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Veröffentlicht am 30.10.2021

Nicht die Flügel hängen lassen, Nell

Ein neuer Horizont
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… sagt ihre Zwillingsschwester Laura immer zu ihr – auch noch in Nellies Gedanken, als Laura längst tot ist. Und als Kriegsreporterin im Koreakrieg gibt es viele Situationen, in denen sie die imaginäre ...

… sagt ihre Zwillingsschwester Laura immer zu ihr – auch noch in Nellies Gedanken, als Laura längst tot ist. Und als Kriegsreporterin im Koreakrieg gibt es viele Situationen, in denen sie die imaginäre Aufmunterung braucht. Nellie ist die einzige Frau dort, muss sich immer wieder in dieser Männerdomäne und gegen die Anfeindungen ihrer Kollegen und Vorgesetzten durchsetzen. Einer streut sogar das Gerücht, sie sei eine russische Spionin …
Es wird etwas leichter, als sie den Fotografe Jake wiedertrifft. Sie haben sich vor 4 Jahren kennengelernt und verliebt. Aber hat ihre Liebe im Krieg überhaupt eine Chance? Und können sie mit ihrer jeweiligen Vergangenheit abschließen? Denn nicht nur Nellie hat einen schweren Verlust erlitten, auch Jake hat seine Erlebnisse im 2. WK noch nicht verarbeitet …

Maike Nielsen schreibt sehr eindringlich und poetisch über eine Zwillingsbeziehung und den Krieg.
Nellie und Laura haben ein extrem inniges Verhältnis. Sie sind auf dem Wasser aufgewachsen, weil ihr Vater Kapitän war, auf engstem Raum mit nur wenigen Menschen, aber gleichzeitig zwischen den verschiedensten Kulturen, Welten und Sprachen. Sie sind echte Kosmopoliten und Nellie ist prädestiniert für den Job als Journalistin.
Nellie hat mir echten Respekt abgerungen. Sie ist so mutig, furchtlos, taff und empathisch – man kann sich nur schwer vorstellen, dass ihre Zwillingsschwester Laura früher die Anführerin war. Sie kämpft immer wieder ihre Ängste nieder und bringt die Menschen zum Erzählen. Und sie geht weiter als ihre männlichen Kollegen, fliegt bei Kampfeinsätzen mit, überlebt Flugzeugabstürze, Schiffsunglücke und Raketenbeschuss, versucht mitten im Krieg nach Nordkorea zu gelangen. Sie legt sich mit ihren Vorgesetzten in der Redaktion und vor Ort an, weil sie die Wahrheit schreiben will, vor allem über den Einsatz von Napalm, der lange geleugnet wird. „Ich will darüber schreiben, weil es falsch ist. Es kann nur aufhören, wenn die Öffentlichkeit davon weiß.“ (S. 369) Oft ist ihr gar nicht bewusst, wie sehr sie damit die Menschen ihrer Zeit bewegt und beeindruckt. „Sie sind ein vorlautes, kleines Ding! Und Sie schreiben verdammt gut für eine Frau …“ (S. 75)
Aber ich hatte auch das Gefühl, dass sie glaubt, für ihre Schwester mit leben und sterben zu müssen, damit sie endlich wieder vereint sind – obwohl sie deren Tod lange leugnet und überzeugt ist, dass Laura noch lebt.

Auch Jakes seelische und körperliche Wunden aus dem 2. WK sind noch nicht verheilt, werden es vielleicht nie. Als er für einen Auftrag nach Berlin geschickt wird, erkennt er die Stadt kaum wieder und muss sich damit auseinandersetzen, was ihm und seiner Familie passiert ist. „Vorsichtig, um nicht einzubrechen, machte er sich auf den Weg über diese geborstene Kindheit, und mit jedem Schritt, den er über alte Fundamente und verbogene Fensterrahmen tat, wurde seine Taubheit kleiner.“ (S. 120) Ich liebe die Formulierungen, die Maike Nielsen verwendet, die Bilder, die sie mit ihren Worten malt.
Sie zeigt die Parallelen zwischen dem geteilten Berlin bzw. Deutschland und dem geteilten Korea – Ost gegen West, Nord gegen Süd, Sozialismus gegen Kapitalismus, aber auch eine Welt im Umbruch, an der Schwelle zum nächsten Weltkrieg, wenn die nächste Atombombe gezündet werden sollte ....
„Ein neuer Horizont“ erzählt sehr eindringlich und poetisch vom Schicksal einer Reporterin im Koreakrieg, rüttelt auf und macht die Grausamkeit des Krieges deutlich „Krieg ist für mich die größte Niederlage des menschlichen Geistes.“ (S. 109).

