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dear_fearn

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.12.2019

Völliges Durcheinander trotz Aufräumwahn

Der ist für die Tonne
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Los geht's mit einer quirligen Mädelsrunde in Protagonistin Hannahs Second-Hand-Laden, den sie neben ihrer Tätigkeit als Aufräum-Coach betreibt. Dabei wird sie als Ausmisterin bei Pascal engagiert. Er ...

Los geht's mit einer quirligen Mädelsrunde in Protagonistin Hannahs Second-Hand-Laden, den sie neben ihrer Tätigkeit als Aufräum-Coach betreibt. Dabei wird sie als Ausmisterin bei Pascal engagiert. Er ist der neue Freund von Hannahs bester Freundin, die ihn sich gern noch etwas zurechtbiegen möchte, und eigentlich ist alles, was ab diesem Moment passiert, ganz und gar nicht so geplant.

Die Geschichte an sich ist ganz hübsch. Es gibt lustige Charaktere, die sehr schrill gestaltet sind, rasanten Wortwitz und eine abwechslungsreiche Handlung. Für mich persönlich war das Buch als leichte Lektüre mal eine schöne Abwechslung. Durch die gruseligen Funde beim Aufräumen bekam die Story etwas Aufwind, wurde allerdings nie gruselig. Ellen Berg hat einen sehr fröhlichen Schreibstil, immer einen Scherz auf den Lippen und schafft es, ein klares Bild von Umgebung und Personen zu schaffen. Für mich persönlich hätten aber alle Figuren noch etwas mehr Tiefgang vertragen können, teilweise waren sie mir zu skurril.

Veröffentlicht am 13.11.2019

Wild und herzwarm

Thees Uhlmann über Die Toten Hosen
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Ist das schamlos? Dieses Buch habe ich nicht wegen der Toten Hosen, sondern wegen Thees Uhlmann gekauft. Und ich habe es nicht bereut. Sein Schreibstil ist so, als würde er einfach drauflos quasseln. Beim ...

Ist das schamlos? Dieses Buch habe ich nicht wegen der Toten Hosen, sondern wegen Thees Uhlmann gekauft. Und ich habe es nicht bereut. Sein Schreibstil ist so, als würde er einfach drauflos quasseln. Beim Lesen musste ich entweder laut lachen oder heulen, dazwischen gab es nicht viel. Bei Thees ist immer alles doll und das ist gut: Volle Kanne Pathos, volle Geschwindigkeit ins Herz. Er erzählt aus seiner Jugend, von seinem ersten Konzert, seinen wilden Phasen, seinem Erwachsenwerden, seinen Freundschaften und das alles ist so echt, so ehrlich, bescheiden und liebevoll, dass mir ganz herzwarm wird. Klar geht's auch um Die Toten Hosen, logisch. Aber nicht als Bandbiografie oder sowas, sondern als Geschichte der Annäherung aus Sicht von Thees Uhlmann, der sich als kleines Licht neben den großen Künstlern versteht, mit ihrer Musik im Ohr erwachsen geworden ist, der sich angenommen und großzügig beschenkt fühlt, über die Jahre zusammengewachsen, verständnisvoll in allen Lebensabschnitten und einfach dankbar für alles.

Veröffentlicht am 13.11.2019

Der Markt bestimmt

Der Store
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Das gebundene Buch kommt bereits wie ein Paket daher: Brauner Papiereinband, recht dick und schwer, bereit zum auspacken bzw. loslesen. Die Hände, die sich auf dem Cover aus dem Barcode recken, lassen ...

Das gebundene Buch kommt bereits wie ein Paket daher: Brauner Papiereinband, recht dick und schwer, bereit zum auspacken bzw. loslesen. Die Hände, die sich auf dem Cover aus dem Barcode recken, lassen schon vermuten, dass es keine besonders glückliche Story sein wird, sondern Menschen im System untergehen und Hilfe suchen.

Los geht es mit der Vorstellung der drei Hauptcharaktere: Gibon Wells, der Erfinder von "Cloud", DEM Onlinehandel, der mittels Drohnen die ganze Welt beliefert und eine absolute Monopolstellung hat, schreibt Blogeinträge, da der Krebs ihn bald dahinraffen wird und er sich verabschieden möchte. Paxtons Erfindung wurde von Cloud abgekupfert und günstiger verkauft, wodurch er pleitegegangen und nun auf eine Arbeitsstelle bei seinem ärgsten Konkurrenten angewiesen ist. Und dann ist da Zinnia, die werweißwoher kommt und andere Pläne hat, als sie vorgibt. Die beiden überstehen das Bewerbungsverfahren bei Cloud und beginnen ihre Arbeit, in einem riesigen Klotz, inmitten von unter dem Klimawandel verdorrender Landschaft.

Die drei Charaktere wechseln sich im Buch ab. Jeder bekommt seine eigene Erzählperspektive, die durch Kapitel mit ihren Namen in der Überschrift angekündigt wird. Das macht das ganze übersichtlich. Anfangs fand ich die Typo recht verwirrend, da die Texte aus den Cloud-Werbevideos in einem anderen Font dargestellt sind.

Der Schreibstil an sich ist gut verständlich, schön leicht zu lesen und vor allem langsam. Die Story plätschert so dahin und wird immer mal von spannungsvolleren Passagen unterbrochen, die jedoch kein Gänsehaut-Thriller-Gefühl aufkommen lassen, bei dem die Hände schwitzen. Die Beschreibungen der Anlage sind bildhaft und beklemmend, die Eintönigkeit der Tage bei Cloud kommt sehr gut rüber, was die Story manchmal langatmig werden lässt. So richtig spannend wird es eigentlich erst auf den letzten 30 Seiten.

Die Charakterentwicklung von Paxton ist sehr interessant. Er ist ein plumper, aber sympathischer Typ, der mit seinem Wertesystem hadert. Zu Zinnia habe ich absolut keinen Zugang finden können, weil sie sich anders gibt, als sie ist, und dadurch immer unnahbar bleibt. Gibson Wells fand ich auch sehr interessant, da er nach Außen als Weltverbesserer auftritt und man seine Aufrichtigkeit in den Blog-Beiträgen kaum anzweifeln kann. In den letzten Kapiteln darf man dagegen schon tiefer unter die Maskerade blicken.

Hübsch finde ich wiederkehrende Hinweise, z.B. der wackelnde Barhocker und die Personalisierung der Cloudbänder. Manchmal finde ich aber, dass umständliche Beschreibungen einer flotteren, spannungsgelandeneren Handlung ziemlich im Weg stehen. Hier wurde viel Potential nicht genutzt.

Insgesamt war es aber ein Abtauchen in eine Welt, die so gruselig realistisch ist, dass es umso mehr ein Ansporn ist, mehr gegen den Klimawandel zu tun, sich nicht nur Konzernen hinzugeben, sondern auch mal wieder in kleinere Läden zu gehen und öfter die regionale Wirtschaft zu unterstützen. Aus diesem Buch lässt sich viel über unser Handeln in der heutigen Zeit lernen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten. Aufrüttelnd!

Veröffentlicht am 06.11.2019

Wir sind das Klima, ob wir wollen oder nicht

Wir sind das Klima!
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Es ist schwer, dieses Buch zu bewerten. Anders als bei einem fiktiven Roman geht es hier um uns, unsere Zukunft, unsere Heimat und was als Bedrohung immer näher rückt, ob wir es noch leugnen oder längst ...

Es ist schwer, dieses Buch zu bewerten. Anders als bei einem fiktiven Roman geht es hier um uns, unsere Zukunft, unsere Heimat und was als Bedrohung immer näher rückt, ob wir es noch leugnen oder längst akzeptiert haben: die herannahende Klimakatastrophe. Deshalb ist es auch so schwer, dieses Buch als Buch zu bewerten und nicht die zugrundeliegende Problemstellung, der wir uns widmen sollten, der ja aber auch eigentlich bereits der Autor fachlich begegnet ist und seine Auswertung sprachlich sehr gut aufgearbeitet an uns weitergibt.

Schon mit "Tiere essen" hat Jonathan Safran Foer bewiesen, was er kann: Fakten sammeln, recherchieren, seine Ergebnisse in einem lesenswerten Werk, fernab jeder öden Schullektüre, bündeln, und für alle Menschen verständlich machen. Mit "Wir sind das Klima" ist ihm dies nun ein zweites Mal geglückt.

Unser Umgang mit dem Klima ist ein komplexes Thema und obwohl 97% aller mit dessen Untersuchung betrauten Wissenschaftler zum selben Ergebnis gekommen sind, und zwar dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, gibt es dennoch Leugner. Dazu zählen Trump oder Konzernchefs aus Öl- und Kohlelobbies, aber eben auch Menschen aus unser aller Bekanntenkreis. JSF nutzt Ereignisse aus seiner eigenen, jüdischen Familiengeschichte, um dem Leser dieses Phänomen begreifbar zu machen - dass zwischen verstehen und begreifen ein Unterschied liegt. Das ganze Ausmaß kann dem Menschen auch unmöglich begreifbar werden, da wir doch von den unmittelbaren Ausmaßen unserer menschengemachten Klimaveränderung gar nicht betroffen sind - die Folgen dessen treten weit weg auf, also fällt es schwer, daran zu glauben.

Was es braucht, um den entscheidenden Stoß in die richtige Richtung zu geben, ist kein Einzelfall von "hysterischer Kraft", sondern eine "Welle", die alle mitreißt, die die gemeinsame Kraft aller Menschen zusammenschließt, um ein höheres Ziel zu verfolgen: Unseren Planeten zu schützen und für kommende Generationen lebenswert zu erhalten. Und das muss gar nicht so schwer sein. JSF führt viele Faktoren auf, die das Klima beeinflussen und gegen welche wir ganz einfach sogar selbst etwas unternehmen können.

Es war ein Schlag für mich, die konkrete Prozentzahl noch einmal zu hören: 51%. Ganze 51% der Schadstoffemissionen entstehen aus Massentierhaltung, wow. In diese Zahl ist sowohl die abgeholzte Fläche von Regenwald für den Futteranbau, der Ausstoß der Tiere selbst, die dadurch verdrängte Anbaufläche und der vermehrte Lastverkehr eingerechnet. Krass, was wir für Fleisch, Käse und Ei auf uns nehmen - die Erde zu vergiften. Es ist ein Luxus, in dem wir leben, und wir können der Gefährdung, die davon ausgeht, eigentlich so einfach entgegenwirken, bei jeder Mahlzeit. Natürlich wird das nicht komplett ohne staatliche Eingriffe möglich sein, aber auch wir, jeder Einzelne, können ein Teil davon sein und bereits jetzt, bevor es zu irreversiblen Folgen des Klimawandels kommt, etwas tun: viel weniger Fleisch, Milch, Käse, Ei essen, dafür mehr Gemüse, mehr Hülsenfrüchte, mehr Getreide. Sachen, die sich leichter, klimafreundlicher und nachhaltiger anbauen lassen. Seltener das Auto nutzen, Flugstrecken vermeiden.

JSF beschreibt sehr bildlich, wie jede Generation darauf aus ist, mehr Besitztümer und Luxus als die vorherige Generation zu erwirtschaften. Aber ist es das denn wert, wenn wir es auf Kosten unserer einzigen Heimat tun? Wie sich unsere Handlungen verändern, wenn wir einen Blick auf unsere Erde umringt vom dunklen All oder auf unser gealtertes Ich blicken, all das sind Aspekte, die im Buch aufgearbeitet werden, um uns selbst zu verstehen und unser Verständnis für die Zukunft zu erweitern.

Das Buch ist durch Christoph Maria Herbst sehr lebendig geworden, nie langatmig oder langweilig, sehr akzentuiert und verständlich eingesprochen, insgesamt wirklich sehr gut! Einzig die Zahlen sind mir schwergefallen, ich bin ein bildlicher Typ, hätte sie gern vor mir gesehen, konnte mir aber trotzdem einige merken.

Veröffentlicht am 29.10.2019

Wunderschön geheimnisvoll

Das Geheimnis von Shadowbrook
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Clara Waterfield leidet an der seltenen Glasknochenkrankheit "Osteogenesis imperfecta" - ein schöner Name für ein ungeheuerliches Leiden, bei dem selbst kleine Erschütterungen Knochenbrüche auslösen können. ...

Clara Waterfield leidet an der seltenen Glasknochenkrankheit "Osteogenesis imperfecta" - ein schöner Name für ein ungeheuerliches Leiden, bei dem selbst kleine Erschütterungen Knochenbrüche auslösen können. Claras Mutter und ihr Ziehvater polsterten deshalb das Haus, um zu verhindern, dass sie sich stieß. Rausgehen durfte sie nie, stattdessen verbrachte sie die langen Tage mit Lesen und Lernen und entdeckte für sich Anatomie und Geografie. Ihre Mutter erzählte ihr außerdem von ihren Reisen und Erlebnissen, wie es sich anfühlt im Regen zu stehen oder barfuß im frühmorgendlich taunassen Gras. Die Beschreibungen könnten schöner und bildlicher kaum sein.
Als Clara volljährig wird, erlaubt der Arzt ihr Ausgänge, da ihre Knochen inzwischen kräftiger und widerstandsfähiger geworden sind. Die sind allerdings geprägt von Unsicherheit, da ihr Körper durch falsch zusammengewachsene Knochenbrüche entstellt ist und ihr das Wort "Krüppel" überallhin folgt. Ihre Besuche im Tropenhaus eines Botanischen Gartens wecken ihr Interesse an Botanik und bescheren ihr den Auftrag, ein Gewächshaus auf Shadowbrook zu bepflanzen. Angekommen in Shadowbrook begegnet sie einer verängstigten Haushälterin, da es im Haus offenbar spukt. Daran glaubt die tapfere und durch Wissenschaft geprägte Clara nicht - oder doch?

Das Buch besticht bereits in der Optik, denn das Coverdesign und die Veredelung sind wirklich atemberaubend umgesetzt. Anfangs konnte ich mich kaum sattsehen. Wer dieses Buch einmal zur Hand nimmt, wird es nicht wieder weglegen können. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen, am Sonntag, unter einer Decke versteckt.

Die Erzählweise ist gemächlich, fordert zwischendurch immer mal etwas Geduld, ist aber dabei gut strukturiert. Die Sprache ist der Zeit entsprechend, sehr bildhaft und bei Beschreibungen exakt. Susan Fletcher hat meiner Meinung nach ein unglaubliches Erzähltalent. Sie lässt den Leser zu Anfang Claras Gefängnis, Sehnsüchte und Schmerzen spüren, später ihr Aufblühen in der neuen Tätigkeit. Die Beschreibungen von Shadowbrooks Gärten sind unfassbar gut gelungen und die von Claras Beobachtungen in den Spuknächten im Haus sogar noch besser. Ein ums andre Mal habe ich beim Lesen die Decke ein Stück höher gezogen und vor Spannung Gänsehaut im Nacken kribbeln gespürt - stark! Selbst die schnellen Handlungsszenen, die für den Leser oft unübersichtlich werden können, hat Susan Fletcher fabelhaft geschildert. Am Ende des Buches hat man als Leser das Haus und die Gartenanlage so gut vor Augen wie das eigene Heim. Dabei wird es nicht eine Minute langweilig, denn die Geschichte bedient sich sehr vieler Themen, die perfekt zusammenspielen, unter anderem das damalige Frauenbild, den Ausbruch des 1. Weltkrieges, dörfliche Atmosphäre voller Vorurteile und Familienzwist.

"Das Geheimnis von Shadowbrook" ist für mich eins der Lesehighlights 2019. Klare Empfehlung!