Profilbild von frenx

frenx

Lesejury Star
offline

frenx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit frenx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.04.2024

Ein Buch, das einen in seinen Bann zieht

Nebelhorn-Echos
0

Danny Ramadans „Nebelhorn-Echos“ ist ein Roman, der einiges an Spannung aufbietet.

Erzählt wird die Geschichte von Hussam und Wassim, die als Jugendliche eine tiefe Zuneigung zueinander entdecken. Beide ...

Danny Ramadans „Nebelhorn-Echos“ ist ein Roman, der einiges an Spannung aufbietet.

Erzählt wird die Geschichte von Hussam und Wassim, die als Jugendliche eine tiefe Zuneigung zueinander entdecken. Beide stammen aus Syrien.

Während Hussam in der queeren Szene Kanadas eine Heimat gefunden hat, bleibt Wassim in Damaskus, obwohl im Land ein Bürgerkrieg herrscht.

Beide Leben werden getrennt voneinander erzählt, auch wenn sie miteinander verwoben sind. Es gibt Vancouver- und Damaskus-Kapitel. Beide Leben sind zutiefst realistisch dargestellt, mit all dem Schmerz, den sie erlebt haben, mit all der Schuld, die sie auf sich geladen haben Hussam hat zunächst große Schwierigkeiten, sich in Kanada heimisch zu fühlen, die Vergangenheit lastet alptraumartig auf ihm. Immer wieder sieht er seinen toten Vater, der auch zu ihm spricht. Seine Beziehungen scheitern, er flüchtet sich in die Welt der Drogen.

In Damaskus lebt Wassim in einer zwangsweise geschlossenen Ehe. Er beendet den Kontakt zu seinen Eltern, stimmt der Scheidung zu. Kontakt zu seinem Kind hatte er ohnehin kaum. Eindringlich erzählt sind die Schwierigkeiten, in Syrien als homosexueller Mann zu leben. Zudem zieht sich Wassim zunächst in ein verlassenes Haus zurück, lebt versteckt, auch weil er nicht von der Armee eingezogen werden will. Sehr eindrücklich sind die immer wieder stattfindenden Gespräche mit einer imaginären Frau, die in dem verlassenen Haus – dies erzählt sie Wassim – von ihrem Mann umgebracht wurde. So kommt in das Buch auch die weibliche Perspektive, die einer unterdrückten Frau, die versucht aus ihrer Ehe auszubrechen.

Erst nach einer langen Pause kommt es wieder zum Kontakt zwischen Wassim und Hussam. Beiden gelingt es nur unter großen Schwierigkeiten, ein glückliches Leben zu führen. Der Titel des Buches weist auf diese Schwierigkeiten hin. Hussam wacht von einem Nebelhorn auf, es erinnert ihn zunächst an den Schrecken des Krieges und der politischen Verfolgung in Syrien. Erst später nimmt er es als Zeichen des Schutzes und der Geborgenheit wahr.

„Nebelhorn-Echos“ ist ein Buch, das einen in seinen Bann zieht. Das liegt vor allem an den beiden Hauptfiguren, die einem in all ihrer Zerbrechlichkeit ans Herz wachsen und zum anderen an der Struktur des Romans, dessen Handlung sich erst nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.03.2024

Ungewohnte Erzähltechnik, die aufgeht

Lichtungen
0

In ihrem neuen Roman „Lichtungen“ schildert Iris Wolff die Geschichte von Kato und Lev. Das Besondere daran: die Geschichte wird rückwärts erzählt. Bei Iris Wolff geht diese ungewohnte Erzähltechnik voll ...

In ihrem neuen Roman „Lichtungen“ schildert Iris Wolff die Geschichte von Kato und Lev. Das Besondere daran: die Geschichte wird rückwärts erzählt. Bei Iris Wolff geht diese ungewohnte Erzähltechnik voll und ganz auf.

Der Roman beginnt damit, dass Lev zu Kato reist, seiner Freundin aus Kindheitstagen. Wie die beiden Freunde geworden sind, erfährt man freilich erst viel später im Buch. Es wird eben rückwärts erzählt. Auf diesem Weg lernt man Lev immer besser kennen und kann sich rückwirkend manches erschließen.