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Veröffentlicht am 27.10.2021

Wasserkunst

Arzt der Hoffnung
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Medizinalrat Dr. Robert Koch ist mit seiner Verlobten Hedwig im Urlaub auf Sylt, als ihn der Ruf des Kaisers zuerst nach Berlin zurück- und dann nach Hamburg beordert. Dort ist eine Seuche ausgebrochen, ...

Medizinalrat Dr. Robert Koch ist mit seiner Verlobten Hedwig im Urlaub auf Sylt, als ihn der Ruf des Kaisers zuerst nach Berlin zurück- und dann nach Hamburg beordert. Dort ist eine Seuche ausgebrochen, die vertuscht werden soll. Alles deutet auf Cholera hin. Der Kaiser erwartet von ihm schnelle Ergebnisse und er denkt, dass er die auch liefern kann: „Was soll‘s, es ist nicht meine erste Choleraepidemie. Schlimmer als in Kalkutta kann es in Hamburg doch nicht werden.“ (S. 42). Aber die Situation gerät immer mehr außer Kontrolle. Es sterben jeden Tag hunderte Menschen, die Neuinfektionsrate ist doppelt so hoch.
Hedwig, die Koch auf Sylt in Sicherheit zurückgelassen hatte, gelangt mit dem letzten Schiff heimlich doch nach Hamburg und setzt durch, dass sie im Eppendorfer Krankenhaus als Hilfsschwester helfen darf. Ihre Erlebnisse hält sie in ungewöhnlich ausdrucksstarken und realistischen Skizzen fest.

Die Parallelen, die man während des Lesens vom „Arzt der Hoffnung“ zu unserer Corona-Zeit ziehen kann, sind erschreckend. „Solange wir uns noch die Hände schütteln, haben wir den Ernst der Lage nicht erkannt.“ (S. 115) Es ist nicht klar, woher das Bakterium stammt und wie es sich so rasend schnell verbreiteten kann. Kochs Hygiene-Anweisungen für die Bevölkerung werden nicht weitergegeben oder ignoriert – kurz, er führt einen Kampf gegen Windmühlen, muss um jede Unterstützung oder Anerkennung kämpfen. Außerdem ist der Senat überzeugt, ihn nicht zu brauchen und die Situation allein bewältigen zu können. Man will nicht vom Kaiser abhängig sein oder bevormundet werden, schließlich ist Hamburg autonom. Zudem wird ihm immer wieder seine Beziehung zu Hedwig vorgeworfen – er ist fast 50 und lässt sich wegen ihr, die erst 17 ist, scheiden – ein Skandal!

Ralf Günther beschreibt Kochs Kampf sehr anschaulich, die unzureichende Aufklärung der Bevölkerung, die Irrglauben zum Übertragungsweg und den Aberglauben bei der Behandlung. Ergänzt wird die Handlung durch Einzelschicksale und Augenzeugenberichte. Auch die Kompetenzgerangel zwischen Senat, Arzt und Kaiser werden angesprochen.
Leider liest es sich für mich über weite Strecken wie ein detailverliebtes Sachbuch, eine Aneinanderreihung von Episode. Denn während andere Ärzte direkt am Patienten arbeiten und neue Heilmethoden ausprobieren, sitzt Koch in Beratungen, streitet mit dem Senat und fährt mit der Kutsche durch die Gegend, um Wasserproben. zu sammeln.
Einzig seine Verlobte Hedwig bringt eine persönliche Note in die Handlung. Sie scheint eine sehr willens- und durchsetzungsstarke Persönlichkeit gewesen zu sein, die sich auch für die einfachsten Arbeiten nicht zu schade ist. Mir hat gefallen, dass sie sich ihm nicht unterordnet, nicht die perfekte Hausfrau ist wie seine erste Frau, sondern als gleichwertige Partnerin wahrgenommen werden möchte. Auch sind ihre medizinischen Ansichten deutlich moderner als seine – sie muss ihm die Erkenntnisse seiner jungen Kollegen immer wieder ans Herz legen. „Wir dürfen die einfachen Wege nicht verschmähen, nur weil sie einfach sind.“ (S. 186)

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Veröffentlicht am 24.10.2021

Leonidas, der Eroberer

Der letzte Tod
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„Erschießen, erschlagen, erdrosseln, ertränken. Ich hab schon so gut wie alles erlebt, aber jemanden in einen Tresor zu stopfen und ihn dort krepieren zu lassen …“ Selbst Kriminalinspektor August Emmerich ...

„Erschießen, erschlagen, erdrosseln, ertränken. Ich hab schon so gut wie alles erlebt, aber jemanden in einen Tresor zu stopfen und ihn dort krepieren zu lassen …“ Selbst Kriminalinspektor August Emmerich ist entsetzt, als eine mumifizierte Leiche in einem Tresor gefunden wird. Wenigstens ist der Tote gut erhalten und sie können ihn bald identifizieren – allerdings wird die Suche nach dem Täter deswegen nicht einfacher. Erschwerend kommt hinzu, dass Emmerichs Vorgesetzter ihm Schandor Adler zur Seite stellt, einen Psychoanalytiker. „Ich erforsche das Böse im Menschen und muss zu diesem Zweck mehr über Mörder und ihre Taten erfahren. Ich muss einen Weg finden, um tiefer in die Seele von Verbrechern einzutauchen ...“ Adler ist überzeugt, dass der Täter nicht zum ersten Mal gemordet hat und es weitere Opfer geben muss – doch niemand glaubt ihm …

Aber nicht nur Adler erschwert Emmerich das Leben. Er kommt nicht über Luises Tod hinweg und sein jüngster Stiefsohn hat große Probleme. Außerdem muss er endlich reinen Tisch machen und sich mit seinem Vater auseinandersetzen. Als ihn dann auch noch ein alter Feind umbringen will und er private Ermittlungen anstellt, stößt er auf weitere potentielle Opfer des Tresor-Mörders. Sollte Adler etwa wirklich Recht haben und ihnen rennt die Zeit davon?! Erstmals ermittelt Emmerich über Landes- und Staatsgrenzen hinaus zusammen mit anderen Ermittlungsbehörden und stellt so die Weichen für die Zukunft der Polizeiarbeit.

Zusätzlich leidet Emmerich wie fast die gesamte Bevölkerung unter der Hyperinflation. Immer mehr Menschen wissen nicht mehr weiter, die Selbstmordrate steigt. Mir hat diese Integration der historischen Bezüge in die Krimi-Handlung sehr gut gefallen, weil sie dadurch noch lebendiger und nachvollziehbarer wird.

Auch Emmerichs 5. Fall hat mich in Atem gehalten. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Ferdinand Winter und dem Psychoanalytiker ermittelt er einige Verdächtige, kann ihnen aber nichts nachweisen. Dabei liefert er sich amüsante Wortgefechte mit Adler „Psychoanalyse ist etwas für reiche Leute, die es nicht nötig haben. Und die es nötig hätten, können sie sich nicht leisten.“ und versucht ihn aus dem Fall zu drängen. Zum Glück sieht er irgendwann ein, dass der ihm wirklich helfen kann und überredet ihn, Zeugen zu hypnotisieren um verschüttet Erinnerungen zurückzuholen. Es sind diese Details, die die Krimireihe so spannend und besonders machen.

Alex Beer wechselt beim Erzählen immer wieder die Perspektive, lässt den Mörder, die Opfer und die Jäger abwechselnd zu Wort kommen. Man spürt die Angst der Opfer, die Enge, in der sie gefangen sind, die absolute Dunkelheit – ich habe mich ganz schön gegruselt. Aber auf eine gewisse Weise kann man mit der Zeit auch den Täter verstehen, begreift, was ihn zu antreibt und warum er so geworden ist, seine psychologischen Hintergründe.
Als Hörer bzw. Leser könnte dem Täter also eigentlich schon eher auf die Schliche kommen, aber mir ist das entscheidende Detail erst am Ende wieder ein- bzw. aufgefallen – sehr raffiniert gelöst!

Besonders gefallen hat mir übrigens auch der letzte Satz: „Diese Geschichte war noch nicht abgeschlossen!“ – verspricht er doch, dass die Reihe weitergeht …

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Veröffentlicht am 19.10.2021

Wo ist Tilde?

Die Totenärztin: Goldene Rache
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„Ich hätte ihn töten können. Als er bewusstlos vor mir lag … Er war wehrlos. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen. Hätte ich es doch nur getan.“ (S. 17) Fanny kommt einfach nicht darüber hinweg, dass ...

„Ich hätte ihn töten können. Als er bewusstlos vor mir lag … Er war wehrlos. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen. Hätte ich es doch nur getan.“ (S. 17) Fanny kommt einfach nicht darüber hinweg, dass sie ihren Gegenspieler überleben ließ und er ihre beste Freundin Tilde entführt (und getötet?) hat. Als sie ihn deswegen anzeigt, glaubt ihr die Polizei nicht. Doch damit nicht genug, ihr Gegner erpresst sie auch noch, sich bestimmte Leichen bei der Obduktion ganz genau anzusehen und ihm Bericht zu erstatten, sonst würde er ihrer Familie etwas antun oder Max, in den sie verliebt ist …

Eigentlich hatte Fanny gehofft, dass alles überstanden ist. Sie ist endlich Jungassistentin der Gerichtsmedizin und nicht mehr nur Prosekturgehilfin, darf offiziell obduzieren, auch wenn nur einer der Ärzte sie als vollwertige Kollegin ansieht. Und vielleicht wird aus Max und ihr jetzt ein Paar. Doch mit Tildes Entführung geht alles von vorn los. Fanny hat den Kopf nicht frei für die Liebe und das Gefühl, nicht glücklich sein zu dürfen.
Und wieder landen Leichen auf ihrem Tisch, bei denen sie ungewöhnliche Dinge entdeckt und die jeweils eine Botschaft an sie haben. Hat ihr Erpresser etwa einen mächtigen Gegenspieler? Soll sie sich mit diesem verbünden um Tilde zu finden und ihren Erpresser loszuwerden? Oder gerät sie dann zwischen die Fronten?

„Goldene Rache“ ist der zweite Teil der Reihe mit Fanny Goldmann und obwohl der erste erst vor wenigen Monaten erschienen ist, habe ich ihn sehnsüchtig erwartet, denn „Wiener Blut“ endete mit einem fiesen Cliffhanger. Die Fortsetzung geht genauso spannend und gruselig weiter, wie der erste endet. Man kommt beim Lesen kaum zum Luftholen, weil René Anour so raffiniert mit den Erwartungen spielt und immer wieder neue überraschende Wendungen präsentiert. Dabei hält er das Tempo extrem hoch. Geschickt lässt er Medizingeschichte, Obduktionstechniken und technische Geräte bzw. Hilfsmittel in die Handlung einfließen und schafft es, diese dadurch noch interessanter zu machen.

Fanny ist unglücklich, verzweifelt, getrieben und will ihren Gegner so schnell wie möglich zur Strecke bringen. Außerdem glaubt immer wieder, Tilde zu sehen und zweifelt an ihrem Verstand. Doch im Institut lässt sie sich nichts anmerken und ihren Charme spielen, macht Druck, um ihre Ziele zu erreichen und ihre Stellung zu festigen. Nur bei ihrem Gegenspieler scheitert sie immer wieder. Er macht sich über sie lustig, verhöhnt sie, spielt mit ihr und ihren Gefühlen. „Totenärztin hin oder her. Sie bleiben ein zartes Seelchen, Fanny …“ (S. 201)

Auch Gustav Klimt spielt wieder eine große Rolle. Diesmal geht es um die Entstehung seines Gemäldes „Der Kuss“, welches das Interesse von Fannys Erpresser weckt.
Und natürlich darf Fannys übergriffige Tante nicht fehlen. Sie ist sogar noch schlimmer als beim letzten Mal. Ich frage mich ernsthaft, wie Fanny sie aushält – schließlich kennt sie nicht nur eine Methode, um unliebsame Menschen unauffällig loszuwerden …

Ich fände es schade, wenn Fannys kriminalistische Abenteuer wirklich mit dieser Dilogie abgeschlossen wären und würde mir noch viele weitere Bände wünschen!

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Veröffentlicht am 18.10.2021

Zwei Iren gehen in eine Bar …

Heimweh
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New York 2012: Ein Mann will in einer Bar seinen Kummer ersäufen, weil seine Beziehung vor genau einem Jahr gescheitert ist. Dabei kommt er mit dem jungen Barkeeper ins Gespräch und sie stellen fest, dass ...

New York 2012: Ein Mann will in einer Bar seinen Kummer ersäufen, weil seine Beziehung vor genau einem Jahr gescheitert ist. Dabei kommt er mit dem jungen Barkeeper ins Gespräch und sie stellen fest, dass sie etwas Fundamentales verbindet.

Mullinmore, Irland, 1987: 6 junge Leute verbringen den Tag vor einer Hochzeit am Meer. Auf der Rückfahrt passiert ein Unfall, das Brautpaar und die Trauzeugin sterben, eine weitere junge Frau wird schwer verletzt. Connor, der Fahrer, und Martin, der Beifahrer, gehören eigentlich nicht mal zur Clique und haben kaum eine Schramme. Connor wird für 2 Jahre auf Bewährung verurteilt, aber er kann nicht in dem kleinen Ort bleiben. Alle kennen sich, sind verwandt oder verschwägert. Seine Eltern und seine Schwester werden wegen ihm gemieden, ihr Pub droht pleite zu gehen. Sein Vater schickt ihn nach England ohne zu ahnen, dass der Kontakt für viele Jahre abreißen wird und Connor auch geht, um sein größtes Geheimnis zu wahren.

Es ist schwer, etwas über diese (Hör-)Buch zu schreiben, ohne zu spoilern.
Connor wächst im streng katholischen Irland auf, hat die Schule beendet und keinen Plan, was er mit seinem Leben anfangen will. Den Ausflug hat er nur mitgemacht, weil Martin, der als Fahrer engagiert wurde, ihn dazu eingeladen hatte und er nicht immer als Außenseiter gelten wollte. Nach dem Unfall quälen ihn Selbstvorwürfe und Selbstmordgedanken – vielleicht geht es den anderen besser, wenn er einfach von der Welt verschwindet. Stattdessen wird er in einen Neuanfang geschubst, den er nicht will. Er bricht den Kontakt radikal ab und erfährt nie, was aus seiner Familie oder den anderen Überlebenden und Angehörigen wird, traut sich nicht zurück. Um nicht von seiner Schuld erdrückt zu werden, verdrängt er jeden Gedanken an den Unfalltag.

Graham Norton erzählt in „Heimweh“ von der Enge einer irischen Kleinstadt, dem Festhalten an nichtfunktionierenden Beziehungen um den Schein zu wahren und dem Aufbruch eines jungen Mannes in die große Freiheit, die er so nicht gewollt hat und auch nie findet. Stattdessen orientiert sich Connor immer an anderen, gibt sich so, wie es von ihm erwartet wird und verliert seine Persönlichkeit, wird allein lebensunfähig.
Man dringt tief in die Gedanken und Gefühle der Charaktere ein und verfolgt ihren Lebensweg. Die meisten sind traurige Gestalten, gebrochen und enttäuscht vom Leben und ihren unerfüllten, vielleicht überhöhten Erwartungen. Selbst das schillernde New York wirkt plötzlich trostlos, wenn der Protagonist betrunken im Rinnstein schläft, weil er nicht in die Einsamkeit seiner winzigen Wohnung zurückwill. Dabei ist das Glück nur einen Anruf oder einen Klick entfernt, aber den Mut dazu bringt er ohne fremde Hilfe nicht auf.

Charly Hübner erweckt die verschiedenen Personen gekonnt zum Leben, spricht je nach Handlung mit tragischer, schleppender Stimme oder schneller Euphorie, passt einfach perfekt zu Irland. Trotzdem fiel es mir zum Teil etwas schwer, der Handlung zu folgen. Die Sprünge innerhalb der Kapitel zwischen den verschiedenen Personen und Zeitebenen waren mir zu plötzlich und wenig abgegrenzt, aber vielleicht liegt das auch am Medium Hörbuch und ist im Buch besser gegliedert / dargestellt.

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