Profilbild von giannadanarosa

giannadanarosa

Lesejury Star
offline

giannadanarosa ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit giannadanarosa über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.01.2022

Krebsforscher in love

Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe
0

Inhalt:

Die Biologie-Doktorandin Olive forscht in Stanford über eine neuartige Methode zur Frühdiagnostik von Bauchspeicheldrüsen-Karzinomen. Dr. Adam Carlsen ist Dozent an ihrer Fakultät. Nicht nur irgendein ...

Inhalt:

Die Biologie-Doktorandin Olive forscht in Stanford über eine neuartige Methode zur Frühdiagnostik von Bauchspeicheldrüsen-Karzinomen. Dr. Adam Carlsen ist Dozent an ihrer Fakultät. Nicht nur irgendein Dozent, sondern der gefürchtetste von allen, der (trotz seines jungen Alters und guten Aussehens) regelmäßige Studierende zum Weinen bringt.

Um ihre beste Freundin davon zu überzeugen, dass Olive entgegen aller Vermutungen, ein sehr erfülltes Liebesleben besitzt, kommt sie eines späten Abends auf die waghalsige Idee irgendeinen fremden Mann auf dem Flur des Fakultätsgebäudes zu küssen. Unglücklicherweise erwischt sie dabei ausgerechnet Dr. Carlsen und das, was eben noch als kleine Notlüge begonnen hat, gerät schnell außer Kontrolle. Plötzlich denkt ganz Biologie-Stanford, dass die beiden miteinander ausgehen und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als eine Beziehung vorzutäuschen. Mit den üblichen Folgen natürlich…

Meine Meinung:
Also machen wir uns nichts vor: Fake-Dating ist wirklich nichts Neues. Fake-Dating unter Forschenden an einer Eliteuniversität vielleicht schon eher.

Ich wollte dieses Buch unbedingt lesen, weil es so viele meiner ganz persönlichen Nerven trifft. (Kann man das so sagen? Ich glaube nicht, ich sag’s aber trotzdem.)

Jedenfalls: Es ist ein Liebesroman, im Umfeld einer Universität, mit Medizinbiologie. Genau mein Fall. Und exakt das, was ich in diesen dunklen Dezembertagen so dringend gebraucht habe. Meine letzten Lektüren habe ich eher als bedrückend empfunden, sodass ich kurzerhand meine komplette Leseplanung dafür gecancelled habe.

Das Buch selbst hat dann wirklich auch all meine Erwartungen erfüllt. Es ist humorvoll, modern, an der ein oder anderen Stelle auch mal ernst. Das Buch ist sich seltsam bewusst darüber, dass es ein Klischee bedient und macht sich auch ab und zu darüber lustig. So wie es sich über viele andere Dinge lustig macht und an der ein oder anderen Stelle deutlich überzeichnet ist. Ich mochte das sehr, weil es genau für diese Geschichte so gut gepasst hat!

Phasenweise habe ich das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht bekommen. Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass die Geschichte in weiten Teilen etwas zum Fremdschämen ist. Aber auf positive Art und Weise zum Fremdschämen. Ich würde es „süß aber peinlich“ nennen.

Man merkt, dass die Autorin selbst aus dem Bereich der Forschung kommt. Die diesbezüglichen Darstellungen (vor allem im Bezug auf Bauchspeicheldrüsen-Krebs) haben mir sehr gut gefallen. Außerdem wird in der Geschichte deutlich, dass ihr Themen wie LGTBQ+ und die Sichtbarkeit von PoC in der Wissenschaft sehr wichtig sind. (Es gibt eine witzige queere Sidestory). Die Autorin schafft liebenswerte und unterhaltsame Nebencharaktere zu zeichnen, über die ich wirklich gerne noch mehr gelesen hätte. Sehr passend finde ich es deshalb auch, dass es Mitte des Jahres 2022 einen Fortsetzungsroman geben wird.

Fazit:

Wenn ihr im Moment auf der Suche nach einer buchigen Zuflucht seid, kann ich euch „The Love Hypothesis“ nur wärmstens empfehlen. Das Buch macht Spaß und irgendwie glücklich. Es hat mein Herz erwärmt. Man muss solche Geschichten aber natürlich grundsätzlich mögen, sonst hat man keinen Spaß daran. Das Klischeehafte darf man nicht als störend empfinden, genauso wenig wie das Überzeichnete, oder den Humor. Wenn man das alles so gern hat, wie ich von Zeit zu Zeit, dann kann man mit diesem Buch absolut nichts falsch machen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.01.2022

Zu viel, zu voll

Zum Paradies
0

Ich wollte gern ein Buch von Hanya Yanagihara lesen, nachdem ich unzählig oft begeisterte Stimmen über ihre Vorgängerromane gehört habe. An ihren großen Bestseller „Ein wenig Leben“ habe ich mich thematisch ...

