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Veröffentlicht am 04.03.2024

Brandmale

Leuchtfeuer
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In ihrem Roman "Leuchtfeuer" erzählt die US-amerikanische Autorin Dani Shapiro in Rückblenden die Geschichten zweier benachbarter Familien, die durch verschiedene Schicksalsschläge miteinander verbunden ...

In ihrem Roman "Leuchtfeuer" erzählt die US-amerikanische Autorin Dani Shapiro in Rückblenden die Geschichten zweier benachbarter Familien, die durch verschiedene Schicksalsschläge miteinander verbunden und sich in ihrer Nähe doch seltsam fremd sind.
Es ist das Jahr 1985, als Sarah ihren fünfzehnjährigen Bruder Theo zu einer Autofahrt herausfordert. Als er den Wagen gegen einen Baum, direkt vor dem Haus der Eltern setzt, stirbt die Nachbarstochter Misty. Obwohl der Vater der Geschwister, der selbst Arzt ist, heran eilt und versucht sie zu retten. Die Familie behält im Nachgang des Unglücks ein Geheimnis zurück.
Vierzehn Jahre später schafft es der Vater dem kleinen Waldo, einem anderen Nachbarskind, das Leben zu retten. Wiederum Jahre später werden die beiden Freunde. Doch der Schatten der Schuld wirft sich seit der Nacht des Unfalls fortwährend über die Leben der Beteiligten. (Dramatische Musik Ende)
Tatsächlich ist es gar nicht so leicht, den Inhalt von "Leuchtfeuer" in wenigen Sätzen zusammenfassen. Der Unfall und Mistys Tod sind nicht das einzige Thema, mit dem sich der Roman auseinandersetzt. Unabhängig von Schuld und Gewissen setzt sich der Roman auch mit Themen wie Trauer, Krankheit, Sprachlosigkeit, Entfremdung etc. auseinander. Es ist ein vielschichtiges, emotionales Buch, das entsprechend der bearbeiteten Themenfelder, auch mit einer gewissen Schwermut daherkommt. Die Geschwister Sarah und Theo schlagen beide einen erfolgreichen Lebensweg ein, doch auch als Erwachsene lassen sie Mistys Tod und die in der Vergangenheit lauernde Lüge nicht los. Es geht auch um diese unterschiedlichen Lebenswege, und wie einzelne Begebenheiten oder die schiere Gleichgültigkeit des Zufalls sie so leicht in völlig verschiedene Richtungen lenken können. Man könnte sagen: Das Leben macht mit seinen Höhen und Tiefen vor niemandem Halt. Manche Dinge entwickeln sich zu ungeahnt tiefen Brandmalen (in Theos Fall im wahrsten Sinne des Wortes), die wir stets mit uns tragen.
"Leuchtfeuer" ist ein feinsinniger Familienroman, typisch amerikanisch und gleichzeitig universell. Während ich das Gefühl hatte, dass manche Zusammenhänge oder menschlichen Verhaltensweisen auf den Punkt gebracht wurden, hatte ich an anderer Stelle, das Gefühl den Lauf der Dinge logisch betrachtet nicht ganz nachvollziehen zu können. So hat mich zum Beispiel die anfängliche Fremdheit zwischen Dr. Wilf und Waldo irritiert. Später ist es aber auch die Beziehung der Beiden, die ein "Leuchtfeuer" zwischen all der Melancholie darstellt.

Fazit:
"Leuchtfeuer" ist schöner, sprachlich ansprechender und inhaltlich tiefsinniger, sowie vielfältiger Lesestoff. Kein Glücklich-Macher-Buch, aber eines, das dazu einlädt, sich auf sanfte Art und Weise, mit den Herausforderungen des Lebens auseinanderzusetzen.

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Veröffentlicht am 21.12.2023

Schwarz weiß grau

Endstation Malma
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"Endstation Malma" ist mein erstes Buch von Alex Schulmann, dem schwedischen Autor, der mir in den vergangenen Jahren durch überschwänglich begeisterte Rezensionen zu seinen Romanen ein Begriff geworden ...


"Endstation Malma" ist mein erstes Buch von Alex Schulmann, dem schwedischen Autor, der mir in den vergangenen Jahren durch überschwänglich begeisterte Rezensionen zu seinen Romanen ein Begriff geworden ist. Malma ist eine fiktive Kleinstadt. Auf einer Zugreise dorthin befinden sich unterschiedliche Menschen: Harriet, Oskar, Yana. Nach und nach zeigt sich, dass sie durch Raum und Zeit miteinander verbunden sind.

