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Veröffentlicht am 04.10.2021

Eine ruhige, atmosphärische Geschichte

Der perfekte Kreis
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Ende der 80er Jahre in Südengland. Aus heiteren Himmel tauchen Woche zu Woche seltsame Muster auf den Kornfeldern. Die Bevölkerung ist ratlos bis ängstlich und die Presse freut sich über das neu gefundene ...

Ende der 80er Jahre in Südengland. Aus heiteren Himmel tauchen Woche zu Woche seltsame Muster auf den Kornfeldern. Die Bevölkerung ist ratlos bis ängstlich und die Presse freut sich über das neu gefundene Futter. Sind das Streiche von Jugendlichen oder haben sie Besuche von Aliens? Ungerührt von ganzen Wirbeln gehen zwei Männer Nacht zu Nacht auf den Feldern. Schweigsam, schwer bepackt mit Seilen und Pfosten und Veganer-Essen, achtsam, ohne ein einziges Korn zu schaden, drehen sie sich im Kreis. Redbone, ehemaliger Rocker, Calvert, Ex-Soldat. Zwei völlig verschiedene Männer, deren eigene Art und Weise Narben der Vergangenheit tragen. Eine ungewöhnliche Freundschaft geprägt von gleichem Freiheitsdrang, Einsamkeit, Liebe zur Natur und ein gemeinsames Ziel: Den perfekten Kornkreis zeichnen.

Mit leisen Tönen, ohne Hast, aber sehr bildhaft hat mich Benjamin Myers auf den Kornfeldern mitgenommen. Obwohl die Felder und Vergangenheit der Männer im Dunkeln liegen, hat er mir Stück für Stück den Weg beleuchtet. Am Ende bin ich nicht nur mit wunderschönen Kunstwerken belohnt, sondern konnte mich mit den beiden Männern anfreunden.

Es ist eine sehr ruhige, atmosphärische Geschichte, geschmückt mit poetischer Sprache und mit weniger aber interessanten Charakteren. Perfekter Roman um vom stressigen Alltag zu entfliehen, zum Abschalten und genießen.

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Veröffentlicht am 30.09.2021

Drogen gegen Geister

Ultraviolett
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Held zog aus Schweiz nach Berlin um zu studieren, zumindest hat er seinen Eltern es so erzählt. Eigentlich wollte er weit weg vom seinem alten „Geistern“. In Berlin zieht er erst mit seinem Kumpel und ...

Held zog aus Schweiz nach Berlin um zu studieren, zumindest hat er seinen Eltern es so erzählt. Eigentlich wollte er weit weg vom seinem alten „Geistern“. In Berlin zieht er erst mit seinem Kumpel und Mentor Eule durch die Nächte durch. Doch seitdem Eule ihn alleingelassen hat, um den Weihnachtsmann zu besuchen, stürzt Held sich ins Berliner Nachtleben allein hinein. Er schreibt eine Kolumne für ein Techno-Magazin um über die runden zukommen, feiert Nacht zu Nacht Technopartys, schmeißt eine Chemische-Pille nach dem anderen in sich hinein. Benebelt und zugedröhnt ziehen Helds Zwanziger vor ihm vorbei, bis er auf eine Party Mira trifft und er sich in die verliebt...

Dieses Buch ist nicht nur extrem Geschmackssache, sondern auch mit dem Alter des Lesers sehr verbunden. Denn ich habe mich mit meinem 38-Jahren in der Story verloren gefühlt. Meine „Drogenkarriere“ beschränkt sich auf paar Gläser Weißwein/Schorle, daher konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen, geschweige denn mitfühlen wie man sich unter den „Pillen“ fühlt. Dazu hat Herr Jecker nach meiner Meinung nach, einen sehr jugendlichen Schreib/Erzählstil, in dem er viele Jugendwörter benutzt, welche ich teilweise recherchieren musste. Das Buch ist nicht schlecht, nur ich bin zu alt für die Geschichte.

