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Veröffentlicht am 26.09.2019

Wir müssen reden!

Haymatland
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Heimat ist ein großer Begriff, der gerade auch in den letzten Jahren vermehrt politisch inszeniert wird, sofern inszeniert hier das richtige Wort ist. Es gibt das 'neue' Heimatministerium, dessen Aufgabe ...

Heimat ist ein großer Begriff, der gerade auch in den letzten Jahren vermehrt politisch inszeniert wird, sofern inszeniert hier das richtige Wort ist. Es gibt das 'neue' Heimatministerium, dessen Aufgabe mir bislang eigentlich noch gar nicht so klar ist. Eher negativ fielen mir hier einige Äußerungen auf, die eher Abgrenzung statt Offenheit darstellten. Genauso wäre es dann mit dem rechten Flügel, der gerne 'seine' Heimat verteidigen möchte und vor Überfremdung schützen will. Doch bedarf Heimat überhaupt diese Gedanken? Und was ist Heimat eigentlich?

Für mich ist es die Kultur, die Lieblingsspeisen, Familie, Zusammenhalt, Freunde, die Landschaft, das Angekommenfühlen. Und dann bin ich auch genau da: Heimat ist eher meine Art Gefühl, meine Erinnerung, mein Ursprung. Alles andere ist beinahe unwichtig. Es ist egal wie viele Menschen hier und dort leben, ob man sich mit allen versteht, alle die gleichen Ansichten teilen und doch... an irgendeiner Stelle hakt es. Warum sonst sollen sich viele so bedroht fühlen, obwohl sie hier gar nichts zu befürchten haben? Wieso gönnt man es anderen Menschen nicht, die aufgrund von Notständen, Kriegen und Angst ihr Land und ihre Heimat und ihren Ursprung zurücklassen und sich nun hier eine neue Heimat aufbauen wollen? Wieso grenzen wir Menschen aus, die doch genau das gleiche Recht bekommen sollten wie jeder andere auch? Wieso... Wieso... Wieso. Viele Fragen und so wenige wirkliche Antworten. Die von mir sehr geschätzte Moderatorin und Journalistin Dunja Hayali hat sich mit ihrem Buch "Haymatland - Wie wollen wir zusammenleben?" an dieses Thema gewagt.

Und genau das tut sie dann auch. In diesem eigentlich recht dünnen Büchlein, beschreibt sie ihre Situation, ihre Gedanken und Wünsche/Hoffnungen/Ängste. Sie beschreibt ihre Bedeutung von Heimat und die Wichtigkeit des Ankommens und Aufgenommenwerdens. Was damals noch möglich war, scheint heute zahlreichen Menschen fremd, die Geste der Freundschaft, der Hilfe, der Offenheit. Heutzutage erwartet man von Flüchtlingen und Co häufig, dass sie sich integrieren, anpassen, in das starre System der Erwartungen einfädeln, doch ohne Unterstützung mangelt es auch an der Umsetzung. Vielen ist es nicht klar und großteils schlägt dieses Unverständnis und die Ablehnung in Frust, Hass und Gewalt um. Dunja Hayali, aber auch andere bekanntere und unbekannte Menschen, die sich hier eine Existenz aufgebaut haben oder gar hier aufgewachsen sind, sind aktuell gezwungen Position zu beziehen und sich vor Angriffen anderer Menschen zu verteidigen. So schildert sie auch hierzu ihre Position und geht (was ich sehr bewundernswert finde) recht offen damit um. Trotz Angst, Furcht, Einschüchterung, geht sie einen Schritt auf die Angreifer zu und versucht den Dialog zu nutzen, während andere hier bereits komplett dicht machen würden. Einzig die Kommunikation untereinander und das Verstehen des anderen kann sehr viel Schadensbegrenzung betreiben und ich finde gerade dies und noch so viel mehr wird in diesem recht schmalen Buch sehr deutlich. Hayali erörtert so z.B. auch das Sündenbockphänomen, geht auf den starken raueren Ton dank Internet und Anonymität ein, den generellen Rechtsdruck, der dann teilweise sogar die Abschaffung der eigenen Rechte nach sich zieht (siehe Türkei, Polen...).

Es gibt so viele Problemstellen, das kann man sich als weltoffener Mensch manchmal gar nicht vorstellen. Und doch, sind wir teilweise auch selbst schuld, denn wir wollen uns gefühlt über vieles aufregen. Wir hacken selbst auf unserer eigenen Sprache rum, sprechen gerne Englisch mit Urlaubern oder einfach weil es internationaler wäre. Eigentlich sind wir gar nicht so stolz auf unsere Sprache und doch regen wir uns über so kleine Worte wie Mohrenkopf, Neger, Schwarzer, Zigeuner... auf und doch bezweckt nicht jeder durch die Nutzung dieser Worte eine Diffamierung einzelner. Generell müsste man viel mehr im Zusammenhang betrachten, die Bedeutung ist entscheidend und gerade daran hapert es oftmals. Wir regen uns über kleine Sachen in einem großen komplexen System auf und erkennen das Wesentliche kaum... Wir erwarten von der Politik, dem Staat eine eindeutige Regelung und sind selbst überfordert anderen die Möglichkeit zu geben, genau das gleiche erreichen zu können, wie wir selbst. Wir hatten das Glück in einem privilegierten Land geboren zu sein, also sollten wir auch anderen keine Chance verwehren.

Im Großen und Ganzen kann ich nur sagen, dass dieses Buch sehr viele Gedanken, Denkanstöße und Möglichkeiten offenbart und mich doch am Ende etwas enttäuscht hat. Es stellt eine großartige journalistische Arbeit mit sehr viel persönlichem Einfluss dar. Hayali greift die großen 'Elemente' Heimat, Hass, Tatsachen, Hoffnung auf, doch es ist irgendwie nicht so rund wie ich gehofft hatte. Vielleicht war der Druck des Wollens etwas zu hoch oder die Zeit zu knapp, wer weiß? Gerade der Hoffnungs-Teil verliert bei mir beinahe komplett. Die Zurückweisung, dass Medien durch ihre Berichterstattung Menschen beeinflussen, gibt sie zwar zu, aber gerade die gängigen Medien tragen auch zur großen, negativen Meinungsbildung bei. Wieso wird z.B. ständig erwähnt, dass es ein syrischer Flüchtling war oder ein Mann irakischer Herkunft und nie, ein Deutscher? Wieso teilen Medien gerade Menschen, die ja eigentlich alle gleich behandelt werden sollten, in Gruppen auf und berichten dann doch am Ende oftmals sehr einseitig und aufmerksamkeitsstark. Wir machen selbst viele Fehler, das ganze System muss sich beinahe ständig neuen Herausforderungen stellen und sich hinterherhumpelnd anpassen. Vielleicht sollten die Medien gerade in dem Punkt anfangen und statt Sensationsgeilheit den Drang einer besseren Welt als Ziel nehmen. Natürlich braucht Deutschland dank demografischen Wandel auch Zuwanderer, die das ganze System stabilisieren, aber das dann u.a. wieder auf Pflegeberufe und Co zu reduzieren? Selbst da gibt es in Deutschland gewaltige Fehler, die einzig weiter ausgebaut werden und statt damals den Familienzusammenhalt zu stärken und möglich zu machen, eher Familien zu trennen und auseinanderzureißen. Es gibt so viele Schwachstellen, die hier Erwähnung finden sollten und die irgendwie am Ende aufgedröselt eine Chance ergeben könnten. Genauso wie hier hätte ich gerne mehr über die Frage "Wie wollen wir leben?" gewünscht, vielleicht verschiedene Stimmen, Ansichten, Gegenüberstellungen, persönliche Gedanken... Also für mich ist es so einfach nicht vollständig, es fehlt was, mehr Haymat und das ist wirklich schade.

Eigentlich sollte man dieses Buch jedem nahelegen, der etwas gegen den Staat, Andersgläubige oder allgemein Menschen hat, allerdings werden diese wahrscheinlich diese Art von Büchern eher sehr selten bis gar nicht lesen. Daher kann ich es nur als Anreiz zur offenen Diskussion empfehlen, denn gerade den Dialog braucht das Land, die Welt, die Menschheit. Und obwohl alles offener, vernetzter und verbundener ist, so fehlt es doch am Wesentlichen - der Kommunikation, dem Verständnis und der Akzeptanz. Es wäre also Zeit, dass wir gerade in den schwierigen Zeiten vermehrt daran arbeiten um wieder eine große Gemeinschaft bilden zu können, denn nur gemeinsam können wir die wirklich wichtigen Dinge und Probleme der Welt angehen und meistern.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Ein Buch, eine Persönlichkeit, ein Kunstwerk

Teich
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Ein Buch über das Leben. Ihr Leben. Claire-Louise Bennett erzählt in "Teich" von ihrem Alltag, ihren Gedanken, Erlebnissen, Ängsten, Hoffnungen und Phantasien. Man könnte meinen in diesem Buch steckt beinahe ...

Ein Buch über das Leben. Ihr Leben. Claire-Louise Bennett erzählt in "Teich" von ihrem Alltag, ihren Gedanken, Erlebnissen, Ängsten, Hoffnungen und Phantasien. Man könnte meinen in diesem Buch steckt beinahe eine ganze Persönlichkeit. Sie nimmt uns mit durch ihre Tag in einem recht einsamen Cottage an der irischen Westküste. Eigentlich kann man an dieser Stelle auch gar nicht wirklich etwas erzählen. Ein Buch, vergleichbar mit Knausgards Werken und Gedankengang und doch so anders. Beinahe ein künstlerisches, abstraktes Kunstwerk, dass den Leser auf eine Reise mitnehmen möchte und doch ständig in andere Sphären abdriftet. Leicht verschwommen könnte man auch sagen. Sie erzählt fasziniert von erdachten Feierlichkeiten mit genauen Plänen wo wer sitzen oder stehen wird. Es beinhaltet ihre Gedanken über den Herd mit seinen kaputten Knöpfen, bei dem nun auch der dritte Knopf beinahe seine Funktion aufgibt. Sie beschreibt beinahe alltägliche Dinge sehr fein und detailliert und doch so ganz anders als erwartet.

Ich bin sehr hin- und hergerissen von diesem Buch. Es ist nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut. Vielleicht stehe ich aber auch einfach nur vor diesem Kunstwerk und verstehe es nicht in all seinen Dimensionen und Erzählungen. Was zunächst noch sehr interessant beginnt, wurde für mich recht schnell sehr anstrengend. Claire-Louise Bennett springt beinahe durch ihre Gedanken und findet auf komischen Wegen immer wieder zurück und vergisst den Leser oftmals zu führen. Es ist ein ständiges Auf und Ab zwischen Begeisterung und Verfluchung. Ich habe in diesem Fall mehrfach abgebrochen und an einer anderen Stelle fasziniert weitergelesen um später noch einmal zurückzukehren. Auch genervte Pausen endeten meinerseits abrupt mit Neugier und dem Drang die Autorin verstehen zu wollen. Und doch bin ich großteils dran gescheitert. "Teich" ist ein Sammelsurium an Abstrusitäten, wenn man so will, doch während Knausgard es immer schafft bei seiner Faselei beim Punkt zu bleiben, driftet Bennett stets in andere Welten ab. Daher kann ich an dieser Stelle auch keine wirkliche, direkte Empfehlung aussprechen. "Teich" wird sicherlich Fans finden, aber dies dann doch eher beiläufig, zufällig und gedankenverloren.

Veröffentlicht am 26.09.2019

leichter Thriller mit Happyend?

Krokodilwächter
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Ein Kopenhagenthriller wie er wortwörtlich im Manuskript steht. "Krokodilwächter" von Katrine Engberg aus dem Diogenes Verlag ist der Auftaktroman einer neuen Serie und lässt wirklich alle Türen offen, ...

Ein Kopenhagenthriller wie er wortwörtlich im Manuskript steht. "Krokodilwächter" von Katrine Engberg aus dem Diogenes Verlag ist der Auftaktroman einer neuen Serie und lässt wirklich alle Türen offen, aber dazu später mehr. Worum geht's?

Julie ist Anfang 20 und vor einiger Zeit in die Kopenhagener Innenstadt gezogen. Gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin lebt sie hier in einem recht ruhigen Apartmenthaus. Die Eigentümerin Ester de Laurenti wohnt selbst dort, ist bereits Rentnerin und bekommt gelegentlich Hilfe von dem jungen Gesangslehrer Kristoffer. Alles klingt total harmonisch. Jedoch stolpert der alte Gregers eines Tages über die Leiche der jungen Frau aus der ersten Etage. Das Besondere: sie wurde nicht nur brutal erstochen, sondern auch ihr makelloses Gesicht wurde kleinlich genau mit einigen gezielten Schnitten versehen. Ein mörderisches Kunstwerk, könnte man meinen.

Polizeiassistent Jeppe Korner und seine Kollegin Anette Werner sind die beiden Ermittler in diesem Fall. Ihre anfänglichen Verdächtigungen führen allerdings recht schnell ins Leere, denn auch ihr Hauptverdächtiger wird bereits nach kürzester Zeit tot aufgefunden und bringt das ganze Spiel aus kuriosen Zusammenhängen ins Rollen. Auch die schwächliche Ester de Laurenti ist an dem Schauspiel nicht ganz unschuldig. Denn ausgerechnet ihre Idee eines Kriminalromans ist real geworden und soll auch ihr selbst bald zum Verhängnis werden.

"Krokodilwächter" gehört für mich eher in die Ecke der leichten Thriller und müsste ich dieses Buch in einem Wort beschreiben ... Nett. Es ist kein packender, spannungsgeladener Thriller, wie man es bei dem Wort "Thriller" vielleicht erwarten würde. Katrine Engberg nimmt uns mit in eine Art Verfilmung eines Manuskripts. Die einzelnen Charaktere finde ich in diesem Fall so wunderbar verschroben und recht eigen, sympathisch. Bereits die beiden Ermittler könnten unterschiedlicher nicht sein. Jeppe ist eher der ruhigere, bedächtige Typ, der so einen kleinen Spleen mit Keimen und Bakterien hat und sich selbst oftmals etwas zu viel zumutet. Anette hingegen ist eher aufbrausend, hat gerne die Zügel in der Hand und legt sich gefühlt recht schnell fest. Auch Ester und der alte Gregers sind beide total aufmüpfig, eigen, vielleicht auch etwas seltsam und doch total niedlich in ihrem Wesen.
Und gerade diese Darstellung der Protagonisten, ihre Gedanken und Bedenken, macht dieses Buch aus. Die eigentliche Ermittlung wird in einzelne Tage aufgespalten. Hin und wieder werden die Kapitel von anderen textlichen Ausschnitten und Gefühlen des Täters/ des ursprünglichen Manuskripts begleitet. Der eigentliche Thriller ist in der Theorie gut durchdacht und interessant, spannend aufgebaut, aber es gibt keine großartig, spektakuläre Szenarien. Selbst das Ende gleicht eher einem Drama mit Happy End. So lässt mich dieses Buch dann auch mit recht gemischten Gefühlen zurück. Das mag vielleicht daran liegen, dass es sich hierbei um den Auftakt einer neuen Reihe handelt und diese nicht immer gleich hochgeladen, explosiv sind oder vielleicht ist es aber auch einfach die eher ruhigere Art mit Fokus auf die Charaktere die Katrine Engbergs Markenzeichen darstellen. Auf den zweiten Teil freue ich mich jedenfalls schon jetzt.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Wenn Menschlichkeit Hürden überwindet

Lied der Weite
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"Lied der Weite" ist ein Buch, dass mich gerade aufgrund seiner ruhigen Art sehr begeistert hat. Kent Haruf versteht es ohne viel Tamtam eine Geschichte zu inszenieren, die einen einfach mitnimmt. Für ...

"Lied der Weite" ist ein Buch, dass mich gerade aufgrund seiner ruhigen Art sehr begeistert hat. Kent Haruf versteht es ohne viel Tamtam eine Geschichte zu inszenieren, die einen einfach mitnimmt. Für mich ist sie eine Beschreibung des Lebens mitsamt Hindernissen, die umgangen und beseitigt werden müssen. Und auf dem Weg begleiten einen immer wieder Menschen, die einem helfen und nur das Beste wollen und andere, die alles ins Wanken bringen, obwohl man ihnen vertraut und ihre Unterstützung gebraucht hätte. Es ist eine Geschichte vom Geben und Nehmen. Von flüchtenden Zuständen, dem nie wirklich ankommen und der eigentlichen Herausforderungen - dem Leben, der Liebe und der Menschlichkeit.

In diesem Fall dreht sich vieles um das Mädchen Victoria Roubideaux. Sie ist schwanger, wird daraufhin von ihrer Mutter verstoßen und versucht nun ihr Leben zu meistern. Sie ist erst 17 Jahre alt und geht eigentlich noch zur Schule. Victoria vertraut sich der Lehrerin Maggie an, die versucht ihr zu helfen und ihr eine Unterkunft zu besorgen. Abseits von allem, kommt sie dann in der ruhigen Einöde bei den Brüdern McPheron unter. Gerade für die beiden ist dies eine sehr gewöhnungsbedürftige Situation, denn die Viehzüchter haben ihr ganzes Leben noch nie wiklich mit einer Frau zutun gehabt, geschweige denn mit einem Kind. Sich versuchen sich anzunähern und Victoria während der Schwangerschaft zu unterstützen. Doch eines Tages führt sie der Vater des Kindes, kurz vor der Geburt, erneut auf Abwege.

Auch wenn es jetzt nicht das handlungsstärkste Buch ist, finde ich es beinahe großartig und nahezu für jeden passend - Das mag mitunter auch Kent Harufs Stärke sein. Man liest ihn/es gern und hat eigentlich kaum bis keine Kritikpunkte zu äußern. Es ist ein Blick in die Weite, in die Zukunft. Ein Blick aufs Land. Ein Blick zum Leben selbst. Für mich ist es auch noch nachhallend ein sehr eindrucksvoller Roman. Der einzige Nachteil: man kein einfach gar nicht so viel zu diesem Buch sagen. Es ist wie es ist, ruhig und toll.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Beeindruckende Verluste. Detaillierte Erinnerungen. Kühle Aufzeichnungen.

Verzeichnis einiger Verluste
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Mit diesen Worten könnte ich Judith Schalanskys neuestes Werk "Verzeichnis einiger Verluste" zusammenfassen. An Schalansky kommt man als Literaturliebhaber eigentlich selten vorbei. Neben ihren sehr bekannten ...

Mit diesen Worten könnte ich Judith Schalanskys neuestes Werk "Verzeichnis einiger Verluste" zusammenfassen. An Schalansky kommt man als Literaturliebhaber eigentlich selten vorbei. Neben ihren sehr bekannten Büchern "Atlas der abgelegenen Inseln" und "Der Hals der Giraffe" und der Sammlung Naturkunden bei Matthes und Seitz widmet sie sich nun kleineren und größeren Verlusten der Geschichte. Zunächst muss man bei diesem Buch die Optik hervorheben. Es ist komplett schwarz weiß gehalten, nur die Typografie des Einbands ist in silber eingestanzt. Selbst die immer wieder auftauchenden Bilder, die jedes Kapitel bzw. jede Geschichte umrahmen, sind in schwarz auf schwarz gedruckt. Dieses Buch ist etwas zum Entdecken, manchmal auch nicht im direkten Sinne, wenn man den Fokus auf die jeweiligen einzelnen Geschichten legt.

Zunächst geht es in den Vorbemerkungen des Buchs um Verluste und Entdeckungen. Bereits im Vorwort wird Schalansky etwas detaillierter, vielleicht sogar persönlicher. Ein Wechselspiel zwischen Fakten und philosophischer Deutungen des Todes, der Hinterlassenschaften, der Erinnerung und des Fortschritts wird geschaffen und macht neugierig auf mehr. Den Kern des Buches bildet dann das eigentliche Verzeichnis, welches 12 verschiedene Dinge, Gebäude, Flächen, die im Laufe der Geschichte verschollen sind, künstlerisch thematisiert. Schalansky widmet sich so beispielsweise dem Verschwinden des Atolls Tunaki, dem Palast der Republik oder auch ihrer Heimatstadt Geifswald in Form eines verbrannten Gemäldes von Caspar David Friedrich. Jedes Kapitel selbst besitzt dann noch einmal eine Einleitung mit Wissenswertem zur 'Entdeckung und Geburt' sowie zum Todeszeitpunkt des 'Elements'. Erst dann beginnt das eigentliche Schauspiel in Form einer fiktiven Geschichte oder des Erlebten. Dieses macht aus dem Verzeichnis eine Art Sammlung vieler verschiedener Eindrücke, die in einem wunderbaren Sammelband zusammengefasst wurden.

Was soll ich sagen? Vom Design bin ich sehr, sehr angetan. Auch inhaltlich, war ich zunächst mehr als fasziniert und beeindruckt. Es machte insgesamt den Eindruck eines schlauen, informativen Büchleins, welches die Grundlage weiteren philosophischen Denkens bietet und so einige Verluste zurück ins Gedächtnis verfrachtet. Schalanskys poetische, recht distanzierte, detaillierte Beschreibungen unterstreichen diese Art und machten neugierig auf mehr. Als dann die eigentliche Geschichte zu dem entsprechenden Element beginnt, gibt es für mich einen sehr großen Sprung. Genau das, was ich an ihrer Art eben noch mochte, wurde der Erzählung zum Verhängnis. Teilweise recht fragliche Bezüge tauchen auf und die notwendige Emotionalität fehlt komplett. Viel mehr bleibt Schalansky in ihrer teilweise recht unnatürlichen Prosa hängen, wodurch für mich als Leser oftmals auch gar kein Bezug zu den Protagonisten möglich war. Desweiteren ist es nach wie vor schleierhaft, wieso der Abriss der Republik sich hauptsächlich am Rande einer verzwickten Ehegeschichte abspielt oder das verbrannte Bild Caspar David Frierichs zu einem Spaziergang durch die Natur Greifswalds einlädt. So ist dann auch jedem Ort, jedem Element irgendetwas Fragliches beigestellt. Und das, was eigentlich der Fokus sein sollte, driftet eher in eine komische Geschichte ab, die einen trotzdem nicht begeistern oder in den Bann ziehen kann. Obwohl ich Schalansky für ihre Art zu schreiben und für ihre Prosa großen Respekt zolle und das Design großartige finde, kann ich hier einfach nicht wirklich begeistert sein. Es ist schwierig. Vielleicht wäre es auch eher ein Buch für Fans gehobener Literatur, wobei auch dann die Bezüge großteils fraglich bleiben. Vielleicht bedürfen ihre Geschichten auch einfach Zeit und viel mehr Raum um zum Wesentlichen vorzudringen.

Ich jedenfalls weiß es nicht. Ich ging verloren.