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Veröffentlicht am 02.09.2018

Frauen-Schicksalsroman, der leider im Kitsch endet

Das rote Adressbuch
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Frauenschicksale, so scheint es, sind wieder stark in Mode. Wurde zunächst viel Tamtam um Ida gemacht, so folgt nun (freilich – noch – nicht in überregionalen Medien) „Das rote Adressbuch“ von Sofia Lundberg. ...

Frauenschicksale, so scheint es, sind wieder stark in Mode. Wurde zunächst viel Tamtam um Ida gemacht, so folgt nun (freilich – noch – nicht in überregionalen Medien) „Das rote Adressbuch“ von Sofia Lundberg. In beiden Hörbüchern müssen sich Frauen in den Wirren der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg behaupten. Und dabei müssen die beiden Frauen viele Schicksalsschläge hinnehmen.

Während „Ida“ von Katharina Adler sich eher im Geschichtlichen verliert, drückt „Das rote Adressbuch“ ordentlich auf die Tränendrüse und wird am Schluss zum großen Herzschmerzkino. Das Geschichtliche wird hier eher zur Nebensache, denn in den USA unterscheidet man sowieso keine Länder und spricht vom Krieg in Europa. Sofia Lundberg konzentriert sich ganz und gar auf ihre Protagonistin. Wenn sie die Armut im Stockholm der 1920er Jahre aufgreift, dann erfährt man nicht mehr als dass das Kind weggegeben wurde, weil die Familie arm war.

Die Stärken von Sofia Lundbergs Debütroman sind daher anderswo zu finden: Hauptfigur ist die 96-jährige Doris, die auf ihr Leben zurückschaut. Und so ist auch immer wieder in dem Hörbuch das Leben im (hohen) Alter thematisiert. Die Unterstützung im Haus durch ausländische Pflegekräfte, die Frage nach einem Platz im Pflegeheim, der Umgang mit alten Patienten im Krankenhaus. All das ist eingebettet in den Rückblick auf ein bewegtes Leben. Wo sonst oft die rüstige Greisin erzählt, kommen hier auch Schmerzen und Leid zum Vorschein.

Das Zweite, das ich an diesem Hörbuch spannend finde, ist die Einstellung einer Generation von Frauen zu ihrem Schicksal. Es wird hingenommen. Und so macht auch Doris kein besonderes Aufheben um ihr Schicksal. Sie wird weggegeben: als Hausmädchen hat sie es besser. Überrascht stellt sie fest, als sie Mannequin wird: das ist ja mehr Arbeit als Hausmädchen. Nach einem Jahr meldet sich ihr Freund aus den USA – sie fährt zu ihm, um ihn zu heiraten. Natürlich bleibt Doris oft nichts anders übrig, als mit dem zu leben, was ihr widerfährt. Was aber meines Erachtens typisch für diese Generation ist und von der Autorin wunderbar eingefangen ist, ist die Art, wie darüber berichtet wird. Doris jammert nicht.

Diese Einstellung ändert sie bis zu ihrem Tod nicht. In ihrem roten Adressbuch, das sie als Kind vom Vater zu ihrem zehnten Geburtstag geschenkt bekam, schreibt sie neben alle Verstorbenen „tot“ an den Rand. Als Leser spürt man, dass sie sich einsam fühlt, sagen würde es Doris von sich selbst allerdings nicht. Sie nimmt es hin, so wie sie auch die vielen Schicksalsschläge, die sie ereilen, hinnimmt. Gerade weil diese Schicksalsschläge mit vielen Wendungen in der Handlung einhergehen, eignet sich das Buch ganz wunderbar als Hörbuch. Man fragt sich als Zuhörer, was diese Frau noch alles ertragen soll und folgt atemlos ihrer Odyssee nach Frankreich, in die USA und zurück nach Schweden.

Veröffentlicht am 25.07.2018

Mörderisches Klassentreffen

Nichts ist verziehen
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Ein Klassentreffen ist ist der Ausgangspunkt von Ninni Schulmans neuem Krimi „Nichts ist verziehen“. In einer Hütte mitten im Wald soll übernachtet werden, so wie sie es früher in der neunten Klasse bereits ...

Ein Klassentreffen ist ist der Ausgangspunkt von Ninni Schulmans neuem Krimi „Nichts ist verziehen“. In einer Hütte mitten im Wald soll übernachtet werden, so wie sie es früher in der neunten Klasse bereits taten, inklusive nächtlicher Gespensterwanderung. Doch dann wird Jack, der Serienstar geworden ist, während der Wanderung ermordet. Und es bleibt nicht bei einem Toten.

So spannend es ist, zu sehen, wie die alten Beziehungsgeflechte der Schulzeit während des Klassentreffens wieder reaktiviert werden: ein Klassentreffen bedeutet viele Personen und dies wiederum führt in „Nichts ist verziehen“ zu einer großen Unübersichtlichkeit, die sich nur sehr langsam auflöst, indem einzelne Personen wie etwa der alkoholabhängige Ted stärker in den Fokus gerückt werden.

Hinzu kommen noch jede Menge Ermittler, die jedoch mehr mit sich selbst und ihren Beziehungsproblemen beschäftigt sind als dass sie den Fall lösen. Letztlich wird die Journalistin Magdalena Hansson, die selbst beim Klassentreffen war, zur Ermittlerin, die dem Täter auf die Spur kommt. Warum Ninni Schulman in ihrem Krimi den anderen Ermittlern so viel Raum gegeben hat, ist nicht erkennbar. Gutgetan hat es dem Krimi jedenfalls nicht.

Einigermaßen überzeugen konnte mich der Krimi erst am Schluss. Nachdem er nur langsam in Fahrt kommt, wird er zum Ende hin fast zu rasant inklusive einer Verfolgungsjagd. Die Auflösung ist recht interessant, sie bietet vor allem viel Stoff, um über die Beweggründe nachzudenken. Allerdings gibt die Autorin einen viel zu großen Schuss Weichspüler hinzu, um das Privatleben der Ermittler wieder ins Lot zu bringen. Warum Ninni Schulman es vorher aus dem Lot bringen musste, bleibt ihr Geheimnis. Interessant ist daran jedenfalls nichts. Die Journalistin Magdalena Hansson überzeugt da schon eher als Figur, wenn auch einiges aus ihrer Vorgeschichte im Unklaren bleibt. Auch wenn „Nichts ist verziehen“ der dritte Band der schwedischen Värmland-Krimis ist, hätte man sich doch mehr Informationen in Kurzform über sie – und ihren Sohn – gewünscht.

Mir persönlich hat zudem nicht gefallen, dass es – neben dem extrem ausgebreiteten Beziehungsleben der zudem kaum ermittelnden Ermittler noch Nebenhandlungen gibt, die mit dem Fall so gar nichts zu tun haben, jedoch immer wieder aufgegriffen werden. Sicherlich: es sind falsche Fährten, die jedoch so weit ausgeführt sind, dass man sich mehr wünscht, als dass sie einfach nur unwichtig sind.

Auch die Rückblicke, die mehrfach eingestreut sind, haben mich nicht überzeugt. Sie wirken einfach nur wie ein Fremdkörper, auch wenn sie später noch eine Funktion bekommen. Das hätte man auch anders lösen können.

Fazit: Ein Krimi, der nur bedingt überzeugt. Zu viele Personen, zu viel Nebenhandlung durch – letztlich überflüssige – Ermittler. Viel Verwirrung also, die durch die interessante Auflösung der Morde nicht aufgewogen wird.

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Veröffentlicht am 28.12.2017

Falsche Gottesvorstellungen

Lügen, die wir uns über Gott erzählen
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William Paul Young ist durch sein Buch „Die Hütte“ berühmt geworden. In seinem neuen Buch „Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ geht er auf falsche Vorstellungen von Gott ein. Wer seinen Roman „Die Hütte“ ...

William Paul Young ist durch sein Buch „Die Hütte“ berühmt geworden. In seinem neuen Buch „Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ geht er auf falsche Vorstellungen von Gott ein. Wer seinen Roman „Die Hütte“ gelesen hat, kennt einige davon bereits.

So ist das Buch vor allem für Leser interessant, die bereits „Die Hütte“ kennen. Denn Young geht immer wieder darauf ein, erklärt, wie das Buch entstanden ist, begründet seine Darstellungen. Zudem erfährt man einiges über Youngs Leben, unter anderem wie ihn seine Kindheit mit einem allzu strengen Vater geprägt hat.

Wer sich für diese Hintergründe nicht interessiert, dürfte mit Youngs Buch über weite Strecken nicht allzu viel anfangen. Für mich waren die 28 „Lügen“ über den Glauben, die Young auflistet, selbstverständlich Irrtümer, der Erkenntnisgewinn war daher eher gering. Die meisten Argumentationen Youngs basieren auf der Bestimmung des Menschen als Beziehungswesen, das Verhältnis zu Gott ein Beziehungsgeflecht. Der Mensch als sündiges Wesen, das sich von Gott trennt? Gott ein Christ? Für Young gehört das zum Glauben seiner Kindheit, den er überwunden hat. Mühsam überwunden hat. Wem eine Selbstverständlichkeit ist, kann Youngs Eifer – wie ich – wohl nicht nachvollziehen bei der Gegenrede.

Manches an Youngs Argumentationen ist für mich gelinde gesagt befremdlich. Wenn er das Wort „Christus“ als verspottende Bezeichnung für Christen darstellt, ohne dabei darauf einzugehen, dass damit der Messias, der Gesalbte, gemeint ist. Ebenso ist verstörend, dass Young behauptet, es gebe im Griechischen kein Wort für Prinzip und Priorität – weil er es in einem Lexikon nicht gefunden hat. Als ob es nicht die Tugend gebe und die Vorherrschaft…

Interessant sind Youngs Ausführungen, wo er sich als Querdenker erweist. So verteidigt er vehement an einigen Stellen, dass dem Menschen Freiheiten geschenkt sind, die Gott akzeptiert – Gott sei ein „fügsamer“ Gott, schreibt Young. Interessant, aber nicht ganz klar sind seine Ausführungen zum Zufall. So wendet er sich vehement gegen die Vorstellung, dass es einen Zufall gebe, wo alles von Gott geschaffen ist, spricht sich aber gleichermaßen gegen die Vorstellung der Vorherbestimmung. Interessant waren für mich auch die Ausführungen zu Jesu Kreuzigung. Zunächst geht Young da der Frage nach, ob Gott die Kreuzigung gewollt habe (seine Antwort: natürlich nicht!) und zum Tod, mit dem eben nicht alles aus sei, sondern ein „heilsamer Prozess“ beginne, der hin zu Gott, zur Liebe, führe. Und dort erst gebe es die Liebe ohne Leiden, in einer Welt ohne Tod. Interessant fand ich auch, wie stark Young verteidigt, dass Gott eben nicht nur den Christen, sondern der ganzen Welt das Heil bringe. Dies war Young so wichtig, dass er an den Schluss seines Buches eine ganze Beweiskette an Bibelzitaten dazu auflistet.

„Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ hat für mich beim Lesen ganz unterschiedliche Seiten gezeigt: streckenweise sehr mühsam zu lesen, mit sich ähnlich wiederholenden Begründungsspiralen, streckenweise aber auch interessant zu lesen, mit Aussagen, die zum Nachdenken anregen.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Deutschland im Jahr 2025

Leere Herzen
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Ihre Herzen sind leer. Lahmgelegt von dem gesellschaftlichen Überdruss. Desinteresse und Lethargie herrschen vor bei den Menschen im Deutschland des Jahres 2025, das Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Leere ...

Ihre Herzen sind leer. Lahmgelegt von dem gesellschaftlichen Überdruss. Desinteresse und Lethargie herrschen vor bei den Menschen im Deutschland des Jahres 2025, das Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Leere Herzen“ ausmalt. Politik ist zur lästigen Nebensache geworden. Nachdem Angela Merkel den Posten der Bundeskanzlerin an Regula Freyer von der Besorge Bürger Bewegung (BBB) abgegeben hat, ist Deutschland wie erstarrt. Ein Effizienzpaket nach dem anderen hebelt die Demokratie aus.

Zeitungen? Gibt es kaum noch. Dafür aber ein Grundeinkommen, das alle zufriedenstellt. Und um die, die nicht zufrieden sind, kümmert sich die Partei der BBB. Die Anspielungen auf die AfD lassen sich kaum übersehen. So ist „Leere Herzen“ in erster Linie ein politisches Buch, in zweiter Linie ein Roman und zuletzt auch ein Thriller.

Das politische Buch ist ein Appell, sich einzumischen. Moralingetränkt kommt der Schluss daher, dieses „Empört euch! Mischt euch ein! Demokratie muss man ertragen!“ der Juli Zeh. Britta, die Hauptfigur des Werkes, erkennt, dass man mit Zynismus und Nüchternheit die Welt nicht verändern kann. Und: dass es möglich ist, die Welt zu ändern. Mit ihrer Dystopie will Zeh keinen Blick in die Zukunft wagen, sondern den Blick auf die Gegenwart lenken. Daher stört es auch nicht, dass Zehs Zukunftsvision eher zufällig und sporadisch wirkt, wenig durchdacht. Hier und da erfährt man etwas von den Veränderungen, die Deutschland umwälzen. Oft wird es nur am Rande erwähnt.

Mit ihrem Roman fährt Juli Zeh dabei mehrgleisig. Da ist zunächst die Welt zweier Familien, die gegensätzlicher nicht sein könnten. So erinnert der Anfang des Romans ein wenig an Juli Zehs Roman „Unterleuten„. Die kleine Welt der Familien wird geschildert. Hier ist Zeh eloquent und prägnant wie eh und je.

Doch kommt in ihrem Roman „Leere Herzen“ eine weitere Welt hinzu: Britta und ihr Geschäftspartner Babak leiten die Therapie-Praxis „Die Brücke“ für Selbstmordgefährdete. Und sie schlagen Kapital aus ihrer Praxis. Denn wer nicht heilbar ist, wird an Organisationen weitervermittelt, die Selbstmordattentäter suchen. Ein lukratives Geschäft. Die hohe Erfolgsquote dieses Unternehmens lässt Britta ein finanziell sorgloses Leben führen. Für sie zählt das Geschäft, ein schlechtes Gewissen hat sie nicht.

Allerdings endet mit einem versuchten Selbstmordattentat im Leipziger Frachtflughafen ihre Sorglosigkeit. Das waren keine von ihren Leuten. Immer mehr festigt sich in Britta die Gewissheit, dass es sich dabei nicht nur um Konkurrenz handelt, sondern dass „Die Brücke“ vernichtet werden soll. Sofort machen sich Britta und Babak daran, unter Beweis zu stellen, dass mit ihnen zu rechnen ist… Doch können die beiden nur darüber rätseln, wer denn nun gegen sie agiert. Spätestens hier wird aus dem Roman ein Thriller, ein Katz-und-Maus-Spiel mit ungewissem Ausgang.

Doch drei Dinge sind zwei zu viel. Dem politischen Roman fehlt es an substanzieller Gesellschaftskritik, dem literarischen Roman an Ausgestaltung und dem Thriller an Komplexität der Handlung (und an einem glaubwürdigen Ende). So sehr mir vieles in dem Roman gefallen hat: ein rundes Ganzes ist er für mich nicht.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Zum Ende hin zu unrealistisch

Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor
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Emily und Stephanie sind Freundinnen. So ist es selbstverständlich, dass Stephanie hin und wieder auf Emilys Sohn Nicky aufpasst. Das scheint nur ein kleiner Gefallen zu sein. Doch als Emily eines Tages ...

Emily und Stephanie sind Freundinnen. So ist es selbstverständlich, dass Stephanie hin und wieder auf Emilys Sohn Nicky aufpasst. Das scheint nur ein kleiner Gefallen zu sein. Doch als Emily eines Tages ihren Sohn nicht mehr abholt und vermisst wird, setzt Darcey Bell in ihrem Buch „Nur ein kleiner Gefallen“ eine Ereigniskette in Gang, die immer neue Wendungen hervorbringt.

Als Zuhörer wird man immer vorsichtiger, wem man überhaupt noch glauben soll. Geschickt setzt Darcey Bell die verschiedenen Sichtweisen zusammen. Während anfangs nur Stephanie spricht (und ihr Blog vorgelesen wird), kommen nach und nach weitere Sichtweisen hinzu, allen voran Emily. Mal tappt der Leser so im Dunkeln, mal weiß er mehr als einzelne Protagonisten. Dass die Erzählerstimme ihre Artikulation kaum verändert, verhindert nicht, dass man als Zuhörer immer misstrauischer wird. Sich von dem, was die einzelnen Personen sagen und denken, kann man sich bald nicht mehr einlullen lassen. Sympathisch ist einem keine der Figuren in „Nur ein kleiner Gefallen“.

Allerdings schießt mir Darcey Bell deutlich übers Ziel hinaus, denn die Handlung und die Handlungsweisen der Protagonisten werden von CD zu CD immer unwahrscheinlicher. „So dumm kann niemand sein“, habe ich mir beim Zuhören immer wieder gedacht, denn das Hörbuch wirkt gerade zum Schluss hin immer konstruierter und die Protagonisten handeln gelinde gesagt sehr, sehr unrealistisch und sind kaum bis gar nicht veränderungsfähig. Man könnte fast sagen, dass das Hörbuch gut in unser postfaktisches Zeitalter passt. Beabsichtigt dürfte das wohl aber nicht sein.

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