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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.01.2020

Nicht schlecht, aber leider nicht besonders originell

Draussen
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Das Autorenduo Klüpfel/Kobr hat ein neues Buch vorgelegt. Dieses Mal geht es jedoch nicht ins Allgäu zu dem knuffig-eigensinnigen Kommissar Kluftinger, sondern in die Wälder Brandenburgs. Dort lebt das ...

Das Autorenduo Klüpfel/Kobr hat ein neues Buch vorgelegt. Dieses Mal geht es jedoch nicht ins Allgäu zu dem knuffig-eigensinnigen Kommissar Kluftinger, sondern in die Wälder Brandenburgs. Dort lebt das Geschwisterpaar Cayenne und Joshua unter dem sozialen Radar. Ihr Beschützer Stephan hält sie vor einer anfänglich nicht näher bezeichneten Gefahr versteckt, ihre Tage verbringen die Teenager mit einem harten und kräftezehrenden Überlebens- und Schusswaffentraining, mit Drill und Entbehrungen. Doch Cayenne wird zusehends unzufriedener – und misstrauischer. Existiert die von Stephan beschworene Gefahr tatsächlich? Warum können sie und ihr Bruder nicht endlich so leben wie normale Heranwachsende? Cayenne beginnt, leise zu rebellieren – und ahnt nicht, dass sie damit sich, ihren Bruder und auch Stephan in Lebensgefahr bringt.

Tjaaaa, da ist er also, der erste Thriller von Klüpfel/Kobr, die nach sechzehn Jahren Klufti (zumindest zeitweise) den Rücken gekehrt haben, um sich an einem anderen Genre, mit anderen Figuren und einem neuen Setting zu versuchen. Der Thriller spielt auf zwei Zeitebenen, der geschilderten Gegenwart und den in der Vergangenheit angesiedelten Tagebuch-Einträgen eines angehenden Fremdenlegionärs. Statt Allgäu-Charme gibt es einen wilden Mix aus Prepper-Wahn (das sind jene Menschen, die sich mit unterschiedlichem Elan auf ein Katastrophen-Szenario vorbereiten), Polit-Thriller und paramilitärischen Einsatz-Abgründen, gespickt mit ein bisschen Coming-of-Age, Légion-étrangère-‚Romantik‘ und Dystopie-Entwurf (es kommt tatsächlich zu einem landesweiten Blackout).

Klingt nach viel? Ja. Klingt nach zu viel? Auch ja. Leider. „Draußen“ enthält grundsätzlich viele Elemente, die einen guten Thriller ausmachen und vor allem in den letzten Jahren in Mode gekommen sind: eine weitestgehend isoliert lebende, hübsche, junge Protagonistin, eine Vaterfigur, deren Motive anfänglich nicht eindeutig sind bzw. im Laufe des Geschehens leises Misstrauen hervorrufen, eine Gefahr, die zunächst weit weg zu sein scheint, aber näher ist, als man denkt, die Verortung in einem ungewöhnlichen, doch grundsätzlich realitätsnahen Kontext, ein fulminanter Showdown. Und genau das ist das Problem: Dieser Thriller wirkt wie vom Reißbrett, man meint, alles irgendwie schon einmal irgendwo anders – und leider auch vielfach besser – gelesen zu haben, es fehlt, trotz der bemühten Prepper- und Fremdenlegions- Szenarien, schlichtweg an Originalität. Alles in allem ist es sicherlich kein schlechter Roman – aber gerade von diesen beiden hätte ich mir mehr erhofft. Beim nächsten Buch geht es hoffentlich wieder zurück ins Allgäu!

P.S. Eine Textstelle gibt es indes, die mir außerordentliche Freude bereitet hat. Ich liebe es, wenn Menschen mit einer gesunden Portion Selbstironie sich selbst auf den Arm nehmen können:

„Auf dem Fernseher im Schwesternzimmer stellte Jörg Pilawa gerade die nächste Quizfrage: ‚In welcher Region spielt die Krimireihe um Kommissar Kluftinger?‘ Rüdiger Brendow schüttelte den Kopf. Heute gab es wirklich nur Aufgaben für Flachpfeifen, vielleicht gar nicht so schlimm, dass er nicht daheim war. Er verschränkte die Arme und raunte: ‚Im Taunus natürlich, ihr Dussel.‘“

(Dafür gibt es von mir einen aufrichtigen und wohlverdienten Szenenapplaus!)

