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Veröffentlicht am 23.10.2022

Japanisch ist mehr als nur Sushi

Tohrus Japan
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"Alles außer Sushi" verspricht "Tohrus Japan", das gleichermaßen Kochbiographie und Rezeptsammlung ist. Tohru Nakamuru war mir bis dahin völlig unbekannt, vermutlich weil ich zum einen wenig Sterneköche ...

"Alles außer Sushi" verspricht "Tohrus Japan", das gleichermaßen Kochbiographie und Rezeptsammlung ist. Tohru Nakamuru war mir bis dahin völlig unbekannt, vermutlich weil ich zum einen wenig Sterneköche kenne und zum anderen bei japanischer Küche tatsächlich eher gen Sushi schiele. Ganz puristisch geht es auch in diesem Buch nicht zu, was allerdings mit der persönlichen Geschichte des Autors zusammenhängt. Denn als Kind einer Deutschen und eines Japaners wuchs er mit beiden (Ess-)Kulturen auf, mit bayrischen Schmankerln ebenso wie mit der Originalküche der Großeltern in Japan, zu denen es jedes Jahr in den Sommerferien ging.Viele der Rezepte des Buches enthalten daher Fusionselemente.

Da gibt es etwa Schololaden-Cookies, die auf den ersten Blick völlig herkömmlich erscheinen, aber nicht nur weiße Schokolade und Walnuss, sondern auch Kombu-Alge enthalten. Oder die Miso-Bayerische Creme ist ein anderes süßes Crossover. Selbst so etwas deutsch-Bodenständiges wie Spätzle erhält mit Tofu eine neue Note.

Nicht alle Rezepte lassen japanische Elemente erkennen, so rätselte ich etwa bei der Entenbrust mit Chicoree, Kaki und Pinienkernen, wo die speziell japanische Handschrift des Rezeptes zu finden sei. Bei einem Gemüsegericht mit Möhren und Kohlrabi ist es dann wieder die Sauce sowie die Gemüsemarinade, die japanisches Flair in das Gericht bringt.

Einen Vorteil hat das alles - die Zutatenliste scheint nicht überirdisch schwer zu beschaffen, auch wenn ich mich bei einigen Algensorten etc schon frage, ob ich die im durchschnittlichen Asialaden finde. Denn dort kann ich zwar zuverlässig viel für thailändische, vietnamesische und chinesische Küche einkaufen, bei speziell japanischem Zubehör könnte es aber bereits schwieriger aussehen.

Die Fotos im Buch haben teilweise "Sterne-Ästhetik" - da lese ich dann eher aus Neugier und Interesse, nicht aber mit dem Anspruch, so etwas selbst auf den Tisch zaubern zu können. Interessant ist es allemal zu sehen, was ein Profi aus den Zutaten herausholen kann.

Nicht zuletzt verrät der Autor auch ein bißchen über seine eigene Kochphilosophie. Im Glossar gibt es ein umfangreiches Verzeichnis von Zutaten, die in der japanischen Küche eine Rolle spielen. Wieder einiges dazugelernt!

Veröffentlicht am 14.10.2022

Wahnwitzige Abenteuer

SoKo Börsenfieber
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Mit "Soko Börsenfieber" hat Gerhard Henschel nunmehr den dritten Band um die Abenteuer des Uelzener Kommissars-Ehepaars Gerold und Fischer vorgelegt - und bleibt dabei dem Rezept des ersten Bandes "Soko ...

Mit "Soko Börsenfieber" hat Gerhard Henschel nunmehr den dritten Band um die Abenteuer des Uelzener Kommissars-Ehepaars Gerold und Fischer vorgelegt - und bleibt dabei dem Rezept des ersten Bandes "Soko Heidefieber" treu: Hier wird gnadenlos überzeichnet, das Regionalkrimigenre persifliert, und auch der leidgeprüfte Schriftsteller Thomas Gsella samt seines Autorenkupels Frank Schulz auf eine Tour der Leiden geschickt, diesmal quer durch Südamerika. Hier kann der Autor Henschel sämtliche sadistische Fantasien, was er seinen Figuren antun kann, genüsslich ausleben. Nebenbei gibt es Seitenhiebe auf die Finanzwelt, die Kirche, die Mafia und Superhelden in Polizeidiensten. Auch Linguisten kommen einmal mehr auf ihre Kosten, schließlich spricht die Fischerin friesisches Platt.