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Veröffentlicht am 27.09.2021

Etwas spezial

Der Kolibri
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Sandro Veronesis erzählt in seinem mit „Premio Strega 2020“ (wichtigsten Literaturpreis des Italiens) ausgezeichneten neuen Roman die Lebensgeschichte eines Augenarztes. Er erzählt über ein Mann, der eine ...

Sandro Veronesis erzählt in seinem mit „Premio Strega 2020“ (wichtigsten Literaturpreis des Italiens) ausgezeichneten neuen Roman die Lebensgeschichte eines Augenarztes. Er erzählt über ein Mann, der eine Tragödie die nächsten erleben musste, und zwar fast 70 Jahrelang, aber trotzdem versuchte seine Familie zusammenzuhalten.

Der Kolibri heißt Marco Carrera. Nicht dass er sehr flink wie ein Kolibri ist, sondern als Kind kleiner war als seine Altersgenossen. Er wächst in einer gutbürgerlichen Familie als mittleres Kind auf, spielt gern Tennis, noch gern Glücksspiele. Er studiert Medizin, verliebt sich in das sieben Jahre jüngere Nachbarmädchen, heiratet aber eine Flugbegleiterin und bekommt eine Tochter. Soweit so gut? Ja natürlich, denn was ich hier niedergeschrieben hab, ist chronologisch! Doch wie Herr Veronesis Marcos Lebensgeschichte erzählt, ist alles andere als zeitlich geordnet. Beim Lesen war ich selbst wie ein Kolibri. Mal bin ich vorwärts geflattert, mal rückwärts. Manchmal waren die Zeitspannen so auseinander entfernt, sodass ich immer wieder zurückblättern musste. Bin ehrlich: bis ich alles gemerkt habe, habe ich das halbe Buch gelesen! Obwohl Veronesis Sprache sperrig und der Aufbau sehr chaotisch ist, die Geschichte entwickelt eine Sogwirkung und ich wollte unbedingt weiterlesen, um die Gründe zu verstehen.

Dieser Roman ist wie ein kubistisches Bild, erst nach genauerer Betrachtung erkennt man Einzelheiten. Nicht schlecht, sondern etwas spezial.

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Veröffentlicht am 21.09.2021

Sucht, Armut und eine verlorene Kindheit

Shuggie Bain
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„Flammen sind nicht nur das Ende, sie sind auch der Anfang. Denn alles, was zerstört wird, kann wieder entstehen. Du kannst aus deiner eigenen Asche wieder wachsen.“ (S.271)

Kennt ihr diese Bücher, die ...

„Flammen sind nicht nur das Ende, sie sind auch der Anfang. Denn alles, was zerstört wird, kann wieder entstehen. Du kannst aus deiner eigenen Asche wieder wachsen.“ (S.271)

Kennt ihr diese Bücher, die man nicht lesen mag, aber trotzdem nicht aus der Hand legen kann? Die so Wort- und bildgewaltig geschrieben sind, einen unter die Haut geht, dabei auch extrem wütend macht? Obwohl man der Hauptfigur schon ersten Seiten ans Herz schließt, aber sein Leben zu folgen fast eine Qual wird? Shuggie Bain gehört für mich aus diese Kategorie der Bücher.

Hugh Bain, genannt auch Shuggie, wächst mit seinen beiden älteren Halbschwestern bei seiner alkoholkranken Mutter in Glasgow der 80er Jahre auf. Sein Umfeld ist geprägt von Arbeits und Perspektivlosigkeit, Armut und von soziale Disparität. Doch wie dreckig die Siedlung ist, deren Wohnung und seine Klamotten sind immer blitzblank sauber. Denn egal wie tief seine Mutter Agnes ins Glas guckt, eins ist für sie immer wichtig: für außen muss alles glänzen. Shuggie ist anders als seine Altersgenossen. Er redet ordentlich, ist zart und feminin, hasst Fußball, liebt Tanzen aber vor allem liebt er seine Mutter von ganzem Herzen. Er erlebt wegen seinem „Anderssein“ Tag täglich Hänseleien und Gewalt. Bevor er selbst wusste, dass er schwul ist, wurde er als Schwuchtel beleidigt und beschimpft, doch Shuggie macht mehr Sorgen um seine Mutter als um sich selbst. Er weiß haargenau wann und wie viel Agnes trinkt. Allein wie die Gardinen an den Fenstern hängen, erkennt er aus der Ferne, in welcher Stimmung seine Mutter ist. Wo Agnes Tag zu Tag tiefer stürzt und ihren Trost bei mehr Alkohol sucht, macht Shuggie seine Aufgabe ihr zu helfen. Er will sie retten. Er will mit seiner Mutter neu anfangen, doch Agnes Alkoholsucht und ihre psychischen Probleme sind größer als Shuggies Liebe...

