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Veröffentlicht am 07.01.2024

Gas, Männerfreundschaft und Abhängigkeiten

Die Moskau-Connection
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Erklärungsversuche zum Aufstieg Putins, seinem Regierungssystem und seinem Netzwerk gibt es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine in Form mehrerer Sachbücher. Die beiden FAZ-Journalisten ...

Erklärungsversuche zum Aufstieg Putins, seinem Regierungssystem und seinem Netzwerk gibt es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine in Form mehrerer Sachbücher. Die beiden FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner haben in ihrem Buch "Die Moskau Connection" den Blick auf Deutschland und die Jahre lange vor der russischen Aggression gerichtet - es geht um Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, seine Männerfreundschaft zu Wladimir Putin, aber auch Schröders inner- und außerparteiliches Netzwerk im Zusammenhang mit deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.

Dass Schröders Wechsel in die russische Energiewirtschaft so kurz nach der verlorenen Kanzlerschaft mehr als nur einen Hauch von Geschmäckle hinterließ, ist das eine. Die beiden Autoren zeigen auf, wie sich die Freundschaft Schröders und Putins entwickelte und nicht nur Schröder, sondern auch die "Frogs" (Friends of Gerhard) munter profitierten, sei es mit politischen Pfunden, sei es mit lukrativer Beratertätigkeit.

Vermutlich geht der Aufstieg in der Politik ohne Netzwerke überhaupt nicht. Die Autoren zeigen die ideologischen Häutungen des einst stramm linken Juso Chef Schröder zum Freund der Bosse, aber auch seinen Aufstieg aus prekären Verhältnissen zu Macht und - nicht zuletzt dank seiner russischen Aufsichtsratsposten - erheblichem Reichtum. Zugleich geht es um die Stärke der SPD in Niedersachsen und insbesondere in der Landeshauptstadt Hannover. Die dortige "Maschsee-Connection" ist ja nicht nur im Zusammenhang mit Gerhard Schröder, sondern auch mit Alt-Bundespräsident Christian Wulf bekannt geworden. Wobei - auch der "Kölsche Klüngel", bayerische Bierkeller-Connections und ähnliche Netzwerke sind ja hinlänglich bekannt, insofern sind die Schröderschen Männerbünde sooo einzigartig denn doch nicht.

Für politisch interessierte Leser ist dieses Buch spannend, bringt es doch Ereignisse und Personen in Erinnerung, die zum Teil schon halb in Vergessenheit geraten sind angesichts der Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre. Interessant auch die Theorie über die Rolle der Ostpolitik Willy Brandts für die Russlandpolitik der SPD. Angesichts der Missstimmungen mit den westlichen Partnern, die es in Ostmitteleuropa und dem Baltikum spätestens 2014 nach der Annektion der Krim und der Forderung nach einer Stärkung der Ostflanke der Nato gab, hat die Theorie, dass große - und entscheidende - Teile der SPD die Aussöhnung mit Russland über die mit anderen Staaten der Region stellten, durchaus etwas für sich.

Falsche Einschätzungen von Putins Machtpolitik und energiepolitische Fehlentscheidungen, die in eine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen führten, das halten die Autoren zwar insbesondere Schröder und seinen später ins Kabinett aufgerückten Weggefährten wie dem heutigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier und dem früheren Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor. Doch auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel war ihrer Analyse nach zu blauäugig über die Pläne Putins, auch wenn sie die kumpelhafte Annäherung ihres Amtsvorgängers vermied.

Nun ist man hinterher immer schlauer. Aber ich finde es schon erstaunlich, wie dem Buch zufolge die Berliner Regierungsverantwortlichen nicht daran geglaubt hätten, dass Putin in seinen Jahren als Ministerpräsident seinen Freund und Staatspräsidenten nicht vom Rücksitz aus steuerte und eine Rückkehr auf den eigentlichen Chefposten vorbereitete. In anderen europäischen Hauptstädten wie Warschau, Prag oder Vilnius herrschte in dieser Hinsicht schon damals kein Zweifel.

In "die Moskau Connection" geht es um das System Schröder ebenso wie um das System Putin. Man muss nicht mit jeder Schlussfolgerung übereinstimmen, um dieses politische Sachbuch ebenso spannend wie informativ zu finden.