Dabei wandelt sich auch das Bild, das man von Lev hat. Wirkt er anfangs eher extrem zurückhaltend, introvertiert und absolut nicht entscheidungsfreudig, so ändert sich dieses Bild, wenn man sich zum jungen Lev vorarbeitet. Impulsiv wirkt er da und vom Schicksal gebeutelt.

Die Gefahr, dass man durch diesen Erzählstil manches überliest und nicht in einen Zusammenhang stellen kann, besteht freilich. So wird die Bedeutung der Katze, die in so gut wie allen Kapiteln vorkommt, erst gegen Ende klar. „Jeder Augenblick enthält alles Gewesene“ heißt es an einer Stelle im Buch. Ja, so kann man es auch sehen: in der Gegenwart ist die Vergangenheit präsent, sie muss eben nur noch erzählt werden.

Manches bleibt aber auch offen, vor allem die Beziehung zwischen Lev und Kato. Ist es Liebe? Als Kato zu Levs Überraschung aus der Enge der Heimat flieht, besorgt sich Lev ein Fahrrad und fährt aus trotz oder verschmähter Liebe in die entgegengesetzte Richtung. Später sind sie gemeinsam unterwegs. Auch die Beziehung zwischen Lev und seinen Brüdern bleibt offen, allzu nah scheinen sie sich nicht zu stehen.

Iris Wolff erzählt „Lichtungen“ in einer wunderbar fließenden Sprache, immer wieder unterbrochen von sperrigen und nachdenklichen Sätzen wie dem, dass Erinnerungen wie verstreute Lichtungen sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2023

Spannender Jugendkrimi, der in einer Fantasy-Welt spielt

Der Spurenfinder
0

Marc-Uwe Kling hat mit seinen beiden Töchtern Johanna und Luise gemeinsam ein neues Buch geschrieben: „Der Spurenfinder„. Die Klings nennen es selbst eine Fantasy-Krimi-Komödie. Und ja, es hat von allen ...

Marc-Uwe Kling hat mit seinen beiden Töchtern Johanna und Luise gemeinsam ein neues Buch geschrieben: „Der Spurenfinder„. Die Klings nennen es selbst eine Fantasy-Krimi-Komödie. Und ja, es hat von allen dreien etwas, am wenigsten vielleicht von der Komödie.

Worum geht es? Elos von Bergen hat sich als Spurenfinder zur Ruhe gesetzt. Zu gefährlich ist ihm sein Job, jetzt, wo er sich um seine zwei 12-jährigen Kinder kümmern muss, die Zwillinge Ada und Naru. Ihre Mutter ist kurz nach der Geburt gestorben.

Deshalb zieht Elos mit seinen Kindern nun in „das verschlafenste Nest von dem er je gelesen hatte“, nach Friedhofen – was abgekürzt steht für Friedrichshofen, benannt nach König Friedrich.

Eigentlich will sich Elos nur noch mit dem Schreiben seiner Memoiren beschäftigen, doch dann geschieht ausgerechnet in Friedhofen ein rätselhafter Mord. Keine Frage: Elos‘ detektivische Fähigkeiten kommen flugs wieder zum Vorschein. Dass er seine Kinder beim Kriminalisieren raushalten kann, das glaubt nur Elos – und auch nur anfangs.

„Der Spurenfinder“ spielt in einer Zeit, in der Könige herrschen und in der Menschen mit besonderen Eigenschaften leben, die sie zum Beispiel zu Monstern verwandeln lassen. Ansonsten ist die Welt, in der nun ermittelt wird, keine allzu außergewöhnliche. Man muss sich nicht an neue Erfindungen oder ganz andere Welten gewöhnen. Sprich: man ist ziemlich schnell in einer spannenden Geschichte gefangen, die viele Wendungen hat. Irrungen und Wirrungen, die überwiegend sehr plötzlich daherkommen, zumeist als überraschende Erkenntnisse von Elos.