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Veröffentlicht am 06.01.2020

Rundum gelungener Krimi

Tod und kein Erbarmen
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Ein kleiner, ehemaliger Bergarbeiterort im Erzgebirge. Es ist Adventszeit, bitterkalt und verschneit, eigentlich ganz idyllisch – doch Erik Donner hat dafür keinen Sinn. Er hat sich hierher zurückgezogen, ...

Ein kleiner, ehemaliger Bergarbeiterort im Erzgebirge. Es ist Adventszeit, bitterkalt und verschneit, eigentlich ganz idyllisch – doch Erik Donner hat dafür keinen Sinn. Er hat sich hierher zurückgezogen, um nach einem Schicksalsschlag seinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Sein hehrer Plan wird von einer jungen Frau unterbrochen, die von seinen Ermittlungserfolgen gehört hat und ihn um Hilfe bittet. Vor zehn Jahren verschwand ihre kleine Cousine Violetta, doch die junge Frau ist überzeugt, dass Violetta noch lebt, und Erik soll ihr helfen, sie zu finden. Am nächsten Morgen ist die junge Frau tot und Erik erwacht blutverschmiert und ohne Erinnerungen in seinem Pensionsbett. Ist er in den Mord verwickelt? Lebt Violetta tatsächlich noch? Was ist in der vergangenen Nacht geschehen? Und was passierte wirklich vor zehn Jahren? Erik Donner muss nun seine privaten Probleme beiseiteschieben, den Mordverdacht gegen sich entkräften und den oder die wahren Täter finden. Und er erhält Hilfe von unverhoffter Seite.

„Tod und kein Erbarmen“ ist der nunmehr siebte Band der Reihe um Kommissar Erik Donner – und mein erster, wie ich gestehen muss. Aber keinesfalls mein letzter, so viel steht fest, denn dieser Krimi ist aus meiner Sicht rundum gelungen: ein interessanter Fall mit unerwarteten Wendungen, gelungene Figuren, die teilweise sehr skurril sind, allerdings nie – und das ist bemerkenswert – ins Klamaukige abrutschen, dazu das atmosphärische Setting des verschneiten Erzgebirges, durch das die Legende des gespenstischen Steigers geistert, der wehrlose Menschen in seine tiefen Stollen hinabzieht (und durch das das andauernd das Steigerlied weht – das war das erste Mal, dass ich beim LESEN einen Ohrwurm hatte!).

Ich habe es ausgesprochen gern gelesen und deshalb: absolute Leseempfehlung an alle Krimifans!

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Veröffentlicht am 26.11.2019

Ein nachdenklich stimmendes Buch

Die Frau, die nicht alterte
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„Das Alter ist ein Triumph.“

So endet „Die Frau, die nicht alterte“ von Grégoire Delacourt, ein Buch, das sich mit dem Altern – oder vielmehr Nicht-Altern – befasst. Erzählt wird die Geschichte von Martine, ...

„Das Alter ist ein Triumph.“

So endet „Die Frau, die nicht alterte“ von Grégoire Delacourt, ein Buch, das sich mit dem Altern – oder vielmehr Nicht-Altern – befasst. Erzählt wird die Geschichte von Martine, die mit dreißig Jahren aufhört, äußerlich älter zu werden. Zunächst fällt dies gar nicht auf, doch ein auf Jahrzehnte angelegtes Foto-Projekt, dessen Teilnehmer jedes Jahr fotografiert werden, bringt es ans Licht: Man sieht ihr das wahre Alter einfach nicht an. Was zunächst klingt wie der Traum vieler Frauen, wird mehr und mehr zur Last. Ihr Ehemann, der mit Martine alt werden wollte (und das buchstäblich), zieht sich zurück. Ihr kleiner Sohn wird zum Jugendlichen, zum jungen Erwachsenen, zum Erwachsenen, doch seiner Martine sieht man zusehends weniger an, dass sie seine Mutter ist. Ihre beste Freundin Odette hadert mit dem eigenen Alter und unternimmt alles, um jung auszusehen – ohne jedoch darin das erhoffte Glück zu finden. Schließlich sieht Martine nur noch einen Ausweg und trifft eine drastische Entscheidung.

Ich brauchte eine Weile, um mich auf den Roman einlassen zu können, denn der Erzählstil ist sachlich, ja nüchtern: Chronikartig werden Martines erste Lebensjahre beschrieben, darunter auch Kleinigkeiten und (scheinbare) Belanglosigkeiten, wie „Seitdem ich abgestillt war, trank ich einen halben Liter Kuhmilch pro Tag … Mit drei Jahren ergänzten vier große Backenzähne die Sammlung in meinem Mund, die schon acht Schneidezähne, vier kleine Backenzähne und vier Eckzähne umfasste.“ (Pos. 16ff.)

Diese Nebensächlichkeiten zeigen, dass die ersten drei Lebensjahrzehnte der Protagonistin nicht im Geringsten erahnen lassen, welches merkwürdige Schicksal ihr beschieden ist, machten mir den Einstieg in den Roman aber auch etwas zäh. Dies änderte sich jedoch, als Martines fehlendes Älterwerden bemerkt wird und sie selbst sowie ihre Umwelt mit diesem denkwürdigen Umstand umgehen muss. Von diesem Moment an hatte mich die Geschichte gepackt und ließ mich auch lange nach Beendigung der Lektüre nicht mehr los: Wie wäre es tatsächlich, (äußerlich) nicht mehr zu altern? Ist das überhaupt erstrebenswert? Wie muss es sich anfühlen, wenn der eigene Sohn einen bittet, sich als Cousine auszugeben, weil er seiner Freundin unmöglich eine solch junge Frau als seine Mutter vorstellen kann? Ist Schönheit zwangsläufig nur mit Jugend gleichsetzbar? Warum fällt es vielen so schwer, sich mit dem alternden Äußeren zufriedenzugeben?

Fazit: Ein sanftes, stilles Buch, das zum Nachdenken (nicht nur) über das Altern anregt und das ich empfehlen kann.

Veröffentlicht am 26.11.2019

Fürchterlich belanglos

Die untalentierte Lügnerin
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„Die untalentierte Lügnerin“ ist der dritte Buchpreis-Longlist-Roman, den ich gelesen habe. Doch während mich „Das flüssige Land“ förmlich gefangen nahm und „Vater unser“ sogar zu meinen diesjährigen Lese-Highlights ...

„Die untalentierte Lügnerin“ ist der dritte Buchpreis-Longlist-Roman, den ich gelesen habe. Doch während mich „Das flüssige Land“ förmlich gefangen nahm und „Vater unser“ sogar zu meinen diesjährigen Lese-Highlights gehört, konnte ich mit Eva Schmidts Roman einfach nicht warmwerden.

Worum geht’s? Maren hat ihre Schauspielausbildung abgebrochen und kehrt, psychisch angeschlagen, zurück zu ihrer Mutter und dem Stiefvater in deren luxuriöses Domizil am See. Ihre kapriziöse und ebenfalls labile Mutter versucht sich als Künstlerin, der Stiefvater, ein wohlhabender Unternehmer, fungiert in erster Linie als Finanzier seiner Frau und der Stieftochter, der leibliche Vater ist Musiker in Wien und nur sporadisch verfügbar, der eine Bruder lebt in Finnland, der andere studiert in München. Maren weiß nichts mit sich anzufangen, ist auf der Suche nach sich selbst, trifft eine alte Freundin und ihren Ex wieder, beginnt, als Museumswächterin zu arbeiten, zieht zu Hause aus, weil sie und die Mutter sich ohne Unterlass in den Haaren liegen, zieht in die Firmenwohnung des Stiefvaters ein, stellt fest, dass er offenbar ein Doppelleben führt, zieht wieder aus … blaaablaaablaaa.

Man merkt: Weder Maren noch ihre Geschichte konnten mich berühren, und ich räume gerne die Möglichkeit ein, dass das an mir lag. Der Verlag preist diesen Roman als „Psychogramm ohne Psychologie“ an – was zu verstehen für mich bereits eine echte Herausforderung darstellt, wie ich gerne eingestehe. Offenbar reichen meine geistigen Kapazitäten nicht aus, um den tieferen Sinn dieses psychologiefreien Psychogramms zu ergründen, denn ich habe aus dem Buch nichts weiter herauslesen können als die trübsinnige, fürchterlich belanglose Geschichte einer wenig sympathischen, verwöhnten Göre, die dumpf vor sich hin brütet und durch ihr Leben mäandert, die sich erst verloren hat und sich nun sucht, ohne sich zu finden, und die sich den Großteil ihrer Probleme selbst zuzuschreiben hat. Jesses, ging die mir auf den Zeiger! (Und: Nein, die leicht verbrämte Auflösung über den Charakter von Marens offensichtlich sehr speziellem Verhältnis zu ihrem Stiefvater am Ende des Romans war auch keine große Überraschung.) Ergo: Von mir leider keine Empfehlung.

[Rezensionsexemplar]

Veröffentlicht am 04.11.2019

Guter Anfang - mehr auch nicht

Something she lost
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Auf der Halloween-Party, die Michael und Jillian alljährlich besuchen, ist noch alles in Ordnung: Sie treffen Freunde, Geschäftspartner und Kollegen, man lacht, trinkt, amüsiert sich. Doch der Heimweg ...

Auf der Halloween-Party, die Michael und Jillian alljährlich besuchen, ist noch alles in Ordnung: Sie treffen Freunde, Geschäftspartner und Kollegen, man lacht, trinkt, amüsiert sich. Doch der Heimweg verändert alles: Jillian, offensichtlich betrunkener als gut für sie ist, fällt sofort in Tiefschlaf, und auch Michael am Steuer fühlt sich zusehendes benommener. In letzter Sekunde kann er einem Mädchen am Straßenrand ausweichen. Erschrocken bietet er der Kleinen an, sie heimzufahren – doch das Haus, zu dem sie ihn lotst, wirkt verlassen und seit Jahrzehnten unbewohnt. Plötzlich verschwindet das Mädchen, nicht ohne Michael ein rätselhaftes „Komm und finde mich“ zuzurufen. Am nächsten Morgen ist Michael versucht, alles als einen schlechten Traum abzutun, doch das Mädchen lässt ihm keine Ruhe. Er macht sich tatsächlich auf, ihrer Aufforderung Folge zu leisten und ‚sie zu finden‘, doch das Haus und die Straße, die dorthin führt, ist nicht wiederzufinden. Zudem verändert sich Jillian mit jedem Tag mehr: die einstmals liebenswürdige, freundliche Frau wird zusehends gehässiger, feindseliger, gewalttätiger. Hat diese unselige Halloweennacht etwas damit zu tun?

George R. R. Martin, der Autor der „Game of Thrones“-Reihe, hält das Buch laut Klappentext für „wunderbar atmosphärisch und angsteinflößend“, Stephen King meint gar, es sei „ein brillanter Roman voll übernatürlicher Spannung“. Ich würde den beiden, die ich als Autoren durchaus schätze, wirklich gern zustimmen – aber ich kann es leider nicht. „Something She Lost“ hat im Grunde genommen alle Zutaten, die es für einen spannenden (Horror-)Roman braucht: Eine undurchdringliche Nacht (und es ist auch noch Halloween!), ein verlassenes großes Haus, das am nächsten Tag wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint, ein kleines Mädchen in Not und die drastische Persönlichkeitsveränderung der geliebten Ehefrau (wer denkt da nicht an Besessenheit?). Und tatsächlich fängt das Buch sehr vielversprechend und spannend an: Jillians todesähnlicher Schlaf, Michaels plötzliche Benommenheit, die zunehmend beklemmende Autofahrt über verlassene Straßen, das kleine, zarte Mädchen, das düstere Haus … doch leider wird diese anfängliche, gut konstruierte Spannungskurve mit jeder Seite flacher und flacher und flacher. Jillians Wandlung kommt eher plump daher, natürlich bekommt Michael ganz, ganz schnell Probleme in seinem Job, weil er sich mehr der Suche nach dem kleinen Mädchen widmet als seinem Projekt (und ich meine, wirklich schnell: Nach zwei, drei Tagen wird die berufliche Situation für den angeblich geschätzten Art Director schon brenzlig. Plausibel?!), schließlich tauchen auch noch gruselige Weibsbilder am Wegesrand auf, die Michael eine Heidenangst einjagen, die für mich als Leserin allerdings eine gewisse unfreiwillige Komik aufwiesen, und die Erklärung des Ganzen – ja, es ist etwas Übersinnliches, das darf es bei einem dem Horrorgenre zugeordneten Roman aber natürlich auch sein – war vergleichsweise schwach. Nach einem gelungenen Start letztlich leider ein Rohrkrepierer. Schade!