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Veröffentlicht am 25.09.2023

Das Leiden einer jungen Schreiberin

Nichts in den Pflanzen
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Jung, frech und ungeschönt ungeschminkt – Nora Haddada gibt uns mit „Nichts in den Pflanzen“ einen Ein- und Tiefblick in die Kunstszene Deutschlands und das Hamsterrad der Kulturschaffenden und derer, ...

Jung, frech und ungeschönt ungeschminkt – Nora Haddada gibt uns mit „Nichts in den Pflanzen“ einen Ein- und Tiefblick in die Kunstszene Deutschlands und das Hamsterrad der Kulturschaffenden und derer, die in der Startposition stehen. Das Ergebnis und der Weg dahin sind ebenso amüsant, unterhaltsam wie tief ernüchternd und ein Abgesang auf den Glauben, dass Kreativität und Genialität Nährboden und Goldgrube zugleich sind.
Ihrer Protagonistin haben Leben, Neid und Missgunst und vor allem Leistungsdruck von innen und außen da auch gleich doppelt und dreifach mitgespielt. Was daraus folgt ist nicht nur folgerichtig, sondern auch der Alptraum eines jeden Schaffenden:
Eine Schreibblockade hat Leila fest im Griff! Und der Abgabetermin ihres Drehbuchs rückt näher und näher – und ihr Freund Leon wird erfolgreicher und erfolgreicher. Eine sehr schlechte Kombination, die Leila fast zum Wahnsinn treibt und sie zu äußersten Mitteln greifen lässt, um ihr Schreiben und ihren Flow gleich dazu wiederzufinden. Doch die Nebenwirkungen all dieser Bemühungen und Einfälle, die selbst nur so vor Kreativität strotzen, sind zahlreich – ebenso wie die Negronis und Espresso Martini, die in langen Partynächten durch Leilas Kehle rinnen.
Und wie die Ratte im Labyrinth oder die unbekannte Fliegenart, die sich in Leilas Computer, Wohnung und Gedanken einnistet, sucht auch Leilas verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer Lage und dem fehlenden Ende ihres Kammerspiels, das sich nach einem kurzen Aufleuchten ihr einfach nicht mehr zeigen mag.
Und hier gelingt Haddada ein großer Coup, ebenso verborgen beim ersten Lesen, der sich in seiner Selbstreferenz jedoch nach und nach in den Gedanken der Leser entblättert, wie das Herz einer Artischocke, nur zu erahnen unter ihrer Vielzahl an Blättern. Was bleibt sind ein Feuerwerk an Dialogen und Einfällen, ein tiefer Einblick in die Seele eines Kunstbetriebs, der einem Überlebenskampf zu gleichen scheint, und eine Geschichte, so wunderbar und verstörend zugleich. Und eine klare Leseempfehlung von meiner Seite.

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Veröffentlicht am 15.09.2023

Wenn Liebe und Zuneigung ein Herz wachsen lassen

Das dritte Licht
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Es fehlt – an Zuneigung, Aufmerksamkeit und auch Geld. Die Verhältnisse, in welchen die junge Ich-Erzählerin im Irland des vergangenen Jahrhunderts aufwächst, sind von Mangel gezeichnet. Das Mädchen und ...

Es fehlt – an Zuneigung, Aufmerksamkeit und auch Geld. Die Verhältnisse, in welchen die junge Ich-Erzählerin im Irland des vergangenen Jahrhunderts aufwächst, sind von Mangel gezeichnet. Das Mädchen und ihre Geschwister erscheinen weitestgehend sich selbst überlassen zu sein, Talente, Fähigkeiten und Bedürfnisse finden keine Nahrung, um zu wachsen und erblühen.
Doch für einen Sommer ist alles anders. Das Mädchen wird zu ihrer Tante und ihrem Onkel nach Wexford geschickt, zur Entlastung der erschöpften, hochschwangeren Mutter und aus den Augen des Vaters, der vor allem mit seinen eigenen Leben beschäftigt zu sein scheint.
Und dann, im tiefsten Nirgendwo, öffnet sich die Tür zu einem Paradies: Die Verwandten kümmern sich liebevoll um das Kind und geben ihm all das im Überfluss, was bisher so schmerzlich gefehlt hat und dringend notwendig war. Die kleine Nichte blüht unter der Aufmerksamkeit und tiefen Hingabe der Kinsellas auf und macht in nur wenigen Wochen eine bemerkenswerte Entwicklung durch. Doch ein Sommer kann nicht ewig wehren.
Claire Keegan gelingt es mit nur wenigen Worten und auf nicht einmal 100 Seiten eine Atmosphäre zu schaffen, welche die Leser tief in das ländliche Irland seiner Zeit und das Herzen eines Kindes zieht, das mit seiner Neugierde, Lebensfreude und Suche nach Schutz und Liebe eine Vielzahl an Gefühlen anzusprechen vermag. Die Sprache selbst, poetisch und sorgsam gewählt, ist reduziert und zugleich reich an Bildern und Symbolen und von einer Intensität, die sie bis in die Tiefe von Handlung und Figuren vordringen lässt.
Das Büchlein nach diesem eindringlichen Leseerlebnis wieder aus der Hand zu legen, fiel nicht leicht – zu sehr habe ich mitgelitten mit der kleinen Protagonistin und bin mit ihr gemeinsam durch die reiche grüne Landschaft und die Zeit eines unbeschwerten Sommers geschritten. Was bleibt, ist das Wissen um ein Werk von hoher literarischer Qualität und die Hoffnung für Kinder wie das kleine Mädchen, die so viel mehr verdienen als ihnen gegeben wird.

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Offline is the new loneliness – digitaler Ausstieg in die Einsamkeit

Zeiten der Langeweile
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Digital Detox, Offline statt Online, seine eigenen Gewohnheiten durchbrechen – Mila ist bereit, aus der digitalen Welt herauszutreten. Schritt für Schritt. Erst ganz langsam, dann immer schneller.
Ihre ...

Digital Detox, Offline statt Online, seine eigenen Gewohnheiten durchbrechen – Mila ist bereit, aus der digitalen Welt herauszutreten. Schritt für Schritt. Erst ganz langsam, dann immer schneller.
Ihre Motive scheinen hierbei von Furcht und Angst getrieben: Von fremden Menschen, der Community, dem gesichtslosen Mob gecancelt, gemobbt zu werden, ist ein Schreckgespenst, dem Mila auf jeden Fall entkommen will. Und mit allen Mitteln und auf sämtlichen Wegen: Denn was mit dem Verzicht auf Social Media beginnt, nimmt zunehmend an Fahrt auf und erhält seine ganz eigene Dynamik.
Immer entschlossener, zunehmend wahllos löscht, blockt und bereinigt Mila ihr altes Leben bis ihr Ziel erreicht zu sein scheint: Die Google-Suche ihres eigenen Namens führt zu keinem Ergebnis. Doch ein Ende ist für Mila noch lange nicht erreicht, sie scheint die Stoppschilder zu übersehen. Den Ausschalter nicht mehr zu finden. Und damit geht der Rückzug aus der digitalen Welt Hand in Hand mit dem Verlust von Freundschaften und sozialen Beziehungen in der „real world“, mit einem Abschotten, Vereinsamen und schließlich der totalen Isolation.
Glück, Zufriedenheit oder innere Ruhe kann Mila durch ihren radikalen Schnitt jedoch nicht erlangen. Ganz im Gegenteil: Mehr denn je ist sie ist getrieben von Phobien und der Panik, durch Elektrosmog und Datenübertragung krank zu werden, schier alles wird zur Gefahr und Bedrohung. Die Flucht vor der Zivilisation erscheint als einziger Ausweg, doch wo beginnt Wahn und endet die Wirklichkeit?
Jenifer Becker schildert eindrucksvoll und erschreckend realistisch, wie sehr unsere tägliche Leben durch Internet und Digitalisierung bereits miteinander vernetzt, verbunden und verflochten sind. Eine radikale Abkehr scheint kaum mehr möglich – und nur unter der Prämisse, Verluste auch in der realen Welt zu erleiden bis hin zu einer totalen Handlungsunfähigkeit in dieser. Ein Dilemma? Der Roman lässt mich nachdenklich zurück.

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Veröffentlicht am 02.09.2023

Wege, die zu Irrwegen werden, und eine schier unglaubliche Geschichte

Die Lügnerin
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Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! Das gilt für die sich selbst als Clara bezeichnende Erzählerin des neuen Romans von Friedemann Karig nicht, denn sie hat die Lüge zur Perfektion erhoben. Und ihre ...

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! Das gilt für die sich selbst als Clara bezeichnende Erzählerin des neuen Romans von Friedemann Karig nicht, denn sie hat die Lüge zur Perfektion erhoben. Und ihre Geschichten hat Clara so mit der Wahrheit verwoben, das sie sich von dieser kaum noch extrahieren lassen – weder von ihr selbst, noch vom Schicksal.
Denn alles, was Clara erzählt, wird wahr. Zumindest drängt sich ihr diese Befürchtung nach und nach auf, erschreckt sie und bringt ihre Welt ins Wanken – eine Welt, die bereits auf Lug und Betrug aufgebaut ist. Als Astrologin einer Telefonhotline vermag Clara es, die geheimsten Sehnsüchte, Ängste und Träume ihrer Kund*innen aufzuspüren und sie mit dem zu füttern, wonach sie gieren: die Hoffnung auf ein besseres Leben und eine Gerechtigkeit, die abschließend belohnt und bestraft.
Eingerichtet und geborgen in einem Kokon von Geschichten und Prophezeiungen geschieht es dann: Claras Vorhersagen treten ein! Immer wieder. Und auf eine schier unglaubliche Weise. Sie scheinen der Schlüssel zum Paradies zu sein, zu einem Geldsegen, der Sorgen vergessen lässt und Clara all die Türen öffnet, die ihr bisher verschlossen waren.
Diesen Garten der Möglichkeiten erkennt auch Siri, Claras ehemalige Kundin und nun goldschwer und steinreich. Gemeinsam machen sich sich auf, um das Schicksal zu verstehen und es zu ihrem Vorteil zu nutzen.
So glauben wir als Leser zumindest – und so scheint es zu sein. Vermutlich. Vielleicht. Oder? Denn eine weitere Erzähleben bringt sowohl Verstehen als auch neue Zweifel, Spannung und einen weiteren Handlungsstrang. Denn wir erleben die Geschehnisse in einer Rückschau, vorgetragen einer Beraterin in einer teuren Privatklinik. Kann sie Licht ins Dunkel bringen und das Unerklärliche aufklären?
Friedemann Karigs „Die Lügnerin“ führt die Leser auf Wege und Fährten, die zu Irrwegen werden und schließlich Verstehen, Erleuchtung und die große Täuschung nebeneinanderstellen. Die Schritte dahin sind ebenso geistreich wie unterhaltsam, voll Witz und mit zunehmender Spannung. Und ich müsste lügen, würde ich sagen, dass ich die Lektüre nicht sehr genossen habe.

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Veröffentlicht am 19.08.2023

Ein Hype, ein Sog, ein wunderbares Lesevergnügen

Cleopatra und Frankenstein
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Don’t judge a book by its cover! Und so, wie man auch Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen sollte, habe ich mir fest vorgenommen, dem intensiven Blick aus den grünen Augen auf dem Cover zu widerstehen. ...

Don’t judge a book by its cover! Und so, wie man auch Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen sollte, habe ich mir fest vorgenommen, dem intensiven Blick aus den grünen Augen auf dem Cover zu widerstehen. Und den Hype und die fulminanten Rezensionen beiseite zu wischen und mir mein eigenes Urteil über „Cleopatra und Frankenstein“ zu bilden.
Und den Weg dahin zu genießen.
Dies habe ich dann auch getan, Seite für Seite, Kapitel für Kapitel. Und bin dabei tief eingetaucht in die Geschichte um Cleo und Frank, die von einer klassischen Liebesgeschichte mit fortschreitender Handlung zunehmend entfernt zu sein scheint. Doch gibt es überhaupt die eine Geschichte über große Gefühle, Nähe, Für- und Miteinandersein?
Liebe ist es denn auch, was Cleo und Frank füreinander empfinden, und aus Liebe heiraten die beiden nach nur wenigen Monaten Beziehung. Wie auch aufgrund der Aufenthaltserlaubnis, die Cleo so dringend benötigt. Und genau hier scheint der Kern dessen zu liegen, was sich im Weiteren entwickelt: ein verspätetes Kennenlernen von sich als Paar und des jeweils anderen, der Prozess und Versuch, aus zwei einzelnen, gegensätzlichen Personen ein Gemeinsames zu schaffen. Und sich dabei selbst nicht zu verlieren.
Gerade Letzteres ist eine steile Klippe für Cleo, selbst noch auf der Suche nach der eigenen Identität und Ausdrucksformen für sich als Mensch und Künstlerin. Frank dagegen ist ihr auf dem Weg der Selbstfindung und -entwicklung bereits viele Jahre voraus, jedoch nicht weniger verletzt und gebrochen als Cleo es ist. Und ihr damit weder eine Stütze noch der starke Partner, der ihr in einer Sinn- und Schaffenskrise beizustehen vermag.
Hört sich nach Schwere und Traurigkeit an? Ist es – auch. Aber bei weitem nicht nur. Vielmehr ist die Geschichte ein wunderbares Lesevergnügen, nicht zuletzt aufgrund des Reichtums an schillernden Figuren in Cleos und Franks Umfeld. Und aufgrund des Schreibstils einer Autorin, die mit Witz, Originalität und Lebendigkeit eine Geschichte geschaffen hat, die mitreißt und begeistert. Und die einen Sog verursacht. Und eine Lawine losgetreten hat.

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