Dass die drei hin und wieder ins Leere ermitteln, einfach Dinge unterstellen und nicht mit ganz legalen Mitteln ermitteln, tut der Geschichte keinen Abbruch. Auch nicht, dass sie zunächst einmal einen Unschuldigen dingfest machen. Er hat ja sonst genug auf dem Kerbholz, ist die einfach Einsicht. Und doch wird in der letzten halben Stunde des Hörbuchs dann doch noch der richtige Täter ermittelt.

Dass die Königin sogar vom Balkon aus gegen die Palast-Revolte ein Manifest gegen den Krieg verliest, gehört zu den klugen Einfällen der Autor*innen. Begeistert haben mich auch die witzigen Dialoge der drei. Die Zwillinge, die sich streiten, der Junge, der immer recht haben will, der Vater, der von seinen Kindern immer wieder ausgebremst wird.

Auch wenn der Verlag keine Angaben dazu macht, so ist das Buch als Jugendbuch einzuordnen, auch wenn es Erwachsenen genauso Spaß machen kann, mitzurätseln, wer nun der Mörder ist. Die Stimmen der Personen sind im Hörbuch gut unterscheidbar, sodass „Der Spurenfinder“ ein großes Hörerlebnis ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.07.2023

Figuren mit Ecken und Kanten

Die Lüge
0

Mikita Frankos Roman „Die Lüge“ ist ein beeindruckender Debutroman des russischen Autors, den er bereits mit Anfang 20 geschrieben hat.

Mikita ist die Hauptfigur in Frankos Buch. Als er fünf Jahre alt ...

Mikita Frankos Roman „Die Lüge“ ist ein beeindruckender Debutroman des russischen Autors, den er bereits mit Anfang 20 geschrieben hat.

Mikita ist die Hauptfigur in Frankos Buch. Als er fünf Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Er wächst bei seinem gerade Mal 16 Jahre älteren Onkel Slawa auf, der ihn adoptiert.

Der Buchtitel „Die Lüge“ ist freilich nicht besonders gelungen. Bei dem Roman handelt es sich um einen klassischen Entwicklungsroman. Mikita wird erwachsen, er rebelliert gegen seine Umwelt, prügelt sich, läuft von zuhause weg, verliebt sich. Die Lüge ist das, was Mikita nicht erzählen darf: dass sein Onkel mit einem Mann zusammenlebt, denn sonst würde Mikita in Russland im Kinderheim landen. Die Lüge gehört für Mikita zum Erwachsenwerden, ist aber nur ein Teil davon. Viel wichtiger ist die Väter-Sohn-Beziehung, ebenso die Auseinandersetzung mit sich selbst. Natürlich kann man sagen, dass die „Lüge“ das alles überlagert, doch trifft dies nicht den Erzählstil des Buches.

Erzählt wird das Erwachsenwerden durchweg aus der Sicht von Mikita. Das ist gut so, denn Mikita ist eine Figur, an der man sich reiben kann. Er streitet sich mit seinen Eltern, ist trotzköpfig, vorwurfsvoll. Später dann ist er in sich zerrissen, überheblich, widersprüchlich, wird gewalttätig. Mikita ist eine Figur, die gerade durch ihre inneren Widersprüche lebendig wird. Und das hat bei Mikita Franko auch eine sehr humorvolle Seite. Die zeigt sich vor allem in den teilweise recht grotesken Dialogen. Beispiel gefällig? Hier der Dialog zwischen Katja und Mikita:

„Warum stehst du nicht auf?“
„Ich weiß nicht.“
„Komm, wir gehen.“
„Nein, ich will nicht, fauchte ich sie lustlos an. „Ich mag es, in den Schnee zu schauen.“
„Bist du verrückt, oder was?“
„Ich weiß nicht.“
„Ich gehe dann mal.“
„Geh.“
Sie war schon ein Stück weggefahren, kam aber wieder und sagte, dass ein normaler Mensch nicht so auf dem Eis rumliegen und in den Himmel glotzen würde.

Mikita Franko gelingt es so, bei aller Ernsthaftigkeit und Traurigkeit des Themas, immer wieder einen humorvollen Unterton zu setzen. Zu Lasten seiner Figuren geht das nicht.