Ich wollte gern ein Buch von Hanya Yanagihara lesen, nachdem ich unzählig oft begeisterte Stimmen über ihre Vorgängerromane gehört habe. An ihren großen Bestseller „Ein wenig Leben“ habe ich mich thematisch nicht herangetraut. Mit "Zum Paradies" wollte ich die Autorin nun gerne entdecken.
Leider bin ich enttäuscht worden. Das Buch ist nicht einfach nur ein Buch, es ist ein Epos. Ein Werk, das enorm viel Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht.
Ich habe immensen Respekt vor dem Ideenreichtum und der Fantasie Yanagiharas, die es unvergleichlich eindrücklich schafft nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern Wirklichkeiten vor dem Auge des Lesers/ der Leserin entstehen zu lassen. Wie das echte Leben verläuft sich ihr Text in kleinste Verästelungen von Nebenhandlungen, die alle miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig bedingen, aber doch auch wieder unabhängig voneinander existieren.
Und genau da liegt mein persönliches und mit Sicherheit sehr subjektives Problem. Ich konnte mich auf die Erzählweise der Autorin nicht einlassen. Der Schreibstil ist mir persönlich zu gestochen, zu detailliert und verschachtelt, zu übertrieben geistreich. Yanagiharas Text zu lesen fühlt sich für mich in etwa so an, als würde ich stundenlang auf ein hyperrealistisches Bild starren, das überdeutlich jedes noch so kleine Härchen, jede Lichtreflexion des Gezeigten darstellt.
Thematisch finde ich das Buch nach wie vor sehr interessant. Schon allein die Grundidee der ersten Geschichte, diese „andere“ Vergangenheit Amerikas, die zu einer „anderen“ Gesellschaft führt, ist genial. Yanagihara ist eine Autorin, die ihre Bücher für und über das Gute schreibt, die Hoffnung geben will. Hoffnung für alle Menschen, egal, wo sie herkommen, wer sie sind, wen sie lieben. Das merkt man ganz deutlich.
Davon abgesehen sind die drei Szenarien, die sie schafft, die Leben der drei Davids, nebeneinander gestellt, jedes für sich erzählens- und lesenswert. Unglücklicherweise konnte ich mich jedoch nur schwer auf die Geschichten einlassen, da die Art und Weise wie sie erzählt wurden, einfach keine Spannung, keinen Impuls zum Weiterlesen bei mir entstehen lassen hat. Oft hatte ich das Gefühl, dass seitenlang unfassbar viel gesagt wurde, ohne dass wirklich etwas passiert ist. Die Figuren blieben mir trotz allem eher fern. Zum Weiterlesen musste ich mich deshalb häufig überwinden.

Fazit:

Ich kann verstehen und erkennen, warum so viele Lesende begeistert von Hanya Yanagiharas Büchern sind. Wenn man „Zum Paradies“ liest, kommt man nicht daran vorbei, die Größe und die erzählerische Wucht der Geschichte wahrzunehmen. Mir als individuelle Leserin ist diese Wucht aber zu schwer gewesen. Ich habe mich von ihr letztendlich erschlagen gefühlt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.12.2021

Schönheit im frühen Feminismus

Erfahrungen eines schönen Mädchens
0

Inhalt:
Sasha ist eine junge Frau in den Sechzigerjahren, einer Zeit, in der die Rolle einer Frau in der Gesellschaft eng definiert ist. Doch Sasha fällt es schwer, sich den Erwartungen, die ihre Umwelt ...

Inhalt:
Sasha ist eine junge Frau in den Sechzigerjahren, einer Zeit, in der die Rolle einer Frau in der Gesellschaft eng definiert ist. Doch Sasha fällt es schwer, sich den Erwartungen, die ihre Umwelt an sie stellt, anzupassen. Sie möchte frei sein, frei lieben und frei leben. Auf ihrer Suche nach Freiheit verrennt sie sich immer wieder, endet in einer Sackgasse, legt den Rückwärtsgang ein, kommt doch nie an. „Erfahrungen eines schönen Mädchens“ ist ein Originaltext aus den Sechzigern. Alix Kate Shulman begleitet ihre Protagonistin vom jungen Mädchen bis zur erwachsenen Frau in einem feministischen Coming-Off-Age-Roman.