Veröffentlicht am 28.12.2023

Die Jagd nach dem perfekten Spiel

Die Partie seines Lebens
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Es gibt Spieler, die sind getrieben. Und es gibt solche, die aus rationalem Kalkül heraus ihren Lebensunterhalt verdienen. Fast Eddie, der Protagonist von Walter Tevis Roman "Die Partie seines Lebens" ...

Es gibt Spieler, die sind getrieben. Und es gibt solche, die aus rationalem Kalkül heraus ihren Lebensunterhalt verdienen. Fast Eddie, der Protagonist von Walter Tevis Roman "Die Partie seines Lebens" bewegt sich ein bißchen zwischen den beiden Extremen. Er ist ein Billiardspieler, der von seinen Einsätzen leben kann - doch er will den Größten schlagen, als er mit seinem Kumpel Charlie nach Chicago aufbricht und zunächst einmal heftig einstecken muss. Minnesota Fats, der scheinbar so phlegmatische Gegner, kann Fast Eddie noch einiges beibringen. Was ist es, das einen wirklich großen Billardspieler ausmacht, muss er sich fragen.

Filmfans kennen die Handlung vermutlich aus "Haie der Großstadt" mit Paul Newman. Das Buch handelt von Männerfreundschaften und Männerkonkurrenz, vor allem aber natürlich von Billard. Selbst die kurze Beziehung Fast Eddies zu einer alkoholkranken Studentin ist letztlich nur eine Randerscheinung, die Billardsalons sind eine Männerwelt, in der Frauen allenfalls dekoratives Beiwerk sind.

Wie ein Besessener bereitet sich Fast Eddie auf das Spiel seines Lebens vor, bezieht Prügel, gerät in Manipulationen, die er oft erst zu spät durchschaut und lässt doch nicht ab von seinem großen Plan. Der junge Mann mit dem harmlosen Lächeln setzt auch List und Täuschung, ist durchaus ein Schlitzohr, unterwegs zwischen Handelsvertretern und Gangstern, dem Geld und dem Spiel folgend.

"Die Partie seines Lebens" passt in die Tradition der Literatur Noir, ist atmosphärisch dicht und beschwört die vergangene Welt verrauchter Salons mit reichlich Alkohol herauf, die in unserer ach so gesundheitsbewussten Zeit wohl kaum mehr vorstellbar ist. Auch ohne selbst Billard zu spielen, ist die Welt der Profi-Spieler zwischen Traum und Ehrgeiz greifbar, der lakonische Stil des Autors passt zu seinem Protagonisten. Klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 26.12.2023

Der Comte will immer noch nicht morden

Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung
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Eigentlich pflegt Lucien Comte de Chacarasse am liebsten einen entspannten südfranzösischen Lebensstil. Gute Weine, ebensolches Essen, schöne Frauen - das Leben kann schön sein. Wenn da nur nicht die ...

Eigentlich pflegt Lucien Comte de Chacarasse am liebsten einen entspannten südfranzösischen Lebensstil. Gute Weine, ebensolches Essen, schöne Frauen - das Leben kann schön sein. Wenn da nur nicht die Familienpflicht wäre. Und die heißt im Falle der de Chacarasses, Nachfahre von Assasinen zu sein, laut Familienspruch den Lebenden und den Toten verpflichtet. Vor allem aber den Klienten, die ein wahrhaft fürstliches Honorar zahlen, damit jemand vorzeitig vom Reich der Lebenden in das der Toten überwechselt, dank fachmännischer Nachhilfe des südfranzösischen Adelsgeschlechts.

Pech für Lucien, dass er nach dem Tod seines Vaters der einzige de Chacarasse ist, der für diese Aufgaben in Frage kommt, sitzt doch sein einziger lebender Verwandter, ein nicht sonderlich geliebter Onkel, im Rollstuhl. Mit "Monsieur Le Comte und die Kunst der Täuschung" ist der zweite Band von Pierre Martins Reihe um den Assasinen wider Willen erschienen.

Täuschen muss Lucien sowohl den Onkel, der die finanzielle Seite des Familiengeschäfts übernimmt, als auch die Auftraggeber. Verlassen kann er sich bei seinen Versuchen, scheinbar Todesfälle herbeizuführen, nur auf die schöne Francine, die Geliebte seines Vaters, die wie er einen moralischen Kompass hat, der mit der Familientradition fremdelt. Nachdem Lucien in der Vergangenheit schon wider Willen und eher versehentlich erfolgreich war in seinem Job, muss er nun mit allen Mitteln der Kunst arbeiten, um Aufträge auszuführen und doch nicht zum Mörder zu werden. Die Kunst der Täuschung, das lässt sich auch ohne zu spoilern sagen, kommt ihm dabei gelegen.

Zugleich versucht Lucien, gegenüber seinem Onkel die Oberhand zu gewinnen. Er ahnt, in der Vergangenheit der Familie gibt es einiges, das es noch zu entschlüsseln gilt. In diesem Band bleibt noch vieles offen, aber der charmante Comte ist dem Autor sicherlich weitere Bücher wert, Wie Lucien zwischen Pflicht und Gewissen versucht, Leben eher zu retten als zu nehmen, ist unterhaltsam und entspricht eher Cozy-Krimi-Tradition gepaart mit Savoir Vivre.

In der Hörbuchfassung ist es einmal mehr Wolfram Koch, sonst als Ermittler der Frankfurt-Tatorte in der Rolle als Vertreter des Gesetzes unterwegs, der dem bohemienhaften Lucien seine Stimme leiht. Wobei sein Fernsehkommissar Paul Brix ja ebenfalls durchaus frankophil ist.

Als adeliger Killer mit Gewissensbissen ist Lucien ein Sympathieträger und auch die anderen Hauptfiguren der Reihe - mit Ausnahme des fiesen Onkels - überzeugen als liebenswerte Charaktere. Als kleine Flucht an die Cote d´Azur ist auch dieses Exemplar der Reihe locker und unterhaltsam geschrieben und mit schönen Landschaftsbeschreibungen gespickt. Da freue ich mich doch schon auf die nächsten Abenteuer des Comte.

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Veröffentlicht am 17.12.2023

Drogenkrieg und langer Abschied

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt (Die Mordclub-Serie 4)
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Ein bisschen exzentrisch, eigensinnig und sehr, sehr britisch - so kennt man das Quartett von Richard Osmans "Donnerstagsmordclub". In einer Seniorenresidenz trotzen Ex-Spionin Elizabeth, die einstige ...

Ein bisschen exzentrisch, eigensinnig und sehr, sehr britisch - so kennt man das Quartett von Richard Osmans "Donnerstagsmordclub". In einer Seniorenresidenz trotzen Ex-Spionin Elizabeth, die einstige Krankenschwester Joyce, der Ex-Gewerkschafter und Arbeiterkämpfer Ron sowie der teilweise noch praktizierende Psychiater Ibrahim Langeweile und Altersbeschwerden. Nach dem Motto "Wer rastet, der rostet" kümmern sie sich um ungeklärte Kriminalfälle, mitunter zur Verzweiflung von Chris und Donna, zweier mit den vier Rentnern befreundeter Polizisten.

Auch der nunmehr vierte Band der Reihe "Ein Teufel stirbt immer zuletzt" bildet hier keine Ausnahme. Es geht sogar handfest zur Sache: Der Tod eines Antiquitätenhändlers scheint der Anfang eines Drogenkrieges an der englischen Südküste zu sein. Alle sind plötzlich auf der Suche nach einem Kästchen mit Heroin, das der Händler eigentlich nur für 24 Stunden in Verwahrung nehmen sollte. Hat er womöglich versucht, als Amateur in den Drogenmarkt einzusteigen?

Die vier vom Donnerstagsmordclub wollen das nicht glauben, handelt es sich doch bei dem Toten um einen Freund von Elizabeth´ s Ehemann Stephen. Obendrein werden Chris und Donna von einer vorgesetzten Abteilung ausgebremst - da ist es Ehrensache, dass das Quartett nicht einfach beiseite stehen kann.

Wie auch in den Vorgängerbänden wird ein sehr britischer Humor mit den persönlichen Geschichten und Beziehungen der Protagonisten verbunden. Dabei wird es diesmal aber deutlich melancholischer, emotional und tiefsinniger. Denn Stephens Demenzerkrankung ist so weit vorangeschritten, dass schwierige Entscheidungen anstehen. Demenz, Abschied, Trauer - das sind Themen, die mindestens ebenso wichtig sind wie der eigentliche Fall und Osman schafft es, sehr sensibel und einfühlsam zu schreiben, ohne ins Rührselige abzugleiten.

Während die Bände der Reihe zwar in sich abgeschlossen sind, ist es sicherlich gut, die vorangegangenen gelesen zu haben, um die Nebenfiguren und ihre Beziehungen zum Donnerstagsmordclub einordnen zu können. Andernfalls könnte ein Neuleser vermutlich leicht die Übersicht verlieren. Ich habe das Quartett jedenfalls liebgewonnen, auch wenn mir Joyce mit ihrem Geplapper mitunter auf die Nerven geht. Die vier sind Sympathieträger, von allerlei Zipperlein geplagt, aber entschlossen, nicht klein beizugeben, nur weil sie absehbar auf der letzten Etappe des bereits ziemlich langen Lebens sind. Aber den einen oder anderen Mord, den wollen sie halt doch noch klären. Fortsetzung folgt?

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Veröffentlicht am 14.12.2023

Auf einfachstem Weg zum perfekten Ziel?

Hundert Klassiker
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Auf dem einfachsten Weg zum perfekten Ziel kommen - das definiert TV-Koch und Buchautor Steffen Henssler als seinen Anspruch in "100 Klassiker". Diesmal geht es nicht um Schnelligkeit, um Grillkunst, sondern, ...

Auf dem einfachsten Weg zum perfekten Ziel kommen - das definiert TV-Koch und Buchautor Steffen Henssler als seinen Anspruch in "100 Klassiker". Diesmal geht es nicht um Schnelligkeit, um Grillkunst, sondern, wie der Name schon sagt, um Küchenklassiker. Es soll schmecken wie bei Oma - ohne dass man wie einst Oma Stunden in der Küche verbringen muss. Nach dem Motto: Man kann Klassiker nicht besser machen, aber einfacher. Klappt das?

Zunächst einmal spart Henssler in jedem seiner Kapitel nicht mit fachmännischem Rat und Tipps, etwa zum salzen von Fleisch, Umgang mit Fleischthermometer oder dem richtigen Schnitt. Dann kann es losgehen, mit deftiger und klassischer Hausmannskost, von Rouladen über Gulasch bis Frikadellen oder Krustenbraten. Wiener Schnitzel und Kasseler mit Sauerkraut dürfen ebenfalls nicht fehlen. Ob die Rezepte jetzt wirklich so sehr anders sind als im Kochbuch meiner Oma, weiß ich nicht - aber auf jeden Fall handelt es sich um Rezepte, die ich eher nicht in meiner Kochbuchsammlung habe und ich werde mich bestimmt an das eine oder andere von ihnen ranwagen.

Im Fischkapitel gibt es außer dem gewöhnungsbedürftigen Hamburger Traditionsgericht Labskaus und Schollen Finkenwerder Art auch selbstgemachte Fischstäbchen als Alternative zur Tiefkühlkost - die stehen bei mir schon auf der Merkliste. Auch Backfisch mit Remoulade und Matjes Hausfrauenart dürften immer wieder erfreuen.

Klassisch heißt allerdings nicht nur deutsche Hausmannskost, auch Pilzrisotto oder Spaghetti Carbonara sind hier zusammen mit anderen Pasta- und Reisgerichten in einem eigenen Kapitel aufgelistet. Deftig geht es dann wieder im Kartoffelkapitel zu - vom Bauernfrühstück über Kartoffelpuffer und Bratkartoffeln. Auch die Eintöpfe und Suppen sind vor allem wärmend und sättigend, ohne viel Chichi, wie auch die Schmankerln und Salate. Für Süßmäuler schließt sich ein Dessert- und Kuchenkapitel an, in dem auch der Klassiker Milchreis nicht fehlt. Mich lacht hier allerdings vor allem der Birnen Crumble mit Streusseln an. Die dazugehörigen Food-Bilder machen Appetit.

Als klassische Kochbuchsammelung empfehlenswert. Lediglich Veganer kommen hier vermutlich weniger auf ihre Kosten.