In seinen Büchern verarbeitet Schulmann immer auch autobiographische Erfahrungen. Da ich nicht gerne Biographisches lese, kommt es, dass ich erst so spät zu einem von ihnen gegriffen habe. "Endstation Malma" wird dem Ruf seiner Vorgänger gerecht. Der Text verhandelt komplexe zwischenmenschliche Beziehungen. Es geht um das Konstrukt Familie - von einer düsteren Perspektive betrachtet. Inhaltlich ist das nicht immer leicht verdaulich. Über verschiedene Zeitebenen hinweg ergründet der Autor die große Frage, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft formt. Und vor allem: Welche Verantwortung, die Menschen, die uns geprägt haben - oder besser gesagt, wie unser Blick auf diese Menschen - unser Handeln in Gegenwart und Zukunft bestimmt. Es ist ein Buch, das seine Finger in Wunden legt, die man viel zu oft vernarben lässt. Es stellt Fragen, die sich wohl die wenigsten Menschen tatsächlich stellen. Weil schmerzhaft. Weil es Kraft kostet, sich mit dem Schmerzhaften auseinanderzusetzen.
So hat auch das Lesen mich mehr oder weniger viel Kraft gekostet. Zwischenzeitlich fehlte mir der Silberstreif in der transgenerationalen Ödnis. Nichtsdestotrotz ist "Endstation Malma" ohne Frage ein sehr gutes, fein ausgearbeitetes Buch, welches das Schwarz-Weiß des Zwischenmenschlichen gekonnt eruiert.

(4,5 Sterne)

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Veröffentlicht am 09.10.2023

Verzaubernd

The Magic Border
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Auf dieses Buch aufmerksam gemacht, hat mich die moderne und extrem ästhetische Gestaltung, die dem englischsprachigen Original nachempfunden ist. Selten wird die Aufmachung eines Buchs so übereinstimmend ...

Auf dieses Buch aufmerksam gemacht, hat mich die moderne und extrem ästhetische Gestaltung, die dem englischsprachigen Original nachempfunden ist. Selten wird die Aufmachung eines Buchs so übereinstimmend kopiert. Ich bin der Meinung, dass das viel öfter der Fall sein soll. Ähnlich gelungen ist ansonsten die Übersetzung von Arlo Parks lyrischen Texten in dieser zweisprachigen Ausgabe. Die britische Sängerin und Songwriterin war mir zuvor kein Begriff, hat mich jetzt aber mit ihren zärtlichen und intimen Betrachtungen umso mehr für sich eingenommen. In ihren Gedichten verarbeitet Parks Themen wie (queere) Liebe, Trauer und Traurigkeit, Rassismuserfahrungen oder Schmerz. Wie so oft in dieser Art von Texten steht vieles zwischen den Zeilen geschrieben. Die zweisprachige Ausgabe macht es besonders spannend diese Ebenen der Gedichte zu erkunden. Besonders gefallen haben mir auch die Fotografen, welche die Texte ergänzen. Diese verleihen dem Layrikband noch einmal eine andere künstlerische Dimension.
Ich lese allgemein sehr wenig Lyrik, aber selten hat mich eine Zusammenstellung so begeistert wie diese hier.

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Veröffentlicht am 18.09.2023

Fun and Sadness

Nichts in den Pflanzen
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Liebes Publikum, machen Sie sich bereit für einen neuen Vertreter/ neue Vertreterin aus der Kategorie "Sad Girl Literature aus good old Germany". Ich wollte dieses Buch lesen, weil ich als Frau in meinen ...

Liebes Publikum, machen Sie sich bereit für einen neuen Vertreter/ neue Vertreterin aus der Kategorie "Sad Girl Literature aus good old Germany". Ich wollte dieses Buch lesen, weil ich als Frau in meinen Zwanzigern unerfindlich großes Interesse habe, darüber zu lesen, wie andere Frauen in Ihren Zwanzigern klar kommen. Oder eben nicht klar kommen. So ist das ja meistens in diesem von mir vorsorglich benannten und von Sally Rooney oder Coco Mellors geprägten Genre. Keiner kommt klar, keiner kommt an, alle sind sie irgendwie auf der Suche. (Außerdem wollte ich wissen, für wen Wells da einen Blurb geschrieben hat. Gab's das schon mal?)
Leila ist ebenfalls auf der Suche. Vor allem nach Motivation, um das Drehbuch, das sie fertigstellen wollte, tatsächlich zu beenden. Vielleicht würde es helfen, wenn sie endlich mal den Oberflächlichkeit der Berliner Hipster entkommen könnte, mit denen sie sich stetig umgibt. Sympathisch ist Leila in ihrer Prokastination und Sinnsuche aber nicht. Sie hat eine Katze auf dem Gewissen und scheut auch sonst nicht davor zurück, andere für ihre Zwecke zu missbrauchen. Ein bisschen erinnert sich mich an die Protagonistin von Esther Schüttpelz' "Ohne mich".
Wie gut, dass eine Protagonistin auch nicht sympathisch sein muss, damit ich Spaß mit dem Buch habe. Und den hatte ich! Überraschend viel Spaß sogar, wenn man bedenkt, dass Leila eines dieser Großstadt Sad Girls ist.
Manchmal hat mich Nora Haddadas Erzählstil an Moshfegh erinnert. Weil sie nicht vor dem Ekligen und Abgründigen Halt macht. Tatsächlich mochte ich noch nie ein Buch von Moshfegh selbst, weil sie es immer übertreibt mit ihren Abscheulichkeiten - und das passiert bei "Nichts in den Planzen" eben nicht. Diese feine Grenze des guten Geschmacks bzw. des Schwarzen Humors wird eben nicht überschritten. Darüber hinaus, ist die Stilistik des Romans sehr innovativ und spannend zu lesen.
Es ist ziemlich schwer ein Buch über Oberflächlichkeiten zu schreiben, das eben nicht oberflächlich ist. Ich finde, das ist der Autorin in Ansätzen auch gelungen. Aber eben nur in Ansätzen. Am Ende hat mir der große Entwicklungsschritt in Leilas Charakter gefehlt. Ich hatte Spaß mit ihr, aber ich bin bis zum Schluss irgendwie nicht bei ihr angekommen.
Nichtsdestotrotz halte ich Nora Haddada für eine vielversprechende Neuentdeckung und freue mich sehr darauf weitere Bücher von ihr zu lesen.

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Veröffentlicht am 18.09.2023

Mütter, Mädchen, Hexen

Marschlande
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In "Marschlande" erzählt Jarka Kubsova parallel voneinander die Geschichten zweier Frauen, die sie über die Jahrhunderte hinweg miteinander verknüpft. Im Jahr 1580 bewirtschaftet Abelke Bleken als alleinstehende ...

In "Marschlande" erzählt Jarka Kubsova parallel voneinander die Geschichten zweier Frauen, die sie über die Jahrhunderte hinweg miteinander verknüpft. Im Jahr 1580 bewirtschaftet Abelke Bleken als alleinstehende Frau ihren Hof und kämpft gleichermaßen gegen Gesellschaft und Natur. Sie ist eine Eigenbrötlerin und Außenseiterin in einer Zeit, in der genau diese Eigenschaften für eine Frau lebensgefährlich sind.

In der Gegenwart gibt Britta, verheiratet und Mutter zweier Kinder, ihren Job als Geografin an der Universität auf und zieht mit der Familie nach Ochsenwerder in den Hamburger Marschlanden. Eine Umstellung, die ihr nicht leicht fällt. Während sie versucht in der neuen Umgebung heimisch zu werden, stößt sie auf Abelkes Lebensgeschichte und je mehr sie sich mit dieser beschäftigt, desto klarer wird, wie sehr das Leben der einen mit dem Leben der anderen Frau verbunden ist.

Meine Meinung:
"Marschlande" ist ein ungewöhnlich historischer Roman, der ein Schicksal einer Frau nachzeichnet, das zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht. Gleichzeitig ist das Buch ein feministischer Roman, der die Rolle der Frau im Verlauf der Geschichte vom Heute bis zum Damals verhandelt. Ich mochte die szenischen Naturbeschreibungen der Deichlandschaften. Die Geschichte von Abelke habe ich besonders gerne gelesen. Man kommt nicht darum herum, berührt von ihrer Stärke und Klugheit zu sein. Eine wahre Heldin. Die literarische Aufarbeitung der Hexenverfolgung in Deutschland hat mir sehr gut gefallen. Ein Thema, das mich schon als Jugendliche sehr interessiert hat, über das ich allerdings seit sehr langer Zeit nichts mehr gelesen habe.
Generell gelingt es der Autorin außerordentlich gut, Empathie für ihre Figuren entstehen zu lassen, ein Bewusstsein für die Ungerechtigkeiten zu schaffen, die ihnen widerfahren, und sie dabei trotzdem nicht als Opfer dazustellen. "Marschlande" ist dabei kein klassischer historischer Roman, dafür steht die übergeordnete Bedeutung von Abelkes Leben zu sehr im Vordergrund, und Brittas Leben nimmt zu viel Raum ein. Die größte Stärke des Textes ist vielleicht sogar, dass er genau das tut. Die Geschichte zu erzählen und sie dabei von der Geschichte zu lösen, um sie etwas Universellem zu machen.

Fazit:
"Marschlande" ist das erste Herbstbuch, das ich 2023 gelesen habe. Die diesige Deichlandschaft, das dunkle Zeitalter der Hexenprozesse - das sind für mich eindeutig Zutaten, die es zu einem Buch für kühlere Abende machen. Ich empfehle eine Tasse Kaffee/Tee/Schokolade und eine Reise in den rauen Norden.

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