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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.05.2020

Sachliche, hoch informative, aber auch etwas anstrengende Lektüre

Florence Nightingale
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Zu meiner Jugendzeit, lang ist’s her, besaß ich eine Florence-Nightingale-Biographie, die in ihrer gefühlsmäßigen Verbrämtheit meinem pubertären Überschwang sehr entgegenkam. Deshalb war ich jetzt, ca. ...


Zu meiner Jugendzeit, lang ist’s her, besaß ich eine Florence-Nightingale-Biographie, die in ihrer gefühlsmäßigen Verbrämtheit meinem pubertären Überschwang sehr entgegenkam. Deshalb war ich jetzt, ca. 55 Jahre später, besonders neugierig auf das vorliegende Buch. Denn ich hatte tatsächlich die Vorstellung eines „Engels“, der sich für die Pflege von Kriegsverletzten restlos aufopferte. Ein oberflächliches Klischee, mit dem Hedwig Herold-Schmidt restlos aufräumt.

Die Autorin ist zu bewundern, wie detailliert-genau, mit welcher Akribie und ausufernden Recherchearbeit sie sich mit Florence Nightingale beschäftigte und deren Persönlichkeit sowohl historisch, politisch, gesellschaftlich als auch psychologisch beleuchtet. Die immense Arbeit, die hinter diesem Buch steckt, ist kaum zu erahnen. So beeindruckend diese Detailgenauigkeit ist, so schwierig wurde mir dadurch auch mitunter das Lesen. Die enorme Fülle der Informationen erschlug mich geradezu, und so las ich lange am Buch, in jeweils kurzen Etappen. Und doch bildete sich in mir zunehmend das Bild einer willensstarken Frau heraus, einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die von Glaubensstärke getragen weder auf ihre eigene angegriffene Gesundheit noch auf gesellschaftliche Normen achtete und sich lediglich dem unterordnete, was sie selbst als richtig und richtig und notwendig erachtete.

Die sachlich-informative Schreibweise der Autorin ist als Informationsübermittlung großartig, aber dennoch hätte ich mir ab und zu etwas mehr „Farbe“ gewünscht, um nicht nur Wissen, sondern auch ein gewisses Gefühl für den Menschen Florence Nightingale entwickeln zu können. Insofern bleibt für mein Empfinden Hedwig Herold-Schmidt hinter ihrem eigenen Anspruch etwas zurück. Denn die eigentliche „Frau hinter der Legende“ blieb mir trotz allen Wissensgewinns irgendwie weiterhin verborgen.

Fazit: Eine sachliche, fundierte und hoch informative Biographie über Florence Nightingale, sowohl kritisch als auch würdigend. Allerdings leider etwas anstrengend zu lesen.

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Veröffentlicht am 11.05.2020

Ein solider und gut unterhaltender Kriminalroman

Nordseedämmerung
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Einen Debütroman eines jungen Autors aufzuschlagen, ist immer spannend. Ist er gelungen? Welcher Schreibstil, welche Ideen erwarten mich? Kann er mich überraschen? Wenn ich es in fünf Worten zusammenfassen ...


Einen Debütroman eines jungen Autors aufzuschlagen, ist immer spannend. Ist er gelungen? Welcher Schreibstil, welche Ideen erwarten mich? Kann er mich überraschen? Wenn ich es in fünf Worten zusammenfassen soll: Der Kriminalroman „Nordseedämmerung“ hat mich gut unterhalten, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Welch eine Herausforderung für Kriminalhauptkommissar Tobias Velten, der von Berlin nach Juist gesandt wurde: Der Bundespräsident von Deutschland hat sich in den Kopf gesetzt, auf der Insel Juist seinen Urlaub zu verbringen. Das Sicherheitsteam rund um Tobias Velten gerät schnell an seine Grenzen, als sich die Hinweise mehren, dass ein Mörder auf den Bundespräsidenten angesetzt ist. Doch damit nicht genug. Offenbar gibt es einen Spitzel in den eigenen Reihen, der alle aufwändigen Sicherungsbemühungen zunichtemacht…

Gut gefällt mir das Cover, insbesondere dass der Titeldruck so angeraut ist, dass man meinen könnte, beim Darüberstreichen Sand unter den Händen zu spüren. Ärgerlich dagegen ist, dass es relativ viele Fehler im Text gibt. Offensichtlich wurde nicht sorgfältig genug korrekturgelesen.
Ja, das Buch hat mich gut unterhalten, mehr aber auch nicht. Die sehr nüchterne, fast möchte ich sagen männlich-emotionsarme Erzählweise packt den Leser nicht wirklich. Die eingestreuten kleinen Exkursionen politischer Art bleiben trocken-theoretisch. Vielleicht hätte mehr wörtliche Rede das Lesen flüssiger gestalten können. Die Spannung ist von Anfang bis Ende mäßig vorhanden, die Aufklärung zum Schluss bleibt nur zum Teil überraschend. Zwar bin ich nach Lektüre des Buches gefühlt nahezu jeden Weg auf Juist gegangen, aber ich konnte keinerlei Gefühl für die Insel gewinnen, konnte nicht seine spezielle Atmosphäre aufnehmen. Der Autor erzählt genau und sorgfältig, aber leider nicht unter Einbeziehung aller Sinne. Doch genau damit könnte Christian Kuhn seinem Schreibstil sehr viel mehr Intensität verleihen. Ein Debütroman, der gut unterhält, ist aber auf jeden Fall ein guter Start.

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Veröffentlicht am 10.05.2020

Ohne Angst gibt es keinen Mut

Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
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Ein Romanfragment aus dem Nachlass von Michael Ende, sprich drei Kapitel, an denen er bis zu seinem Tod immer wieder gearbeitet hatte, waren die Steilvorlage, die Wieland Freund dazu animierte, das Fragment ...


Ein Romanfragment aus dem Nachlass von Michael Ende, sprich drei Kapitel, an denen er bis zu seinem Tod immer wieder gearbeitet hatte, waren die Steilvorlage, die Wieland Freund dazu animierte, das Fragment weiterzuschreiben zu einem abenteuerlich-spannenden Kinderbuch, was ihm zweifellos sehr gut gelungen ist.

Knirps, der völlig angstfreie Sohn einer Puppenspielerfamilie, möchte unbedingt ein ganz gefährlicher Raubritter werden. Auf jeden Fall so schrecklich wie Rodrigo Raubein, bei dem er in die Lehre gehen will. Doch dieser fühlt sich in seiner Ruhe gestört und ist gar nicht erbaut von Knirps‘ Plänen. Deshalb fordert er als allererstes eine ganz und gar gefährliche Mutprobe, um Knirps wieder loszuwerden. Nach einigem Grübeln ist sich Knirps sicher, dass es nichts Gefährlicheres gäbe als einen Prinzessinnenraub. Doch als er die überaus kluge Prinzessin Flip trifft, gerät alles mehr und mehr aus dem Ruder…

Wir wissen nicht, welche Geschichte rund um Knirps und Rodrigo Raubein Michael Ende vorschwebte. Insofern ist es Wieland Freund hoch anzurechnen, in welch genialer Weise er aus den vorhandenen drei Kapiteln in insgesamt 16 Kapiteln ein Kinderbuch entstehen ließ, das durch Ideenreichtum, durch Witz und Klugheit begeistert. Es ist erstaunlich, wie Wieland Freund sowohl den Sprachduktus als auch die so reiche humorige Fantasie und Wortgestaltungskraft von Michael Ende „fortführt“. Vielleicht hätte es der Geschichte jedoch gut getan, wenn sie mit ein paar Handlungssträngen weniger erzählt worden wäre. Irgendwie blieb bei der Fülle der erzählten Geschehnissen der von Michael Ende eigentlich in den Mittelpunkt gestellte Hastrubel Anaxinander Chrysostomos, genannt Knirps, auf der Strecke, wurde zur Randfigur. Das fand ich schade. Schön jedoch, wie der Erzähler immer wieder seine Zuhörer/Leser direkt anspricht und sie somit unmittelbar in die Geschichte hineinholt. Und wir lernen, dass es gar nicht so einfach ist, das zu tun, was man wirklich will und dass es ohne Angst keinen Mut gibt. Gegen Ende der Abenteuer heißt es: „Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit.“ Und es klingt, als ob Michael Ende selbst das Wort ergreift.

Fazit: Ein sehr hochwertig gemachtes Buch, mit viel Witz, spannenden Abenteuern und von unaufdringlicher Klugheit erzählt. Wieland Freund ist es perfekt gelungen, aus einer aus wenigen Seiten bestehenden vorgegebenen Idee ein Kinderbuch ganz im Sinne von Michael Ende zu schreiben. Unbedingt hervorzuheben sind übrigens die sehr ansprechenden, ausdrucksstarken Illustrationen von Regina Kehn, die das Buch zusätzlich aufwerten.

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Veröffentlicht am 09.05.2020

Eindrücklich und lesenswert

Liebe
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Wer in diesem Sammelband mit „Geschichten über das größte Gefühl der Welt“ romantische Mondschein-Schwüre und Geigenmusik erwartet, wird bitter enttäuscht werden.

Weit, weit weg von süßem Kitsch und ...


Wer in diesem Sammelband mit „Geschichten über das größte Gefühl der Welt“ romantische Mondschein-Schwüre und Geigenmusik erwartet, wird bitter enttäuscht werden.

Weit, weit weg von süßem Kitsch und geschöntem Leben geht es in diesem Buch hart zur Sache. Teilweise unbekanntere Geschichten findet man in ihm, manche sperrig, manche wunderlich, manche berührend, oftmals bitter. Es sind Geschichten von Menschen, die seelisch verletzt oder hoffnungslos sind, dem Leben und seinen schlechten Seiten ergeben sind, vielleicht auch vom Leben geschunden sind. Manche Akteure sind auch einfach nur verzweifelt anders als die anderen. Kurzum, es sind Geschichten, denen es an Glück fehlt und die vielleicht genau dadurch besonders wahrhaftig sind. Wie zum Beispiel diese seltsam unfertige Geschichte einer unfertigen Liebe, einer Liebe „auf der Stelle“. Oder Liebe versteckt in Endlossätzen, verboten, unendlich traurig. Oder Liebe wie zerlaufener Honig mit sich darbietenden Körpern aus Sehnsucht nach Verlorenem.

Es sind Geschichten, die lange nachhallen, nicht melodisch-süß, sondern verzweifelt suchend. Sehr, sehr eindrücklich und lesenswert!

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Veröffentlicht am 06.05.2020

Das Gelächter der Kadaver

Das wirkliche Leben
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Ein Roman, härter und brutaler und grausamer als jeder mir bekannte Thriller. Ein Roman, der mit Peitschenhieben durch die Seiten treibt. Ein ganz und gar unglaublicher Debüt-Roman, der absolut nicht ...


Ein Roman, härter und brutaler und grausamer als jeder mir bekannte Thriller. Ein Roman, der mit Peitschenhieben durch die Seiten treibt. Ein ganz und gar unglaublicher Debüt-Roman, der absolut nicht geeignet ist für empfindsame Leser.
Das zehnjährige Mädchen, die Ich-Erzählerin ohne Namen, und ihr kleiner Bruder Gilles leben in einer uniformierten Reihenhaussiedlung. Die Mutter wird beschrieben als eine Amöbe, ein graues, unsichtbares Nichts. Der Vater dagegen hat große Leidenschaften, nämlich die Jagd, Fernsehen, Whisky und in Prügeln sprechende Wutanfälle. Als eines Abends vor den Augen der beiden Kinder ein entsetzliches Unglück passiert, verändert sich das Leben schlagartig. Das glockenhelle Lachen von Gilles stirbt für immer. Und das Mädchen kämpft mit aller Kraft darum, dieses Lachen wieder zurückzuholen. Ihre überragende Intelligenz und ihr Mut helfen ihr, sich eine ganz eigene Welt zu konstruieren, eine Welt der Hoffnung, tief verborgen vor Mutter und Vater. Doch im Verlauf der Zeit entwickelt sich nicht nur ihr Geist, sondern auch ihr Körper, was ihrem Vater nicht verborgen bleibt.
Was für eine Sprache, so unerschütterlich direkt, so unfassbar gewaltig, geradezu von brachialer Kraft. Aber auch Feines erspürend, wenn zum Beispiel die Autorin innerseelische Vorgänge über das differenzierte Schildern von Gerüchen zum Ausdruck bringt. Der Roman benutzt unglaublich starke Bilder, die mit ungebremster Wucht direkt zum emotionalen Zentrum des Lesers vorstoßen, Flucht unmöglich. Und diese intensiven Bilder hinterlassen Einschusslöcher im Kopfkino, wie Kriegswunden, unheilbar. Dazu wirken die kurzen Kapitel wie Schlaglöcher, in die der Leser rumpelnd hineinstürzt und die ihn immer wieder fast zu Fall bringen. Ein Roman, der mit unfassbar großer literarischer Kraft „das wirkliche Leben“ in der ganzen Bandbreite von schön bis schrecklich auf 230 Seiten bannt.

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