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Veröffentlicht am 27.10.2020

Einfach toll!

Sie hat Bock
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Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und ...

Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und dreifache Mutter schreibt über Themen wie das weibliche Genital, die es umrankenden Mythen und die sprachliche Verwirrung, Lust und Unterwerfung, gesellschaftliche Probleme wie Rollenzuschreibungen, Slut-Shaming und Rape Culture. Was wie ein buntes Potpourri erscheint, hat sie mit einem gekonnt beobachtenden Blick und bewusst provozierenden Worten ohne Scham – was wir uns alle zu Herzen nehmen und umsetzen sollten! – hervorragend ausgearbeitet und zu einem stimmigen Ganzen gemacht, gespickt mit Anekdoten, eigenen Erfahrungen und ihrer Sicht auf die thematisierten Probleme.

Es fängt schon an bei der gesellschaftlich angemessenen Bezeichnung des weiblichen Genitals - was ist anstößig, was angemessen? Und vor allem: Wieso findet sich in keinem Anatomiebuch eine korrekte Bezeichnung der weiblichen Anatomie? Auch die Debatte der monogamen Ehe greift sie auf: alles nur ökonomische Vorzüge oder was steckt dahinter? Als Verfechterin offener Beziehungen nimmt sie klar Stellung dazu und beschreibt auch, wie ihre Kinder damit umgehen. Sie diskutiert die gesellschaftlichen Vorstellungen des idealen Frauenbilds, das rasiert, unterwürfig und keusch sein soll, und stellt klar, dass sich keine Frau für ihren Körper schämen sollte – niemals. Ihr Appell: Steht für euch selbst ein, liebt euch und bejubelt eure Weiblichkeit!

Ein wirklich mutiges, intimes und – vor allen Dingen – wichtiges Buch in der heutigen Zeit.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Tolles Debüt

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
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In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum ...

In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum Sport und zur Literatur, und erzählt intensiv und ergreifend von ihrem Leben als Tennisprofi. Als Flüchtlingskind aus dem ehemaligen Jugoslawien begann sie in Darmstadt, auf dem Tennisplatz Fuß zu fassen, bereit, die Welt zu erobern. Humorvoll und nachdenklich schreibt sie über Begegnungen auf und neben dem Tennisplatz sowie ihren zermürbenden Verletzungsphasen, von ihrer serbisch-deutschen Seele und ihrer großen Liebe zu Literatur, Musik. Es sind Erzählungen über das Leben, das Auf und Ab und eine Erinnerung daran, niemals aufzugeben, weiterzukämpfen.

„Oft sind Niederlagen der eigentliche Auslöser für Fortschritt.“ (S. 21)

Nicht nur als Tennisspielerin, auch als Autorin ist Andrea Petković unglaublich talentiert. Sie schreibt mit einem warmen, fesselnden Wortschatz und erzeugt mit ihrer empathischen Art einen ergreifenden Erzählrhythmus. Reflektiert und nachdenklich erzählt sie von großartigen Erlebnissen als Sportlerin, ihrem Leben als Tochter einer serbischen Flüchtlingsfamilie, und niederschmetternden Erfahrungen wie ihren zahlreichen Verletzungen und ihrem Umgang damit. Dabei gibt sie auch einen Einblick, erzählt von alten Freundschaften und dem Verliebtsein, von ihren liebsten Büchern und was sie ihnen gelehrt haben.

Es war unglaublich interessant, mehr über Andrea Petković zu erfahren, einen Blick hinter die Kulissen des Tennissports zu erhalten. Leider konnten mich nicht alle Erzählungen gleichermaßen in ihren Bann ziehen, uferte sie manchmal doch sehr aus, doch insgesamt ein wirklich tolles Debüt.

Vielen Dank an Kiepenheuer & Witsch!

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Nette Lektüre für Zwischendurch

Du wirst mein Herz verwüsten
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Wenn ich an dich denke, herrscht in mir Sommer.

Du wirst mein Herz verwüsten ist eine Sammlung von Textnachrichten, die die französische Autorin und Instagramerin Morgane Ortin auf ihrem Account @amours_solitaires ...

Wenn ich an dich denke, herrscht in mir Sommer.

Du wirst mein Herz verwüsten ist eine Sammlung von Textnachrichten, die die französische Autorin und Instagramerin Morgane Ortin auf ihrem Account @amours_solitaires zugesandt bekommen hat. Aus all diesen Textbausteinen hat sie die Geschichte zweier Menschen zusammengetragen, die sich finden, sich lieben und allen Beziehungsfragen gegenüberstehen. Gleichzeitig ist es ihr Appell an die Revolution der Liebe: mehr Ehrlichkeit und Offenheit, Kommunikation und Legitimität. Es ist ihr ein Anliegen, jedem Menschen und seiner Art zu leben und zu lieben, ohne Vorbehalte gegenüberzustehen, respektvoll zu sein.

Das Format des Buches hat mir sehr gefallen, da das Lesetempo durch die kurzen Absätze schnell ist und man dem Gesprächsverlauf einfach folgen kann. Jedoch finde ich die sprachliche Gestaltung der Textnachrichten nicht sehr realistisch, für ein solches Format viel zu hochsprachlich und formell. Auch die Liebesbekundungen sind phasenweise sehr übertrieben formuliert, kitschig und cringey, doch vereinzelt konnte ich mir auch rührende und herzliche Zitate markieren.

Insgesamt eine wirklich schöne Lektüre, die durchaus eine wichtige Message hat, jedoch auch ihre Schwächen hat.

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Veröffentlicht am 19.10.2020

Augen öffenend und packend

Hundert Augen
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Stell dir eine Welt vor, in der du durch die Augen eines Kuscheltiers das Leben eines anderen Menschen beobachten könntest…

Hundert Augen von Samanta Schweblin ist ein dystopischer Roman, der unsere vernetzte ...

Stell dir eine Welt vor, in der du durch die Augen eines Kuscheltiers das Leben eines anderen Menschen beobachten könntest…

Hundert Augen von Samanta Schweblin ist ein dystopischer Roman, der unsere vernetzte Gegenwart perfide überspitzt, aber erschreckend real in seiner Idee darstellt, und wachrüttelt.
Sie sind überall: Kentukis. Keine Haustiere oder Roboter, eher menschliches Bewusstsein in Gestalt eines Kuscheltiers. Sie sind mit Mikrofonen, Webcams und Rädern ausgestattet, und die ID für die Befehlsgewalt über das Tier kann von jedem Menschen auf der Welt gekauft werden. Der Besitzer des Kentukis selbst hat über seine Handlungen keinen Einfluss, nur die unbekannte Person mit den Steuertasten kann es lenken und leiten.
Der Roman besteht aus mehreren, in kurzen Kapiteln dargestellten, Sichtweisen: Da ist die zunächst liebenswerte Begegnung von Emilia aus Mexiko, die von ihrem Sohn die ID eines Kentukis in Dresden bekommen hat, und sich schnell mit der Besitzerin des kleinen Häschens anfreundet, eine tiefe Beziehung entwickelt. Oder von dem Halbwaisen, der durch sein Kentuki zum ersten Mal in Norwegen den Schnee sieht. Doch allmählich zeigt sich, dass der technische Fortschritt auch Nachteile hat, und die Waage zwischen persönlichem und öffentlichem Lebensbereich, Überwachung und Freiheit neigt sich bedrohlich.

Der kurzweilige, packende Schreibstil hat mir gut gefallen und die Brisanz und Aktualität des Themas optimal transportiert. Die Autorin hält sich nicht mit ausschweifenden Beschreibungen auf, sondern erzählt simpel und treffsicher die Geschichten der Besitzer und der Steuernden. Die kulturelle Vielfalt der Akteure „vor“ und „hinter“ den Kentukis macht den Roman lebendig und zeigt, dass der technische Fortschritt immer mehr überhandnimmt, jedem Menschen auf der ganzen Welt zugänglich ist. Die perfide Kontroverse, Gefallen am überwachen und überwacht werden zu finden, scheint weit hergeholt zu sein, und ist doch gegenwärtiger denn je. So überzeugt mich der Roman nicht nur mit seiner packenden Sprache, sondern vor allem mit seinem Fingerzeig auf unser Nutzungsverhalten sozialer und digitaler Medien.

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Veröffentlicht am 18.10.2020

Herzensbuch

Das Jahr ohne Worte
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Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen (…).

In ihrem Debütroman Das Jahr ...

Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen (…).

In ihrem Debütroman Das Jahr ohne Worte erzählt Syd Atlas eine ergreifende Liebesgeschichte, die sich genau so vor wenigen Jahren zugetragen hat. In einem Café im Prenzlauer Berg lernt Syd den Filmemacher Theo kennen. Er ist alleinstehend, charismatisch und sie weiß, dass sie diese Art von Liebe, die sie beide verbindet, vermutlich nur einmal erleben wird. Sie bekommen ein Kind, ziehen zusammen und alles scheint in ihrer kleinen Patchworkfamilie perfekt – bis Theo immer eine schwerwiegende Diagnose erhält: ALS [amyotrophe Lateralsklerose]. Von Tag zu Tag baut Theo ab, körperlich und emotional, doch Syd kämpft dafür, ihr gemeinsamen Glück bis zum letzten Tag aufrecht zu erhalten – bis sie eines Tages eine furchtbare Entdeckung macht.

Dieses Buch hat mich auf einer Achterbahn der Gefühle begleitet, ließ mich lachen und weinen, aus Ergriffenheit genauso wie vor Erschütterung. Mit einfachen Worten, kleinen lustigen Anekdoten und scheinbar nebensächlichen Bemerkungen hat Syd Atlas eine authentische, zutiefst emotionale Liebesgeschichte geschrieben, ungeschönt und ehrlich. Die Geschichte lebt von ihrer Zwanglosigkeit und Situationskomik, einem harmonischen Erzählfluss, ist emotions- und spannungsgeladen und umgibt den Leser von Beginn an wie eine herzliche Umarmung. Die Stärke und Zuversicht, mit der Syd und Theo mit der Diagnose umgehen, es den Kindern schonend beibringen, nie die Hoffnung aufgeben und dabei ganz sie selbst bleiben, hat mich beeindruckt und bewegt, ja geradezu bewundert. Durch meine Arbeit in der Neurologie konnte ich mich im Hinblick auf die medizinischen Aspekte und Perspektiven noch besser in die Protagonisten einfühlen – was es für mich zu einem ganz besonderen Herzensbuch macht, über das ich auch in Zukunft noch nachdenken werde.

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