Nein, allzu ernst sollte man das alles nicht nehmen, aber in der Übertreibung ist auch Soko Börsenfieber lustig - auch wenn das Erzählschema mittlerweile vertraut und ein wenig abgenutzt ist. Wie es einmal mehr gelingt, aus dem beschaulichen Uelzen internationalen Verbrecherkartellen das weltumspannende Geschäft zu verderben, dem Tod ein Dutzend mal von der Schippe zu springen und beim nächsten Abenteuer noch eine Schippe raufzulegen - das ist auch dann ausgesprochen unterhaltsam, wenn man schon ahnt, dass es gleich mit der nächsten Kapriole weitergeht.

Diesmal ist es ein harpunierter Banker, der Kommissar Gerold von niedersächsischen Nachbarschaftsstreitigkeiten und Ladendiebstählen ablenkt. Er kämpft allein gegen Mafia und Blutrache, jettet als Ermittler um die Welt und auch seine Ehefrau kann wieder zu großer Tour auflaufen. Doch so wirklich wichtig ist der Plot nicht, geht es doch darum, die Polizisten und Autoren um den Globus zu schicken und immer wahnwitzigeren Situationen auszuliefern.

Klar, dass weder Bombenanschläge noch Killerkommandos, Schiffsuntergänge oder Volkanausbrüche Henschels Protagonisten aufhälten können. Ein wenig angeschlagen und um etliche Erfahrungen reicher werden sie sicher noch weiteren Abenteuern entgegenblicken. Denn noch sind nicht sämtliche Genreparodien ausgereizt.

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Veröffentlicht am 14.10.2022

Dystopie mit Realitätsnähe

Unsre verschwundenen Herzen
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Mit "unsre verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus ...

Mit "unsre verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus der Hand nehmen konnte. Verstörend, weil die Zukunftsversion eines von antiastiatischem Rassismus geprägten amerikanischen Überwachungsstaats, der missliebigen Eltern ihre Kinder entzieht und zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziation ermutigt, so realistische Parallelen in der nicht so weit zurückliegenden Geschichte hat.

Seien es die Kinder von Migranten an der Südgrenze der USA die während der Präsidentschaft Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, die indigenen Kinder in Nordamerika oder in Australien, die in Heimen und Internaten zwangsassimiliert und häufig gebrochen wurden, sei es das Schicksal der Kinder von Regimegegnern in der DDR, die zwangsadoptiert wurden oder in der stalinistischen Sowjetunion. Und auch die Schubladisierung von Menschen, hysterischer Patriotismus, der vor allem von der Schaffung von Feindbildern lebt - das klingt alles nur zu vertraut und ist noch gar nicht lange her.

"Sie war lang, die Geschichte von Kindern, die man ihren Lieben entrissen hatte - die Vorwände unterschieden sich, aber die Gründe waren dieselben. Ein wertvolles Pfand, ein Damoklesschwert über den Köpfen der Eltern. Es war das Gegenteil dessen, was ein Anker ist: der Versuch, etwas Andersartiges, etwas Gehasstes und Gefürchtetes zu entwurzeln.Eine Fremdheit, die als invasives Kraut galt, etwas, das vernichtet werden musste."

Im Fall des zwölfjährigen Bird, Sohn eines weißen Vaters und einnn er chinesischstämmigen Mutter, war es allerdings etwas anders: Die Mutter, eine Dichterin, hat die Familie verlassen. Seitdem wird sie regelrecht totgeschwiegen, die offizielle Lesart des Vaters ist: Wir wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dass sein Vater, vom Hochschullehrer zum Büchereigehilfen degradiert und in prekären Verhältnissen in einem Studentenwohnheim lebend, seinen Sohn damit vor allem schützen will, wird Bird erst später erkennen.

Vorerst ist er wütend, ratlos, unsicher, warum die Mutter gegangen ist, bis seine Schulfreundin Sadie ihm erzählt, die Mutter sei im Widerstand gegen die Regierung aktiv. Als ein Brief in ihrer Handschrift auftaucht, macht sich Bird auf die Suche - und stößt ebenso wie die Ausreißerin Sadie nach und nach auf ein Netzwerk, in dem Bücher eine wichtige Rolle spielen, um das Schicksal auseinandergerissener Familien aufzuklären.

"Das Gehirn einer Bibliothekarin war ein geräumiger Ort. Jede von ihnen hatte ihre eigenen Gründe, warum sie dieses Risiko auf sich nahm, und auch wenn die meisten diese Gründe nie mit anderen teilen und sie auch nie persönlich treffen würden, teilten sie alle dieslbe verzweifelte Hoffnung, einen Treffer zu landen und eine Notiz mit dem neuen Aufenthaltsort des Kindes zwischen den Seiten zurückschicken zu können. Eine Nachricht, die der Familie versicherte, dass ihr Kind noch existierte, wenn auch in weiter Ferne, und die dem tiefen Loch ihres Verlustes einen Boden gab."

Und hierin liegt denn auch das Hoffnungsvolle und Optimistische bei aller Düsternis des Romans. Es gibt sie eben doch, die Anständigen, dir Gerechten, die Hinsehenden, die sich mit den Umständen nicht abfinden wollen, die ihrer eigenen Angst trotzen und versuchen, etwas zu tun, auch wenn sie in ihrem Widerstand so klein, so einsam, so gefährdet sind. Kunst, Bücher, Bibliotheken werden Orte der Erinnerung, des Bewahrens von Werten, der Ausgangsort von Handlungen und Hoffnung.

Der Schreibstil von Ng erinnert an chinesische Tuschezeichnungen oder Kalligraphie - mit weniger Worten und Sätzen gelingt es ihr, die Stimmung und Atmosphäre zu skizzieren, den Gemütszustand von Bird, die Einsamkeit seines Vaters, die Aktionen des Widerstands. Manche Elemente sind geradezu märchenhaft, andere erinnern nur zu sehr an Realitäten. Seit "Vox" und "Paradies" habe ich keine ähnlich beeindruckende Dystopie gelesen.

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Veröffentlicht am 13.10.2022

Zu viel Selbstinszenierung

Rosa kocht vegan
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Auch als Flexitarierin habe ich Interesse an veganen Gerichten und Rezepten, also halte ich immer die Augen offen nach neuen Büchern zu dem Thema. "Rosa kocht vegan" von Rosa Roderigo war mit dem farbenfrohen ...

Auch als Flexitarierin habe ich Interesse an veganen Gerichten und Rezepten, also halte ich immer die Augen offen nach neuen Büchern zu dem Thema. "Rosa kocht vegan" von Rosa Roderigo war mit dem farbenfrohen Cover zumindest schon mal ein Eyecatcher. Die Autorin hingegen war mir unbekannt - was vermutlich daran liegt, dass mich das Thema Influencer*innen gänzlich kalt lässt und mich auf sozialen Medien mehr Inhalte und weniger people-Berichterstattung interessieren.

Daher hat das Buch für mich gleich eine Schwäche - es geht halt auch hier immer wieder um die offenbar prominente Autorin und ihre Lebensphilosophien und Einsichten, in Szene gesetzt von einer Fotografin, die spezialisiert ist auf people photography...

Obendrein bin ich als über 30-jähriger Mensch vielleicht einfach weniger empfänglich für Superlative und atemlose Aufgeregtheit, die ich mit "Generation Snowflake" verbinde. War das jetzt zu gemein? Aber wenn alles traumhaft, zaugeil, grandios und abgefahren oder schmatzfatzo ist, ist mir das einfch ein bißchen over the top, da setzt dann gleich meine berufsbedingte Skepsis ein. und auch denglische Begriffe sind in meinen Augen keine Garantie für innovative Inhalte. Soll vielleicht jugendlich wirken, aber permanente Selbstinszenierung beim Lesen eines Buches durchstehen zu müssen, ist echt nicht mein Ding.

Jetzt aber genug gemeckert, denn Rezepte und damit Inhalte gibt es ja auch, und die sind überwiegend so einfach gestaltet, dass auch ein Sensibelchen an Herd oder Ofen nicht vor lauter komplizierten Anweisungen einen emotionalem Meltdown befürchten muss. Manches ein bißchen sehr simpel, wie die Heidelbeer-Blätterteigteilchen, anderes zumindest schön bunt wie der Konfetti-Schokokuchen. Schokolade geht schließlich immer, ob in veganer oder sonstiger Form. Für den nächsten Frühsommer habe ich mir auch schon den Erdbeer-Rhabarber-Crumble markiert.

Ob vegane Köttbullar, vegane Pide und Bifteki oder sogar Königsberger Klopse - für viele regionale oder internationale Grichte gibt es hier vegane Abwandlungen auf Soja- und Tofubasis. Alles in allem nett, aber nicht gerade eine vegane Offenbarung, eher durchaus schon bekannte Rezepte auf niedrigem Schwierigkeitsgrad. Insofern ist dieses Buch für mich kein "must have" und wird auf meinem Regal eher inen Platz im Hintergrund einnehmen. Fans sehen das wahrscheinlich anders.

