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Veröffentlicht am 28.02.2024

Ausgefuchster Riesenspaß

Grimmwald: Lasst die Felle fliegen! – Band 2
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Zum Beginn ein kleiner Rückblick: Im ersten Band von Grimmwald mussten die beiden Füchse Ted und Nancy aus der vertrauten Stadt fliehen – die fiese Katze Prinzessin Pinöckel war ihnen auf den befellten ...

Zum Beginn ein kleiner Rückblick: Im ersten Band von Grimmwald mussten die beiden Füchse Ted und Nancy aus der vertrauten Stadt fliehen – die fiese Katze Prinzessin Pinöckel war ihnen auf den befellten Fersen. Ihr Ziel war der Grimmwald, doch auch dort waren sie nicht sicher. Erst nach einem elektrisierenden Finale kehrte Ruhe ein. Doch dann … erschien Teil 2 von Nadia Shireens Fuchsgeschichte: „Lasst die Felle fliegen!“

Eigentlich haben sich Ted und Nancy gut eingelebt, baumboinken lustig mit ihren neuen Freund:innen durch den Wald, aber dann, ja dann steht plötzlich Sebastian Silver vor der, naja, Tür. Der Bürgermeister des umliegenden Funkelforsts möchte einen Vergnügungspark bauen und dafür den Grimmwald abholzen. Und das müssen Ted und Nancy natürlich verhindern.

Der zweite Teil der Grimmwald-Reihe punktet vor allem durch absurden Witz. Ein Beispiel? Der kleine Faktenteil auf Seite 5 – die Themen sind der Grimmwald, das lustige Spiel Baumboink und Eulen – endet mit dem Hinweis in Bezug auf Letztere, dass diese „einige Jahrhunderte lang […] ausschließlich in einem kleinen Familienbetrieb in Portugal hergestellt“ wurden. Und allein solche Sätze machen Grimmwald zu einem (sehr) frühen Einstieg in die Humorwelten von Douglas Adams oder Terry Pratchett. Eltern, die das begrüßen, sollten auf jeden Fall zugreifen.

Mein Lieblingssatz allerdings ist die Beschreibung eines geheimnisvollen Fuchses: „Und er hat richtig gut gerochen. Nach alten Büchern und Streuselkuchen.“ Geht’s noch besser? Direkt Wohlfühlatmosphäre geschaffen. Und genau das ist der große Pluspunkt des zweiten Buchs. War das erste noch brachialer, wachsen den Leser:innen hier die Figuren noch mehr ans Herz, es ist heimeliger und natürlich trotzdem weit weg vom Kitsch anderer Kinderbücher. Oder ertrinken da Fliegen in Hirschtränen? Eher nicht, vermutlich.

Manchmal hat Grimmwald ein paar Längen, auf der anderen Seite sind auch die durchaus humorvoll befüllt. Und für gerade einmal 15 Euro bekommt man eine Geschichte mit gut 240 Seiten Lesespaß, witzigen Illustrationen und fantastischen Einschüben. Oh, und ein Rezept für ein Strafmüsli ist auch dabei. Wobei … das ist nur etwas für Fans von Ästen, Kies und Schneckenhäusern. Schwierig, vielleicht. Und eine Zwiebel ist auch noch drin, da würde im Haus natürlich auch sofort geschimpft. Nun gut.

„Lasst die Felle fliegen“ ist in jedem Fall eine würdige Fortsetzung der Grimmwald-Reihe, die aber auch ohne die Vorkenntnisse von Band 1 funktioniert. Könnte Kindern gefallen, die schon „Dachs und Rakete“ mochten, deren Geschichten aber eine Spur zu nett fanden. Am Ende – es ist ein Kinderbuch und daher kein Spoiler – wird natürlich alles gut und der Grimmwald ist bereit für ein drittes Abenteuer. Und so viel sei schon einmal verraten – in England gibt’s das schon. Attack of the Stink Monster heißt es und das wird bestimmt wieder genauso gut. Aber bis dahin wird erstmal eine Runde gebaumboinkt und Streuselkuchen gegessen.