Der Roman wirkt über weite Strecken episodenhaft, einzelne Szenen werden herausgestellt, anderes bleibt offen – etwa die Frage, ob die Familie noch emigriert oder nicht. Auch die Verbindung zwischen Mikita und Wanja bleibt sehr rudimentär, was umso erstaunlicher ist, da es Mikita ist, der sich in einem Kinderheim mit Wanja anfreundet und dafür sorgt, dass er von Slawa adoptiert wird.

Aber gerade das macht das Buch aus: dass nicht alles auserzählt ist, dass Widersprüche bleiben und dass die Figuren ihre Ecken und Kanten haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.05.2023

Ein Buch, das einen beim Lesen mehr und mehr in seinen Bann zieht

Walter Nowak bleibt liegen
0

Walter Nowak ist nur bedingt ein sympathischer Zeitgenosse. Julia Nowak bringt in ihrem Roman „Walter Nowak bleibt liegen“ eben diesen in eine sehr unangenehme Lage: er stürzt und bleibt erst einmal liegen. ...

Walter Nowak ist nur bedingt ein sympathischer Zeitgenosse. Julia Nowak bringt in ihrem Roman „Walter Nowak bleibt liegen“ eben diesen in eine sehr unangenehme Lage: er stürzt und bleibt erst einmal liegen. In dieser Situation lässt er nach und nach sein Leben rekapitulieren.

Vom Besuch im Schwimmbad weitet sich der Erzählbogen bis in die Kindheit hinein. Obwohl er als uneheliches Kind der Häme seiner Mitschüler ausgesetzt war, ist es eher die Gegenwart, die ihn an seine Grenzen bringt. Ist alles in Ordnung?, fragt ihn sein Sohn Felix. Der Leser hat allen Zweifel, dass dem so ist. Warum sonst liegt seit mehreren Tagen ein aufgetautes Wildschwein in der Küche?

Walter Nowak fantasiert, sieht Dinge, die es nicht gibt. Er wirkt wie in Trance. Liegt es an einer Krankheit oder am Knall mit dem Kopf gegen den Beckenrand im Schwimmbad? War nun eine Fledermaus im Bad oder ist das ein Hirngespinst Walters?

Dass der Roman als innerer Monolog verfasst ist, macht ihn an manchen Stellen mühevoll zu lesen, vor allem weil die Autorin sich an Anakoluthen sehr erfreut. Sätze. Wie abgebrochen. Angedachte, nicht zu Ende gedachte Sätze, Weggelassenes – all das gehört zu „Walter Nowak bleibt liegen„. Hinzu kommen Stichwort-Verknüpfungen quer durch die Zeiten. Vom eigenen Röntgenbild zum Ultraschallbild des Sohnes, vom Sohn zur Ärztin, von der Ärztin zur eigenen Mutter, von der Mutter vom Kindsein in der Nachkriegszeit und wieder zurück in die Gegenwart. Das ist einerseits sehr anstrengend zu lesen, auf der anderen Seite aber eben auch sehr reizvoll.

Denn ist es die Sprache, die dem Leser immer wieder deutlich macht: Wir wissen nichts über diesen Walter Nowak. Nichts, was wir nicht von ihm selbst erfahren. Ist Yvonne wirklich auf einer Tagung oder hat sie ihn verlassen? Was für eine Krankheit wurde bei ihm diagnostiziert? Das ist es, was dem Roman auch seine Kraft gibt. Man steht vor einem unzuverlässigen Erzähler, der zudem noch Schwierigkeiten hat, seinen Alltag zu leben. Doch was haben seine Aussetzer zu bedeuten? Wie kommt es, dass der 70-jährige Walter Nowak plötzlich so völlig hilflos darin ist, sein Leben zu leben?

Dass zuletzt die Beziehung zu seinem Sohn immer mehr in den Vordergrund rückt, gibt dem Buch gegen Ende zudem noch einmal einen neuen Drive.

„Walter Nowak bleibt liegen“ ist ein Buch, das einen beim Lesen mehr und mehr in seinen Bann zieht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung