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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.02.2022

Thematisch schwer auszuhalten, sensationelle Sprache

Unter Deck
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Olivia, auch Liv oder Oli genannt, ist die Protagonistin dieses sehr treffend betitelten Romans. Liv wächst in einer wohlhabenden Welt auf. Der für sie vorgedachte Lebensweg passt dennoch nicht. Erfüllung ...

Olivia, auch Liv oder Oli genannt, ist die Protagonistin dieses sehr treffend betitelten Romans. Liv wächst in einer wohlhabenden Welt auf. Der für sie vorgedachte Lebensweg passt dennoch nicht. Erfüllung findet Oli dank eines älteren Pärchens in den Weiten des Ozeans bis ihr dieser Lebenstraum kaputt gemacht wird.

Thematisch geht es um die Emanzipation vom Elternhaus, um die Ausrichtung des eigenen Lebens, um Selbstbehauptung, um den Umgang mit Schicksalsschlägen und leider auch um sexuelle Gewalt und deren Folgen. Die damit verbundenen Emotionen und Gedanken der Protagonistin sind so intensiv beschrieben, dass das Lesen für mich zeitweise schwer zu ertragen war. Dennoch finde ich die Art der Auseinandersetzung passend. Die Gewalt darf einfach nicht weichgespült daherkommen, weil das aus meiner Sicht einer Verharmlosung gleichkäme.

Sophie Hardcastle‘s Einsatz von Farben zur Unterstreichung von Gefühlen hat es mir besonders angetan. Ich konnte mich megamäßig in die Protagonistin hineinversetzen - deshalb war es ja so schwer zu ertragen - und fühlte mit ihr, wirklich schlimm. Dieser Stil hat mich begeistert.

Etwas kritischer habe ich die Aufteilung des Romans in seine vier Teile gesehen. Der Szenenwechsel war mir dabei besonders in der ersten Buchhälfte zu abrupt. Der damit verbundene Schlag ins Gesicht - so fühlte es sich für mich an - ist noch stärker ausgefallen. Ich glaube auch, dass der entstandene Effekt beabsichtigt war. Mich hat der Szenenwechsel komplett aus dem Lesefluss gerissen und es hat überdurchschnittlich lange gedauert, bis ich mich wieder eingefunden hatte.

Insgesamt bin ich zufrieden mit dem Roman. Ich finde es auch gut, dass hier ungeschönt über sexuelle Gewalt gesprochen wird, ein Thema, das nicht ausgespart werden darf. Ich spreche eine eingeschränkte Leseempfehlung aus. Man sollte den Roman nur lesen, wenn man sich emotional fit fühlt, ansonsten sollte man sich den Roman für später vormerken. Lesenswert ist er in jedem Fall.

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Veröffentlicht am 09.02.2022

Etwas weniger, wäre mehr gewesen

Das Nest
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Das Nest ist der vierte Teil der Kopenhagen-Krimiserie um Jeppe Kørner und Anette Werner. Der Fall beginnt mit einem verschwundenen Jungen, Oscar, besser gesagt einem 15-jährigen jungen Mann aus gutem ...

Das Nest ist der vierte Teil der Kopenhagen-Krimiserie um Jeppe Kørner und Anette Werner. Der Fall beginnt mit einem verschwundenen Jungen, Oscar, besser gesagt einem 15-jährigen jungen Mann aus gutem Hause. Sofort liegt Druck auf den Ermittlungen. Als nach ersten Befragungen auch noch ein junger Mann in der hiesigen Müllverbrennungsanlage gefunden wird, ist das undurchsichtige Gebilde perfekt.

Das Konstrukt aus Gewinnmaximierungsinteressen, dem Verhalten von Oscars Eltern und Umfeld sowie aus geheimnisvollen Inseln und ihren Wärtern fand ich dieses Mal nicht so perfekt gelungen, wie ich es von Katrine Engberg gewohnt bin. Die verwobenen Themen passten für mich nicht ganz so gut zusammen. Zudem dauert es ein Buchdrittel bis die „Bombe“ endlich platzt und man wirklich mitfiebern konnte. Vielleicht hätten es auch insgesamt weniger Themen sein können. Ich fand den Roman ganz schön überladen.

Vielleicht dadurch kommen auch meine Lieblinge, Esther und Gregers, ein wenig zu kurz. Von den beiden hätte ich mir mehr Wortmeldungen gewünscht. Anette zeigt für mich erstmals echte emotionale Schwächen. Das hat mir gut gefallen, weil es die toughe Ermittlerin menschlicher erscheinen lässt. Jeppe strauchelt wie so oft in seiner Beziehung, bleibt sich treu.

Insgesamt ist „Das Nest“ ein solider Krimi, der leider unter dem Niveau der Vorgänger bleibt. Wer Jeppe und Anette bereits kennt, wird diesen Krimi trotzdem gern lesen.

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Veröffentlicht am 04.01.2022

Bunter Blumenstrauß leckerer Gerichte aus gesunden Zutaten

WW - 100 Top Mix Rezepte
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Das WW Kochbuch präsentiert seine Mix Rezepte jeweils auf Doppelseiten, wobei eine Seite immer das fertige Gericht abbildet und die gegenüberliegende Seite sowohl Zutatenliste als auch Zubereitungsbeschreibung ...

Das WW Kochbuch präsentiert seine Mix Rezepte jeweils auf Doppelseiten, wobei eine Seite immer das fertige Gericht abbildet und die gegenüberliegende Seite sowohl Zutatenliste als auch Zubereitungsbeschreibung enthält. So macht das Kochbuch schon beim Durchblättern Appetit.

Auffällig und wirklich zu begrüßen ist, dass hier fast ausschließlich gängige Zutaten verwendet werden. Man muss also keine teuren Gewürze oder Ähnliches kaufen, was nie wieder benötigt wird. Thematisch deckt das Kochbuch viele Gerichtsarten ab. Es gibt Suppen, Salate und Pasta, Fleisch und Fisch, aber auch eine kleine Brotauswahl und Desserts. WW typisch sind alle Gerichte mit PersonalPoints Werten versehen, die sich aus meiner Sicht nur als WW Mitglieder sinnvoll nutzen lassen. Für alle anderen sind kcal und kJ angegeben. So gibt das Kochbuch denjenigen, die ihre Energieaufnahme im Blick behalten wollen, Orientierung.

Ich selbst habe bisher den Thunfischsalat mit Schafskäse, den Kartoffelsalat mit Radieschen und Lachs und das Titelrezept zubereitet. Die drei Gerichte waren lecker, sättigend und kindertauglich. Für die Zubereitung habe ich ein Alternativgerät zu TM 5/6 verwendet. Die Beschreibung lässt sich sehr gut übertragen. Demnächst möchte ich noch die Gerichte mit Hühnchen und Garnelen ausprobieren, als Beilage vielleicht mal eins der Brote. Ich freue mich schon drauf.

Was ich nicht sicher sagen kann, ist, ob man mit diesen Rezepten wirklich abnehmen kann. Dafür sind sie eigentlich zu schmackhaft und zu komfortabel zuzubereiten. Den inneren Schweinehund, wirklich nur eine Portion zu essen, muss man letztlich selbst überwinden. Wichtiger ist mir auch die Verwendung von frischen, meist unverarbeiteten Produkten sowie die Produktvielfalt. So koche ich nicht immer wieder die selben Gerichte und sorge für mehr Abwechslung in unserer Ernährung.

Ich kann dieses schöne Kochbuch nur empfehlen. Selbst Neulinge und Kochmuffel sollten damit gut zurecht kommen.

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Veröffentlicht am 28.12.2021

Zukunftsvision: Konsumwahn plus Vereinsamung

Die Flüchtigen
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Die Flüchtigen von Alain Damasio ist ein herausforderndes Meisterwerk und eins meiner Lesehighlights in 2021. Schon die äußere Erscheinung ist beeindruckend. Der halbtransparente Kolibri in der Bubble-Cloud ...

Die Flüchtigen von Alain Damasio ist ein herausforderndes Meisterwerk und eins meiner Lesehighlights in 2021. Schon die äußere Erscheinung ist beeindruckend. Der halbtransparente Kolibri in der Bubble-Cloud ist gerade noch zu erkennen, Licht und Schatten erscheinen unbestimmt. Fast gar nicht zu erkennen sind Autor und Titel des Romans. Beides lässt sich leichter fühlen als lesen. Alles schwimmt, scheint ständig in Bewegung zu sein. So gibt bereits das Cover in Grundzügen preis, was die Leser:innen erwartet.

Es gibt eine urbane Legende, wonach sogenannte Flüchtige existieren, die in toten Winkeln leben, immer dort, wohin wir Menschen gerade nicht schauen und dadurch für uns nicht wahrnehmbar sind. Lorca und Sahar, die Protagonisten des Romans haben vor zwei Jahren ihre Tochter Tishka verloren. Sie ist einfach über Nacht aus ihrem Kinderzimmer verschwunden, ohne dass es auch nur einen Hinweis auf einen Einbruch oder Ähnliches gegeben hätte. Während Sahar an eine Entführung glaubt und sich an Schreckensszenarien zermartert, verfolgt Lorca die Theorie der Flüchtigen. Er vermutet, Tishka ist mit den Flüchtigen mitgegangen. Deshalb lässt er sich auch zum Flüchtigenjäger ausbilden. Lorca glaubt fest daran, dass seine Tochter am Leben ist und dass er sie wiederfinden kann.

Eingebettet ist die Suche nach der verschollenen Tochter in eine überwachte, von maximalen Konsum bestimmte Welt um 2040. Städte, die wir heute kennen, gehören Konzernen. Der Zutritt innerhalb der Städte ist über Tarife geregelt. Für ein bequemes Leben, braucht es schon mindestens ein Premiumpaket. Darüber hinaus wird jeder ständig mit personalisierter Werbung gequält. Die Menschen insgesamt wirken gehetzt. Zur Finanzierung des eigentlich Unnötigen müssen sie teilweise erniedrigenden Jobs nachgeben. Für echtes Miteinander bleibt keine Zeit, das letzte Fünkchen Freizeit verbringen die Menschen in ihrer virtuellen Realität. Jeder verliert sich somit in der für ihn gedachten Blase.

Damasio zündet mit seinem Roman ein regelrechtes Feuerwerk kreativer Fortschreibung unseres aktuellen Lebens in die Zukunft, immer gespickt mit einem Pfund Gesellschaftskritik. Es ist kaum möglich, im Nachhinein alle Aspekte seines Romans wiederzugeben, geschweige denn, dies in sortierter Form zu tun. Damasio beschäftigt sich mit unserem rücksichtslosen Überkonsum und dessen Folgen für Flora und Fauna, mit den Möglichkeiten des technischen Fortschritts, wie dieser uns mental und körperlich evolutionstechnisch zurück schreiten lässt, sowie mit sozialer und kultureller Ausgrenzung. Dabei bedient sich der Autor einer gehobenen, mal wissenschaftlichen, mal philosophischen Sprache, die insgesamt noch recht flüssig lesbar ist.

Das ist allerdings noch nicht das Ende seiner kreativen, in meinen Augen schon künstlerischen Arbeit. Damasio fügt Besonderheiten in der Typografie ein. Der normale Fließtext wird mit zusätzlichen Zeichen angereichert, die die Leser:innen führen. Teilweise sind Buchstaben unvollständig. Keine Sorge, durch die langsame Einführung lässt sich das gut verstehen. Im Verlauf arbeitet der Autor zusätzlich mit Schüttelwörtern, was ich faszinierend fand, weil das beim Lesen, sobald man sich darauf eingelassen hat, automatisch wieder ausgeglichen wird.

Mich konnte Damasio begeistern. Sein Ideenreichtum hat mich maximal überzeugt. Ich kann nicht behaupten, all seine Ausführungen zu hundert Prozent verinnerlicht, also mir gemerkt zu haben. Es ist halt kein Roman zum Nacherzählen. Entscheidender für mich war der Gesamteindruck, den der Roman mir vermittelt hat, und die Empfindungen, die er bei mir ausgelöst hat. Die Flüchtigen und die Menschen in ihrer KI-Blase haben mich intensiv, auch in den Lesepausen beschäftigt. Selbst jetzt, wo ich die Lektüre beendet habe, wirkt der Roman noch nach.

„Die Flüchtigen“, der etwas über ein Kilo schwere Roman von Alain Damasio benötigt Zeit. Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, den Roman in Zehn-Seiten-Tranchen zu lesen. Gerade deshalb empfehle ich diesen hervorragend komplexen Roman gern all denjenigen, die mal ihre Komfortzone verlassen wollen und offen für experimentelles Lesen sind. Es lohnt sich.

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Veröffentlicht am 28.12.2021

Hommage

Die Unzertrennlichen
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Der bisher unveröffentlichte Roman von Simone de Beauvoir ist eine liebevolle Homage an ihre Jugendfreundin Zaza. Im Roman bedient sich die Autorin zweier stellvertretenden Rollen, Silvie für sich selbst ...

Der bisher unveröffentlichte Roman von Simone de Beauvoir ist eine liebevolle Homage an ihre Jugendfreundin Zaza. Im Roman bedient sich die Autorin zweier stellvertretenden Rollen, Silvie für sich selbst und Andrée für Zaza, um ihre autofiktionale Geschichte zu erzählen. Sie beginnt mit dem Kennenlernen in der Schule und endet mit dem sehr frühen Tod von Andrée. Die Geschichte selbst reflektiert die Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft Frankreichs. Thematisiert werden neben dem Zugang zu Bildung, Anforderungen an die Häuslichkeit einer jungen Dame sowie der eingeschränkte Bewegungsspielraum von sittsamen Frauen zu jener Zeit. Der gesamte familiäre Werdegang einer jungen Frau wird von der eigenen Mutter gemäß der festgelegten Wünsche der Familie überwacht.
 
So ergibt sich eine eingetrübte Stimmung im Roman, der die vielen kleinen Enttäuschungen von Silvie und Andrée aufsummiert. Die Hauptlast trägt Andrée. Von Kinder-Hüten bis Handarbeit hat Andrée viele Jobs, kaum Zeit für Freigeisterei. Da Andrée jedoch einen starken Hang zum Freigeist hat, ist Alles Unterdrückung für sie. Ich selbst hätte ebenfalls Schwierigkeiten so zu leben. Keine freie Auswahl hinsichtlich der Lektüre, keine zuverlässige Freizeit, um sie Freunden oder selbstgewählten Freuden zu widmen, kein selbstbestimmtes Leben.
 
In einem beschreibenden, aber nicht blumigen Stil erinnert sich Simone de Beauvoir an ihre Freundin. Als Quelle dienen ihr Briefe aus der gemeinsamen Korrespondenz, von denen einige im Anhang abgebildet und in Teilen auch übersetzt sind. Darüber hinaus sind Fotos der Freundinnen im Anhang zu finden. Dadurch gewinnt der Roman an Authentizität.
 
Mir hat die Unzertrennlichen gut gefallen, macht der Roman uns doch bewusst, wie viel Gleichberechtigung wir heute im Vergleich zu 1929 bereits erfahren haben, gleichzeitig auch, dass es sich lohnt in dieser Hinsicht am Ball zu bleiben, da langfristig tatsächlich ein wahrnehmbarer Effekt generiert wird.

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