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Veröffentlicht am 22.11.2022

"Intimitäten" - ein erstaunlich vielschichtig, philosophischer Roman über das Leben und die Frage nach Gerechtigkeit

Intimitäten
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In Katie Kitamuras Roman "Intimitäten" (Ü:Kathrin Razum) lernen die Leserinnen eine Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof kennen. Nachdem ihr Vater nach langer Krankheit verstarb, ihre Mutter sich ...

In Katie Kitamuras Roman "Intimitäten" (Ü:Kathrin Razum) lernen die Leserinnen eine Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof kennen. Nachdem ihr Vater nach langer Krankheit verstarb, ihre Mutter sich nach Singapur zurückzog, bewarb sie sich eher impulsgesteuert in Den Haag. In New York, wo sie sich um ihren Vater kümmerte, fühlte sie sich einfach nicht mehr wohl oder jetzt endlich frei und so versucht sie sich in den Niederlanden ein neues Leben aufzubauen. Hier lernt sie auch Adriaan kennen, mit dem sie eine Beziehung eingeht. Doch als es ernster wird, reist dieser zu seiner Noch-Ehefrau und den Kindern, und lässt nichts von sich hören. Konnte sie sich so in ihm täuschen?

Auch die Arbeit am internationalen Gerichtshof verlangt ihr einiges ab. Das es hier ein 'anderes' Arbeiten als bei den Vereinten Nationen sein wird, war ihr bereits im Vorfeld klar. "Schließlich befasste sich der Gerichtshof ausschließlich mit Genoziden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen." Doch in ihrer Funktion als Übersetzerin kommt sie den angeklagten Kriegsverbrechern erstaunlich näher als gedacht. Teilweise sind es gar intime Momente, in denen sie ihnen 1:1 aus ihrer Kabine heraus die Übersetzung ins Ohr spricht oder zur Verständigung zwischen den Verteidigern und dem Angeklagten hinzugerufen wird. Wir verfolgen eben jene intensive Momente, beobachten einen Prozess am Gerichtshof, lernen sie und ihr Handeln, ihr Denken und ihre Aufgewühltheit in den verschiedensten Situationen kennen und kommen vor allem auch der Frage nach der Gerechtigkeit näher.

"Aufgabe der Dolmetschenden war es nicht nur, etwas mitzuteilen oder darzubieten, sondern auch, das Unaussprechliche zu wiederholen. Vielleicht war dies der eigentliche Grund für die Beklemmung, die am Gerichtshof und unter den Dolmetschern zu spüren war. Die Tatsache, dass unsere tägliche Arbeit auf der wiederholten Beschreibung - Beschreibung, Ausführung und detaillierten Schilderung - von Sachverhalten gründete, die außerhalb des Gerichtshofs im Allgemeinen beschönigt oder schlicht nicht benannt wurden."



Des weiteren stellen sich auch immer wieder die Fragen, was Wahrheit und was eine kalkulierte Lüge, Schauspielerei oder was Gerechtigkeit ist. Welchen Einfluss hat der Gerichtshof überhaupt? Kann man internationale Mörder und Verbrecher belangen? Ist es das wert, einem Opfer sein Leid erneut ins Gedächtnis zu rufen? Und wie kann man das ausgesprochene Wort in eine andere Sprache transferieren, ohne das Bedeutungen, der tiefe Schmerz oder die Aggression und Wut verloren geht oder neue Interpretationen hinzukommen? Schon ein Stocken oder ein Zittern in der eigenen Stimme, kann auf die Zuhörer schon ganz anders wirken. Aber kann es einen überhaupt kalt lassen, die Stimme eines Verbrechers oder eines Opfers zu sein? Genau diesen und vielen weiteren Fragen spürt Katie Kitamura in diesem Roman nach, lässt Einblicke in einen nach außen hin sehr verschlossenen Gerichtstrackt zu und schafft es sehr empathisch uns auf eine Protagonistin blicken zu lassen, die zwischen allem steht und zeitgleich selbst nur ein Teil des menschlichen Schauspiels ist.

"Dem Gerichtshof und all seinen Aktivitäten wohnte eine gewisse Spannung inne, die aus dem Widerspruch zwischen der Intimität persönlichen Leids und dessen öffentlicher Zurschaustellung entstand. Ein Gerichtsverfahren war eine wohlkalkulierte komplexe Darbietung, an der wir alle beteiligt waren und aus der sich niemand vollkommen heraushalten konnte."



Egal wie gut man jemanden kennt oder besser gesagt zu kennen glaubt, alles bleibt nur ein Ausschnitt, aus dem unser Gefühl und unsere Gedanken ein vollständiges Bild des jeweils anderen erstellen. Und ob das der Realität entspricht, ob man einem Mörder seine Tat ansieht, Lügen und Beschönigigungen aufdecken kann und ob sich nahestehende Personen wirklich in und auswendig kennen... ist zweifelhaft. Katie Kitamura konfrontiert die Leser
innen ihres Romans mit sehr vielen intimen Situationen, Gedanken und eben auch mit vielen unausgesprochenen Dingen, Zweifeln, Vorurteilen des menschlichen Handelns.

Die Inszenierung einer Aussage am Gericht, die Offenheit eines Partners, von Freunden und Verwandten oder x-beliebigen Menschen, die kurzzeitig unsere Aufmerksamkeit erregen, gefühlt kann man sich nie wirklich sicher sein, ob es echt ist, so passiert ist, eine wirklich tiefere Verbindung besteht oder alles wirklich der Wahrheit entspricht. Manchmal belügen wir uns sogar selbst und versuchen stets andere einzuschätzen, mit unseren Erfahrungen abzugleichen, Unsicherheiten im Auftreten oder der Stimme zu deuten. Intime Momente sind dabei so eine Art Vertrauensbeweis und doch immer nur eine Perspektive und Erkenntnisgewinn.

Und gerade diesen Themenkomplex - das menschliche Handeln und Denken - finde ich wahnsinnig spannend. Kitamura beginnt sich diesem Thema durch die Sprache und dem Ort, von dem nur wenig nach Außen dringt, zu nähern, zieht immer größere Kreise, es kommt zu verschiedenen Begegnungen und alles endet dann doch wieder bei ihrer Protagonistin, die einfach nur irgendwo ankommen und Halt finden mag. Fast schon ruhig, sachlich und neutral erklärt sie dabei die Vorgänge und Schwierigkeiten am Gerichtshof, sowie Grenzen der Gerechtigkeit, die Bedeutung der Übersetzung und Sprache, lässt persönliche Erlebnisse ihrer Erzählerin außerhalb des Hofs mit einfließen und beschreibt sehr empathisch und offen von ihren Gedanken, Gefühlen und Zweifeln. Einen Spannungsbogen sucht man in diesem Roman vergeblich und doch ist es gerade das Ungewisse, das ruhige, professionelle Verhalten und die emotionale, aufgewühlte Kehrseite, sowie die Interaktion auf unterschiedlichsten Eben das, was die Leser*innen durch den Roman treibt. Für mich hätte es gern noch einen größeren Aha-Moment geben können, aber wie im echten Leben, kennt und erlebt man immer nur einen Ausschnitt vom Wesen und Leben des anderen, schreibt seine eigene Geschichte, teilt Fragmente mit anderen und weiß am Ende eigentlich nur selbst, ob man so ist, wie man wirklich ist. Dieser Ausschnitt war toll. Die Bilder, sowie zahlreichen Fragen werden mich sicher noch eine ganze Weile begleiten.

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Veröffentlicht am 04.10.2022

"Auf See" liegt die Zukunft oder doch das Ende aller Utopien?

Auf See
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"Auf See" von Theresia Enzensberger ist ein fast schon Sciencefiction-artiger Roman, in dessen Zentrum sich vieles um eine Stadt der Zukunft, mitten auf dem Meer dreht. Eine neue Gesellschaftsordnung, ...

"Auf See" von Theresia Enzensberger ist ein fast schon Sciencefiction-artiger Roman, in dessen Zentrum sich vieles um eine Stadt der Zukunft, mitten auf dem Meer dreht. Eine neue Gesellschaftsordnung, ein neues, geschütztes Leben und gleichzeitig Unabhängigkeit soll sie bieten. Als ein "beispielhaftes grünes Pilotprojekt, mit dem der deutsche Staat innovative Strategien zum nachhaltigen Leben und Wirtschaften angesichts des ansteigenden Meeresspiegels und anderer drohender Umweltkatastrophen erproben konnte.", das durch private Investitionen gestützt, an einen riesigen Offshore-Windpark gekoppelt, mit zwei Dock- und Essensstationen, einer hochkomplexen Entsorgungsstation, einem riesigen Wellenbrecher und von hochkarätigen Wissenschaftlerinnen, Medizinern und Co betrieben wurde. Vineta - Ein eigener Inselstaat mitten auf dem Meer. Eine faszinierende, sowie irgendwie auch beängstigende Vorstellung, doch was tun, wenn die Welt wirklich einmal im Chaos versinkt?

"Es waren Zukunftspläne aus der Vergangenheit [...] Einen geschlossenen Kreislauf hatten sie schaffen wollen, von der Versorgung mit selbstgewonnenen Nahrungsmitteln bis hin zur produktiven Verwertung von Abfällen. Ihr Zeitplan hatte vorgesehen, schon nach fünf Jahren die notwendigen technologischen Fortschritte gemacht zu haben, um autark auf hoher See leben zu können, unabhängig von der jeweiligen Festlandregierung. [...] [Doch] Statt diesen großen Visionen zu folgen, dümpelten wir immer noch vor der Küste herum, ernährten uns durch teure Lieferungen vom Festland und warteten auf Tag X."

Anhand zweier unterschiedlicher Leben lernen wir nun Abhängigkeiten, Hierarchien und Gesellschaftsordnungen, sowie den sehr individuellen Wunsch nach Freiheit und Rückzug kennen. Helena Harold, das Orakel, wie sie von vielen Anhängern bezeichnet wird, ist Teil eines Kollektivs, Künstlerin und lebt in Berlin. Aufgrund einiger erfundener Aussagen, was die Zukunft betrifft und die, zur Überraschung aller, tatsächlich auch eintraten, machte sie sich einen Namen und versammelte viele Menschen um sich. Doch Helena fühlt sich immer mehr überfordert, depressiv, versucht sich rauszuziehen und eine neue Freiheit zu finden. Für die Menschen ist sie und die Orte an denen sie gesichtet wird so etwas wie ein Kult geworden. Aber es gibt ihr nicht nur wohlgesonnene Menschen, Arthur möchte sie aus dem Kollektiv drängen, die Rolle des Anführers übernehmen, die Sekte leiten und Helenas Glaubwürdigkeit infrage stellen.

Und dann ist da Yada, die seit einem Jahrzehnt auf einer Insel in der Ostsee lebt. Ein aus vierzig Waben erbauter Komplex, der sie, ausgewählte Bewohnerinnen und die unzähligen Arbeiterinnen vor der von Chaos beherrschten Welt schützen soll. Oder auch überwachen, Kameras sind keine Seltenheit, der Tag wird strikt durch Uhrzeiten und Pläne bestimmt und auch ein Psychologe soll Yada betreuen. Doch Yada wird erwachsen. Sie stellt Fragen, sie fühlt sich eingeengt, möchte die Welt und damit auch die Freiheit kennenlernen. Und gleichzeitig hat sie Angst, dass sie die gleiche, rätselhafte Krankheit zu bekommen, wie schon ihre Mutter, die vor Jahren ums Leben kam. Neuerdings schlafwandelt Yada in der Nacht, wacht morgens mit blauen Flecken wieder auf. Einzig die Überwachungskameras können ihr Auskunft über ihre nächtlichen Ausflüge geben, doch dann macht sie Entdeckungen, die ihr Leben, aber auch das, was ihr Vater alles sagte, ins Wanken bringen...

"Aber es hat sich doch alles geändert. Mein Vater sagt, die Welt, die ich kannte, existiert nicht mehr. Alles zerstört. Die sozialen Unruhen, die Naturkatastrophen, die Epidemien - [...] Ich dachte, der Staat ist längst zusammengebrochen? Mein Vater sagt, Überregulation und Kollektivismus führen zwangsläufig dazu, dass ein Staat scheitert."

Scheitern ist dabei auch so ein großes Stichwort. Untermalt werden beide Handlungsstränge nämlich von Berichten über Utopien und gescheiterten Träume der Menschheit. An sich beschäftigt sich Enzensberger in ihrem Roman mit diesen sehr großen Fragen der Zukunft und DER einen, wenn nicht sogar für viele heutzutage schon sehr elementaren Frage: "Wie geht es weiter, wenn Umweltkatastrophen das Leben an Land nicht mehr lebenswert machen?". Gäbe es dann wie in diesem Roman von Menschenhand erbaute Inseln auf dem Meer? Und wie würde das Zusammenleben dort aussehen? Könnte man überhaupt eine neue Gesellschaftsordnung ohne Hierarchien erschaffen oder gäbe es nach wie vor dieses Macht- und Abhängigkeitsgefüge. Wie wollen wir überhaupt leben? Doch egal wie man nun denken mag, die ultimative, für alle Menschen optimale Lösung zu finden, ist gar nicht so einfach, vielleicht sogar unmöglich.
Und so deutet auch "Auf See" auf das Ende aller möglichen Utopien (der Geschichte) hin, schon alleine weil alles vollkommen subjektiv ist und Leben für jeden etwas anderes bedeutet und jeder andere Ziele hat - dafür kann man in diesem Roman wirklich sehr viele Beispiele finden. Auch dass die persönliche Wahrnehmung oftmals dramatisch eingeschränkt ist, bis man sich nach außen hin öffnet, was gleichzeitig den Zerfall der eigenen Lebensvorstellung fördern kann. Alles bedingt einander, Faszination und Zufall kann zur Anbetung einzelner Personen führen, falsche Entscheidungen zu ungewollten Abhängigkeiten, Macht und Geld zu einem Status, der gehalten werden möchte und ständig neu erkämpft werden muss und nur mit einem wirklichen Plan, scheinen Systeme einer Gesellschaft und Zusammenlebens tragbar und selbst dann wird es noch immer Unterschiede zwischen den Menschen geben.
Dieser Roman zeigt das nahe Bild einer Zukunft, mit sehr dystopischen Zügen, was ihn nicht nur aktuell macht, sondern auch faszinierend. Und doch kratzt Theresia Enzensberger nur an den unzähligen Themenkomplexen und geht nirgends wirklich in die Tiefe. Selbst der Plot scheint wenig von Spannung getrieben, die Geschichte plätschert dahin, mögliche Höhepunkte, werden beinahe in einzelnen Nebensätzen abgearbeitet. So wie z.B. eine der Protagonistinnen aus der ihr bekannten Lebenswelt fliehen möchte und das scheinbar binnen kürzester Zeit und ohne jegliche Mühe machbar ist. Schon verblüffend und gleichzeitig stellt man sich die Frage, worauf Enzensberger den Fokus richtet... der Kampf um die Freiheit kann es schon mal nicht sein, auch wenn er in den 3-5 geschilderten, verschiedenen Lebenswelten immer wieder stattfindet, mal mit mehr Überwachung und Angst, mal mit weniger. Auch die Herauskristalisierung eines Anführers oder die Entstehung einer Sekte (ein, wie ich finde, sehr spannendes Thema) kommt in dem Roman leider auch viel zu kurz. Und das persönliche Innenleben, der Protagonistinnen und ihre Ansichten, Wünsche und Träume... nun ja. Gefühlt ist es eine sehr bunte Mischung aus Möglichkeiten, die mit etwas mehr Umfang und Tiefe diesen Roman zu einer sehr faszinierenden und aufrüttelnden Lektüre in Sachen Gesellschaftssysteme und Zusammenleben hätten machen können, so ist es allerdings ein äußerlich recht schöner, aber sonst eher an der Oberfläche dahinplätschernder Roman mit viel verschenktem Potenzial, so wie dann auch das in ihm geschilderte Gebilde auf hoher See.

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Veröffentlicht am 04.10.2022

"Jahre mit Martha" - die Geschichte einer ungleichen Beziehung.

Jahre mit Martha
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Mit Martin Kordićs neusten Roman "Jahre mit Martha" reisen die Leser:innen zurück in die späten 90er Jahre in den Westen Deutschlands. Hier lernen sich Martha und Željko, alias jimmy, auf dem vierzigsten ...

Mit Martin Kordićs neusten Roman "Jahre mit Martha" reisen die Leser:innen zurück in die späten 90er Jahre in den Westen Deutschlands. Hier lernen sich Martha und Željko, alias jimmy, auf dem vierzigsten Geburtstag seiner Mutter kennen. Es ist eine eher witzige Geschichte, die sich die beiden auch noch Jahre später immer wieder erzählen werden. Jimmys Familie stammt ursprünglich aus Herzegowina. Sein Vater ist in Ludwigshafen Hausmeister und so haben sie dort in einem Vorderhaus eine kleine Wohnung gestellt bekommen. Vater, Mutter, sein Bruder Kruno, seine kleine Schwester Ljuba, Jimmy und der kleine Wellensittich Lothar, angelehnt an den großen Fussballstar Lothar Matthäus, teilen sich die überschaubaren zwei Zimmer, Küche, Bad. Und an dem Geburtstag seiner Mutter, teilt sich gefühlt das ganze Haus ihr Bad, denn die Kellertoilette im Hinterhaus ist kaputt und da Jimmys Vater nicht da ist und Jimmy nicht großartig was daran machen konnte, blieb ihre Wohnungstür für alle geöffnet. Und so lernt er dann Frau Gruber, die Chefin seiner Mutter aus Heidelberg kennen, für die sie aus Angst, sie könnte ihr Essen für minderwertig halten, extra eine Schwarzwälder Kirsch-Torte kauften. Auch Frau Gruber muss einmal auf die Toilette und Jimmy sitzt in diesem Moment in seinem Zimmer. Oder besser gesagt hinter einem Vorhang neben der Badtür. Die Minuten verstreichen und weil sich immer noch nichts tut oder die Spülung betätigt wird, fragt Jimmy nach. "Ich kann nicht, wenn du da vor der Tür in deinem Bett sitzt." klang es aus dem Bad und es entwickelt sich ein kurzes Gespräch. Und damit ist es dann um ihn geschehen. Sie treffen sich ab jetzt häufiger 'zufällig' in der Stadt , Jimmy begleitet irgendwann seine Mutter zur Arbeit und pflegt Frau Grubers Garten. Trotz ihres großen Altersunterschieds entwickelt sich nach und nach ein Art Liebesbeziehung zwischen den beiden, sie unterstützt ihn, liebt ihn und für ihn ist es das größte Glück, denn mit ihr kehren auch Bücher, Bildung und Möglichkeiten in sein Leben.

"Was ich an wohlhabenden Menschen immer schon mochte, das ist ihre Selbstverständlichkeit. Diese unumstößliche Gewissheit, die sie in sich tragen, rechtmäßig sie selbst und also vermögend zu sein. Dass sie sich einen Großteil der Gedanken, die sich die Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin, jeden Tag, jede Nacht machen müssen, noch nie in ihrem Leben gemacht haben. Ein Vorwurf ist daraus nicht abzuleiten, die meisten Menschen sind nun mal völlig selbstverständlich sie selbst, egal, ob arm oder reich."

Während des Studiums führen ihn durch einen diebischen Zufall die Wege zu Alex Donelli, einen sehr charismatischen und von den Student:innen sehr bewunderten Professor. Jimmy arbeitet für ihn, unterrichtet, nicht offiziell angestellt und doch schwappt Donellis Ansehen auch auf ihn über, aber das macht es ihm nicht wirklich einfacher. Er arbeitet hart, vielleicht als 'Ausländer' noch härter als viele andere und doch kann ihn das vor dem tiefen Fall nicht bewahren.
Seine Geschichte ist ein Blick auf Deutschland aus der Sicht einer Einwandererfamilie, geprägt durch Unterschiede, verschiedene soziale Herkünfte, Vorurteile und eben auch der Liebe. Oder wie es der Klappentext so schön sagt... >"Jahre mit Martha" erzählt vom Glanz und vom Elend, von Macht und Zärtlichkeit - ein Roman über die Frage nach dem Gleichgewicht der Welt.<

Vor Jahren habe ich Martin Kordićs ersten Roman "Wie ich mir das Glück vorstelle" über Viktor und wie er versucht nach dem Krieg, ohne seine Familie klar zu kommen, durchs Land streift, Freundschaften schließt... gelesen. Ich kann mich nicht mehr an vieles erinnern, aber irgendwie das Gefühl ist das gleiche. Es ist eine Geschichte, der man gerne folgt, bei der man großes erwartet, ein Stück weit mit dem Protagonisten verbunden ist, dann irgendwie doch alles anders wird und schließlich klappt man das Buch kurze Zeit später zu, denkt noch einmal kurz darüber nach und schon verflüchtigt sich alles wieder. Und so erging es mir auch bei "Jahre mit Martha". Gerade den Anfang und die Kennlernphase der beiden habe ich geliebt, auch als es mit Željko weiter geht, das Leben ihm weitere schicksalslenkende Begegnungen schenkt und er sich weiterentwickelt, fand ich die Erzählung noch sehr spannend, aber dann zog sich alles in die Länge, seine Handlungen drifteten ins Fragwürdige ab und ich verlor die Bindung zu ihm und so dann auch zur Geschichte. Da konnte mich dann selbst das berührende Ende nicht mehr wirklich umstimmen.

Aber Martin Kordić erzählt nicht nur von dieser ungewöhnlichen, sowie ungleichen Liebesgeschichte, sondern zeichnet auch ein Bild vom Einwandererland Deutschland. Wie ergeht es Menschen hier, die sich gefühlt ständig beweisen müssen? Wie kommt man voran, wenn man nichts hat? Ist Bildung wirklich alles? Und wie sieht es mit den Vorurteilen aus? Man lernt als Leser*in Deutschland aus einer anderen Perspektive kennen, was wirkllch nett ist. Zwar geht Kordić nicht über die bekannten Klischees hinaus, aber als Nicht-Einwanderkind gibt einem Željkos Geschichte doch so einiges zu bedenken, ohne dass daraus gleich so etwas vorwurfsvolles wird. Und ohne, dass man Vorkenntnisse über die Situation in anderen Ländern braucht oder es in dem Roman zu Gewaltausbrüchen kommt. Es ist eine gut erzählte Geschichte, die thematisch schon einiges zu bieten hat und sich auch für Menschen eignet, die gerne Herzschmerzgeschichten und weniger aktuell kritische Literatur lesen. Für mich hätte es auch ein Lieblingsbuch werden können, aber mir persönlich hat einfach der letzte Funke oder besser gesagt die Möglichkeit die Handlungen des Protagonisten bis zum Schluss nachvollziehen zu können, gefehlt. Ich frage mich noch immer warum er so weitergemacht hat und nicht anders und warum sie sich aus den Augen verlieren mussten... Das Leben ist zwar auch nicht immer logisch, aber das war für mich einfach nicht stimmig.

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Veröffentlicht am 04.10.2022

Linda Zervakis - jetzt kocht sie auch noch! Naja, so halb zumindest.

Wenn ich das kann, kannst du das auch!
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Linda Zervakis würde man als Fan oder Follower mit vielen Dingen in Verbindung bringen, von Hamburg über Griechenland, Tageschau (ehemalig), Journalismus, sympathische Fernsehmoderatorin bis hin zu Buchautorin, ...

Linda Zervakis würde man als Fan oder Follower mit vielen Dingen in Verbindung bringen, von Hamburg über Griechenland, Tageschau (ehemalig), Journalismus, sympathische Fernsehmoderatorin bis hin zu Buchautorin, aber worum man stets einen großen Bogen machen konnte, war das Kochen. Essen, ja! Kochen, nein. Und nein, nach wie vor ist Linda nun keine Vorzeigekochexpertin und doch hat sie mit Elissavet Patrikiou ein Kochbuch herausgebracht. "Wenn ich das kann, kannst du das auch!" - Lindas persönliche Rezeptsammlung und der Titel trifft den Nagel schon sehr auf den Kopf. Dieses Buch ist wie ein kleiner Blick in Lindas Fotoalbum und Tagebuch, teilweise mit sehr privaten Schnappschüssen zusammen mit ihrer Mutter und Freunden, sowie eine Sammlung einfacher Kochrezepte mit persönlicher Note. Zwar kann man mit Datteldip, Currywurst und Weißbrot keine Preise gewinnen, aber irgendwie ist auch das sympathisch und etwas nettes für so kleine Treffen mit Freunden. Ich würde sagen, dieses Buch ist ein Versuch Rezepte, die Tradition und neue, fixe Küche, Griechenland, Orient und Alltag miteinander verbinden, in ein Kochbuch zu packen, nur ob dieser Versuch so wirklich geglückt ist? Ich weiß nicht, denn obwohl ich zuerst sehr von dieser persönlichen Art und Lindas Einfachheit (und dem Rezept für Zimtschnecken) angetan war, so frage ich mich, was 'wir nehmen eine Dattel, stecken einen halben Wallnusskern hinein und bestäuben das mit Puderzucker' mit kochen zutun hat. Ich könnte nun auch den Melonensalat, das Omelett, den Kartoffelsalat oder Bjarne Mädels geliebte Currywurst anführen. Es sind teilweise so logische Sachen, die zwar nicht aufwändig sind und satt machen, aber für die man nicht unbedingt ein Kochbuch braucht. Oder anders gesagt, es würde in einem dicken Kochbuch mit hunderten Rezepten nicht so ins Gewicht fallen, aber bei 31 fixen Geschichten... nun ja.

"Das ist ein Gericht, das ich nicht sonderlich gerne zubereite, denn nicht nur die Küche, auch ich selber >dufte< anschließend nach Frittiertem. Aber Kartofelpuffer sind ein Seelenessen! Am liebsten mit (Zimt und) Zucker. Oder mit Apfelmus."

Vielleicht ist es eher ein Buch für eine komplette Kochanfänger*in und da sind dann Lindas Anekdoten und Anmerkungen zu jedem Gericht nochmal so ein kleines, witziges Mutmach- oder 'Schau, das ist einfach, nicht perfekt'-Ding und schon äußerst nett. Aber wenn man dieses Einfache schon kann, nun ja, dann braucht man dieses Buch wohl eher nicht und dann bringt auch alle Begeisterung für Linda als Person irgendwie nichts oder man kauft es doch eher wegen Linda und weniger zum Kochen. Aber es ist und bleibt ein Kochbuch, nett gestaltet, aber irgendwie hätte dafür auch ein Blog oder ein kurzer Insta-Post pro Gericht ausgereicht. "Mamas Pita", der Schokokuchen, die Zimtschnecken oder die Brioche wären vielleicht meine Favoriten oder um es mal wieder zu sagen... sie sind schon ganz nett.

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Veröffentlicht am 04.10.2022

Ich hätte gerne "die Wunder" gefunden, aber dieser Roman blieb mir fern.

Die Wunder
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Manche Bücher machen es mir nicht leicht, so auch "Die Wunder" von Elena Medel. Es ist ein feministischer Roman über zwei Frauen verschiedener Generationen, die zwar miteinander verwandt, sich aber nie ...

Manche Bücher machen es mir nicht leicht, so auch "Die Wunder" von Elena Medel. Es ist ein feministischer Roman über zwei Frauen verschiedener Generationen, die zwar miteinander verwandt, sich aber nie begegnet sind. In zwei Handlungssträngen porträtiert Medel das Leben von Menschen der Arbeiterklasse - der eine spielt Ende der 60er Jahre und der andere in unserer heutigen Zeit - Herausforderungen eines Umzugs aus der ruhigen Provinz in die Großstadt Madrid, die Unabhängigkeit und der harte Kampf ums Überleben aus zwei verschiedenen Perspektiven/Zeiten/Generationen werden thematisiert. Beide Frauen Maria, sowie ihre Enkelin Alicia stranden mittellos in Madrid, beide versuchen ihren Weg zu gehen; lassen alles zurück. Maria müht sich als Kindermädchen und Hausangestellte, schickt fast ihr ganzes Geld ihrer Familie, die sich um ihre zurückgelassene Tochter Carmen kümmert. Und darin liegt dann auch fast schon die ganze Tragödie dieser Geschichte...

"Carmen weiß nicht, wer ich bin, und ich könnte sie nicht beschreiben. Wenn mich jemand nach ihrem Gesicht fragt, nach ihrem Verhalten, dann erzähle ich, was das Bild auf meinem Nachttisch zeigt. Meine Tochter bewegt sich nicht, sagt nichts zu mir, weiß nicht, wer ich bin. Sie ist gefangen in einem Foto."

Obwohl dieser Roman nicht nur dieses bewegende Drama, sondern auch thematisch sehr viel zu bieten hat, gar nicht uninteressant ist, so war ich doch recht schnell erschöpft. Dieses Springen zwischen den Zeiten, lange ausgeschmückte Bilder, das häufige nicht wissen wer nun wo und was und überhaupt hat mir sehr schnell die Freude daran genommen. Einzelne, wirklich tiefgründig emotionale Gedankengänge habe ich gefunden und doch konnte ich beiden Protagonistinnen durch diese Überforderung gar nicht wirklich nahe kommen. So habe ich dieses Buch dann auch recht schnell wieder zur Seite gelegt und bleibe mit recht gemischten Gefühlen zurück. Einmal bin ich irgendwie enttäuscht, dass der Aufbau mich hinderte komplett in diese Geschichte einzutauchen, diese Sprünge nervten ungemein und doch machen gerade sie dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz, damals und heute fast schon wieder interessant.
Ich würde auf jeden Fall raten, zuerst anzulesen und zu gucken, ob dieser Text was mit einem macht und ob er einen erreichen kann, wenn es nicht sofort zündet... es bleibt so, da können die Themenwelten noch so gut sein, die Sprünge sind einfach zu irritierend.

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