duft von Erde nach dem Regen
Autor Anna Thaler
ASIN B09KXM45F5
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (352 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 1. Juni 2022
Reihe Die Südtirol-Saga, Band 2
Verlag Knaur

Veröffentlicht am 14.02.2023

Ein faszinierender Segeltörn

In blaukalter Tiefe
0

Andreas und Caroline, ein beruflich erfolgreiches Paar, buchen endlich den erträumten Urlaub – einen Segeltörn in den Schwedischen Schären, gemeinsam mit Andreas‘ ambitioniertem Juniorpartner der Anwaltskanzlei, ...

Andreas und Caroline, ein beruflich erfolgreiches Paar, buchen endlich den erträumten Urlaub – einen Segeltörn in den Schwedischen Schären, gemeinsam mit Andreas‘ ambitioniertem Juniorpartner der Anwaltskanzlei, Daniel und dessen Freundin Tanja. Eric als Skipper der schnittigen Charterjacht ist der fünfte im Bunde für zehn erholsame Tage. Nach einem Beginn mit Sonne, ruhiger See und frischen Meeresfrüchten als köstlichem Tagesabschluss beginnt sich die Idylle aber zu verändern. Schwelende Konflikte drängen mit zunehmendem Wind immer mehr an die Oberfläche bis ein Sturm zur Kursänderung zwingt.

Mit vielen fachmännischen Details führt Kristina Hauff in den Alltag des Segelns ein, schnell ist der Leser gefangengenommen von Groß und Vorsegel, Wenden, Luv und Lee und etlichen anderen Ausdrücken, die sich fließend in die Handlung einfügen und aufgrund der kundigen Erklärungen auch für Laien sofort verständlich sind, Profis werden sich daran hoffentlich nicht stören. Der zarte Wind streicht einem anfangs übers Gesicht, die Sonne schickt warme Strahlen aus, der Duft des Dorsches am Grill umweht das Näschen, dennoch liegt von Anfang an etwas in der Luft, etwas, das die Stimmung unterschwellig bedroht, sind es doch die fünf Personen selbst, die durch ihre so unterschiedlichen Charaktere Spannung ins Geschehen bringen. Jeder hat ein Ziel bei dieser Reise, werden alle dieses auch erreichen?

Faszinierend beschreibt die Autorin ihre Figuren, welche – einander großteils fremd – auf engstem Raum begegnen, gemeinsam als Crew das Boot steuern müssen. Langsam aber stetig beginnen sich die wahren Gesichter zu zeigen, die rauer werdende See tut ihr Übriges dazu. Dicht und atmosphärisch geht es dahin, hart am Wind lautet zuletzt der Kurs, jeder sollte sich auf jeden verlassen können, aber das kann mit drei Anfängern schlussendlich zum Verhängnis werden.

Aus Sicht der vier Urlauber lässt Kristina Hauff diese packende Geschichte erzählen, abwechselnd, immer in der angenehmen dritten Form. Manche Szenen werden dabei wiederholt und werfen aus einem neuen Blickwinkel ein anderes Licht aufs Geschehen. Vieles ist klar nachvollziehbar, gegen Ende hin aber dann doch wieder nicht, insbesondere Eric bleibt unnahbar. Dennoch ist dieser Segeltörn ein Abenteuer, welches man sich keinesfalls entgehen lassen sollte – voller Spannung, Gewissenskonflikte und folgenschweren Entscheidungen.


Titel In blaukalter Tiefe
Autor Kristina Hauff
ASIN B0BP2MKS92
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (289 Seiten)
Erscheinungsdatum 20. Februar 2023
Verlag hanserblau

Veröffentlicht am 13.02.2023

1945 und 1993

Das Mädchen aus Ostpreußen
0

1993: Johanna reist kurz vor der Feier zum 75. Geburtstag ihres Großvaters nach Lüneburg. Dass sie ihre Stelle als Krankenschwester gekündigt, ihre kleine Wohnung aufgegeben hat und ihr weniges Hab und ...

1993: Johanna reist kurz vor der Feier zum 75. Geburtstag ihres Großvaters nach Lüneburg. Dass sie ihre Stelle als Krankenschwester gekündigt, ihre kleine Wohnung aufgegeben hat und ihr weniges Hab und Gut im Kofferraum liegt, weiß niemand. Am besten, sie lässt ihr bisheriges, chaotisches Leben hinter sich und bewirbt sich bei Ärzte ohne Grenzen – Hauptsache, weit weg. Als sie dann zufällig auf alte Fotos ihrer Großmutter Netti stößt, wird sie neugierig. Birgt Oma vielleicht gar ein lange gehütetes Geheimnis?

Auf zwei Zeitebenen, anfangs ohne direkten Bezug zueinander, schildert Karin Lindberg zwei bewegende Geschichten: einerseits jene von Johanna, die einen Schnitt sucht in ihrem verkorksten Leben, andererseits die von Netti, welche mit Mutter, Schwägerin und dem neunjährigen Neffen im Winter 1945 über das Haff aus Ostpreußen geflohen ist und auch in Lüneburg nur gegen den Widerwillen der Dorfbewohner eine Unterkunft findet. Den sogenannten Polacken stehen die Einheimischen teils recht feindselig gegenüber, während für die britischen Besatzer ohnehin ein Fraternisierungsverbot gilt.

Mit gewohnt angenehmem Schreibstil lässt die Autorin diese beiden Erzählungen lebendig werden. Schön sind die Erinnerungen an elektrische Schreibmaschinen, Walkmen und Musikkassetten bei Johanna, unter die Haut geht es kurz nach dem Krieg bei Netti. Da wie dort gelingt es Lindberg, beim Leser Empathie für die Hauptfiguren aufzubauen und mit ihnen zu fühlen. Auch wenn Nettis Jugend von vielen Entbehrungen, Hunger und Not geprägt ist, so bewahrt sie sich ihren Blick auf das Gute und eine hoffnungsvolle Zukunft. Im Jahre 1993 ist natürlich vieles einfacher, dennoch verspürt Johanna selbst ihre innere Leere als lähmend. So ist ihr Weg nicht minder interessant, obwohl sie natürlich nie ums nackte Überleben kämpfen muss.

Mit ruhigen und leicht fließenden Worten kann sich Karin Lindberg in all ihre Figuren hineinversetzen, sodass das Leben in Lüneburg auch für den Leser sehr realistisch dargestellt wird. Rasch kann man sich den gemütlichen Rosenhof vorstellen mit all seinen damaligen und heutigen Bewohnern. Die Erwähnung von schmackhaftem Anhalterkuchen und anderen ostpreußischen Köstlichkeiten passt perfekt, die Liebe zum Tier ganz allgemein und die Erinnerungen an die bekannten Trakehnerpferde aus Ostpreußen runden das Bild wunderbar ab. Es sind schließlich die winzigen Details, welche für Authentizität und Glaubwürdigkeit sorgen. Dafür hat Lindberg genauestens recherchiert und / oder noch eigene Erfahrungen eingeflochten.

Zwei herzliche und glaubwürdige Geschichten in einem Buch, knapp und doch gekonnt miteinander verknüpft – das ist hier ausgezeichnet gelungen und hat – wieder einmal – für berührende Stunden beim Lesen gesorgt.


Titel Ein Mädchen aus Ostpreußen
Autor Karin Lindberg
ASIN B0BCH7ZZHL
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (379 Seiten)
Erscheinungsdatum 14. Februar 2023
Verlag Tinte und Feder

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere