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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.04.2022

Ende einer Ehe

Auf der Zunge
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In Jennifer Clements neuem Buch verlässt eine namenlose Frau ihre Wohnung in Manhattan in der festen Absicht, ihre lieblose Ehe zu beenden. Ihren Ehering wird sie später einer Obdachlosen schenken. Während ...

In Jennifer Clements neuem Buch verlässt eine namenlose Frau ihre Wohnung in Manhattan in der festen Absicht, ihre lieblose Ehe zu beenden. Ihren Ehering wird sie später einer Obdachlosen schenken. Während sie kreuz und quer durch die Stadt läuft, erinnert sie sich an ihre jüdische Hochzeit und ist froh darüber, wieder vollständig und eins zu sein und nicht nur ein Teil von etwas. Auf ihrem Weg begegnet sie einer Vielzahl unterschiedlicher Männer: dem Dichter, dem Musiker, dem Anwalt, dem Banker, dem Löwenbändiger, dem Räuber usw. Mit allen kommt es spontan zu teilweise sehr persönlichen Gesprächen, mit einigen auch zum Austausch von Zärtlichkeiten. Das verstehe ich als Hinweis auf die Dinge, die in ihrer Ehe gefehlt haben: Zärtlichkeit und Leidenschaft. Einige Männer machen ihr Geschenke: Gras, einen Ehering, einen Stein, ein beschriebenes Papier usw. Aufgelistet werden die Dialoge, aber auch die Gedanken der Frau in einer eigenartigen, poetischen Sprache, die im Original eine Herausforderung für den Übersetzer Nicolai von Schweder-Schreiner gewesen sein muss.
Der Roman ist auch eine Herausforderung für den Leser, denn er erzählt keine stringente Geschichte. Möglicherweise sind nicht einmal die Begegnungen real. Die Frau gibt sich ihren Träumen und Fantasien hin, denkt über die unerfüllten Sehnsüchte eines ganzen Lebens nach. Wenn man „Gebete für die Vermissten“ und „Gun Love“ kennt, kann man nicht glauben, das Jennifer Clement dieses Buch geschrieben hat. Ich empfehle diesen Titel nicht uneingeschränkt.

Veröffentlicht am 24.04.2022

Der Preis des Erfolgs

Die sieben Männer der Evelyn Hugo
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Hollywood-Ikone Evelyn Hugo, 79 nimmt über ihren Arbeitgeber Kontakt zu der weitgehend unbekannten Journalistin Monique Grant auf und will nur ihr anlässlich einer Auktion ihrer berühmtesten Kleider ein ...

Hollywood-Ikone Evelyn Hugo, 79 nimmt über ihren Arbeitgeber Kontakt zu der weitgehend unbekannten Journalistin Monique Grant auf und will nur ihr anlässlich einer Auktion ihrer berühmtesten Kleider ein Interview gewähren. Keiner versteht warum, aber das ist Evelyn Hugos Bedingung. Im ersten Gespräch erfährt Monique, dass sie in Wirklichkeit Evelyns Biographie schreiben soll und zwar unter ihrem eigenen Namen. So erzählt Evelyn bei ihren täglichen Treffen ihre Lebensgeschichte, wobei die sieben Ehemänner einen äußeren zeitlichen Rahmen bilden und die Kapiteleinteilung vorgeben. Evelyn Herrera hatte einen kubanischen Vater und eine weiße Mutter und wuchs in ärmlichsten Verhältnissen in New Yorks Hell´s Kitchen auf. Schon als 14jährige fällt sie durch außerordentliche Schönheit auf und setzt zwei Jahre später ihren Körper ein, um nach Hollywood zu gelangen. Sie hat nur ein Ziel: es im Filmgeschäft bis ganz oben zu schaffen. Sie bekommt immer bessere Rollen und wird ein Star. Ihre Männer schmücken sich mit ihr wie mit einer Trophäe und profitieren von ihrem Ruhm.
Evelyn erlebt Rückschläge und viele unschöne Dinge: die Rivalität unter den Schauspielerinnen, die rufschädigenden Artikel der Boulevardpresse, Fotografen, die ihr ständig und überall auflauern. Evelyn beweist ungeheure Stärke, geht selbstsicher ihren Weg und verliert ihr Ziel nicht aus den Augen. Monique ist zunehmend beeindruckt und fragt sich angesichts zahlreicher unklarer Andeutungen, welche geheime Verbindung es zwischen ihnen gibt und warum Evelyn sie ausgewählt hat, um ihr die privatesten Dinge anzuvertrauen.
Der gut lesbare Roman gewährt tiefe Einblicke in das Filmgeschäft im Hollywood der 50er bis 80er Jahre, die Macht der Regisseure und Produzenten und die Notwendigkeit, in einer noch sehr intoleranten Gesellschaft gewisse Seiten seines Privatlebens um jeden Preis geheim zu halten, vor allem die sexuelle Orientierung, wenn sie von den akzeptierten Moralvorstellungen abweicht. Die Autorin zeigt, wie sich auch Monique Grant angesichts dieser starken Frau verändert, wie sie selbstsicherer wird und nach dem Scheitern ihrer Ehe mit neuem Mut ihre eigene Zukunft plant. Ein lohnendes Buch. Mich stört nur der deutsche Klappentext, der so fehlerhaft ist, dass ich nicht glauben kann, dass der Verfasser das Buch überhaupt gelesen hat. Monique soll zum Beispiel nicht von vornherein Evelyns Biografie schreiben und schon gar nicht als Ghostwriter.

Veröffentlicht am 18.04.2022

Alles nicht so einfach

Simpel mit Sampl
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Das Kochbuch „Simpel mit Sampl“ von Thomas Sampl und Madlen Zeller ist anders als alle Kochbücher, die ich kenne und besitze. Die Informationen zu den Inhaltsstoffen von Obst- und Gemüsesorten sind genauer ...

Das Kochbuch „Simpel mit Sampl“ von Thomas Sampl und Madlen Zeller ist anders als alle Kochbücher, die ich kenne und besitze. Die Informationen zu den Inhaltsstoffen von Obst- und Gemüsesorten sind genauer und detaillierter, als man es gewöhnt ist. Es lohnt sich, sich damit intensiv zu beschäftigen, wenn man seiner Gesundheit etwas Gutes tun will. Ich mag nicht alle Gemüse gern, zum Beispiel Gurken und Kohl deutlich weniger als Fenchel, Tomaten und Kürbis. Kürbis verwende ich jetzt nicht mehr hauptsächlich für Risotto und Marmelade, Quitten nicht nur für Gelee und Marmelade. Walnüsse liebe ich und esse sie fast täglich. Deshalb werden ab sofort auch diese Rezeptvorschläge Teil meines Repertoires. Manche Zutaten sind nicht ohne Weiteres verfügbar oder für mich sogar schwer zu beschaffen, wie zum Beispiel Topinambur oder Pak Choi. Wichtig sind auch die vielen Hinweise zu Lagerung und Zubereitung, interessant die Kombinationsmöglichkeiten. Auf die Idee, Erdbeeren mit Tomaten und Paprika zu mischen, wäre ich sicher nicht von allein gekommen.
Ich nehme aus der Lektüre viele gute Anregungen mit und betrachte das Buch als echte Bereicherung meiner Kochbuch-Bibliothek. Die Sendung „Visite“, die ich ebenfalls noch nicht kannte, werde ich in Zukunft verfolgen.

Veröffentlicht am 06.04.2022

Das Leben ist nicht simpel

Liebesheirat
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Joe Sangster und Yasmin Ghorami sind zwei junge Ärzte in London. Yasmins Eltern sind aus Kalkutta eingewandert und leben im Süden Londons. Joe entstammt der gut situierten Mittelschicht. Seine Mutter Harriet ...

Joe Sangster und Yasmin Ghorami sind zwei junge Ärzte in London. Yasmins Eltern sind aus Kalkutta eingewandert und leben im Süden Londons. Joe entstammt der gut situierten Mittelschicht. Seine Mutter Harriet genannt Harry ist eine bekannte Feministin und Aktivistin, die gern im Radio und im Fernsehen mit ihren Beiträgen provoziert. Joes Vater hat nie mit der Familie gelebt. Joe und Yasmin wollen in Kürze heiraten. Zu den Hochzeitsvorbereitungen gehört auch, dass sich die beiden Familien kennenlernen. Die beiden Mütter verstehen sich trotz aller Gegensätze überraschend gut. Trotzdem gehen die Auffassungen über die Gestaltung der Hochzeit sehr weit auseinander, und es gibt in beiden Familien viel Konfliktpotenzial. Lügen und Geheimnisse, die vor den eigenen Kindern bewahrt worden sind, kommen ans Licht, ungesunde Eltern-Kind-Beziehungen, die für psychische Störungen in der nächsten Generation sorgen. Ohne Bewältigung der Vergangenheit gibt es keine Zukunft - für Yasmin und Joe, Yasmins jüngeren Bruder Arif mit seiner Partnerin Lucy genauso wenig wie für die Generation der Eltern.
Die mit wechselnder Perspektive sehr einfühlsam erzählte Geschichte ist viel mehr als eine Liebesgeschichte mit ein paar Komplikationen. Der Roman behandelt eine Vielzahl von Themen: Familie, Immigration, kulturelle Identität, Rasse, Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse. Der Leser fragt sich lange Zeit, welche Verbindung im Roman die Liebesheirat des Titels ist – die Ehe der Ghoramis oder die geplante Eheschließung der jungen Ärzte. Alle Figuren des Romans durchlaufen einen Lernprozess, verändern sich und begreifen, dass sie offen und verständnisvoll miteinander umgehen müssen, nichts unter den Teppich kehren dürfen, damit ihr Leben funktioniert: „Das Leben ist nicht simpel.“ (S. 591) Das trifft es genau.

Veröffentlicht am 24.03.2022

Leiche im Koffer

In einer stillen Bucht
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"In einer stillen Bucht“ ist der dritte Band der Serie um den Inselpolizisten Enrico Rizzi. Er ermittelt zusammen mit seiner Kollegin Antonia Cirillo, die aus Norditalien nach Capri strafversetzt worden ...

"In einer stillen Bucht“ ist der dritte Band der Serie um den Inselpolizisten Enrico Rizzi. Er ermittelt zusammen mit seiner Kollegin Antonia Cirillo, die aus Norditalien nach Capri strafversetzt worden ist. Auf einem Felsvorsprung wird eine Frauenleiche in einem Koffer gefunden. Die Frau wurde brutal erwürgt. Es stellt sich schnell heraus, dass es sich um Maria Grifo, die Leiterin des Konservatoriums von Neapel handelt. Mit ihrer kompromisslosen, resoluten Art hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. Hat sie Rivalen, die sie um ihre Stelle beneiden, oder hat sie nicht ausreichend talentierte Schüler durch ihr schonungsloses Urteil verprellt? Rizzi und Cirillo führen auch Vernehmungen in Neapel durch und müssen sich mit den Kollegen der Mordkommission arrangieren, die gewohnheitsmäßig auf die Inselpolizisten herabschauen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Ermittlungen von Rizzi und Cirillo zum Erfolg führen – zu einer Auflösung, die der Leser nicht erraten kann.
Mir hat der ruhig erzählte Krimi mit seinen sorgfältig charakterisierten sympathischen Ermittlern gut gefallen, weil er ohne Gewaltorgien auskommt und stattdessen dem italienischen Ambiente, der Kombination von Landschaft und Klima, der Beschreibung von Speisen und Getränken und italienischer Lebensart breiten Raum gibt. Venturas Buch ist sicherlich auch eine empfehlenswerte Urlaubslektüre.