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Veröffentlicht am 19.04.2024

Dramatischer Wanderurlaub einer Frauenclique

The Hike
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Die Romane von Lucy Clarke sind, und das ist positiv gemeint, eine sichere Bank: Spannende, aber nicht zu blutige Thriller in schöner Landschaft, in denen sich Frauenfreundschaften bewähren müssen. Von ...

Die Romane von Lucy Clarke sind, und das ist positiv gemeint, eine sichere Bank: Spannende, aber nicht zu blutige Thriller in schöner Landschaft, in denen sich Frauenfreundschaften bewähren müssen. Von diesem erwartbarem Schema weicht auch "The Hike" nicht ab: Die Freundinnen Maggie, Helen und Liz brechen zu ihrem jährlichen gemeinsamen Urlaub auf. Jedes Jahr darf eine andere das aussuchen. Die Ärztin Liz hat zur Überraschung ihrer Freundinnen einen Trekkingurlaub in Norwegen gewählt und, gut durchorganisiert wie sie nun einmal ist, den anderen beiden gleich einen Trainingsplan aufgestellt. Zu dumm, dass die alleinerziehende Maggie und Karrierefrau Helen auf die Umsetzung verzichtet haben.

Was die beiden anderen wiederum nicht wissen: Die Wanderung ist für Liz auch eine Art Flucht vor den Problemen in ihrer Ehe. Völlig überraschend stößt dann in Norwegen auch Jonie, die vierte der in ihrer Schulzeit unzertrennlichen Freundinnen dazu. Als internationaler Rockstar hat sie sich zuletzt rar gemacht. Was ihre Freundinnen nicht wissen: Jonie ist zunehmend ausgebrannt, nimmt Drogen längst nicht mehr zur gelegentlichen Entspannung, sondern hat ein ausgewachsenes Suchtproblem, dass sie sich selbst nicht eingesteht. Ohnehin simmert so manches unter der Oberfläche der vier Frauen, die trotz einer Sturmwarnung - von der Liz ihren Freundinnen nicht berichtet - zu ihrer viertägigen Bergtour aufbrechen.

Die Wanderung fordert körperlich und bringt die Frauen an ihre Grenzen. Hinzu kommt das Unbehagen angesichts der Warnungen von Einheimischen, an dem Berg sei etwas Unheimliches. Eine junge Frau ist dort spurlos verschwunden, der Vermisstenfall hat die Dorfgemeinde zerrissen. Und auch die vier Frauen fühlen sich nicht nur angesichts der intensiven Naturerfahrung in der Wildnis zunehmend nervös - bilden sie sich das nur ein, oder beobachtet sie jemand aus dem Wald?

Ein heraufziehender Sturm spiegelt die aufbrechenden Konflikte. Zum Umkehren ist es nach einem Erdrutsch, der den Pfad zurück zur Pension verschüttet, zu spät. Erschöpft, verängstigt und ohne Ausrüstung und Verpflegung müssen die vier den Gipfel erklimmen. Es soll auch der Höhepunkt einer dramatischen Entwicklung werden...

Wenn Lucy Clarkes Romane einen wiederkehrenden Muster folgen - sei´s drum. Die Masche ist erfolgreich und garantiert spannende Unterhaltung. "The Hike" bildet da keine Ausnahme.

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Veröffentlicht am 19.04.2024

Geschichte einer Terrororganisation

Die Hamas
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Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober haben sicherlich viele gerätselt: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnten, gerade angesichts der beengten Verhältnisse auf dem Gazastreifen ...

Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober haben sicherlich viele gerätselt: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnten, gerade angesichts der beengten Verhältnisse auf dem Gazastreifen die Terroristen eine solches Waffenpersonal horten? Und wie konnte es sein, dass die israelischen Sicherheitsbehörden, seit Jahrzehnten geübt und erfahren in der Terrorabwehr, nicht rechtzeitig erkannt oder erfahren haben, was sich auf dem Gazastreifen zusammenbraute? Andere, für die der Nahostkonflikt immer sehr weit weg war, mögen gefragt haben: Was genau ist eigentlich die Hamas, was treibt sie an, was ist ihre Ideologie?


Auf all diese Fragen gibt Joseph Croitoru in seinem Buch „Die Hamas“ Antworten – und angesichts des emotional aufgeladenen Themenkomplexes Nahost ist seine sachliche Gründlichkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen. Für alle, die sich historischen Hintergrund und ideologisch-politische Einordnung gleichermaßen verschaffen wollen, ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen.

Croitoru greift weit zurück, in die Zeit der Staatsgründung Israels, die Verbindungen zwischen ägyptischer Moslembruderschaft und ihren palästinensischen Geistesbrüdern, zur Geschichte von PLO und Al Fattah und den im nachhinein gefährlichen und folgenschweren Allianzen Israels mit Islamisten, aus denen die Hamas hervorging, um die PLO zu schwächen - nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist vielleicht nicht mein Freund, aber doch nützlicher Verbündeter.

Es ist auch eine Analyse den Nahostkonflikts und der israelischen Politik in den besetzten Gebieten wie auch im israelischen Kernland, eine Geschichte gescheiterter, auch von der einen oder anderen Seite ungewollter Friedensprozesse, der Haltung der Hamas zu Juden und Christen.

Manches scheint im Rückblick wie ein Alarmsignal aufzuleuchten, etwa die Information, dass festgenommene Hamas-Kämpfer bereits 2014 im israelischen Verhör gestanden, Angriffe mit Gleitschirmen geübt zu haben. Nun ist man hinterher immer schlauer, aber die Hinweise, die Monate auch israelischer Armee-Beobachterinnen an der Grenze zum Gazastreifen, die von ihren Vorgesetzten ignoriert wurden, wie mittlerweile bekannt ist, machen den 7. Oktober dann doch zu einer Katastrophe, die in diesen Ausmaßen vielleicht hätte verhindert werden können.

Wie geht es weiter? Darauf weiß auch Croitoru keine Antwort. Der massive Militäreinsatz Israels auf dem Gazastreifen mit seinen fürchterlichen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung kann die Hamas schwächen, besonders durch die gezielte Tötung der politischen und militärischen Verantwortlichen für den Terror vom 7. Oktober. Dass dies aber das Ende der Hamas ist, bleibt fraglich.

Veröffentlicht am 16.04.2024

Melodrama um Influencerin

Die Influencerin
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Ursprünglich wollte Sarah ihr Fitness- und Ernährungsprogramm dokumentieren und teilen. Doch längst schon ist sie Influencerin mit Zehntausenden von Followern. Ihr Ehemann ist auch ihr Manager, und sie ...

Ursprünglich wollte Sarah ihr Fitness- und Ernährungsprogramm dokumentieren und teilen. Doch längst schon ist sie Influencerin mit Zehntausenden von Followern. Ihr Ehemann ist auch ihr Manager, und sie können ziemlich gut von Sarahs social Media-Aktivitäten leben: Ein großes Haus am Stadtrand, Sponsoren, Geschenke für product placement, und immer diese Woge von Zuspruch und Fanliebe.

Bis die Verehrung plötzlich ins Gegenteil umschlägt: Ein junges Mädchen, das mit offenbar niedrigem Selbstwertgefühl und Unzufriedenheit über sein Aussehen Sarah als Idol erkoren hatte, hat sich umgebracht. Ihre letzte Nachricht war eine verzweifelte Botschaft an Sarah, auf deren Antwort sie vergeblich gewartet hatte. Und plötzlich ist das Netz bereit, Sarah gnadenlos fertig zu machen, mit Hass und Häme zu überziehen. Plötzlich muss Sarah die Schattenseiten der Internet-Berühmtheit erfahren und feststellen, dass ihrer pubertierende Tochter die digitale Dauerpräsenz der Mutter schwer zu schaffen macht.

Sarah zieht die Reißleine, deaktiviert ihren Account. Doch dann erscheint ein neuer Account, der wirkt wie ein Ableger von Sarahs. In ihrem privaten Umfeld häufen sich Vorfälle, die darauf hinweisen, dass jemand sie beobachtet und ihr schaden will. Sarah versucht Detektivarbeit in eigener Sache und stellt fest, dass irgendjemand ihr sehr, sehr nahe ist und ihre lange versteckten Geheimnisse kennt.

"Die Influencerin" von Rebecca Russ ist ein Krimi aus der Welt des Internets, die für manche - ob Influencer oder Fans - realer zu sein scheint als das richtige Leben, ohne den Schein gefilterter und editierter Beiträge zu hinterfragen. Auch die Oberflächlichkeit dieses Lebens stellt die Autorin nicht wirklich in Frage.

Während Teile der Lösung der Fragen, auf die Sarah eine Antwort sucht, für mich relativ früh feststanden, gibt es doch die eine oder andere Überraschung im Plot des Romans. Allerdings geht es mitunter arg melodramatisch zu. Vielleicht ja auch an ein Zugeständnis an die vermutlich eher junge Zielgruppe des Romans, die der Influencer-Welt aufgeschlossen gegenübersteht und die Daueraufgeregtheit der digitalen Welt als völlig normal und okay empfindet.

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Veröffentlicht am 16.04.2024

Die Rächerin aus dem Stetl

Fannys Rache
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Emanzipationsgeschichte, Roadtrip, spannende historische Geschichte - "Fannys Rache" von Yaniv Iczkovits ist vieles und wirkt mitunter wie eine Fusion gewaltgeladener Tarrantino-Filme mit den Geschichten ...

Emanzipationsgeschichte, Roadtrip, spannende historische Geschichte - "Fannys Rache" von Yaniv Iczkovits ist vieles und wirkt mitunter wie eine Fusion gewaltgeladener Tarrantino-Filme mit den Geschichten von Isaak Bashevi Singer. Der israelische Schriftsteller, von Haus aus eigentlich Philiosoph, schickt seine Leser*innen zusammen mit Protagonistin Fanny auf einen Parforceritt durch das zaristische Russland - etwa zur gleichen Zeit, in der "Anatevka" spielt, aber mit weniger Gesang und mehr Blut.

Ein solcher Roman von einem israelischen Autor ist um so erstaunlicher, als die Stetl-Kultur und selbst das Jiddische lange bei vielen Israelis geradezu verpönt waren: Zu sehr wurde beides mit Ghetto-Dasein, Opferrollen und Hinnehmen von Gewalt und Leid in Verbindung gebracht, zu wenig passten die Bilder frommer Juden mit Schläfenlocken, Torahstudium und Schicksalsergebenheit in eine Gesellschaft, die auf Selbstbehauptung setzt und Parallelwelten der Ultraorthodoxen wie etwa in Vierteln wie Mea Shearim ablehnt.

Aber dann: schicksalsergeben ist Fanny Kajsman nun wirklich nicht, auch wenn sie in mancherlei Hinsicht dem Bild einer frommen jüdischen Frau aus einem osteuropäischen Stetl zu entsprechen scheint: Sie befolgt die religiösen Gebote, ist mit 25 Jahren bereits fünffache Mutter und widmet sich ganz Haushalt und Familie. Allerdings lebt sie mit ihrer Familie nicht im Stetl, sondern auf einem Dorf polnischer Gojim, hat sogar deren Sprache gelernt - das kommt vielen der alten Nachbarn nicht richtig vor. Und als sie noch Fanny Schechter hieß und zusammen mit ihrer Schwester Mende vom früh verwitweten Vater aufgezogen wurde, galt sie als "a wilde chaje", ein Mädchen, das sich nicht in die vorgeschriebene Rolle fügen wollte, sondern den Vater überreden konnte, sie das Schächten, also das koschere Schlachten, zu lehren.

Auch wenn Fanny und ihre Familie schon seit Jahren kein Fleisch mehr essen - das Messer trägt sie weiterhin bei sich. Erst recht, als sie einen Plan ersinnt, um ihrer Schwester Mende zu helfen. Deren Mann hat sich nämlich abgesetzt aus dem Stetl und ist wohl nach Minsk gegangen. Dass der Taugenichts weg ist, macht aus Fanny Sicht gar nichts, doch er hat keinen Get, einen Scheidebrief, hinterlassen, damit Mende ihr Leben wieder in geordnete Bahnen lenken kann.

Angesichts des Unglücks der Schwester entschließt sich Fanny zu einem folgenreichen Schritt: Sie wird ihren Schwager aufspüren und zwingen, Mende frei zu geben. Sie kann den stummen Fährmann Cicek Berschow überreden, sie zu begleiten, als sie bei Nacht und Nebel ihre Familie verlässt. Die Suche nach dem Schwager wird buchstäblich zu einer Räuberpistole. Fanny muss sich mit Straßenräubern und Spitzeln der Geheimpolizei, mit zaristischen Soldaten und einer antisemitischen Gesellschaft auseinandersetzen. Und schon bald wird sie von einem gefährlichen und intelligentem Gegenspieler gejagt, dem Offizier Novak von der Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren.

Novak selbst ist, ebenso wie Cicek eine tragische Figur und in mancher Hinsicht ein gebrochener Charakter. Der Roman ist von atemlosen Tempo, bildhaft und wortgewaltig, lässt wirklich eintauchen in die gar nicht so gute alte Zeit und erzählt nicht nur die Geschichte von Fanny und ihrer Rache, sondern über die verschiedenen Lebenswelten im Russland des 19. Jahrhunderts, in Adelspalästen und Armeelagern, Kaschemmen und Stetln.

Von Fannys Reise und ihrer Rache will ich hier gar nicht viel schreiben, weil ich nicht spoilern will. Aber Iczkovits hat ein sprachlich großartiges, thematisch faszinierendes und dabei sowohl unterhaltsam wie spannendes Buch geschrieben, dessen Figuren nachhallen.

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Veröffentlicht am 13.04.2024

Geschichten von Macht und Ohnmacht aus Simbabwe

Die Schwere des Seins
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Als postkoloniale Erzählungen ordnet der Verlag die Reihe der von Tsitsi Dangarembga herausgegebenen Erzählungen simbabwischer Autorinnen und Autoren ein. Damit klingt das zwar hinreichend woke, ich bin ...

Als postkoloniale Erzählungen ordnet der Verlag die Reihe der von Tsitsi Dangarembga herausgegebenen Erzählungen simbabwischer Autorinnen und Autoren ein. Damit klingt das zwar hinreichend woke, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob diese Definition die zutreffendste ist, mal abgesehen davon, dass Simbabwe eine koloniale Vergangenheit hatte, aus der es sich befreit hat. Vor allem aber geht es um Macht und Ohnmacht, um Gewalterfahrungen, die zwar in einigen Geschichten im Unabhängigkeitskampf und dem späteren System Mugabe wurzeln, in anderen aber in patriarchalen Strukturen und systematischer traditioneller Unterdrückung von Frauen. Insofern könnten sie auch in der Zeit der Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien spielen, in Syrien oder überall dort, wo archaische Strukturen Ehemännern und Vätern absolute Gewalt über Frauen zubilligen.

Ziemlich harter Tobak ist der Stoff dieser Kurzgeschichten, die die literarische Umsetzung wahrer Geschehnisse sind. Im Rahmen des Projekts "Breaking the Silence" hatten die Autorinnen und Autoren Briefe und Aussagen, die Opfer von Gewalt aus verschiedenen Teilen Simbabwes und aus verschiedenen Zusammenhängen heraus geschildert hatten. Da geht es um die Mutter, die nach der Vergewaltigung ihrer behinderten Tochter um Gerechtigkeit kämpft, um den Vater, der seine Tochter erschlägt, um Folter politischer Gegner. Das Buch bringt die nicht ganz neue Erkenntnis, dass die Freiheitskämpfer von gestern die Unterdrücker und Folterknechte von morgen sein können.

Es gibt nur wenig Hoffnung und noch weniger Gerechtigkeit in diesen Erzählungen - und die Tatsache, dass sie auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen, macht die Texte noch deprimierender. Gleichzeitig zeigen diese Erzählungen, wie wichtig es ist, das Schweigen über Gewalt zu durchbrechen, egal, ob es auf Angst oder auf Scham beruht.

Abgesehen von Dangarembga kannte ich die Verfasser der übrigen Texte bisher nicht und bin daher froh über die Gelegenheit, neue afrikanische Autor*innen kennenzulernen.