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Veröffentlicht am 17.07.2023

Axolotl Earthkill

Mein Leben als einsamer Axolotl
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Die Welt ist im Wandel. Nicht nur für uns Menschen. Die ganze Erde und alle Lebewesen sind betroffen. Auch ein kleiner Axolotl, der den Klimawandel und Naturkatastrophen aus seiner naiv-tierischen Sicht ...

Die Welt ist im Wandel. Nicht nur für uns Menschen. Die ganze Erde und alle Lebewesen sind betroffen. Auch ein kleiner Axolotl, der den Klimawandel und Naturkatastrophen aus seiner naiv-tierischen Sicht erlebt. Und zeigt, dass es vielleicht Hoffnung für den Planeten gibt, wenn der Mensch nicht mehr da ist.

Linda Bondestam zeichnet in „Mein Leben als einsamer Axolotl – Unten am Grund“ eine wundervolle Geschichte. Von einem kleinen Axolotl, der zunächst einsam ist, dann aber Freunde findet. Der es kurios findet, was alles in seinem See landet, während die Vierjährige beim Vorlesen aus dem Off schon mahnend brüllt, dass dies Umweltverschmutzung sei. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Der See wird dreckiger, die Freunde verlassen den Axolotl, die Welt steht in Flammen, die Flut kommt – und dann sind die Menschen, die Plumpiane wie es in der Geschichte heißt, auf einmal verschwunden und etwas wunderbares geschieht.

Das Kinderbuch lebt von Bondestams großartigen Illustrationen, in denen Erwachsene und Kinder viel Bekanntes entdecken können, von IKEA über Star Wars bis zur Tomatendose von MUTTI. Und von seiner grandiosen Hauptfigur, dem neugierigen, naiven, meist unerschütterlichen und unfassbar niedlichen Axolotl. Es lebt aber auch von der Message: Es ist 5 vor 12, der Mensch zerstört die Umwelt und letztlich sich selbst.

Was dem Buch vielleicht ein wenig fehlt, ist ein kleines Glossar, das Eltern noch besser hilft, die Umstände zu erklären, auf Rückfragen noch besser vorbereitet zu antworten. Andererseits ist es auch schön, dass eigentlich alles zwischen den Zeilen und in den Bildern passiert und es auch nicht platt auf die 12 geschrieben ist wie andere Klima-Kinderbücher (hallo Herr Rossmann). Ein bisschen kurios: Dieses Buch, das Umweltverschmutzung und Vermüllung zum Thema hat, wurde in Plastikfolie eingeschweißt geliefert. Vielleicht ja eine Ausnahme.

„Mein Leben als einsamer Axolotl – Unten am Grund“ ist ein sehr schönes Kinderbuch für Familien, denen etwas an der Umwelt liegt und die den Klimawandel mit Sorge beobachten. Für Kinder, die gerne tiefsinnigere Geschichten im Stil von Britta Teckentrup vorgelesen bekommen, in denen viel erzählt wird, ohne es zu benennen. Und für alle, die Axolotl lieben. Denn dieses hier ist sehr liebenswert.

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Veröffentlicht am 07.07.2023

Für/Gegen das Vergessen

Nincshof
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„Erna Rohdiebl rülpste leise und freute sich ein wenig.“

Ein kleiner Satz und doch der, dank dem ich mich endgültig in Erna verliebte. Erna Rohdiebl, fast 80 Jahre, war kurz zuvor heimlich und nachts ...

„Erna Rohdiebl rülpste leise und freute sich ein wenig.“

Ein kleiner Satz und doch der, dank dem ich mich endgültig in Erna verliebte. Erna Rohdiebl, fast 80 Jahre, war kurz zuvor heimlich und nachts in den Pool der verreisten Nachbarn eingestiegen, hatte ein paar Bahnen gezogen, sich zuhause aus dem Badeanzug geschält und ein Bier geöffnet. Das gute Leben, auch nach einigen Jahrzehnten im äußersten Zipfel Österreichs, dem Schauplatz dieses wundervollen Romans: Nincshof.

Johanna Sebauers Debüt ist eine Hommage ans Burgenland, eine liebevolle Verbeugung vor den teils skurrilen und teils noch skurrileren Einwohnern dieser Gegend zwischen Neusiedler See und ungarischer Grenze. Aber auch ein sehr charmanter Roman über das Vergessen und das Vergessen werden. Denn die drei Nincsdorfer Oblivisten – der örtliche Bürgermeister, ein sehr junger und ein sehr alter Mann – möchten, dass ihr Ort vergessen wird. Wieder einmal. Und die Erna, die soll gefälligst mitmachen.

Viele schöne Halbwahrheiten schimmern auf den gut 360 Seiten. Das Dorf selbst, das gibt es nicht. Google Treffer gibt’s zumindest keine, nur die zum Buch, aber Moment mal, darin findet selbst das Navi Nincsdorf nicht, der Wikipedia-Eintrag verschwindet, genauso die Seiten in den Burgenland-Chroniken der Bibliothek. Die Nachbarorte und der Einserkanal dagegen, die sind echt. Und die Irrziegen? Die Pusztafeige? Alles irgendwie nebulös.

Verwirrt sind dann auch die Neuen, die Isa Bachgasser, Filmemacherin a. D. aus Wien, und ihr Mann Silvano Mezzaroni, Architekt a. D. und neuer (Irr-)Ziegenwirt im Dorf. Raus aus der Stadt wollten sie, ein neues Leben auf dem Land beginnen, zum Schrecken der Oblivisten, besonders, als Silvano auf Rat des örtlichen Winzers Tierwanderungen anbieten möchte, schließlich seien Irrziegen die Alpakas von morgen. Aber es gibt schon Pläne sie zu zermürben – inklusive abgesägter Schilder und einer geplanten Entführung.

Und dann ist Nincshof auch noch eine Art matriarchalische Hochburg: Männer nehmen seit jeher den Namen der Frauen an, statt eines Bürgermeisters war viele Jahrzehnte, Jahrhunderte, die jeweilige Wirtin die wichtigste Person im Ort und bei Krisen, da half und hilft nicht der Pusztafeigenschnaps sondern: Masturbation. Genau.

Dieser Roman macht sehr viel Freude, er ist mal absurd, mal ernst, er steckt voller wunderlicher und liebenswerter Personen, um sich ändernde Leben und Welten, um Existenzkrisen (kleine wie große), nur am Ende, da geht der Geschichte, die ja irgendwie abschließen muss, ein klein wenig die Luft aus. Keine Sorge, das Ende ist nicht schlecht oder enttäuschend, bloß vielleicht – wenig überraschend. Und dennoch: ein tolles Buch für den Sommer und darüber hinaus. Unbedingt lesen und, ganz wichtig, nicht vergessen. Wobei, auch da gilt als Zitat ein weiser Satz des jungen Oblivisten Valentin: Wer ist eigentlich schuld – der, der vergessen wird oder der, der vergisst?

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Veröffentlicht am 04.05.2023

Innerer Schweinewolf

Wolf
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Kemi muss ins Zeltlager. Die Ferien sind lang, seine Mutter muss arbeiten, der Vater ist weg. Bocklevel? Im Minusbereich. Und dann ist da auch noch Jörg, der einfach „andersiger“ ist. Ein typisches Opfer. ...

Kemi muss ins Zeltlager. Die Ferien sind lang, seine Mutter muss arbeiten, der Vater ist weg. Bocklevel? Im Minusbereich. Und dann ist da auch noch Jörg, der einfach „andersiger“ ist. Ein typisches Opfer. Wird in der Schule gemobbt und natürlich auch im Feriencamp. Kemi findet das ziemlich mies – aber wird er sich trauen, Jörg zur Seite zu stehen?

Saša Stanišić ist ja mittlerweile fast schon ein alteingesessener Kinderbuchautor. Nach seiner bunt-verrückten Geschichtensammlung „Hey, hey, hey Taxi“ und der abgedrehten „Panda-Pand“ geht’s nun also in den Klassiker der deutschen Feriengestaltung – ins Zeltlager. Die Zielgruppe von „Wolf“ ist entsprechend älter, irgendwo so frühe Sekundarstufe, zwischen Spielerei, Zankerei und erster Gefühlsduselei. Eieiei. Aber auch: Eltern, die wissen wollen, was so auf ihre Kinder zukommt. Und Erzieher:innen, die lernen möchten, wie man besser kein Camp leitet. Denn wenn Kemi oder Benisha sie auf die zielscheibige Präsenz von Jörg aufmerksam machen, gibt’s nur Empfehlungen. Abstand halten. Konflikte alleine lösen. Sowas eben. Bloß nicht selbst einmischen, lieber irgendwo heimlich Melone futtern oder „Minigolf spielen“.

Am spannendsten ist aber Kemis Gefühlswelt. Wie er Jörg beschreibt, Episoden aus dem Schulleben aufzeigt, wie er sich die Gedanken von „man müsste mal“ zu „ich müsste mal“ wandeln, sich dem Bully Marko und den Dreschkes entgegenzustellen nämlich, wie er aber auch immer mit einem inneren Schweinewolf zu kämpfen hat, der ihn in seinen Träumen heimsucht. Den typischen Ängsten, über seinen Schatten zu springen, Courage zu zeigen.

Stanišić ist selbst Vater und das tut „Wolf“ richtig gut. Denn dieser Kinder- oder Frühe-Jugend-Roman ist kein Buch von oben herab, sondern auf Augenhöhe erzählt. Kein Ratgeber, mehr ein Erfahrungsbericht, in dem viele doof sind, Kinder wie Erwachsene, und in dem in den vermeintlichen Außenseitern die größten Held:innen stecken. Fast augenzwinkernd wird auch der typische Alltagsrassismus angeschnitten – Pinneberg-Türkei-Albanien, Leser:innen wissen mehr – was sich Stanišić als gebürtiger Bosnier auch gut rausnehmen und aus einem vermutlich unangenehmen Schatz eigener Erfahrungen zehren kann.

Am Ende ist das Ferienlager irgendwie fast zu schnell vorbei – vielleicht nicht für Kemi – aber zumindest für mich als Leser, ein kleiner Wermutstropfen eines großartigen Romans, der in ein paar Jahren hoffentlich auch die jüngere familiäre Zielgruppe begeistern wird. Und wer weiß, wie viele Romane Saša Stanišić bis dahin noch veröffentlicht hat. Für Groß, für Klein oder, wie hier, für alle.

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Veröffentlicht am 15.02.2023

Saubere Arbeit

Wieso? Weshalb? Warum? junior. Die Müllfahrzeuge
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Große Kinderaugen, wenn sich die oft orangefarbenen Fahrzeuge durch die Straßen der Stadt schieben. Riesige Freude, wenn die Fahrer:innen winken. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann sich ein ...

Große Kinderaugen, wenn sich die oft orangefarbenen Fahrzeuge durch die Straßen der Stadt schieben. Riesige Freude, wenn die Fahrer:innen winken. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann sich ein Wieso? Weshalb? Warum? Junior-Buch von Ravensburger der vielleicht faszinierendsten Automobilfreude von Kleinkindern widmen: Müllfahrzeuge!

Auf acht Doppelseiten wird die vielfältige Welt der Müllentsorgung und Stadt- und Straßenreinigung erklärt. Wie ein Müllfahrzeug funktioniert, welche Varianten es gibt und wie sie, besonders im Sommer, gesäubert werden. Welche Arten von Müll wie entsorgt und abgeholt werden. Und wie das funktioniert, wenn Autos die Entsorgungsstellen nicht erreichen können.

Die vielen Klappen geben den jungen Leser:innen tolle Einblicke in die Fahrzeuge und ihre Funktionsweisen, lassen Straßen sauber und Müllautos gereinigt werden. Sehr schön gestaltet ist auch die abschließende Wimmelbildseite, auf der verschiedene Müllwerker:innen in der Stadt bei ihrer Arbeit gesucht und gefunden werden.

Der neue Band der tollen Wieso? Weshalb? Warum? Junior-Reihe macht richtig viel Spaß und bringt 2 bis 4 Jahre alten Kindern die Welt der Abfallentsorgung näher. Was vielleicht schön gewesen wäre: Eine Seite, die zeigt, wie Kinder die Stadt sauber halten und ihren Müll selbst entsorgen und trennen können. Aber ihnen das beizubringen ist ja eigentlich auch die Aufgabe der Eltern.

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