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Veröffentlicht am 19.03.2024

In einem Konzertland vor unserer Zeit

Wir könnten Freunde werden
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"Wie viele Konzerte werden pro Tag gegeben? Wie viele Menschen gehen pro Tag auf ein Konzert?" (Wir könnten Freunde werden, Seite 135)

Puh, vielleicht nicht die cleverste Lektüre in einer Pandemie, bei ...

"Wie viele Konzerte werden pro Tag gegeben? Wie viele Menschen gehen pro Tag auf ein Konzert?" (Wir könnten Freunde werden, Seite 135)

Puh, vielleicht nicht die cleverste Lektüre in einer Pandemie, bei akuter Konzertvermissung, beim Gedanken daran mal wieder mit einem schalen Bier in einem Plastikbecher in einer verschwitzten Menschenmenge bei Lieblingsliedern dümmlich, aber glücklich in Richtung Bühne zu grinsen.

Schon komisch, wenn ein Buch aus der Zeit gefallen wirkt, und das nicht daran liegt, dass für Zigaretten und T-Shirts noch DM fällig waren und Thees und Dirk und Arne und Jan und Rick und alle anderen einfach mal Mitte 20 und pausbackig waren, sondern weil die Idee, so, ich schnapp mir jetzt mein Wegbier und geh ins Underground (was ja leider eh nicht mehr geht, Ehrenfelder Abrissbirnen sei Dank) und höre mir Rock'n'Roll an, einfach mal seit fast einem Jahr auf Eis liegt.

Trotzdem, es ist eine tolle Reise in eine andere Zeit, eine Zeit, die vielleicht, ach was, bestimmt, irgendwann wieder einmal kommt, nicht mit alter Währung, aber mit altbewährten Mustern der Musikliebe. Und vielleicht ist es auch diese merkwürdige Zeit, in der wir gerade leben und lesen, die ein viertes Sternchen an dieses Buch hängt, das so etwas wie der Vorläufer der geschätzten Uhlmannschen Facebook Posts ist, herrlich ausufernd, oft quatschig, nicht selten emotional, manchmal anstrengend, aber immer wieder mit dem gleichen Abschlussgedanken: Danke, Thees!

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Die Geschichte seines Lebens

Das Geschenk eines Regentages
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1999 war da der Kurzfilm. She and her Cat - 彼女と彼女の猫. Eine Frau findet an einem Regentag eine Katze und nimmt sie mit nach Hause und die Geschichte nimmt ihren Lauf - auch für Makoto Shinkai. Aus dem Kurzfilm ...

1999 war da der Kurzfilm. She and her Cat - 彼女と彼女の猫. Eine Frau findet an einem Regentag eine Katze und nimmt sie mit nach Hause und die Geschichte nimmt ihren Lauf - auch für Makoto Shinkai. Aus dem Kurzfilm wird ein Anime, ein Manga und dieses Buch.

Ein Buch über Frauen und ihre Katzen. Oder umgekehrt. Ein Buch über tierisch menschliche Schwierigkeiten und das tiefe Verständnis, das eine Beziehung zwischen den Katzen, einem Hund und ihren Frauen erzeugen kann.

Von der alleinlebenden Miyu, die nicht nur ihren Freund, sondern auch ihre beste Freundin verliert. Von der Kunststudentin Reina, die an ihrem Talent zweifelt und sich von einem zweifelhaften Mann vereinnahmen lässt. Von der Mangazeichnerin Aoi, die um ihre beste Freundin Mari trauert und sich die Schuld an ihrem frühen Tod gibt. Und von der älteren Shino, die erst ihren Schwiegervater und dann ihre Schwiegermutter gepflegt hat, als ihr Mann sie längst für eine andere Frau verlassen hat.

Vom kleinen Chobi, der ein neues Zuhause findet. Von der kleinen, schwerhörigen Mimi, die erst Chobi umgarnt und sich dann verletzt und versetzt mit einem anderen Kater einlässt. Von ihrer Tochter Cookie, die ihrer neuen Freundin ein lange veloren geglaubtes Schmuckstück wiederbringt. Von Kuro, der seinem Freund John verspricht, nach dessen Tod eine wichtige Aufgabe zu übernehmen.

Vier Geschichten, die alle über vier mal vier Pfoten miteinander verwoben sind und ganz am Ende zu einem bunten Wollknäuel zusammenlaufen.

Funktioniert das? Ja, wenn man sich auf die Hintergründe der Erzählung einlässt, die Wurzeln in der Anime- und Manga-Welt. Die Erzählweise ist manchmal etwas zu simpel, der Blick der Katzen auf ihre Menschen zu kindisch - ein Fakt, der aber auch an der Übersetzung der Geschichte liegen kann. Die feinen japanischen Zwischentöne zu treffen ist eine Kunst und ob dies Heike Patzschke gelungen ist, ist, ohne den originalen Text zu kennen, schwer zu beantworten.

So bleibt „Das Geschenk eines Regentages“ in erster Linie ein Buch für Freund:innen japanischer Kultur, Manga- und Anime-Fans und Besitzer:innen von Katzen. Wer sich nicht dazu zählt: Es lohnt sich, einen Blick auf die erste Geschichte zu werfen - denn für Makoto Shinkai ist es die Geschichte seines Lebens.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Grand Theft Duster

Blacktop Wasteland
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Eine staubige Landschaft im Nirgendwo. Trailerparks. Schnelle Autos. Abgewrackte Rednecks. Die Welt von Blacktop Wasteland erinnert nicht nur ein bisschen an Grand Theft Auto V. Auch die Hauptfigur – Beauregard ...

Eine staubige Landschaft im Nirgendwo. Trailerparks. Schnelle Autos. Abgewrackte Rednecks. Die Welt von Blacktop Wasteland erinnert nicht nur ein bisschen an Grand Theft Auto V. Auch die Hauptfigur – Beauregard Montage – ist der typische Antiheld der erfolgreichen Videospielreihe. Er war mal im Knast. Er möchte das Beste für seine Familie. Er macht noch diesen einen Job. Und dann? Ja dann …

S. A. Cosby nimmt die Leser:innen mit in seine Heimat, in seine Vergangenheit. Aufgewachsen in Virginia, in einem Trailerpark, die Toilette im Hof, der Rassismus allgegenwärtig, alltäglich. Das Literaturstudium musste er abbrechen, um seine Mutter zu pflegen. Und dennoch: Zwischen der Betreuung und den Nebenjobs las er, schrieb er und veröffentlichte nach einer gefeierten Kurzgeschichte und zwei Romanen seinen Durchbruch: Blacktop Wasteland.

Beauregard Montage, genannt Bug, hat ein paar Jahre Jugendknast abgesessen, als Fluchtwagenfahrer Geld verdient und führt jetzt ein recht zurückgezogenes Leben mit eigener Werkstatt im verdammten Hinterland Virginias. Doch dann fehlt das Geld. Der eine Sohn braucht eine Brille, der andere eine Zahnspange, das Pflegeheim seiner Mutter fordert über 30.000 Dollar nach und die Konkurrenz hat seiner Werkstatt hat einen lukrativen Deal vor der Nase weggeschnappt. Da taucht ein alter Bekannter auf. Mit dem Plan für einen letzten Coup, der eigentlich nicht schiefgehen kann. Und natürlich schiefgeht.

Klingt nicht unbedingt neu, ist aber wahnsinnig gut erzählt. Cosby nimmt die Leser:innen mit auf eine oft schonungslose Reise in ein Land voller Konföderierten-Flaggen, Trumpismus, einem kaputten Gesundheitssystem, Gewalt, Medikamenten- und Drogensucht. Aber auch in eine Welt voller Familienbande, Hoffnung, actionreichen Verfolgungsjagden und fein aufblitzendem schwarzen Humor.

Der Dreh und Angelpunkt: Die Hauptfigur mit den zwei Gesichtern. Der Vater, Sohn und Ehemann Beauregard auf der einen Seite, der seine Werkstatt, seine Familie retten und schützen möchte. Und der Fahrer Bug, der seine spektakulären Fähigkeiten zu wilden Autofahrten und schonungsloser Selbstzerstörung von seinem Vater geerbt hat, eine weitere Geschichte, die diesen dichten Roman schnell vorantreibt.

Blacktop Wasteland liest sich wie ein Videospiel, wie eine Netflix Serie, wie ein rasant geschnittener Kinofilm. Kein Wunder, dass die Filmrechte schon verkauft sind. Genau wie die von Cosbys nächstem Roman. Und der ist nicht mal erschienen. Sieht schon ganz gut aus, die Zukunft von S. A. Cosby. Und das nach einer staubigen Jugend im Trailerpark.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Der SAT.1-FilmFilm

Der erste letzte Tag
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Man kann sich das so gut vorstellen: Matthias Schweighöfer, irgendwo zwischen halbseriös und üblich zerknautscht. Jella Haase, leicht angepunkt, aber aus gutem Hause. Ein klappriges Auto und zahlreiche ...

Man kann sich das so gut vorstellen: Matthias Schweighöfer, irgendwo zwischen halbseriös und üblich zerknautscht. Jella Haase, leicht angepunkt, aber aus gutem Hause. Ein klappriges Auto und zahlreiche Gastauftritte von Promis aus der Film-, Musik- und Wasauchimmerfürneunterhaltung-Branche. Und natürlich mit einem Gastauftritt von Sebastian Fitzek, hupend am Steuer eines Wohnmobils oder als Obdachloser im Luxushotel. Hauptsache augenzwinkernd.

Warum dieser leicht aufgebauschte Mix als Einleitung? So ist das Buch. Leicht aufgebauscht. Dezent ausgedrückt. Ehrlich gesagt: Fitzeks erster Nicht-Thriller strotzt nur so vor Kalauern und Flapsigkeiten, vor doppeläugigem Zwinkern, auf den Schenkel klopfen und mit dem Ellenbogen in die Seite stupsen. Ein Seht-her-ich-kann-auch-anders. Leider ist das furchtbar anstrengend. Und leider ist da furchtbar viel verschenktes Potenzial.

Okay, der Plot ist nicht neu, es gab da die auch viel zu lange, über mehrere Episoden gestreckte Marshall-und-die-fremde-Frau-Story bei How I Met Your Mother mit dem gleichen Kontext (noch gar nicht erwähnt, also: Es geht kein Flieger, es gibt nur noch einen Mietwagen, zwei sich unbekannte und grundverschiedene Leute teilen ihn sich und los geht die wilde Fahrt). Zwischen den Zeilen ist da aber mehr.

Die Geschichte von ihm, Livius, ist halbwegs uninteressant. Blasser Typ, Ehe im Eimer, Buchvertrag für langweiliges Sachbuch kurz vor dem Abschluss, joa. Sie ist deutlich geheimnisvoller: gutes Elternhaus, aneckende Attitüde, unberechenbar – und … nun, ohne zu spoilern, es gibt da eine Sache, die Livius und der Leser erst spät(er) erfahren.

Ich hab’s erwähnt, es ist furchtbar anstrengend, nervig, flach – der perfekte Mix für den nächsten SAT.1-FilmFilm und perfekt für Leute, die sowas mögen. Ehrlich, meine Meinung ist völlig subjektiv, es wird viele Leute geben, die das Buch mögen werden, die sich amüsieren, denen es beim Lesen anders geht bei mir. Das ist total in Ordnung. Für mich ein Stern und auf zum nächsten Buch. Dachte ich bis zum Ende. Oder besser: bis kurz davor.

Und jetzt wird’s schräg: Ich erhöhe auf zwei Sterne – immer noch nicht gut, aber hey. Und: Ich ärgere mich eigentlich noch mehr. Das Ende ist richtig gut. Ich habe Bücher gelesen, die ich super fand und deren Ende ich unnötig und doof fand, hier ist es genau umgekehrt. Das Ende hat genau die richtige Lautstärke, es ist leise, dezent, ohne blöde Witzchen, nicht konstruiert, es ist menschlich, es ist warm, es ist wirklich schön. Und dann sitze ich da und frage mich, warum nicht das ganze Buch in dieser Tonalität geschrieben ist.

Oder in drei Worten: Mensch, Fitzek, ey!

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Schattensommer

In diesen Sommern
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Eis und Schwimmbadpommes, abends wachbleiben, bis die Sonne untergeht, Ausflüge und Urlaube. Erinnerungen, die man an die Sommer seiner Kindheit haben sollte.

Über Erinnerungen, wie sie kein Kind, kein ...

Eis und Schwimmbadpommes, abends wachbleiben, bis die Sonne untergeht, Ausflüge und Urlaube. Erinnerungen, die man an die Sommer seiner Kindheit haben sollte.

Über Erinnerungen, wie sie kein Kind, kein Mensch haben sollte, schreibt Janina Hecht in ihrem Debüt „In diesen Sommern“. Ein, zwei, drei Gläser Alkohol zu viel. Ein Streit, ein Schlag, ein Tritt. Eine Familie, die erst innerlich, dann äußerlich daran zerbricht.

Nüchtern, klar, fast emotionslos und gleichzeitig nur schwer zu ertragen, erzählt die Hauptfigur Teresa in meist kurzen Kapiteln Episoden aus ihrer Kindheit und Jugend. Einige wenige schöne Momente. Viele, auf denen erst kleine, dann immer größere Schatten liegen.

Das Eingeständnis, die Erkenntnis, dass ihr Vater Alkoholiker ist. Der erst die Mutter, dann sie und ihren Bruder schlägt. Bis erst eine Sorge, dann eine Angst mit in das Haus zieht. Bis erst Teresa und dann auch der Rest ihrer Familie den Absprung schafft.

Zurück bleibt ein Vater, der keinen Ausweg findet. Der nicht von seiner Familie gerettet werden kann, vielleicht auch nicht gerettet werden möchte, der seine Sucht zu verbergen versucht und immer häufiger daran scheitert.

Alkoholismus ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist. Dieses zu brechen ist eine Aufgabe für uns alle. Nicht jede Familie, nicht jedes Leben kann dadurch gerettet werden. Aber jede und jedes ist es wert, dass wir es versuchen.

Eine intensive, eine tieftraurige Familiengeschichte von diesen Schattensommern, die es zu verhindern gilt. Damit alle Menschen mit freudigem Wehmut an die Sommer ihrer Kindheit zurückdenken.

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