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Veröffentlicht am 30.09.2024

Ein Highlight: inhaltlich, sprachlich, emotional

Hey guten Morgen, wie geht es dir?
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„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ – So oder so ähnlichen beginnen die DMs, die Juno fast täglich erhält. Die Absender heißen JimmyTaylor354, Phil Gibson 1973, Dr. Antonio Allessandro und sind ausnahmslos ...

„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ – So oder so ähnlichen beginnen die DMs, die Juno fast täglich erhält. Die Absender heißen JimmyTaylor354, Phil Gibson 1973, Dr. Antonio Allessandro und sind ausnahmslos attraktiv, erfolgreich, begehrenswert: Mal braungebrannt vor einer Yacht, mal mit Basecap und Dreitagebart. Mal ein General im Kadettenkostüm, mal ein Witwer, der in seiner Luxusküche Pancakes backt.

Natürlich weiß Juno, dass die Fotos genauso falsch sind wie die Accounts. Dass in Wahrheit irgendwelche jungen Männer am anderen Ende der Welt die kitschigen Nachrichten schreiben. Juno ist schließlich nicht blöd. Sie kann nur nicht schlafen …
Da kommen ihr die gefakten Galane gerade recht, helfen sie ihr doch unwissentlich dabei, die langen Nächte zu überstehen. Juno macht sich einen Spaß daraus, die Scammer zu scammen, ihnen die absurdesten Geschichten aufzutischen, sie so lange zu belügen, bis sie entnervt aufgeben, nicht mehr zurückschreiben, Juno blockieren.

Sie ist nicht so einsam wie die unzähligen Frauen, die auf solche Typen hereinfallen. Juno hat einen Beruf, den sie liebt, sie ist Tänzerin und Performancekünstlerin, tritt auch mit über fünfzig nach wie vor auf. Und sie hat Jupiter, der im Zimmer nebenan liegt, in seinem Pflegebett. Ihr Jupiter, der so klug ist und so hinfällig. Der immer häufiger Hilfe braucht bei alltäglichen Handgriffen. Das Geld ist knapp, die Wohnung nicht barrierefrei – aber es geht. Irgendwie.

Doch dann meldet sich Owen Wilson bei ihr, der natürlich nicht DER Owen Wilson ist, sondern Benu. Der in Nigeria lebt. Der Junos Geschichten ebenso durchschaut wie sie die seinen und trotzdem nicht lockerlässt. Und es entspinnt sich eine Verbindung, die so zart und zugeneigt ist, dass man sie beinahe für Freundschaft halten könnte …

„Hey guten Morgen …“ ist eines der berührendsten Bücher, die ich je gelesen habe, und schon jetzt eines meiner Lesehighlights – wenn nicht sogar DAS Highlight – dieses Jahres. Und mir fehlen tatsächlich die Worte, um zu beschreiben, wie sehr und auf wie vielen Ebenen der Roman mich erwischt hat: Da ist diese zarte Melancholie, die dennoch nie die Zuversicht und den Humor verliert. Die leise Poesie, die zugleich klar und leichtfüßig daherkommt. Figuren, die sich ihre Haltung allen Widrigkeiten zum Trotz bewahren. Und nicht zuletzt das kleine Glück, das manchmal als eine Schachtel Spekulatius daherkommt, weit vor dem Advent.

Ganz, ganz, GANZ große Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 30.09.2024

Ein respektables Debüt mit kleinen Schwächen

Kein Land in Sicht
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Es ist ein Albtraum, der nach dem Erwachen erst richtig losgeht: Eine Frau erwacht in einer Kabine auf einem Kreuzfahrtschiff – ohne jegliche Erinnerung daran, wer sie ist und wie sie dorthin kam. Das ...

Es ist ein Albtraum, der nach dem Erwachen erst richtig losgeht: Eine Frau erwacht in einer Kabine auf einem Kreuzfahrtschiff – ohne jegliche Erinnerung daran, wer sie ist und wie sie dorthin kam. Das Einzige, was sie mit Gewissheit weiß, ist: Sie hat Angst vor Wasser. Und sie hasst Kreuzfahrten …

Mühsam begibt sie sich auf die Suche nach ihrer Identität, stets auf der Hut, dass niemand Umfeld ihre Amnesie bemerkt. Nach und nach stellen sich Erinnerungen ein, und die sind noch bestürzender als der Gedächtnisverlust: Sie ist Kriminalkommissarin Sarah Peters und wurde undercover in die Crew eingeschleust, um den Drahtziehern eines ungeheuerlichen und noch immer fortdauernden Verbrechens auf die Spur zu kommen. Und sie war nicht allein – doch von ihrem Partner fehlt jede Spur. Sarah erkennt, dass sie niemandem trauen darf und dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt …

„Kein Land in Sicht“ ist ein unterhaltsamer, flott geschriebener Krimi mit einem interessanten Setting, wunderbar undurchsichtigen Figuren sowie einem Fall, dessen Kerngedanke dankenswerterweise nicht schon in unzähligen anderen Krimis verwendet wurde und der deshalb durchaus überrascht.