Veröffentlicht am 13.10.2022

Raubtierkapitalismus in Kasachstan

Beutezeit
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Anton ist ein Feingeist, guter Musik und schönen Frauen zugetan, ein Bewunderer der Callas und um die Jahrtausendwende als Rohstoffhändler in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion unterwegs. Zwischengestrandet ...

Anton ist ein Feingeist, guter Musik und schönen Frauen zugetan, ein Bewunderer der Callas und um die Jahrtausendwende als Rohstoffhändler in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion unterwegs. Zwischengestrandet in New York ist der deutsche Anfangvierziger auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und landet so in Kasachstan, oder, wie er es noch ganz aus Moskauer Sicht sieht, an der Peripherie. Er soll für ein amerikanisches Konsortium ein Stahlwerk aufbauen - doch die Suche vin Kunden, Mitarbeitern und Rohstoffen ist denn doch ganz anders als im Westen. Anton ist dank seiner Erfahrungen im Russland der Jelzin-Ära abgehärtet für die neue Aufgabe, doch Kasachstan stellt sich dann in Norris von Schirachs Roman "Beutezeit" als noch einmal ganz anderer Kaliber heraus.

Raubtierkapitalismus im Wilden Osten, so könnte man Anons Erlebnisse in einem Satz beschreiben. Es geht um Fressen oder Gefressen werden, in einigen der dramatischeren Auseinandersetzung um Posten, Macht und Stahl auch buchstäblich um Freiheit und Leben. Von Schirach hat selbst als Rohstoffhändler in Moskau und Kasachstan gelebt, man kann also davon ausgehen, dass der Roman die eine oder andere Eigenerfahrung enthält.

Die Atmosphäre jener Aufbruchjahre, in denen die Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft, Organisierter Kriminalität und alten Geheimdienstseilschaften eher fluide waren (und mal ganz ehrlich - sind sie es nicht immer nocht?) ist klar spürbar beim Lesen. Ja, so waren sie, die postsowjetischen Hotels mit den Prostituierten in der Lobby, den Statussymbolen, die immer ein bißchen over the top waren, dazwischen die Tristesse der Plattenwohnblöcke und eine Aufbruchsstimmung, in derr alles möglich schien und gegen entsprechende Schmiergelder auch möglich gemacht wurde.

Anton will so gut wie möglich sauber bleiben, was bei den schönen Frauen in seinem Leben als verrückte Marotte angesehen wird. Gelegenheits-Geliebte Alisha kennt sich im Machtapparat aus, die Chinesin Xenia will möglichst schnell mit Stahlhandel Mehrfahcmillionärin werden und ist in ihrem Ehrgeiz und ihrer Skrupellosigkeit ziemlich einschüchternd. Lediglich Mira, eine Rechtsanwältin, kämpft noch für das Gute oder wenigstens für das Überleben der Schneeleoparden im Kaukasus. Alte Kader, neue Player, der Aufstieg Chinas, eine Gesellschaft mitten in Absurdistan - von Schirach führt seine Leser in eine Welt des Aufbruchs, in der die Karten neu verteilt werden und jeder das Beste für sich herausholen will. Keine Welt für Feingeister jedenfalls.

"Wir konnten hier nur scheitern", philosophiert Anton in einer schweren Krise, dieses Scheitern allerdings ist dann so grandios und episch wie eine Wagner-Oper, die der Musikfreund Anton so liebt. Die Beschreibungen des wilden Ostens dürften bei allen, die diese Zeit erlebt haben, ob nun in den GUS-Staaten oder sonstwo auf der östlichen Seite des einstigen Eisernen Vorhangs, nostalgische Gefühle beim Lesen wecken, wenn auch nicht unbedingt Sehnsucht.

Daneben zeigt von Schirach die Fettnäpfchen und Herausforderungen auf, vor denen Anton und andere Expats im multiethnischem Kosmos der ehemaligen Sowjetunion stehen, mit den besonderen Sensibilitäten und Konfliktlinien zwischen Russen, Kasachen, Tschetschenen und anderen. "Beutezeit" ist spannend, unterhaltsam und informativ. Wer auf literarische Weise die Annäherung an die postsowjetische Gesellschaft sucht, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

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