Douglas Stuart erzählt die Geschichte, angesichts der erbarmungslosen Geschehnissen, sehr locker, verfeinert mit glitzernden Details und mit feinem Humor. Die Handlug umfasst die Jahre 1981 bis 1992. 10 Jahre, in dem vieles passiert, aber kaum was verändert hat. Dabei beschreibt er diese Jahre sehr atmosphärisch und gibt tiefe Einblicke frei. Auf ein mal taucht das Grau in Grau von der Sozialsiedlung vor den Augen und man atmet Kohlenstaub ein. Die Darstellungen zwischenmenschlichen Beziehungen wie Neid, Missgunst oder die selbstlose Liebe eines Kindes zur Mutter sind nicht nur glaubwürdig, sondern stellenweise sehr ergreifend.

Bemerkenswert ist, dass das Stuarts Debüt ist, in dem er eigene Kindheit verarbeitet. Es ist nüchtern, zart, feinfühlig, zerstörend, aufwühlend, hoffnungs- und liebevoll. Ein Roman, der nicht einfach zum Lesen ist, dafür aber sehr empfehlenswert ist.

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Veröffentlicht am 14.09.2021

Eine ganz besondere Geschichte

Das Jahr, in dem wir verschwanden
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Im Sommer 1979 beginnen erschütternde Serienmorde von Kindern in Tayari Jones Heimatstadt Atlanta. Zwei Jahre lang wurden fast 30 Kinder und Jugendliche, überwiegend Jungen aus afroamerikanischer Herkunft, ...

Im Sommer 1979 beginnen erschütternde Serienmorde von Kindern in Tayari Jones Heimatstadt Atlanta. Zwei Jahre lang wurden fast 30 Kinder und Jugendliche, überwiegend Jungen aus afroamerikanischer Herkunft, entführt und ermordet. Die Hintergründe und die genaue Opferzahl weiß man bis Heute nicht! In den Jahren war die Autorin selbst im Grundschulalter und was ich zwischen den Zeilen gelesen hab, denke ich, hat sie die grausamen Taten als Schulkameradin mit erleben musste.

In ihrem Roman erzählt Jones die Kindermorde von Atlanta in drei Abschnitten und aus drei Kinder-Perspektiven. Dabei passt sie die Erzählweise an das jeweilige Kind sehr geschickt an. Mal erzählt eine Fünftklässlerin aus der Ich-Perspektive, mal greifen die Klassenkameraden ans Wort und berichten sie aus dem Du oder Dritten-Personensicht. Dank diesen individuellen Erzählstimmen konnte ich deren Gefühlswelt Bedienungslos verstehen. Die Kinder wohnen zwar in dem gleichen Stadtteil, gehen in die gleiche Klasse doch ihr Lebensstil, ihr Alltag, ihre Ängste und Sorgen sind sehr verschieden. Oft verunsichern und beängstigen die bedeutungslose Dinger die Kinder, umso mehr sind sie glücklich und dankbar über die schönen Kleinigkeiten. Jones trifft den Ton der Kinder auf dem Punkt genau und lässt ihre Leser behutsam und gefühlvoll in eine Welt eintauchen, worauf Rassismus, Klassenteilung und Armut große Rolle spielen.

Tayari Jones neuer Roman ist zwar auf wahre Ereignissen vor 40 Jahren basiert, trotzdem ist die Story erschreckend brandaktuell. Es ist eine ganz besondere Geschichte, welche mich stellenweise wütend und sprachlos gemacht und zutiefst berührt hat.

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