Doch gab es für mich auch einige kleine Schwächen: Aufgrund der zwei parallelen Erzählstränge werden der Leserschaft wichtige Aspekte enthüllt, bevor die Protagonistin sie erfährt. Das hat bei mir die Spannung gedämpft, ich hätte es bevorzugt, die bestürzende Wahrheit gemeinsam mit Sarah zu entdecken. Gleiches gilt für die streckenweise sehr ausführlichen Backstorys der Nebenfiguren sowie die detaillierten Beschreibungen der Arbeiten auf dem Schiff: Auch sie empfand ich als vom Eigentlichen ablenkend und spannungsbremsend. Und dann ist da noch Sarah selbst, mit der ich zwar mitgefiebert habe, die jedoch – Amnesie hin, Amnesie her – bisweilen erschreckend ungeschickt, ja naiv agierte.

Dennoch ist „Kein Land in Sicht“ insgesamt ein respektables Debüt, das seinen Leser*innen einige kurzweilige Lesestunden schenkt.

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Veröffentlicht am 07.09.2024

Mehr als ein"Frauenroman"

Die Frauen von Maine
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Als Kind war es ihr ein Zufluchtsort vor den prekären Verhältnissen daheim, nun, als Erwachsene, zieht es Jane erneut dorthin: das verlassene, verwunschene Haus auf der Klippe an der Küste Maines. Und ...

Als Kind war es ihr ein Zufluchtsort vor den prekären Verhältnissen daheim, nun, als Erwachsene, zieht es Jane erneut dorthin: das verlassene, verwunschene Haus auf der Klippe an der Küste Maines. Und es scheint, als hätten das Haus und die Frau eine gegenläufige Entwicklung durchlebt: Während Jane vor den Trümmern ihrer Existenz steht, erstrahlt das Haus, von seinen neuen Besitzern von Grund auf saniert, in beinahe groteskem Glanz. Als Genevieve, die überspannte Hausherrin, Jane bittet, mehr über ihr neues Domizil herauszufinden, zögert diese zunächst. Hat sie nicht schon genug damit zu tun, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen? Als Jane den ungewöhnlichen Auftrag letztlich annimmt, taucht sie nicht nur tief in die Geschichte des Hauses ein, sondern auch in die Maines – und letztlich ihre eigene.

Wer bei dem Titel „Die Frauen von Maine“ von J. Courtney Sullivan an einen „Frauenroman“ denkt … hat zweifellos recht. Ja, es sind Frauen, die im Mittelpunkt stehen, ihre Schicksale, Hoffnungen und Sehnsüchte, ihre Wünsche und Verluste. Es geht um Liebe und Freundschaft, um Mütter und Kinder, um Trauer und die Suche nach Glück. Doch wird diese mehrere Generationen umspannende Geschichte so fesselnd erzählt und streift so viele Facetten, die über die fiktiven Lebensgeschichten der Romanfiguren hinausgehen (die Geschichte des Bundesstaates Maine und seiner indigenen Bevölkerung, die religiöse Tradition der Shaker), dass sich dieser Roman durchaus von anderen seines Genres abhebt. Im besten Sinne (!) gute Unterhaltung, die für einige Stunden aus dem Alltag entführt.

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Veröffentlicht am 13.12.2023

Flüssige Lektüre mit leichten Nebenwirkungen

Kochen im falschen Jahrhundert
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„Die Gastgeberin hatte von einem offenen Haus fabuliert, von internationalen Gästen, die die internationalen Zeitungen lesen. Man wäre gebildet und liberal, alles das aber keineswegs aufgesetzt oder demonstrativ. ...

„Die Gastgeberin hatte von einem offenen Haus fabuliert, von internationalen Gästen, die die internationalen Zeitungen lesen. Man wäre gebildet und liberal, alles das aber keineswegs aufgesetzt oder demonstrativ. Die Speisen kämen ohne viel Aufwand auf den Tisch.“

Die Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet, die Playlist (Jazz, was sonst?!) sorgfältig kuratiert, das Essen vordergründig unprätentiös, doch exzellent, die Gäste ausgewählt: Nun kann eigentlich nichts mehr schiefgehen bei dieser großstädtischen, stilvollen Dinnerparty im kleinen Kreis. Und doch ist die namenlose Gastgeberin (namenlos bleiben auch der Gastgeber und die Gäste, ein befreundetes Ehepaar und „der Schweizer“) trotz scheinbarer Gelassenheit ein Nervenbündel. Denn Mühelosigkeit ist wahrlich harte Arbeit …

In verschiedenen Szenarien lässt Teresa Präauer immer wieder denselben Abend passieren. Mal kommt der eine, mal die anderen zu spät. Mal drehen sich die Gespräche um dieses, mal um jenes Thema. Und mit jeder Variation wird der Druck größer, der Ton garstiger, die Anspannung höher. Linderung verschafft einzig die – überaus berührend und poetisch beschriebene – Erinnerung an die Kindheit, in die die Gastgeberin sich flüchtet. Und der Crémant.

Ich muss gestehen, dass der Roman mich ein wenig ratlos zurücklässt. Er liest sich (buchstäblich) sehr flüssig, will sagen: Man fließt durch die Lektüre wie der Alkohol durch die Kehlen der Figuren. In seinen besten Momenten – und davon gibt es zahlreiche – ist er wunderbar entlarvend, und doch bleibt ein vages Gefühl von „Da hätte irgendwie noch mehr kommen können“ zurück, ein bisschen wie der pelzige Geschmack auf der Zunge nach zu viel Schaumwein.

Alles in allem war es für mich ein überaus unterhaltsames, kurzweiliges Leseerlebnis, das allerdings meine (möglicherweise zu hohen) Erwartungen nicht vollkommen zu erfüllen vermochte. Doch das mag, möchte ich ausdrücklich betonen, auch an mir und weniger an dem Roman gelegen haben.

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Veröffentlicht am 27.06.2023

Die Architektur ist eine Frau

Das Haus am Meeresufer
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„An manchen Tagen rettete mich die Liebe, an anderen die Architektur.“

Paris in den Zwanzigerjahren. Als ihre Liebe zu der Chansonnière Damia zerbricht, ist es die Architektur, die der Interieurkünstlerin ...

„An manchen Tagen rettete mich die Liebe, an anderen die Architektur.“

Paris in den Zwanzigerjahren. Als ihre Liebe zu der Chansonnière Damia zerbricht, ist es die Architektur, die der Interieurkünstlerin Eileen Gray eine neue Lebensperspektive bietet. Die Architektur – und dann doch wieder die Liebe. Aus der anfangs behutsamen Freundschaft zu dem um etliche Jahre jüngeren Architekturkritiker Jean Badovici entwickelt sich erst eine tiefe Verbundenheit, die von gegenseitigem Respekt und wechselseitigem Lehren und Lernen geprägt ist, und schließlich, beinahe unvermeidlich: Liebe.
Während die Öffentlichkeit noch uneins ist, was sie von der ungewöhnlichen Formensprache Eileens halten soll – die einen rühmen sie als eigengeprägte und originelle Künstlerin, während die anderen sie als „Caligaris Tochter“ verhöhnen –, ist Jean von Eileens Talent beeindruckt und überzeugt. Er erkennt ihr Potenzial, ihre Originalität, ihr kompromisslos klares Design als das, was es ist: absolut einzigartig. Modern. Visionär.

„‚Zeig der Welt, was du kannst. Ich weiß schon jetzt, dass dein Haus außergewöhnlich werden wird, Eileen.‘
Es gehört uns beiden, Jean. Das Haus sind wir. Du und ich.‘“

Bestärkt durch Jeans unerschütterliches Vertrauen in ihr Können, wagt Eileen sich an ihr bislang größtes, letztlich bahnbrechendes Vorhaben: Sie baut ihm eine Villa an der französischen Riviera: E.1027, die „maison en bord de mer“, das Haus am Meeresufer. Doch wo außerordentliches Talent ist, sind Selbstsucht und Missgunst nicht fern. Erst recht, wenn die derart talentierte Person eine Frau ist, zudem eine, die in einem männlich dominierten, nach Aufmerksamkeit gierenden Metier „in leisen Farben denkt“. Wie soll, wie kann man in einer solchen Welt bestehen, wenn das Grelle und das Laute in die eigene Stille und Klarheit einbrechen, wenn die feine Grenze zwischen Bewunderung und Neid verwischt, ja verschwindet?

Joséphine Nicolas schafft es wie keine Zweite, Frauen, die in der kollektiven Wahrnehmung allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen, aus der Dunkelheit des Vergessens zu befreien und ihnen eine eigene, unverwechselbare Stimme zu verleihen. Nach ihrem fulminanten Romandebüt „Tage mit Gatsby“, in dem sie Zelda Fitzgerald aus dem erdrückenden Schatten ihres berühmten Ehemannes Scott hat treten lassen (wer es noch nicht gelesen hat, dem sei die Lektüre an dieser Stelle wärmstens empfohlen!), widmet sie sich in ihrem neuen Roman der Avantgardistin Eileen Gray. Versiert und detailliert recherchiert, literarisch überzeugend und sprachlich betörend zeichnet die Autorin ein eindringliches Bild einer bewunderten und beneideten, gefeierten und unverstandenen, etwas spröden und gleichzeitig herzzerreißend feinsinnigen Frau, die den ästhetischen Konventionen ihrer Zeit ihr Ausnahmetalent und ihre visionäre Kraft entgegensetzte: das kongeniale Porträt einer (fast) vergessenen Ikone. Für mich ein Jahreshighlight, das ich von ganzem Herzen weiterempfehle!

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