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Veröffentlicht am 05.09.2021

Das Kreuz des Zacharäus

Das Kreuz des Pilgers
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1379: Der ehemalige Straßenjunge Palmiro und sein Freund Colin sind auf der Rückreise ihrer Pilgerfahrt aus dem Heiligen Land, als ihr Pilgerzug, dem sich inzwischen auch Handelsreisende wie ihr bester ...

1379: Der ehemalige Straßenjunge Palmiro und sein Freund Colin sind auf der Rückreise ihrer Pilgerfahrt aus dem Heiligen Land, als ihr Pilgerzug, dem sich inzwischen auch Handelsreisende wie ihr bester Freund Gottfried und dessen Frau Reinhild angeschlossen haben, nachts überfallen wird. Dabei wird Gottfried dabei getötet und Palmiro gibt sich dafür die Schuld, denn er hat die Warnungen des Kreuzes des Zacharäus ignoriert. „In der Dunkelheit der Nacht vermeinte Palmiro sogar ein hohles, zorniges Sirren zu vernehmen, und … konnte … einen bläulichen Schimmer um das Schmuckstück erkennen.“ (S. 17) Diese Reliquie wurde jahrhundertelang u.a. von der Familie seines Ziehvaters gehütet, bevor sie vor Jahren endlich wieder den Templern übergeben werden konnte, und ist ihm auf der Reise quasi vor die Füße gefallen, als sich die Inquisition den Schatz der Templer aneignen wollte. Palmiro glaubt nicht an einen Zufall, sondern daran, dass das Kreuz zu ihnen zurückwollte.

Zurück in Koblenz muss Reinhild entscheiden, wie ihr Leben weitergehen soll. Ihr Sohn Hannes ist erst 5 und Gottfrieds Erbe, aber viel zu erben gibt es nicht. Sie wird also nach einer angemessenen Trauerzeit einen neuen Ehemann wählen müssen. Palmiro hat auch schon einen Kandidaten für sie im Sinn, aber den würde ihr Vater strikt ablehnen. Außerdem hat sie Angst, dass ein neuer Ehemann irgendwann hinter ihr größtes Geheimnis kommen könnte.

Auch Palmiro hat Angst vor der Entdeckung seines Geheimnisses, von dem bis dato nur Reinhild und Gottfried wussten. Denn was er verbirgt, zählt als Ketzerei. Um sich von der Angst davor und dem Schmerz wegen des Verlustes seines Freundes abzulenken, stürzt er sich in die Gründung seines eigenen Unternehmens.

Conlin von Langengreth muss ebenfalls überlegen, wovon er in Zukunft leben will. „Du bist ein Blatt im Wind … Ohne Bande, ohne Verantwortung, aber auch ohne Liebe.“ (S. 95) Als zweitgeborener Adeliger hat er sich bisher mit Turnieren über Wasser gehalten, aber sein älterer Bruder macht immer mehr Probleme und eigentlich müsste Conlin jetzt die Verantwortung für die Familie unternehmen.

„… die Zeiten ändern sich. Rittersleute und Patrizier betätigen sich im Handel, der Adel sieht seinen Vorteil darin, sich mit dem einflussreichen Bürgertum durch Ehen zu verbünden. Die Grenzen dessen, was einmal als rechtens und sittsam angesehen wurde, verschwimmen zunehmend.“ (S. 81)
„Das Kreuz des Pilgers“ ist der Auftakt einer neuen, sehr spannenden und von mir sehnsüchtig erwarteten Trilogie von Petra Schier, in der sie wieder einmal gekonnt mittelalterliche Geschichte und Mystik verbindet. Während er Adel durch die Aufteilung des Besitzes an die Söhne und die Mitgiftzahlungen für die Töchter verarmt, wird das Bürgertum immer reicher. Mit dem Handel blüht auch der Verkauf von Sicherheiten (heute würden wir Versicherungen sagen) und Krediten.
Dies alles hat Petra Schier geschickt in die Handlung um Reinhild, Palmiro und Conlin eingebaut. Dabei gibt es für langjährige Fans ein Wiederlesen mit vielen bekannten Figuren aus der Luzia- und der Kreuz-Trilogie, doch am meisten habe ich mich über die kleine Adelina gefreut.

Petra Schier schreibt sehr lebendig und kurzweilig. Es gelingt ihr, das Mittelalter vor dem Auge des Lesers wieder auferstehen zu lassen. Auch ihre Protagonisten klingen und verhalten sich ihrer Zeit angemessen, ich mochte Reinhild, Palmiro und Conlin sofort. Leider endet der erste Band mit einem fiesen Cliffhanger und ich bin schon sehr gespannt, wie es weitergeht.

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Veröffentlicht am 01.09.2021

Die kleine Frau Goethe

Frau von Goethe
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… wurde Christiane Vulpius genannt, meist abfällig oder spöttisch, manchmal aber auch ehrfurchtsvoll. Und dass, obwohl Johann Wolfgang von Goethe sie trotzt ihrer gegenseitigen großen Liebe nicht heiraten ...

… wurde Christiane Vulpius genannt, meist abfällig oder spöttisch, manchmal aber auch ehrfurchtsvoll. Und dass, obwohl Johann Wolfgang von Goethe sie trotzt ihrer gegenseitigen großen Liebe nicht heiraten wollte. Stattdessen hatte er ihr „Eine wilde Ehe … ohne Zeremonie. Und voller Liebe.“ (S. 97) versprochen.

Beate Rygiert räumt in „Frau von Goethe“ mit den Vorurteilen über Christiane und ihre Beziehung zum berühmtesten Geheimen Rat Weimars auf. Sie beschreibt eine starke, mutige, lebenslustige und praktisch veranlagte Frau, die sich trotz der Warnungen ihrer Familie und Freunde über die gängigen Konventionen hinwegsetzt „Ganz Weimar wird sich über dich das Maul zerreißen.“ (S. 37), schildert die Anfeindungen, die Christiane über sich ergehen lassen muss, ihre Angst vor dem Pranger, weil sie unverheiratet schwanger wird, ihre die ständigen Zweifel und die Unsicherheit, ob sie auch (gut) genug für diesen großen, berühmten Mann ist „Ich bin ja nur eine einfache Frau. Und manchmal weiß ich gar nicht, was er an mir hat.“ (S. 167).

Aber Goethe weiß sie wertzuschätzen. „…Du bist meine Rettung.“ (S. 48) und „Keine andere Frau wäre so großzügig wie du.“ (S. 308) Christiane erträgt klaglos seine Launen, seine häufige monatelange Abwesenheit und bringt Ordnung und Struktur in sein Leben und seinen Haushalt. Er ist oft krank, vor allem im Alter scheint sie eher seine aufopfernde Pflegerin als Geliebte gewesen zu sein. Und ihre eigenen Ängste und Probleme behält sie meist für sich. „Ihr Mann war ein Universalgenie … Und ein solcher Mensch interessierte sich einfach für alles. Nur nicht für sie und ihre Sorgen.“ (S. 254)

Außerdem sie ist ein Familienmensch. Die Bekanntschaft mit Goethe verdankt sie der Tatsache, dass sie eine Stelle für ihren Bruder bei ihm erbitten sollte. Sie nimmt ihre Tante und ihre Schwester in ihren Haushalt auf und hilft auch anderen Mitgliedern der weitläufigen Familie immer wieder. Aus dem kleinen „Blumenmädchen“, sie arbeitete in einer Seidenblumenmanufaktur, wurde eine echte Powerfrau.

Beate Rygiert hat einen mitreißenden und aufschlussreichen Schmöker geschrieben und Christiane, ihr Leben und ihre Zeit lebendig werden lassen. Man erhascht natürlich auch immer wieder kurze Einblicke in die wichtigsten Stationen von Goethes Leben, aber die werden aus Christianes Sicht geschildert, was diese für sie bedeuten. Ich fand es gut, dass er im Roman nur eine Nebenrolle spielt, denn, obwohl er der Mittelpunkt von Christianes Welt ist, ist er in ihrem Leben oft nur eine Randfigur, zu oft körperlich oder geistig abwesend.

Für mich ist „Frau von Goethe“ ein weiteres Jahreshighlight.

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Veröffentlicht am 30.08.2021

Das Ende von André und Aurélie?

Die Zeit der Kirschen
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Vor einem Jahr gab es für Aurélie und André ein Happy End. Um ihr Herz zu gewinnen, hatte er ein Buch über ihr Kennenlernen geschrieben, das ein Bestseller wurde. „So kann nur ein Franzose über die Liebe ...

Vor einem Jahr gab es für Aurélie und André ein Happy End. Um ihr Herz zu gewinnen, hatte er ein Buch über ihr Kennenlernen geschrieben, das ein Bestseller wurde. „So kann nur ein Franzose über die Liebe schreiben!“ (S. 49) Jetzt will er ihr seit Monaten einen Antrag machen, doch immer kommt etwas dazwischen. Am Valentinstag kniet er schon fast vor ihr, als sie erfährt, dass sie einen Michelin-Stern erhält. Doch am nächsten Tag ruft ein wütender Koch an – sein Restaurant trägt den gleichen Namen wie ihres und er hat sich den Stern erkocht, nicht sie! Es gab eine Verwechslung in der Redaktion des Guide Michelin. Als ein Artikel über diesen Irrtum geschrieben wird, lernt sie den Koch persönlich kennen – und schwärmt André von ihm vor. Der wird immer eifersüchtiger und auch Aurélie hat Grund zum Zweifeln. Seit einer Lesung bekommt André extrem viele Anrufe von einer Buchhändlerin …

„Die Zeit der Kirschen“ ist die Fortsetzung des Bestsellers „Das Lächeln der Frauen“, und obwohl ich diesen nicht kenne, habe ich sehr gut in die Geschichte hineingefunden. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir irgendein Zusammenhang fehlt.

Nicolas Barreau beschreibt, was nach dem Happy End passiert, wie aus einem Liebespaar ein echtes und vom Alltag eingeholt wird, wie man sich mit den Marotten und Angewohnheiten des Gegenübers arrangiert und (erst noch) darüber lächeln kann. Doch niemand ist vor Eifersucht gefeit und so befinden sich auch André und Aurélie bald in einer Spirale gegenseitiger Vorwürfe und Verdächtigungen (die mir manchmal etwas zu viel wurden). Vor allem André steigert sich immer mehr in seine Eifersucht und merkt gar nicht, wie er damit die Beziehung zerstört. Seine Freunde und Kollegen warnen ihn noch: „Zu einem Tango gehören immer zwei, also schubsen Sie Ihre Freundin nicht in seine Arme, indem Sie ihr ständig auf die Füße treten.“ (S. 342), doch er kann sich irgendwann nicht mehr bremsen.

Aurélie und André sind ein schönes Pärchen und ergänzen sich gut. Er ist oft etwas ungeschickt, vergräbt sich in seine Bücher und blendet alles um sich rum aus – auch das schmutzige Geschirr in der Spüle. Sie ist eher praktisch und bodenständig veranlagt, aber in der Küche sehr kreativ und selbstbewusst.
Übrigens habe festgestellt, dass das „Menu d’amour“, das hier eine wichtige Rolle spielt, aus dem gleichnamigen Buch des Autors von 2013 stammt, in dem es um Aurélies Eltern geht .

Der Roman ist amüsant, charmant, romantisch, leidenschaftlich und mit viel Savoir-vivre. Aurélies Gerichte haben mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen und jetzt ich möchte unbedingt mal Monets Gärten in Giverny besichtigen ...

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Veröffentlicht am 28.08.2021

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Eine Familie in Berlin - Paulas Liebe
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„Du bist immer so poetisch. Du solltest Schriftstellerin werden.“ (S. 8) sagt Paulas Familie schon früh zu ihr. Paula ist die Älteste der 4 überlebenden Kinder der Oppenheimers. Ihr Vater ist Rabbiner, ...

„Du bist immer so poetisch. Du solltest Schriftstellerin werden.“ (S. 8) sagt Paulas Familie schon früh zu ihr. Paula ist die Älteste der 4 überlebenden Kinder der Oppenheimers. Ihr Vater ist Rabbiner, sie wächst in einem zwar gläubigen, aber modernen Elternhaus auf. Die Kinder besuchen gute Schulen, haben freien Zugriff auf die umfassende Bibliothek der Eltern und bekommen Musikunterricht. Sie dürfen an den künstlerischen Zirkeln der Eltern teilnehmen und selber auftreten, müssen aber auch im Haushalt mit anpacken, da die Familie nicht gerade reich ist.
Paula ist das Sorgenkind, hat Lungenprobleme und ist viel krank. Vielleicht flüchtet sie sich deswegen in die Musik und Poesie. Mit ihrem Bruder Franz hat sie ein besonders inniges Verhältnis, sie denken und fühlen oft ähnlich, ein „Seelenband“ verbindet sie. Doch im Gegensatz zu ihm, der studieren darf, hat sie keine Vorstellungen von ihrer Zukunft. „Was will ich in meinem Leben erreichen? Was will ich werden? Und wie finde ich das heraus?“ (S. 34) Da trifft es sich gut, dass ihre Tanta Auguste eine Gesellschafterin sucht und die Familie unterstützen will. Sie nimmt Paula in ihren Haushalt auf, behandelt sie wie die Tochter, die sie nie hatte und vervollkommnet ihre Ausbildung und ihren gesellschaftlichen Schliff.
Anfang der 1880er Jahren stellt Franz ihr seinem besten Freund und Mitstudenten Richard Dehmel vor, der statt zu studieren lieber Gedichte interpretiert und eigene schreibt. Er versteht es, seine Zuhörer zu fesseln, die Frauen liegen ihm zu Füßen: „Diese Augen. Diese Stimme … er ist … grandios. … Er ist ein Zauberer, der alle in seinen Bann schlägt … Ein Merlin.“ (S. 256), doch Paula ist er zu unstet und planlos. „Er ist ein Hallodri, ein Träumer, ein Künstler.“ (S. 299) Trotzdem verliebt sie sich später in ihn und will ihn heiraten, aber ihre Familie ist gegen die Beziehung, da er ohne Beruf und Anstellung nicht für sie sorgen kann.

Ich habe Ulrike Renks Ostpreußen- und Seidenstadt-Saga verschlungen. Auch diese orientierten sich an historischen Vorbildern und beruhten auf wahren Begebenheiten, aber „Paulas Liebe“ ist anders. Während sich Erstere so fesselnd wie Abenteuerromane lesen, ist das vorliegende Buch sehr ruhig, philosophisch und poetisch – wie eben auch Paula war. Vor allem die Briefe lesen sich aus heutiger Sicht zum Teil etwas sperrig und pathetisch. Man taucht tief in Paulas Gedanken- und Gefühlswelt ein, ihr Ringen um Erkenntnis und die Frage, wie sie ihr Leben gestalten soll, ob sie sich je verlieben kann und ob ein Mann sie trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit heiraten wird.
Paula erscheint für ihr Alter extrem erwachsen und sehr selbstreflektiert. Sie grübelt viel und hinterfragt alles. Auguste bringt ihr die Ideen der Gleichberechtigung näher und öffnet ihr die Augen für andere Lebensentwürfe und Gesellschaftsschichten.
Besonders fasziniert hat mich neben Paulas Leben Franz‘ Auseinandersetzung mit dem Judentum und Antisemitismus. Er will um jeden Preis als Deutscher wahrgenommen werden, nicht als Jude oder Preuße.

Ich finde den Klappentext etwas ungünstig formuliert. Er impliziert, dass es um die Liebesgeschichte zwischen Paula und Richard geht, dabei ist das ja nur ein Teil ihres Lebens (und leider kein besonders schöner, aber ich will hier nicht vorgreifen). Es geht vor allem um ihr Aufwachsen, ihre Ausbildung und Entwicklung. Sie hätte gern studiert, aber das war damals für Frauen in Deutschland unmöglich, außerdem war sie eine begabte Pianistin, konnte das wegen ihrer instabilen Gesundheit aber nicht zu ihrem Beruf machen. Und obwohl sie schon früh Rätselreime und ähnliches gedichtet hat, ist sie erst spät zum Schreiben gekommen.

Ulrike Renk schildert Paulas bewegtes und nicht gerade leichtes Leben sehr detailreich, passt sich sozusagen deren überbordender Ausdrucksweise an. Ich hätte mir manchmal etwas mehr Spannung und Tempo gewünscht, aber das letzte Drittel hat mich dann mit dem Buch versöhnt. Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Band.

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Die wunderbaren Wunderfrauen

Die Wunderfrauen
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„Jede von ihnen war eigen, so dass sie manchmal aneinandergerieten, aber sobald eine von ihnen Sorgen hatte oder gar in Not war, standen sie füreinander ein.“ (S. 13)
Mit „Freiheit im Angebot“ geht die ...

„Jede von ihnen war eigen, so dass sie manchmal aneinandergerieten, aber sobald eine von ihnen Sorgen hatte oder gar in Not war, standen sie füreinander ein.“ (S. 13)
Mit „Freiheit im Angebot“ geht die Ära der Wunderfrauen von Stephanie Schuster zu Ende. Über 3 Bücher und 20 Jahre (von Mitte der 50er bis Mitte der 70er) habe ich Luise, Marie, Annabel und Helga begleiten dürfen, habe mit ihnen gebangt, gehofft, gelitten, geliebt, gelebt und gelacht und lasse sie jetzt nur ungern gehen.
Fast jede Leserin wird sich mit einer von ihnen besonders identifizieren können. Luise ist immer für alle da und kommt selber oft zu kurz. „Luise lief das ganze Jahr Marathon. Bloß kam sie nie irgendwo an. Ständig begann alles von vorn, jeder zerrte an ihr … Es gab kein Entkommen.“ (S. 50) Sie kann ihren Traum vom eigenen Geschäft nicht loslassen, auch wenn es wegen der Supermärkte immer schlechter läuft. Und obwohl die Liebe längst vorbei ist und ihr Mann sie immer wieder enttäuscht, trennt sie sich nicht von ihm. Schafft sie mit Hilfe ihrer Freundinnen den Absprung in ein neues Leben?
Maries Traum von der großen Liebe bis ins hohe Alter ist mit dem frühen Tod ihres Mannes geplatzt. „Für sie gab es nichts mehr zu fühlen, für sie gab es keine Freude. Alles, was ihr blieb, war, für ihre Kinder da zu sein und den nächsten Tag zu überstehen.“ (S. 171) Sie kümmert sich rührend um ihre große Familie, zu der auch die pflegebedürftige alte Tante und ihr mongoloider Schwager gehören, hat den Bauern- erfolgreich zum Reiterhof umgestaltet und weitere Pläne. Aber um wieder glücklich zu werden, muss sie endlich Abschied von Martin nehmen, neuen Mut fassen und nach vorne sehen.
Annabel war für mich immer etwas unscheinbar, hat sich im Hintergrund und ihrem Mann den Rücken freigehalten, obwohl dieser seine Geliebte nie vergessen konnte. „Es fühlte sich an, als führten sie eine Ehe zu dritt. Konstantin, sie und eine Tote, die sein Herz auf ewig in Beschlag genommen hatte.“ (S. 32) Dabei ist sie eine starke Kämpferin, will ein normales Leben für ihre behinderte Tochter, deckt alte Vergehen auf und will dieses Unrecht sühnen. Und mithilfe ihrer Freundinnen und ihrer Schwiegermutter entzieht sie sich langsam endlich auch der Bevormundung ihres Mannes und findet ihre eigene Stimme.
Ich habe Helga immer am meisten bewundert. „Noch nie eine echte Frau gesehen?“ (S. 26) Sie polarisiert und sorgt für Aufsehen, ist frech, wild, will sich nicht anpassen oder für ihren farbigen Sohn David schämen, den sie allein großgezogen hat. Sie bekommt ein berufliches Angebot, für das andere sicher morden würden – aber ist es auch das, was sie will?! Außerdem mischen sich ihre Eltern nach fast 20 Jahren wieder in ihr Leben ein. Und dann ist da noch das Geheimnis, dass sie noch nicht mal ihren Freundinnen gebeichtet hat, weil es sicher alles ändern würde …
Luise, Marie, Annabel und Helga sind zusammen erwachsen, älter und reifer geworden. Die ersten Kinder werden flügge und die 4 Frauen überdenken die Pläne für ihr weiteres Leben.

Stephanie Schuster schreibt extrem fesselnd und lässt die 70er Jahre wieder lebendig werden: die Mode und Frisuren, Lebensmittel und Gerichte, die Modernisierungen im Haushalt und Handel, das langsame Sterben der Krämerläden, die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche, den Wandel im Scheidungsrecht und den Kalten Krieg. Sie schlägt im letzten Band der Reihe eine Brücke vom Starnberger See bis nach Paris und Ost-Berlin, von den Gräueltaten während des 2. WKs über das Attentat bei den olympischen Spielen in München bis zu den Weltjugendspielen in der DDR und lässt so alle Protagonisten noch einmal auferstehen, verknüpft offene Fäden und schafft einen würdigen Abschluss.

Das Buch ist eine Ode an die Freundschaft und handelt von Abschieden und Neuanfängen. Es hat mich wieder sehr berührt und die Gänsehaut ist auch nach dem Ende noch da. Ganz großes Kino.

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