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Veröffentlicht am 31.10.2018

Von Luthers Gewicht und seiner Gewichtigkeit

Der feiste Doktor
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Wie kam es, dass Luthers Gegner keine Witze über dessen Leibesfülle machten? Wie hängen Körper und Theologie bei Martin Luther zusammen? In ihrem Buch „Der feiste Doktor. Luther, sein Körper und seine ...

Wie kam es, dass Luthers Gegner keine Witze über dessen Leibesfülle machten? Wie hängen Körper und Theologie bei Martin Luther zusammen? In ihrem Buch „Der feiste Doktor. Luther, sein Körper und seine Biographen“ geht die englische Theologin Lyndal Roper der Bedeutung des Körpers bei Martin Luther nach.

Dabei kommt Roper in ihrem kurzen Text von nur knapp 80 Seiten – ursprünglich als Aufsatz veröffentlicht – zu bemerkenswerten Erkenntnissen: Luthers Anhänger hätten es nicht nur geschafft, das Lutherbild selbst zu prägen, der korpulente Luther sei zudem eine „visuelle Revolution“. Denn Luther sei nicht als hagerer Geistlicher beschrieben wie die Heiligen des Mittelalters, noch als Prophet. Luther war eben Luther. Cranachs Werkstatt sei hier stilprägend gewesen.

Wie bei den Porträts der Herrscher des sächsischen Hofs zeige das Gewicht Luthers seine Gewichtigkeit. Auch deshalb, so Roper, hätten Luthers Gegner sich nicht getraut, dessen Leibesfülle zum Spott zu nutzen – und das obwohl in reformatorischen Flugblättern die Päpste und Bischöfe immer dicklich überzeichnet waren.

In den Bildern wird Luther immer mehr zum standhaften Koloss, in den Biographien immer mehr zum Kämpfer für die gerechte, richtige Sache. Doch, ist sich Roper sicher, steckt mehr dahinter: Luthers Körper war für seine Persönlichkeit wesentlich.

Dies zeigt die Theologin daran, wie sehr Luther über die Verdauung gesprochen hat – und das nicht nur in seinen Tischreden. Auch in Briefen beschäftigt ihn die Frage nach den richtigen Abführmitteln direkt neben theologischen Fragen. Das schonungslose, tabulose Reden über Körperliches könne man auch in seinem Denken erkennen.

Durch Luther sei das Verhältnis von Fleisch und Geist neu beschrieben worden. Für ihn gab es keine scharfe Trennung von Körper und Geist. „Luther konnte tiefe Gefühle und theologische Überzeugungen durch das Medium des Körpers ausdrücken“, sagt Roper.

An zwei Beispielen verdeutlicht sie dies: der Teufel sei bei Luther eher eine „spirituelle Präsenz“ als ein dämonisches Wesen. Und wenn es bei Luther um den Teufel gehe, müsse man immer auch den Humor mitdenken, rät Roper. Wie sonst ließe sich erklären, dass man – nach Luther – den Teufel mit einem Furz bekämpfen kann?

Ropers zweites Beispiel ist das Abendmahl. Luthers Festhalten an dem Materiellen der Eucharistie, der Realpräsenz, sieht sie als Folge von Luthers körperlichem Denken. Letzteres Beispiel hat mich zugegebenermaßen nicht überzeugt.

Insgesamt aber bietet Lyndal Roper einen spannenden Einblick in den Umgang mit der Körperlichkeit Martin Luthers. Einmal von ihm selbst, aber auch von seinen Anhängern. Das Buch wirkt zu sehr wie ein wissenschaftlicher Aufsatz (inklusive ganzseitiger Fußnoten!), um ihn genießen zu können – hier hätte es mehr Essay und etwas weniger Wissenschaft gutgetan. Dennoch ist es ein lesenswerter Text, mit dem man Luther einmal anders kennenlernt.

Veröffentlicht am 29.10.2018

Literarische, historische Reiseberichte

Europareise
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Fast zehn Stunden kann man sich mit dem Hörbuch „Europareise“ aus dem Audiobuch-Verlag auf Reisen begeben. So unterschiedlich die Autoren sind, so unterschiedlich sind auch die Reiseberichte.

In dieser ...

Fast zehn Stunden kann man sich mit dem Hörbuch „Europareise“ aus dem Audiobuch-Verlag auf Reisen begeben. So unterschiedlich die Autoren sind, so unterschiedlich sind auch die Reiseberichte.

In dieser Sammlung aus der Reiseliteratur kommen ganz unterschiedliche Texte zum Tragen. Da finden sich bekannte Autoren wie Goethe, Seume, Zweig, Heine und Dickens, aber auch unbekannte wie Ida Pfeiffer.

Bekanntheit ist hier auch nur bedingt ein Qualitätsmerkmal – so wirkt Heinrich Heines Bericht über Polen eher langweilig, während Ida Pfeiffer mit ihrem Bericht über Reykjavik ein spannendes Bild von Islands Hauptstadt bietet.

Dass der Großteil der Texte aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammt, führt dazu, dass man vor allem einen historischen Blick in die Reiseliteratur tut. Reykjavik etwa wird von Ida Pfeiffer als ödes Kaff beschrieben, bestehend aus einer einzigen Straße, der Hauptstraße. Auch über die Menschen weiß sie nicht allzu viel Schmeichelhaftes sagen – übertroffen wird sie nur von Grillparzers launigem Blick auf die Menschen.

Die Sammlung bietet die Möglichkeit zu vergleichen, wie die Reiseschriftsteller ihre Arbeit versahen – und wie sie sie verstanden. Mal liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung von Landschaft und Sehenswürdigkeiten, mal wird nach dem Landestypischen gesucht, mal das Außergewöhnliche, mal das Abenteuer betont. Auch schrecklich Barbarisches wird betont. Sei es der Sklavenmarkt, den man besucht, seien es die Frauen, die – landestypisch – ihre Kinder nicht richtig versorgen. Man erfährt, welcher Schriftsteller welche Landschaften als öde ansieht, wer bei Regen seine Unterkunft nicht verlässt und wer die Mühen der Internierung auf sich nimmt, um für nur wenige Tage nach Syra zu kommen.

Eine Stärke des Hörbuchs sind die unterschiedlichen Sprecher der Reiseberichte. So entsteht eine gewisse Abwechslung. Einen kurzen Einstieg zu den einzelnen Autoren bietet das Booklet – das erleichtert den Einstieg in den jeweiligen Reisebericht.

Meine Erfahrung beim Hören: am interessantesten sind die Reiseberichte, deren Länder man selbst kennt. Da verzeiht man auch eher plumpe Urteile über Mensch und Natur.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Düstere Grundstimmung

Mit der Faust in die Welt schlagen
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„Dieses ganze eingefallene, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße. Kein Mensch auf der Straße. Abriss und Leerstand. […] Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und Arztpraxen. Die Kreise, ...

„Dieses ganze eingefallene, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße. Kein Mensch auf der Straße. Abriss und Leerstand. […] Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und Arztpraxen. Die Kreise, die sie zusammenlegten, die Gemeinden und Städte. Die Wege wurden länger, die Entfernungen größer. Für Griechenland war Geld da gewesen und für unnötige Umgehungsstraßen. Schnellstraßen, damit niemand mehr durch die traurigen Orte fahren musste.“

Es ist dieses trostlose Bild Ostdeutschlands, genauer gesagt der Oberlausitz, das in Lukas Rietzschels Buch „Mit der Faust in die Welt schlagen“ vorherrscht. Die beiden Brüder Philipp und Tobias wachsen in Neschwitz auf, einem kleinen Dorf, das nach der Wende nichts mehr zu bieten hat. Das Schamottewerk hat dicht gemacht, selbst die Kantine wird zur Ruine. Wer kann, geht. Zurück bleibt, wer es nicht geschafft hat.

Bald bröckelt es auch in der Familie der Geschwister. Der Vater geht fremd, verlässt Frau und Kinder. Viel los ist nicht im Dorf, und so bildet sich rasch eine Clique, mit der Philipp unterwegs ist. Nach und nach rutscht die Gruppe ins rechte Milieu ab, wobei es meist bei markigen Worten bleibt. Lukas Rietzschel gelingt es hier, das abzubilden, was gesellschaftlich in Deutschland wahrzunehmen ist: Unzufriedenheit (auch im Westen!), die rechtsradikale Stereotype aufgreift, verbunden mit Politikverdrossenheit. „Es braucht mal wieder einen richtigen Krieg“, sagt Tobias, der jüngere der beiden Brüder. Er schwadroniert von Untermenschen und unfähigen Politikern gleichermaßen. Einer, der sich zurückgesetzt fühlt. Auch von seinem Bruder.

Mit Beginn seiner Ausbildung zieht Philipp daheim aus, für Tobias ist das ein Verrat, die Beziehung der beiden wird auf eine Probe gestellt. Zudem zieht sich Philipp aus der Clique zurück, als Tobias dazukommt. Er macht sein eigenes Ding. Einen anderen Freundeskreis allerdings, so scheint es, kann Philipp sich nicht aufbauen.

So ist der Debutroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ nicht nur ein Buch über den aufkommenden Rechtsextremismus im Osten, sondern zugleich ein Buch über zwei Brüder, die sich immer mehr voneinander entfremden. Gemeinsam haben sie, dass sie ihren Weg selber finden müssen und wenig Halt in Familie und Peer Group finden.

„Mit der Faust in die Welt schlagen“ gibt vielleicht nicht die Antworten auf die Frage, weshalb Rechtsextremismus entsteht und gar gesellschaftsfähig wird, es bildet aber gekonnt die Stimmung ab, die notwendig ist, um Nährboden für Unzufriedene zu sein. Lukas Rietzschel bedient sich dabei der Sprache der kurzen, abgehackten Sätze, oft verbunden mit Wortauslassungen und lässt so eine durchgehend düstere Stimmung. Der Ort Neschwitz mit seinem Schlösschen kann einem Leid tun: Rietzschel schafft es in seinem Roman, daraus einen Un-Ort zu machen, überzeugend.

Veröffentlicht am 11.10.2018

Nicht stimmig erzählt

Ich war Diener im Hause Hobbs
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„Ich war eine Schlaftablette, die nicht richtig wirkte, zufrieden und unbedarft segelte ich durch eine glatte See, ich kannte keine Stürme, keine Unwetter, kein Bermudadreieck der Emotionen, ich war ein ...

„Ich war eine Schlaftablette, die nicht richtig wirkte, zufrieden und unbedarft segelte ich durch eine glatte See, ich kannte keine Stürme, keine Unwetter, kein Bermudadreieck der Emotionen, ich war ein simples Gemüt.“

So beurteilt sich Christian Kauffmann zum Ende des Buches hin. Kauffmann hat den Beruf des Butlers erlernt. Bei der Familie Hobbs arbeitet er einige Jahre als Diener, bis es zu einem Todesfall kommt, der ihn völlig aus der Bahn wirft.

Es hätte spannend sein können, darüber zu lesen, wie dieser anachronistische Beruf in unserer Zeit in einer Familie mit Leben gefüllt wird. Doch in der Tat ist es so, dass Christian Kauffmann so gar keine interessante Persönlichkeit hat. Es hätte spannend sein können, über die Familie Hobbs, wo Ehemann und Ehefrau unterschiedlicher nicht sein könnten, zu lesen. Doch in der Tat ist es so, dass diese charakterlichen Gegensätze nachdem sie einmal beschrieben wurden, später kaum noch eine Rolle spielen. Es hätte spannend sein können zu lesen, wie Christian es schließlich gelingt, die Umstände des mysteriösen Todesfalls zu lösen. Doch in der Tat ist es so, dass das Buch mit einer großen Menge an Belanglosigkeiten gefüllt ist und zum Ende hin die Auflösung derart unwahrscheinlich und an den Haaren herbeigezogen ist, dass es keine Freude ist, das Buch zu lesen.

Der Trick des Buches ist, dass es rückblickend erzählt wird – Christian Kauffmann schreibt nachdem er alles herausgefunden hat, seine Geschichte auf. Damit ist das Buch mit Anspielungen gespickt, die man beim zweiten Lesen erkennt – beim zweiten Lesen, da man auf Kleinigkeiten so nicht unbedingt achtet und da Namen oft erwähnt werden, bevor sie überhaupt eingeführt wurden. Man könnte dieses Erzählen als Clou sehen, für mich ist es allerdings einfach nur leserunfreundlich.

Nein, das Buch ist definitiv nichts für mich. Ich finde es trotz mancher guter Passage so gar nicht gelungen. Nicht nur, dass am Schluss sich erweist, dass alles völlig konstruiert ist, auch die Figur des Christian Kauffmann ist für mich keine stimmige Figur. Ein Diener, der eine Abneigung gegen seine Heimatstadt Feldkirch hat, dann aber stinksauer ist, wenn er von seinen früheren Freunden, zu denen er nur lose Kontakt hält, nicht alles erfährt, was geschieht. Dann trennt er sich von seinem Lebenspartner, einfach so, vermutlich weil der vor ihm richtig kombiniert hat und früher wusste, was Sache in dem Todesfall ist. Ein Diener, der sauer ist, wenn alte Freunde ihn zurechtweisen, aber zugleich überhaupt keinen Wert auf ihr Ergehen oder gar auf ihre Meinung legt. Ein treuer Diener, der anfängt, seine Arbeitgeber zu bespitzeln.

Hinzu kommt, dass der Roman völlig willkürlich hin- und herschwingt zwischen zwei Welten – der des Dieners und der der Hobbs, die dann auch noch so absonderlich verknüpft werden müssen, dass es einem die Schuhe auszieht. Dass Christian Kauffmann seinen Bericht über das Geschehene schreibt, weil er sich schuldig fühlt, geht am Ende völlig unter.

Fazit: „Ich war Diener im Hause Hobbs“ ist ein Buch, das zwar gute Seiten hat (etwa wenn das Wesen eines Butlers beschrieben wird), aber insgesamt in keiner Weise stimmig erzählt ist.

Veröffentlicht am 09.10.2018

Trunken vor lauter Schauen

Rilke Projekt - Wunderweiße Nächte
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„Liebe, ich bin trunken vor lauter Schauen“ – so beginnt die neue CD „Wunderweiße Nächte“ des Rilke-Projekts. Herbst-, Winter- und Weihnachtslieder sind auf dieser CD versammelt. Genauer gesagt: Texte ...

„Liebe, ich bin trunken vor lauter Schauen“ – so beginnt die neue CD „Wunderweiße Nächte“ des Rilke-Projekts. Herbst-, Winter- und Weihnachtslieder sind auf dieser CD versammelt. Genauer gesagt: Texte und Lieder. Wobei die Rilke-Texte immer auch musikalisch untermalt sind.

Ein Schwerpunkt der Texte liegt auf dem Glanz der Welt, den Rilke beschreibt. Vom „späten Glanz“ des Herbstes über den Glanz einer Sternennacht bis hin zum Heiligen Abend, wo „alles Dunkel sich in Glanz verwandelt“. Für Rilke geht dieser Glanz einher mit der tiefen Ergriffenheit des Beobachters. Für Rilke ist es letztlich die Ergriffenheit vor Gottes großartiger Schöpfung.

So verwundert es nicht, dass die Lieder und Texte überwiegend melancholisch daherkommen. Nur wenige der Sänger und Sprecher brechen hier aus, wie etwa Mathias Koeberlin mit „Seliger Weihnachtstag“, das eher flott daherkommt und auch „So singt die Welt“ bricht nach und nach mit der Melancholie.

Rilkes Gedicht „Du, Nachbar Gott“ greift die Frage nach der Bedeutung des Schauens auf. Die Sinne sind endlich, ohne Heimat, von Gott getrennt. Erst das Ergriffensein führt zur Nähe zu Gott, sodass nur noch eine schmale Wand den Ergriffenen von Gott trennt.

Auch wenn der bekannte „Herbsttag“ („Herr, es ist Zeit…“) auf dieser CD fehlt (er ist ja schon auf einer anderen CD des Rilke-Projekts vorhanden), so ist es doch eine rundum gelungenen Auswahl an Gedichten, die den Weg vom Herbst in den Winter gehen.

Mir haben diese Rilke-Vertonungen – wie schon die Vorgänger des Rilke-Projekts – sehr gefallen. „Wunderweiße Näche“ kann man sich immer wieder anhören.

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