Meine Meinung:
Die Sache ist die: Oft hat man bestimmte Erwartungen an ein Buch. Vielleicht sogar unbewusst. Werden diese nicht erfüllt, kann das leicht zu Irritation führen. Ich habe beim Lesen von „Erfahrungen eines schönen Mädchens“ festgestellt, dass ich sehr klare Erwartungen an die Geschichte hatte. Ich habe mir vorgestellt ich bekäme es mit einer klugen Protagonistin zu tun, die die starren Rollenbilder und die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Zeit durchschaut, entlarvt und gegen sie aufbegehrt. Obwohl sie von anderen immer wieder auf ihr Äußeres reduziert wird. Teilweise stimmt das auch, teilweise aber eben nicht: Deswegen habe ich mir mit dem Buch etwas schwer getan.

Der Name ist hier eindeutig Programm! Sasha ist schön. Aber nicht nur das, sie will auch schön sein. Ihre Schönheit ist ihr so unfassbar wichtig, es wirkt auf mich wie eine Obsession Das Problem dabei ist, dass es ihr gar nicht darum geht, sich selbst in ihrem Äußeren zu verwirklichen, sondern sie möchte Männern gefallen und von Männern beachtet werden. Davon macht sie ihren eigenen Wert abhängig und hinterfragt dabei überhaupt nicht. Im Gegenteil. Situationen, in denen sie Opfer von Sexismus oder sogar von sexueller Gewalt wird, verkennt sie als Schmeicheleien. Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Vor allem nicht vor dem Hintergrund, dass das Buch ein US-amerikanisch feministischer Klassiker ist und Sasha als frühe Feministin bezeichnet wird.

Ja, sie lebt ein unkonventionelles Leben, schläft mit vielen Männern, wird mehrmals schwanger, treibt mehrmals ab, lässt sich scheiden, hat den Drang nach Freiheit. Aber sie denkt und handelt in meinen Augen weder besonders feministisch noch besonders klug. Eher kindlich und naiv. Sie wird so oft von Männern ausgenutzt und erkennt es einfach nicht, missinterpretiert eine Situation, bzw. unternimmt nichts, um ihre Position zu verbessern Diese Stellen haben mich so wütend gemacht, dass ich mir am liebsten das Buch vor den Kopf geschlagen hätte.

Ich will aber nicht, dass man mich an dieser Stelle falsch versteht. Trotz meiner Probleme mit der Protagonistin halte ich das „Erfahrungen eines schönen Mädchens“ für überaus lesenswert. Als der Roman erstmals veröffentlich wurde, muss der Text revolutionär und skandalös gewesen sein. Er ist ein Zeugnis seiner Zeit. Und genau als das muss er gelesen werden. Ich habe lange darüber nachgedacht: Aber ich glaube man muss die Geschichte beim Lesen aus der Vogelperspektive betrachten. Man darf nicht erwarten, dass Sasha vordenkt. Dafür ist sie, obwohl sie sich so nach Freiheit sehnt, zu sehr in Konventionen und vor allem ihre eigene Eitelkeit verstrickt.

Außerdem hat mir der Tonfall der Geschichte sehr gut gefallen. Schwierige Situationen werden oft auf eine humorvolle, komische Art und Weise dargestellt, sodass diese fast schon ein wenig grotesk wirken, aber gleichzeitig auch in ihrer Schwere abgemildert werden.

Fazit:
„Erfahrungen eines schönen Mädchens“ stammt aus einer Zeit, zu der der Feminismus noch in den Kinderschuhen gesteckt hat. Und das merkt man auch sehr deutlich! Sasha ist auf eine unbewusste Art Feministin. Ihre Entscheidungen führen dazu, dass sie zumindest zeitweise ein Leben abseits der Norm führt. Aber ich hätte mir so sehr gewünscht, sie wäre dazu in der Lage gewesen, sich selbst und vor allem die Männer in ihrem Leben mehr zu reflektieren. Mit so einer Sasha wäre das Buch für mich eine Wucht gewesen. So bleibt es trotzdem ein eindrückliches Zeitdokument.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.12.2021

Sternbilder auf der Haut

Sommersprossen – Nur zusammen ergeben wir Sinn
0

Inhalt:

Allegra hat ihre provinzielle Heimat verlassen, um nach Dublin zu kommen, weil sie eine Mission hat. Dieser Mission kommt sie jeden Tag auf ihren Streifzügen als Parküberwacherin ganz nah, obwohl ...

Inhalt:

Allegra hat ihre provinzielle Heimat verlassen, um nach Dublin zu kommen, weil sie eine Mission hat. Dieser Mission kommt sie jeden Tag auf ihren Streifzügen als Parküberwacherin ganz nah, obwohl sie sie doch nicht erfüllen kann. Stattdessen hält sie sich am starren Rhythmus ihres Alltags fest. Bis ausgerechnet der Fahrer eines quietschgelben Ferraris diesen gefährlich aus dem Gleichgewicht bringt. Tristan ist ein Geschäftsmann und Parksünder, dem Allegra regelmäßig Bußgeldbescheide hinter die Windschutzscheibe klemmt. Als die beiden das erste Mal persönlich aufeinandertreffen, erzählt er ihr im Zorn von einer Lebensweisheit, die besagt, dass ein Mensch das Produkt, der fünf Personen ist, die ihm an nächsten stehen. Die fünf Personen in Allegras Leben müssten Versager sein, so Tristans Vorwurf, denn nichts anderes sei Allegra selbst. Diese Begegnung ist der Auslöser für einen gedanklichen Umbruch in Allegras Kopf, der nach und nach ihr ganzes Leben verändert.

Meine Meinung:

Zu aller erst: Dieses Buch ist keine Enemies-to-lovers-Romance! Man könnte nämlich auf den Gedanken kommen, dass es sich um solch eine Geschichte handelt, wenn man des Klappentext liest. Damit liegt man allerdings mit daneben.

„Sommersprossen“ von Cecelia Ahern ist ein eher leiser, melancholischer „Lebensroman“, der hauptsächlich die Charakterentwicklung seiner Protagonistin fokussiert. Die Romantik tritt dabei in den Hintergrund.

Allegra ist eine sehr besondere Protagonistin. Ein Charakter, wie man ihn in Büchern selten liest. Ich würde sie als ein Mosaik aus Facetten bezeichnen, die nicht immer gut zusammenpassen wollen. Sie lässt sich schwer kategorisieren, geschweige denn in eine Schublade stecken. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Leserinnen geben wird, die Schwierigkeiten haben, sich auf Allegra als Figur einzulassen. Mich selbst hat sie auch immer wieder an den Rand der Verzweiflung gebracht, weil ich sie in verschiedenen Situationen wirklich nicht verstehen konnte. Dennoch hat sie mich sehr berührt. So sehr, dass ich im letzten Viertel viel geweint habe.

Die Autorin zeigt in „Sommersprossen“ viele Konflikte auf, die in Allegras Leben stattfinden, und bietet für all diese am Ende auch Lösungen an. Einige dieser Lösungen haben mir allerdings nicht gefallen, obwohl sie mich emotional wirklich berührt haben. An verschiedenen Stellen war es einfach zu viel. Hier zu schlimm, da zu melodramatisch.

Über der ganzen Geschichte liegt eine Art Schleier, leicht traurig, leicht dumpf. Allegra wird oft missverstanden und erfährt oft Ungerechtigkeit. Manchmal sieht sie auch einfach den Wald vor all den Bäumen nicht. Ich habe sehr mit ihr gelitten und hatte großes Mitgefühl für sie.

Die Nebencharaktere sind bunt und liebevoll gezeichnet. Allerdings sind sie sehr klar in gut und weniger gut unterteilt. Das war mir an manchen Stellen zu einfach. Da war so viel Potenzial für Ambivalenz, das nicht ganz ausgenutzt wurde.

Die Sprache hat mir sehr gefallen. Vor allem im ersten Drittel der Geschichte. Der Einstieg ins Buch ist sehr poetisch und symbolisch. Etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen. Im Verlauf der Geschichte hätte ich mir noch viel mehr davon gewünscht.

Fazit:
„Sommesprossen“ von Cecelia Ahern ist ein sehr besonderes, in seiner eigenen Form für mich einzigartiges Buch, auf das man sich einlassen muss. Es hat viele tolle Momente, aber auch einige, die ich lieber anders gelesen hätte. Ich könnte mir allerdings gut vorstellen, dass Leser
innen, die für gewöhnlich eher zu Gegenwartsliteratur greifen, großen Gefallen daran finden. Eben weil es so sehr aus der Reihe fällt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.12.2021

Wanderlust

Offene See
0

Inhalt:
England, 1946: Der Krieg ist vorbei, Europa erwacht zu neuem Leben, mit knurrendem Magen, weil das Essen knapp ist, aber mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Blick. Hoffnung hat auch der junge ...

Inhalt:
England, 1946: Der Krieg ist vorbei, Europa erwacht zu neuem Leben, mit knurrendem Magen, weil das Essen knapp ist, aber mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Blick. Hoffnung hat auch der junge Robert, als er sich nach der Schule aufmacht, um sein Kohlearbeiterdorf zu verlassen und in der Ferne Abenteuer zu erleben. In der Ferne trifft er auf die sonderbare Dulcie.

Dulcie ist eine Frau, die viel erlebt hat, viel abgibt, und wenig von sich preisgibt. Gemeinsam mit ihr erlebt Robert einen Sommer, der das Leben von beiden verändern wird, der ihm einen Weg in die Zukunft und ihr einen Weg aus der Vergangenheit weist.

Meine Meinung:

„Romantik ist nämlich nicht gleichbedeutend mit Herzschmerz und Rosen. Romantik ist Gefühl, und Romantik ist Freiheit. Romantik ist Abenteuer und Natur und Wanderlust. Sie ist Meeresrauschen und der Regen auf deiner Zeltplane und ein Bussard hoch über einer Wiese und das morgendliche Erwachen mit der Frage, was der Tag wohl bringen mag, um dann loszuziehen und es herauszufinden.“

Ich finde, in diesem Zitat beschreibt Benjamin Myers ziemlich gut, was sein Buch für mich ist: Romantische Literatur des 21. Jahrhunderts.

„Offene See“ steckt voll von Natur und Sommer und gutem Essen und Reiseerfahrungen und Abenteuerlust und Weltschmerz und Sehnsucht.

Ich gebe zu, anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich in das Buch einzufinden. Ich musste mich an die Szenerie und an den Tonfall der Geschichte gewöhnen. „Wann passiert hier denn endlich mal etwas?“, habe ich gedacht, bis mir klar geworden ist, dass die ganze Zeit über etwas passiert und dass es mit dem Reisen ja auch im wahren Leben ganz ähnlich ist: Es braucht seine Zeit, ein bisschen Anlauf, ein bisschen Geduld, bis man in einen Fluss gerät. Bis man sich an das Unterwegssein gewöhnt hat.

Benjamin Myers Beschreibungen vom englischen Landleben, vom Meer und vom Sommer sind unglaublich schön und poetisch. Beinahe jeder Satz ist ein Genuss. Man merkt, dass die Worte mit großer Sorgfalt gewählt wurden. Und an dieser Stelle muss auch unbedingt die grandiose Übersetzung erwähnt werden, die es geschafft hat, die Prosa und auch die Lyrik in diesem Buch, so grandios gut ins Deutsche zu holen.

Ich finde, „Offene See“ ist ein zeitloses Buch, das man in alle Epochen übertragen kann. Die Atmosphäre ist märchenhaft, träumerisch, vielleicht auch etwas unwillkürlich. Es ist ein Buch, das man um das Lesens Willen lesen kann. Einfach, weil Lesen und Worte und Sprache so schön sind. Obwohl auf Handlungsebene tatsächlich wenig geschieht, ist am Ende doch kein Satz und kein Wort zu viel gewesen.

Das Ende hat mich außerdem im Herzen berührt. Ich bin jetzt, wo ich diese Rezension schreibe, immer noch ein wenig emotional, weil ich Robert und insbesondere Dulcie auf diesen 260 Seiten so lieb gewonnen habe, dass es mir nun schwerfällt sie in der Geschichte zurückzulassen. Aber die Geschichten, die wir lesen, bleiben ja auch auf irgendeiner Weise in unseren Atomen, nicht?

Fazit:
„Offene See“ ist ein ganz besonderes, zurecht so hoch gelobtes kleines Stück Literatur. Landliebe, zum Weinen schön. Sollte man gelesen haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere