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Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Mann mit dem Spinnenbaum

Der Dieb in der Nacht
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Felix Heller verschwindet mit 19 Jahren mitten am Tag, keiner hat ihn seitdem mehr gesehen, es gibt keine Leiche und Lösegeldforderungen bleiben aus – fast scheint es so, als hätte er sich in Luft aufgelöst. ...

Felix Heller verschwindet mit 19 Jahren mitten am Tag, keiner hat ihn seitdem mehr gesehen, es gibt keine Leiche und Lösegeldforderungen bleiben aus – fast scheint es so, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Doch sein ehemals bester Freund Paul entdeckt den optisch vollkommen veränderten Felix viele Jahre später in einem Prager Café. Tatsächlich fehlen diesem Fremden sämtliche Erinnerungen an seine Vergangenheit, denn er wurde aus der Moldau gerettet und kann sich an sein Leben vor dem Unfall nicht mehr entsinnen. Paul nimmt den Mann, der sich nun Ira Blixen nennt und als Künstler abstrakter Skulpturen sein Geld verdient, mit nach Hause und stellt ihn dort seiner vermeintlichen Schwester Louise vor, die ebenfalls Pauls Freundin ist. Aber die freudige Stimmung kippt schon bald, denn Ira erschleicht sich die Freundschaft der beiden und belastet durch Lügen, Diebstahl und zweifelhaftes Verhalten die Stimmung in der Wohngemeinschaft. Blixens Anwesenheit löst erst Unbehagen aus, steigert sich dann mehr und mehr zur subtilen Bedrohung. Paul und Louise ersinnen einen Plan, wie sie Ira wieder loswerden können, denn eines steht fest, freiwillig wird er nicht gehen …

Dieser mysteriöse, psychologisch tiefschürfende Roman erzeugt eine immer stärker werdende gruselige Lesestimmung, die mich mitfiebern und bangen ließ. Ein dramatisches Katz- und Maus-Spiel, welches auf einer einfachen Verwechslung basiert, nimmt seinen fatalen Verlauf. Die Autorin geht nicht nur virtuos mit der Sprache um, sondern webt ein engmaschiges Netz um falsche Identitäten, traurige Verluste und dunkle Zweifel. Was ist wahr? Was ist Fiktion? Und wer oder was ist Ira Blixen wirklich?

Die Erzählung hebt sich sehr positiv hervor, sowohl vom Schreibstil als auch von der Romanidee – sie ist einmal etwas ganz anderes, nimmt unerwartete Wendungen und bleibt stellenweise schwer greifbar. Aber gerade deswegen hat mir dieses Werk sehr gut gefallen, denn meine Erwartungen wurden hier auf verschiedenen Ebenen erfüllt.

Fazit: Ich vergebe 4 Sterne für einen besonderen, eigenwilligen Roman, der mich nicht nur unterhalten hat sondern darüber hinaus ganz ohne Horror ein Gänsehautfeeling erzeugen konnte. Kleines Manko: Das Ende! In der Schlussszene hätte ich mir eine andere, aussagekräftigere Version gewünscht, ein echtes, kein fiktives Ende – ansonsten lesenswert.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gemeinsam gegen Konventionen

Auf die andere Art
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Charlotte und Jason sind glücklich verheiratet und führen eine Bilderbuchehe, erst als der charismatische neue Chef Dominic in der Anwaltskanzlei seine Stelle antritt, gerät die Beziehung der beiden in ...

Charlotte und Jason sind glücklich verheiratet und führen eine Bilderbuchehe, erst als der charismatische neue Chef Dominic in der Anwaltskanzlei seine Stelle antritt, gerät die Beziehung der beiden in Schieflage. Aus anfänglicher Sympathie wird Freundschaft doch bald gehen die Gefühle der beiden tiefer und Charlotte beginnt ein Spiel mit dem Feuer. Nach dem Seitensprung verfängt sich Charlotte in einem Netz voller Selbstvorwürfe und Zweifel und bemüht sich angestrengt die Fassade zu wahren, doch entgegen aller Ratschläge kann und will sie sich für keinen der beiden Männer entscheiden. Als Dominic schließlich die innere Zerrissenheit seiner Geliebten nicht mehr ertragen kann, macht er dem Ehepaar den Vorschlag, eine Dreiecksbeziehung zu führen. Charlotte darf beide lieben und wird ebenso von zwei Männern geliebt werden. Doch mit dieser Entscheidung sind weitreichende Folgen verbunden, die dieses ungewöhnliche Beziehungsgeflecht immer wieder auf den Prüfstand stellen …

Der Roman besticht in erster Linie durch seine Realitätsnähe und Intensität in der Beschreibung eines persönlichen Dilemmas. Innere Zerrissenheit, nagende Zweifel aber auch aufkeimende Hoffnung, dass sich ein Traum erfüllen könnte, wenn die äußeren Umstände es nur irgendwie zulassen. Außerdem geht er sehr behutsam mit dem Thema Treue und Untreue um, zeigt wie zerbrechlich das perfekte Glück sein kann aber auch welche Chancen sich offenbaren, wenn man sich um eine tatsächliche Änderung bemüht.

Der Autorin ist es wunderbar gelungen den Leser in eine Gefühlswelt zu involvieren, die wohl den wenigsten von uns geläufig ist. Man muss sich zwangsläufig damit arrangieren, dass es irgendwo Beziehungen gibt, die sich einer Logik unterwerfen, die man nicht auf den ersten Blick erkennt, die anders sind und trotzdem glücken, die unvorstellbar und abstrakt bleiben aber dennoch eine echte Berechtigung haben. Die Chance die sich daraus ergibt wird hier klar definiert und auch die Bereitschaft eine ernstgemeinte Veränderung im Denken zuzulassen.

Der Schreibstil ist flüssig, greift verschiedene Perspektiven auf, wobei die Hauptprotagonistin Charlotte definitiv im Mittelpunkt des Geschehens steht. Ihre Gefühle und Denkweisen werden ausführlich erörtert, allerdings immer im Kontext mit den Handlungen und Geschehnissen im Leben ihrer beiden Männer. Darüber hinaus zeigt sich, wie elementar und bedeutsam ein familiäres Umfeld ist, welches die persönlichen Lebensentscheidungen akzeptieren kann, sie möglicherweise sogar verstehen möchte.

Fazit: Ich vergebe 4 Sterne für diesen intensiven, kreativen Beziehungsroman, der sich ausgesprochen authentisch mit den Sorgen und Freuden einer unkonventionellen Partnerschaft auseinandersetzt und der an die Aufgeschlossenheit der Umwelt appelliert. Weil es letztendlich vollkommen egal ist, wie man persönliches Glück findet, einzig die Entscheidung des Herzens zählt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Berührungspunkte zweier Lebenswege

Das Meer in Gold und Grau
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Nachdem Katia Werner eine Auszeit von ihrem bisherigen Leben braucht und sich für ein geplantes verlängertes Wochenende zu ihrer bis dato unbekannten Tante an die Ostsee begibt, beginnt für sie ein neuer ...

Nachdem Katia Werner eine Auszeit von ihrem bisherigen Leben braucht und sich für ein geplantes verlängertes Wochenende zu ihrer bis dato unbekannten Tante an die Ostsee begibt, beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt denn aus zwei Tagen werden fast zwei Jahre. An der holsteinischen Ostseeküste betreibt ihre betagte Tante Ruth ein eher altmodisches doch gemütliches kleines Strandhotel. Gemeinsam mit einer bunten Mischung aus Personal, die fast alle im Rentenalter sind, trotzt sie Wind, Wetter und Veränderungen. Katia und Ruth finden Gefallen aneinander und die junge Frau bringt sich immer mehr in den Hotelbetrieb ein, so dass Ruths „Palau“ in neuem Glanz erstrahlt. Doch während die Lebenskräfte der einen nun zur vollen Entfaltung kommen, lassen die der alten Frau immer mehr nach und so entsteht eine spezielle Verbundenheit zwischen den Generationen, die ähnlich wie die Wellen am Strand einem ständigen Auf und Ab unterworfen ist.

Veronica Peters entwirft in diesem Roman, der bereits mein zweiter der Autorin ist, eine wunderschöne, sehr bildliche Sprache. Sie verpackt Gedanken, Lebensweisheiten und Naturbeschreibungen in einem anspruchsvollen Schreibstil, der das Lesen zum Erlebnis werden lässt. Die beiden Hauptprotagonisten aber auch alle anderen auftretenden Charaktere werden umfassend und liebevoll beschrieben, so dass man als Leser definitiv um die Stärken und Schwächen der entsprechenden Person weiß. Man fühlt sich ihnen verbunden und nah, fast so als würde man neben ihnen stehen und eigene Beurteilungen abgeben. Dieser Detailtreue und Aufmerksamkeit ist es auch zu verdanken, dass ich das Buch gerne gelesen habe, obwohl mich die eigentliche Geschichte nicht packen konnte.

Die Thematik von Neubeginn und Abschied, von Bestand und Veränderung, von Lebenssinn und Lebensabend wurde hier relativ emotionslos behandelt. Sowohl Katia als auch Ruth behalten sich ein Hintertürchen offen und gehen nur ein Stück des gemeinsamen Weges zusammen, bevor sich beide wieder oder nicht mehr in ein eigenes Leben verabschieden. Die beiden starken Frauen des Romans sind Einzelgänger, gewesen und geblieben, daran konnte ihre Bekanntschaft leider nichts ändern und ihre ganz individuelle Art von Liebe, die sie sicherlich füreinander empfunden haben, war für mich nur schwer nachvollziehbar.

Fazit: Ich vergebe 3,5 Sterne für einen sprachgewaltigen, sehr speziellen Roman, der meine Liebe zur Literatur ausgesprochen gut widerspiegelt, aber dessen Handlung für meinen Geschmack zu wenig greifbare Liebe, zu wenig Herzlichkeit, zu wenig Emotionalität besaß. Die Bücher von Veronica Peters lesen sich einfach wundervoll und aus diesem Grund freue ich mich darauf ihren aktuellen Roman „ Aller Anfang fällt vom Himmel“ bald kennenzulernen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein letzter Wunsch fürs Glücklichsein

Das Institut der letzten Wünsche
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Mitten in Berlin haben sich zwei Frauen selbstständig gemacht und betreiben gemeinsam „Das Institut der letzten Wünsche“, ein Dienstleistungsunternehmen für Sterbenskranke und deren Angehörige, welches ...

Mitten in Berlin haben sich zwei Frauen selbstständig gemacht und betreiben gemeinsam „Das Institut der letzten Wünsche“, ein Dienstleistungsunternehmen für Sterbenskranke und deren Angehörige, welches es sich auf die Fahne geschrieben hat, den wichtigsten Herzenswunsch des Todgeweihten zu erfüllen, damit dieser in Frieden sterben kann. Dabei kommt es vor allem auf Einfallsreichtum und gute Kontakte an, denn die Klienten haben nicht nur absonderliche Vorstellungen sondern sind meist gar nicht mehr in der Lage dazu, ihre Wünsche zu realisieren. Doch Ingeborg und Mathilda geben immer ihr Bestes, sie lassen es im Sommer schneien, verwandeln die Ostsee in das Mittelmeer, organisieren Spieleabende in der Studenten-WG und erwecken selbst die totgeglaubte Maria Callas zu neuem Leben. Als eines Tages der ziemlich junge Birger Raavenstein im Institut auftaucht, um seine verlorengegangene Jugendliebe wiederzufinden, bevor er an einem Lungentumor stirbt, verändert sich für Mathilda alles, denn Birger ist nicht nur ihr neuer Klient sondern in erster Linie der Mann, in den sie sich unsterblich verliebt …

Ein absolut ansprechender Roman, der es schafft ein sehr berührendes, trauriges Themengebiet weitgehend positiv und hoffnungsfroh darzustellen. Hier geht es nicht nur um das Sterben und das Leid sondern in erster Linie um die unbändige, alles verändernde Kraft, die Sterbenskranke entwickeln, wenn es darum geht sich einen Herzenswunsch zu erfüllen. Es geht um Menschlichkeit und Nähe, um große Taten zu absolut unpassenden Zeiten und ganz wesentlich um die Würde des Menschen, um seine Selbstbestimmtheit in den letzten Lebensmonaten. Die Autorin entwirft mit viel Gefühl ein ganz spezielles Szenario, sicherlich kein allzu realistisches dafür aber ein Bild einer wild zusammengewürfelten Mannschaft, in deren Zentrum der Mensch und seine Persönlichkeit steht. Nicht jeder ist mit allem einverstanden, doch außergewöhnliche Menschen erfordern ebenso außergewöhnliche Maßnahmen. Und während die Ärzte den Betreffenden nicht mehr viel Zeit geben, schenkt das Institut ihnen wunderschöne letzte Augenblicke, auch wenn es für die Absolution, die Rettung ihres Lebens definitiv zu spät ist.

Der Roman ist ein Gleichnis – er vermittelt ein feinsinniges Gespür für die Endlichkeit des Daseins, für die guten Momente eines erfüllten Lebens, für die Kraft der Liebe und nicht zuletzt für das einfache, unkomplizierte Glücklich-Sein. Seine Botschaft lautet ganz klar: „Egal, wie lang oder kurz dein Leben auch ist, egal was du verpasst oder erreicht hast, dass einzige was wirklich zählt ist dein persönliches Glück, welches dich im Regen tanzen lässt und im Rollstuhl schwimmen …“

Fazit: Ich vergebe 5 Sterne für ein emotionales, berührendes Buch über das Leben und Sterben im Einklang mit den eigenen Wünschen. Ein Buch, welches mich zum Lachen und Weinen brachte und mir ganz ungefragt gute Ratschläge mit auf den Weg geben konnte. Empfehlenswert für alle, die sich gerne mit dem Thema auseinandersetzen und denen ein positiver Fokus wichtig ist, der die Hoffnung in den Vordergrund rückt und nicht die Endlichkeit unseres Lebens.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Heimat für die Seele

Baba Dunjas letzte Liebe
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Baba Dunja ist längst keine 82 mehr, dafür aber eine der wenigen alten Dorfbewohner, die wieder in ihren Heimatort Tschechow zurückgekehrt sind. Dort will nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl niemand ...

Baba Dunja ist längst keine 82 mehr, dafür aber eine der wenigen alten Dorfbewohner, die wieder in ihren Heimatort Tschechow zurückgekehrt sind. Dort will nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl niemand mehr leben, weil alles verstrahlt ist und so reiht sich eine Ruine an die nächste und die Natur erkämpft sich ihren Platz wie eh und je. Die verbleibenden Menschen lassen sich durch nichts mehr abschrecken, weder durch die einfachen, primitiven Lebensbedingungen, noch durch ein einsames Dasein – abgeschottet von der Zivilisation. In ihrem selbst gewählten Exil lebt jeder wie er gern möchte, ganz im Einklang mit den Gegebenheiten doch füreinander sind die Menschen des Dorfes da, ersetzen fast eine fehlende Familie. Als eines Tages ein junger Mann mit seiner kleinen Tochter nach Tschechow kommt, um sich in einem leerstehenden Haus einzuquartieren, fährt Baba Dunja schwere Geschütze auf, denn sie wird es nicht dulden, dass ein bis dato gesundes Mädchen der tödlichen Strahlung ausgesetzt sein soll. Als der Vater nicht kooperiert geschieht ein Unglück, doch diesmal umgibt eine Mauer des Schweigens den Ort …

Die junge Autorin Alina Bronsky entwirft in ihrem kurzen Roman eine besondere Studie über eine alte Frau, über ein selbstbestimmtes Leben weitab von Fortschritt und Entwicklungspotential, dafür aber ganz nah an den eigenen Bedürfnissen und das wirkt sehr autark. Baba Dunja wird zum Sinnbild einer Generation, die durchaus eigenwillig aber aus voller Überzeugung handelt, die ein weltlich abgekehrtes, von politischen Entscheidungen unabhängiges Dasein führt und der selbst großes Unglück nur einen kleinen Dämpfer versetzen kann. Dennoch handelt es sich bei dieser Denkweise keineswegs um Desinteresse sondern eher um ein tief verwurzeltes Heimatgefühl, dem äußere Einflüsse nur bedingt etwas anhaben können. Baba Dunjas letzte Liebe ist nicht die zu ihrem Mann, auch nicht die zu ihren Kindern und Enkeln sondern die zu ihrem Heim, in dem ihre Seele innere Zufriedenheit gefunden hat.

Fazit: Ich vergebe 5 Sterne für einen tollen Roman, der gerade durch seine sachliche, präzise Erzählweise überzeugt und den Leser in eine ihm fremde Welt entführt. Ganz gewiss möchte man nicht tauschen mit der Hauptprotagonistin des Buches aber man möchte sie gerne kennenlernen – die Baba Dunjas dieser Welt, weil sie rechtschaffene Charaktermenschen sind. Kurze, zeitgenössische Prosa in Bestform – absolut empfehlenswert.